Pflicht zum E: Brauchen wir die Quote?
China will sie. Vielleicht. Kalifornien hat sie und neun weitere US-Bundesstaaten auch. Und in Europa ist sie eigentlich schon da, nur hat es keiner bemerkt: Die Quote für Elektroautos. Ein Begriff, der nach Zwang klingt, fast nach Planwirtschaft, immer aber nach etwas, das sich nicht von alleine ergibt und trotzdem gegen alle Widerstände richtig und wichtig ist. Die Frage bleibt: Brauchen wir die Pflichtquote für Elektroautos wirklich – und falls ja, in welcher Form?
Zwei Entwicklungen bringen die Diskussion zurzeit in Fahrt. Zum einen die Ankündigung mehrerer Länder, ab einem bestimmten Datum den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren zu verbieten. Im Klartext: Dann gilt die 100 Prozent-Quote! Auch der deutsche Bundesrat hat ein Papier dazu eingebracht. Wer hören will, wie Matthias Wissmann darüber seine professionelle Distanz verliert und ungehalten wird, kann das beim Deutschlandfunk tun. Bekommt der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie e.V. angesichts der Vielzahl internationaler Initiativen Angst? Seiner Karriere jedenfalls schadet selbst die peinliche Argumentation nicht, es werde in wenigen Jahren synthetische Kraftstoffe geben, die „praktisch null Emissionen hätten“: Der ehemalige Bundesverkehrsminister ist kurz nach dem Interview in Moskau zum Präsident des Weltautomobilverbands OICA gekürt worden.
Wenn Norwegen oder die Niederlande (oder die Grünen) laut über die Pflicht zum Elektroauto nachdenken, sorgt das in weiten Teilen der Industrie nur für ein Stirnrunzeln – in diesen relativ kleinen Märkten erscheint das leicht machbar und als eine Art liebenswerter Spleen.
China. Kommt. Krass.
Wesentlich stärker wird der Kreislauf aller Beteiligten angeregt, wenn die Volksrepublik China eine Quote erwägt. Denn der chinesische Markt ist mit weit über 20 Millionen Exemplaren pro Jahr der größte der Welt. Tendenz steigend. Das Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern steht am Beginn der Massenmotorisierung. Die Autoindustrie mit Marken wie BYD ist bei Elektrofahrzeugen vom Pkw bis zum Bus sehr gut aufgestellt, und die Batteriezellen stammen aus heimischer Produktion. Es ist nicht die Quote von acht Prozent, die von Cui Dongshu, dem Generalsekretär der China Passenger Car Association, für 2018 ins Spiel gebracht wird, sondern es sind die damit verbundenen absoluten Zahlen, die für Nervosität sorgen: Allein Volkswagen müsste 60.000 Batterie-elektrische Autos oder alternativ 120.000 Plug-in-Hybride verkaufen.
Dass gerade die deutschen Hersteller darüber „entsetzt“ sind, wie es die „Süddeutsche Zeitung“ in der Überschrift eines Beitrags ohne Quellenangabe für diesen Wortlaut schreibt, darf als journalistische Effekthascherei abgetan werden. Eine Überraschung kann diese Quote nicht sein, denn sie orientiert sich an den kommenden Vorgaben aus den USA.
Widersprüchliche Staaten von Amerika
Die USA sind und bleiben das Land der Widersprüche. Zum einen ist dort der für unsere Maßstäbe riesige Ford F150 (221 Gramm CO2 pro Kilometer, 1.837 kg Leergewicht) das meistverkaufte Fahrzeug. In Kalifornien, dem mit knapp 40 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Staat der USA, unterliegt dieser „Light Truck“ aber der gleichen Regulierung wie normale Pkw. Ab 2018 muss die Quote der ZEVs (Zero Emission Vehicle) von zu Beginn 4,5 Prozent auf 22 Prozent im Jahr 2025 ansteigen.
Die treibende Kraft dahinter ist das California Air Resources Board (CARB), jene Behörde, die vielen Deutschen erst durch die Unnachgiebigkeit ihrer Leiterin Mary Nichols im Zusammenhang mit Dieselgate bekannt wurde. Das CARB ist deutlich älter als Volkswagens Manipulationsskandal – seit 1967 kämpft es für saubere Luft, was im dicht besiedelten und topografisch ungünstig gelegenen Kalifornien dringend notwendig war und immer noch ist.
Im Vergleich zur Totalabschaffung von Autos mit Verbrennungsmotor wirkt die Quote milde und vor allen Dingen planbar. Und die Ausgestaltung ist im Detail viel flexibler, als es die Zahlen vermuten lassen.
BEVs bekommen mehr Credit Points
4,5 Prozent für das Jahr 2018 bedeutet nämlich nicht, dass so viele Elektroautos verkauft werden müssen. Dieser Wert steht für so genannte ZEV Credits. Ein Hersteller muss für das jeweilige Zieljahr eine Quote von Credit Points erreichen, und die werden gestaffelt nach der Antriebsart vergeben.
So bekommt ein Hersteller für einen Plug-in-Hybrid je nach Ausführung zwischen 0,4 und 1,3 Credit Points. Bei einem Batterie-elektrischen Auto dagegen sind es zwischen 1 und 4 Credit Points. Je größer die Reichweite – und hier ist natürlich die US-amerikanische EPA-Range gemeint und nicht die Wunschzahl aus dem europäischen NEFZ –, desto höher der Faktor. Ein Volkswagen e-Golf in der alten Version mit 24 kWh-Batterie kommt auf 83 Meilen (134 Kilometer) pro Ladung. Dafür erhält Volkswagen 2,5 Credit Points. Für über 200 Meilen Reichweite, wie sie etwa der Chevrolet Bolt bietet, sind es zurzeit 4 und ab 2018 noch 3 Credit Points – die für 2025 vorgesehene Quote von 22 Prozent der Verkäufe könnte GM also durch einen Marktanteil des Bolt von gut sieben Prozent des eigenen Portfolios erfüllen.
Was zuerst kompliziert klingt, ist bei näherer Betrachtung lediglich eine gewisse Beweglichkeit in der Quote. Und Kalifornien ist dafür bekannt, auf veränderte Realitäten zu reagieren. Sollte zum Beispiel absehbar sein, dass Batterie-elektrische Autos schnell preisgünstiger werden, könnten die Vorgaben angepasst und verschärft werden. Klar ist: Kalifornien und neun weitere US-Staaten, die sich der Regelung angeschlossen haben, zeigen mit der Quote ihre Durchsetzungsfähigkeit.
EU: Flottengrenzwert als Quotenersatz
Und Europa? Ist scheinbar untätig. Blickt man jedoch genauer auf die CO2-Vorgaben der Europäischen Union, ist auch darin ein Instrument zur Durchsetzung von Elektroautos erkennbar. Wer die Grenzwerte nicht einhält, muss pro Gramm Kohlendioxid Überschreitung 95 Euro Strafe zahlen. Pro Fahrzeug wohlgemerkt. Eine Ausnahme gilt für die ersten beiden Gramm, für die 15 bzw. 25 Euro nach Brüssel überwiesen werden müssen.
Die Höhe des Flottengrenzwerts ist also entscheidend für die Lenkungswirkung. Im Jahr 2021 sind 95 Gramm pro Kilometer vorgesehen. Die Autohersteller haben es durch massive Lobbyaktivitäten geschafft, die Verhandlungen für einen Grenzwert im Jahr 2025 aufzuschieben – im Gespräch sind 70 Gramm, es könnten aber auch 50 sein.
„Für die Hersteller könnten Batterie-elektrische Autos kostengünstiger werden als der fortgesetzte Versuch, den Verbrennungsmotor zu optimieren“, erklärt Dr. Peter Mock, Leiter des International Council on Clean Transportation (ICCT) in Europa. „Anspruchsvolle CO2-Standards haben den gleichen Effekt wie eine E-Quote, lassen aber mehr Spielraum bei der Produktstrategie“, so Mock weiter. Er befürwortet eine schnelle Einigung auf einen CO2-Grenzwert für 2025 und auch für 2030, um Planungssicherheit für die Industrie herzustellen.
Die Idee, ambitionierte CO2-Limits durch die Dieseltechnologie zu erreichen, ist gescheitert. Besonders die auf den Selbstzünder fixierte europäische Autoindustrie – egal ob in Deutschland, Frankreich oder Italien – ist längst unter erheblichem Handlungsdruck, weil die Kosten für die Abgasreinigung zu hoch werden. Als Ausweg bleibt nach heutiger Einschätzung vor allem das Batterie-elektrische Auto.
Dass eine Quote notwendig ist, zeigt eine Umkehrung des Gedankens: Wenn es weder CO2-Grenzwerte noch Vorgaben wie aus Kalifornien noch die Ankündigung eines Totalverbots wie in Norwegen geben würde, was hätte sich getan? Wahrscheinlich ziemlich wenig. Und ohne Elon Musk noch weniger.
Die Nationalstaaten sind also aufgefordert, die Zukunft aktiv zu gestalten. Und der Gesetzgeber ist keineswegs so ohnmächtig, wie es manchmal vermutet wird. Für uns in Deutschland ist der Willensbildungsprozess noch nicht abgeschlossen: Wie wollen wir leben, und wie gut soll die Luft sein, die wir atmen? Die Energiewende im Verkehr steht gerade erst am Anfang.
Autor: Christoph M. Schwarzer
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