Fünf Jahre Nissan Leaf – ein Pionier auf Orientierungssuche.
200.000 Leafs wird Nissan im Januar verkauft haben. Diese Woche wurde mit Journalisten aus ganz Europa in Paris der fünfte Geburtstag des Elektroautos gefeiert. Übertragen auf das deutsche Bildungssystem steht nun bald die Einschulung an. Sprich: Das Elektroauto wird langsam erwachsen. Damit stellen sich neue Fragen. Denn beim Stromer fängt nach der Produktion der Spaß erst an. Für Nissan ein Grund, sich Gedanken zu machen. Über neue Geschäftsmodelle und neue Allianzen.
Nein, das Design des Nissan Leaf löst auch zu seinem fünften Geburtstag beim europäischen Betrachter keine Emotionen aus. Deshalb müssen beim Medien-Event im COP21-Pavillon am Rande der Klimakonferenz in Paris viele Zahlen her. Auf diversen Bildschirmen sind sie allgegenwärtig und machen klar: Hier wurde was geleistet! So sind Leaf-Fahrer schon über zwei Milliarden Kilometer gefahren und haben dabei 328.482 Tonnen CO2 eingespart. Rein rational betrachtet, entsteht denn auch so etwas wie Anerkennung für diese Pionier-Leistung, auch wenn sie verglichen etwa mit Tesla stets nüchtern und sachlich vorgetragen, ja fast unterverkauft wird. Typisch Japaner, könnte man sagen.
Learning by doing – und jede Menge Erfahrung
Die Vorträge, Debatten und Hintergrundgespräche künden allerdings von Selbstvertrauen. Und das speist sich vor allem aus Erfahrung. Seht her, wir bauen seit fünf Jahren Elektroautos. Seht her, wir produzieren an drei Standorten unsere eigenen Batterien. Seht her, wir haben weltweit tausende Ladepunkte selbst mit aufgebaut. „We filled the gap“, sagt Robert Lujan gleich mehrmals. Der oberste eMobility-Chef von Nissan – Division General Manager Global EV Operations, so sein offizieller Titel – verdeutlicht damit auch die bisherige Strategie: Learning by doing anstelle von jammern und warten. Die üblichen Henne-Ei-Probleme hat Nissan für sich einfach selbst gelöst. Im Gespräch mit Lujan dämmert es dem Zuhörer auch, wie schwierig solche Entscheidungen einem Automobil-Hersteller mal gefallen sein müssen. Eigene Batterieproduktion? Eigene Ladeinfrastruktur? Diese Debatten füllen in Deutschland noch immer ganze Konferenzen aus. Bei Nissan gucken sie längst weiter: Bidirektionales Laden steht vor dem Marktstart. Das zweite Leben der Batterie rückt ebenfalls in den Fokus: Dank erster Rückläufer lohnt es sich, auch dafür bereits konkrete Produktideen zu entwickeln.
Und doch hat man den Eindruck, dass sie bei Nissan noch nicht genau wissen, wo sich ein Autobauer in einer elektrischer werdenden Welt zwischen flotten Fahrzeugen und langweiliger Infrastruktur genau positionieren soll. Deshalb holen sich die Japaner für die Geschäftsmodelle der Zukunft zunächst mal Partner an Bord: Für das bidirektionale Laden per Vehicle-to-Grid-Technologie etwa soll der italienische Energiekonzern Enel smarte Lösungen vermarkten. (Mehr Infos hier >>) Und für stationäre Energiespeicher ist das irisch-amerikanische Industrieunternehmen Eaton an Bord. (Mehr Infos hier >>) Dessen Demo-Produkt in Paris funktioniert bereits: Doch einfach die ausgebaute Leaf-Batterie senkrecht in einen riesigen Schrank zu rollen und für die nötige Leistungselektronik noch einen zweiten daneben zu stellen, das wirkt, nun ja, etwas hemdsärmelig. Keine Sorge, versichert Jonathan Hart von Eaton Power, das sei nur für Pilotprojekte gedacht. Später soll das autarke Energiespeicher- und Regelpaket, das es Kunden ermöglichen soll, ihren Energieverbrauch und ihre Stromversorgung mit oder ohne Anschluss ans öffentliche Netz selbst zu steuern, schicker aussehen. Man wünscht es Nissan geradezu.
Von „bigger picture“ bis „Plug and Play“
In Paris stellen sich für Nissan die grundlegenden Fragen, die alle Autobauer umtreiben, die bereits in die Elektromobilität eingestiegen sind: Früher hat man einen Verbrenner produziert, verkauft und dann kamen die Kunden regelmäßig zum Reifen- und Ölwechsel wieder. Schöne alte Welt! Doch beim Elektroauto fangen mit dem Verkauf die Möglichkeiten eigentlich erst an. Doch wer ist dafür dann zuständig? Wenn der Nissan Leaf zwei Tage lang ein Haus mit Strom versorgen kann, erklärt das dann der nette Autohändler in der Vorstadt? Und verkauft und installiert der die nötigen Anschlüsse gleich mit? Aktuell ist man ja schon froh, wenn Verkäufer das Elektroauto an sich erklären können, ohne dabei ständig von „PS“ und „tanken“ zu reden. Es ist interessant, zu beobachten, wie sich ein Autobauer mit all diesen Fragen auseinandersetzt – ohne schon die passenden Antworten zu kennen. Es hat ein bisschen was von Software-Entwicklung, wie man sie von Apps kennt: Die Beta-Version als Normalzustand, weil’s gar nicht mehr anders geht. Vom „bigger picture“ spricht Nissan-Europa-Chef Paul Willcox gern und meint damit, dass Energie- und Automobilwirtschaft künftig „Hand in Hand“ arbeiten werden. Für Willcox ein Paradigmenwechsel. Und klar, das muss dann auch alles „Plug and Play“ sein beim Kunden.
Fast noch wichtiger ist aber: Wie geht die Reise mit der Elektromobilität eigentlich im Fahrzeug weiter? Bei Nissan hört man auf diese Frage oft das Wort „Balance“. Gemeint ist damit, dass sich Batteriegröße und Ladeinfrastruktur weiterhin parallel zueinander entwickeln. Der Leaf bietet 2016 als einziger Elektro-Kompaktwagen schon 30 kWh Batteriekapazität. Die 60 kWh sind bereits in der Entwicklung. Und was ist mit Plug-in-Hybriden, die vor allem die Deutschen gerade reihenweise auf die Straßen bringen? „Rein elektrisch ist der richtige Weg“, antwortet Robert Lujan, ohne aber einen Range Extender auszuschließen. Und was ist mit der Brennstoffzelle, die Nissan in einer Allianz mit Daimler und Ford zur Marktreife entwicklt? „Wird man sehen“, lautet die unausgesprochene Antwort. Zwischen den Zeilen kann man lesen: Bei Nissan sind sie längst zu Batteryheads geworden. Eines aber will der oberste eMobility-Macher von Nissan immer tun: Den Kunden beobachten. Was macht er mit dem Fahrzeug? Wann lädt er? Wie fährt er? Und den Markt im Blick behalten: War etwa der japanische Schnelllade-Standard CHAdeMO auch in Europa lange die bessere Wahl, scheint ein Elektroauto von Nissan mit CCS-Buchse zumindest nicht ausgeschlossen zu sein. Klar, auch das muss man zwischen den Zeilen lesen, so offen sagt das niemand. Doch wenn der Kunde mit CCS in Europa irgendwann schneller oder flexibler laden können sollte, dann könnten sich die Japaner vielleicht auch pragmatisch entscheiden.
Die Saat ist ausgebracht
Hand aufs Herz: So richtig schlau wird man aus dieser Nissan-Veranstaltung in Paris eigentlich nicht. Neue Partner, viele Ideen, der Beta-Modus als Normalzustand. Kurzum: Das Elektroauto ist auf dem besten Weg in die Grundschule, ja erwachsen zu werden. Klar wird aber: Nissan ist prädestiniert dafür, jenes EV-Ökosystem mitzugestalten, von dem in Paris so oft die Rede ist. Erfahrung macht’s möglich. Den Vorsprung gilt es zu halten – jetzt, da andere Massenhersteller wie Volkswagen auf die E-Mobilität einschwenken. Nur an der Optik sollten sie bei Nissan vielleicht noch ein bisschen arbeiten…
Autor: Peter Schwierz
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