Urban Infrastructure – Teil 1. HAMBURG: Leiser Hafenklang.
Wie kommen E-Autos zu neuer Energie und Städte zu besserer Luft? Mit der neuen Serie „Urban Infrastructure“ beleuchtet der Branchendienst electrive.net die unterschiedlichen Strategien der größten Städte in Deutschland und Europa zum Aufbau von Infrastruktur für Elektro-Fahrzeuge. Den Anfang macht Hamburg. Der in der Hansestadt lebende Journalist Christoph M. Schwarzer berichtet von einem durchdachten Konzept – und einem Dilemma, in dem Hamburg stellvertretend für viele Städte steckt.
Urban Infrastructure – Wie E-Autos zu neuer Energie und Städte zu besserer Luft kommen. Ein Regionalbericht in mehreren Teilen.
Die Freie und Hansestadt Hamburg ist eine stolze Metropole. Hier ist man weltoffen aus Tradition. Die Zahl der Einwohner wächst. Bald leben 1,8 Millionen Menschen an Alster und Elbe. Der Stadtstaat boomt. Und Hamburg hat Geld – dem Hafen sei Dank. Der drittgrößte Anlaufpunkt für Schiffe in Europa beschert der Kommune, die zugleich Bundesland ist, einen tragfähigen Wohlstand.
Der Dreck, der aus den mit Schweröl betriebenen Schiffsdieseln kommt, ändert leider nichts daran, dass auch der rollende Straßenverkehr ein Abgasproblem hat. Die Messwerte, die zum Beispiel an der Stresemannstraße erhoben werden, sind hoch. Trotzdem hat Hamburg keine Umweltzone, was angesichts der Wirkungslosigkeit dieser Maßnahme nicht zu bedauern ist.
Aber Hamburg hat Olaf Scholz als Ersten Bürgermeister. Der Sozialdemokrat macht eine für die Stadt typische Politik – wirtschaftsfreundlich und mit leisen Tönen. Wenn es nach Scholz geht, ist der Straßenverkehr genauso geräuscharm wie er selbst. Es gibt nur wenige Politiker, die so eindeutige Fürsprecher der Energiewende bei Pkw und Lkw sind. Dazu kommt, dass Scholz fachkompetent ist.
Diese Kombination aus ökonomischer Stärke und politischem Willen könnte Hamburg zur Vorzeigestadt der Elektromobilität machen. Bei vielen Einzelprojekten zum Aufbau der Infrastruktur ist das auch so.
Wasserstoff? Klappt.
Fahrer von Brennstoffzellen-elektrischen Autos etwa können an vier Tankstellen Wasserstoff tanken. Zwei werden von Shell betrieben, eine von Total und eine von Vattenfall. Es ist kein Zufall, dass der erste Toyota Mirai in Deutschland an einen Reeder ausgeliefert wurde. Und auf der Linie 109 des öffentlichen Nahverkehrs bewegen sich die Busse mit Hybrid-, Plug-in-Hybrid- und Brennstoffzellen-Antrieb.
Der Wasserstoff ist also ein klares Erfolgsmodell in Hamburg, das mit einem Absatz abgehandelt ist.
Mühsamer geht es bei der Infrastruktur für Batterie-elektrische Autos zu. Hier ist die Entwicklung kontinuierlich positiv; das Wachstum findet dennoch auf niedrigem Niveau statt.
Der lokale Versorgungsnetzbetreiber Stromnetz Hamburg – die Stadt hat alle Leitungen von Vattenfall zurückgekauft – teilt auf Anfrage mit, dass (Stand: Januar) rund 85 Ladesäulen mit circa 170 Ladepunkten (Ziel bis Herbst: 600) in Betrieb sind. Zur Identifikation genügt, und das ist ein wichtiger Fortschritt, eine SMS, eine RFID-Karte (Ladenetz) oder ein Schlüsselanhänger (z.B. The New Motion, PlugSurfing). Kunden dieser drei Anbieter können sich in Hamburg genauso autorisieren wie in einer anderen Stadt. Alternativ steht für Jedermann die SMS-Freischaltung zur Verfügung. Die meisten AC-Punkte liefern Wechselstrom mit 22 kW Leistung. Nur drei Säulen sind auf Gleichstrom ausgelegt. Zu wenig in einer Welt, in der immer mehr DC-fähige Autos gekauft werden und die Standzeit beim „Tanken“ beschränkt ist.
Zwischen Sanktion und Vorrang
Ja, an vielen Ladeplätzen steht inzwischen ein Schild, dass zum Beispiel nur „bis 2 Std.“ erlaubt sind. Der Hintergrund liegt auf der Hand: Neben den Autos mit Verbrennungsmotor, die ordnungswidrig eine Ladesäule blockierten, gab es auch Besitzer von Elektroautos, die den Raum vor der Ladesäule quasi als Privatparkplatz betrachtet haben. Immerhin, das sagt die Polizei, können Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor jetzt abgeschleppt werden, wenn sie vor eine Ladesäule falsch parken. Das war lange anders. Die Stadt Hamburg geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt an allen öffentlichen Ladesäulen Schilder auf, welche die dortigen Stellplätze exklusiv für Autos mit E-Kennzeichen ausweisen. Ein Privileg genießen Halter von E-Autos beim gebührenpflichtigen Parken. Sie müssen sich durch das E-Kennzeichen legitimieren und können dann bis zur zulässigen Maximalzeit ihr Auto kostenfrei abstellen.
Diese Maßnahme zeigt aber ein Dilemma, in dem Hamburg stellvertretend für viele Städte steckt. Es ist offensichtlich, man will die Elektrifizierung fördern und hat die Mittel dafür. Gebührenfreie Parkplätze aber können nur ein Vorübergang sein bis zu dem Tag, an dem es viele surrende Autos gibt. Und die Möglichkeit, Busspuren freizugeben, hat die Stadt sofort abgelehnt – die Vorstellung, dass die wohlhabendsten Bürger mit ihren BMW i8 und Tesla Model S die Sonderfahrspur des ÖPNV verstopfen, war den Verantwortlichen wohl doch zu unangenehm.
Zurück zu Geld und Willen: beides ist vorhanden. Es gibt eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten, von denen als repräsentatives Beispiel die Zuschüsse der Hamburgischen Investitions- und Förderbank (IFB) genannt sein sollen. Die IFB zahlt 10.000 Euro für einen DC-Triplecharger, 3.000 Euro für eine AC-Ladestation und 3.500 Euro bei mindestens vier standortgebundenen AC-Ladepunkten, also Wallboxes.
Dem Vernehmen nach ist es zurzeit relativ leicht, Unterstützung für ein sinnvolles Projekt zu bekommen. Wer die Initiative ergreift, läuft offene Türen ein und kann auf ein gut organisiertes Netzwerk bauen.
Während es mit den Wasserstoff-Tankstellen funktioniert, müssen sich die Nutzer der öffentlichen Ladeinfrastruktur also noch in Geduld üben – besonders die, die einen schnellen DC-Ladepunkt suchen.
Zweifel an Infrastruktur im öffentlichen Raum
Hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem. Das Laden von Batterie-elektrischen Autos funktioniert überall dort sehr simpel, wo ein Stehplatz vorhanden ist. Zum Beispiel im Speckgürtel der Hansestadt, in den reichen Elbvororten und den Walddörfern, wo die Kaufkraft genauso hoch ist wie die Neugierde auf die Technik. Oder auch am Arbeitsplatz und jedem anderen privaten oder teil-öffentlichen Raum. Bei den Pendlern beginnt das Batterie-elektrische Fahren.
Und es wird wahrscheinlich diejenigen als Letzte erreichen, die mit ihren gebrauchten Kleinwagen in den dicht bevölkerten Stadtteilen von Ottensen über Hoheluft bis Barmbek abends um einen Parkplatz kämpfen. Bis das Batterie-elektrische Auto im Niedrigpreissegment angekommen ist und die Ladeinfrastruktur ausreicht, werden viele Jahre vergehen – und es ist keineswegs garantiert, dass es hier überhaupt zum Durchbruch kommt.
Warten auf den e-Porsche
Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg schafft also die besten Voraussetzungen, die heute in Deutschland zu haben sind. An den prinzipiellen Schwierigkeiten wie dem weiterhin geringen Produktangebot an E-Autos oder der simplen Tatsache, dass von den 44 Millionen zugelassenen Pkw nur drei Millionen pro Jahr ausgetauscht werden und davon wiederum nur ein Bruchteil einen Elektromotor hat, kann die Regionalpolitik wenig ändern.
Hoffnungsvoll stimmt aber, dass der hanseatische Hang zum Understatement einen Schub für die Elektromobilität bewirken kann. Mag es auf den Ausfallstraßen noch hip sein, mit V8-Motor und ausgeräumten Auspuff zu bollern – in den nobleren Bezirken fahren längst haufenweise Teslas herum. Bedenkt man nun, dass Hamburg die höchste Porsche-Dichte der Republik hat, ist es nur eine Frage der Entwicklungszeit in Stuttgart-Zuffenhausen, bis hier ein Umsteuern passiert. Und diese Besitzer werden auf den wichtigsten aller Ladepunkte zugreifen können – den zu Hause in der eigenen Garage.
Weiterführende Links:
> Übersicht zu Elektromobilität in Hamburg auf hamburg.de >>
> Masterplan Ladeinfrastruktur unter hamburg.de >>
> Ladeinfrastruktur in Hamburg auf stromnetz.hamburg >>
> Aktuelle hySOLUTIONS-Projekte unter hysolutions-hamburg.de >>
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