Umfrage im Landkreis Konstanz zeigt: Mehr-Auto-Haushalte wollen ohne massives Anreizprogramm nicht auf Elektroautos umstellen.
In einer ersten direkten Befragung der für den Erfolg der Elektromobilität so wichtigen Zielgruppe der Mehr-Auto-Haushalte im Landkreis Konstanz geben diese offen zu: Ohne ein massives Anreizprogramm werden sie sich in der nächsten Zeit kein Elektroauto anschaffen. eMobility-Experte Michael Valentine-Urbschat ordnet die Ergebnisse vor dem Hintergrund der aktuellen Förder-Debatte für electrive.net ein.
Die Energieagentur des Landkreises Konstanz hat im Oktober 2015 in Abstimmung mit dem Landratsamt alle ca. 15.000 Mehr-Auto-Haushalte vor Ort angeschrieben. Verbunden mit einem Gewinnspiel kamen mehr als 300 vollständig ausgefüllte Unterlagen zurück – mit hoch interessanten Ergebnissen. In dem Fragebogen ging es um die Gründe für die Nutzung des Zweitwagen und Alternativen wie den ÖPNV. Doch gerade dieser hat bei den Zweitwagen-Besitzern einen schweren Stand, hat die Umfrage ergeben. Elektroautos könnten das Mittel der Wahl sein, aber der Reihe nach.
Ideale Bedingungen
Eigentlich wären die 1 Million Elektroautos in Deutschland bis 2020 ein Kinderspiel: Mehr als 80 Prozent aller Mehr-Auto-Haushalte (d.h. hochgerechnet auf ganz Deutschland fast 10 Millionen) haben tatsächlich ideale Voraussetzungen für den Umstieg auf ein Elektroauto: Eigene Garage oder Stellplatz, Stromanschluss bereits vorhanden und tägliche Strecken zu Arbeit, Einkauf oder Freizeit unter 30 km.
Bei Politikern verschiedenster Couleur kommt oft und gerne die Hoffnung auf, diese Mehr-Auto-Haushalte grundsätzlich vom Zweitwagen abzubringen – man müsste ihnen nur mehr öffentlichen Personennahverkehr anbieten.
Das widerlegt die Befragung eindrucksvoll. Ja, alle Haushalte, die eine Haltestelle des ÖPNV in weniger als 200 Meter Nähe haben, nutzen diese Alternative bereits heute mehr oder weniger – und können sich auch einen Komplettverzicht auf den Zweitwagen vorstellen. Das sind aber weniger als 20 Prozent aller Befragten. Über 80% aller Mehr-Auto-Haushalte haben deutlich längere Wege bis zur nächsten Haltestelle und können sich alleine deswegen keinen Verzicht auf ihren Zweitwagen vorstellen. Komfort ist halt in einer so hoch entwickelten Gesellschaft wie der unsrigen durch nichts zu ersetzen.
Die Vorstellung, wir könnten unser ÖPNV-Netz in den Vorstädten und im ländlichen Raum – da, wo sich ja die meisten der 10 Millionen Mehr-Auto-Haushalte befinden – noch weiter ausbauen, scheitert alleine an der Betriebswirtschaft. Denn ein solch engmaschiges Netz würde niemals die notwendige Auslastung erzeugen können.
Und mit der Umstellung auf Elektroautos ist ein solcher Wechsel auf den ÖPNV aus ökologischen Gesichtspunkten auch gar nicht mehr sinnvoll – geradezu kontraproduktiv, wenn man den deutlich höheren Verbrauch und die geringe zu erwartende Auslastung der Busse berücksichtigt.
Doch jetzt kommt’s: Trotz aller Ideal-Voraussetzungen und der Abneigung gegen den ÖPNV fährt aktuell auch im Landkreis Konstanz so gut wie kein Haushalt ein Elektroauto. Ganze 66 waren es zum Zeitpunkt kurz vor der Befragung, wobei das 2020-Ziel im Landkreis bei über 3.000 E-Fahrzeugen liegen würde. Woran liegt das? Hierauf konzentriert sich die zweite Hälfte der kurzen Umfrage.
Vorbehalte gegen Elektroautos
Die Ergebnisse spiegeln sehr deutlich die kontroverse und zum Teil fehlerhafte Berichterstattung in den Medien bezüglich Elektroautos wider: Denn fast ein Drittel der Befragten hat immer noch Zweifel an der technischen Reife dieser Fahrzeuge oder stellt den ökologischen Mehrwert einer solchen Umstellung infrage, d.h. setzt sich aktuell gar nicht erst mit dieser Alternative auseinander. Wie kann das eigentlich sein, trotz heute verfügbarer Serienfahrzeuge von Herstellern wie VW, Daimler, BMW oder Tesla – und der breiten Verfügbarkeit von Strom aus 100% sauberen Quellen? Sorry, dass man hier geneigt ist, mit dem Finger auf die schreibende Zunft und ihre Informationsquellen aus der Industrie zu zeigen.
Und die anderen zwei Drittel der Befragten schieben die Themen vor, die ja richtigerweise schon seit Jahren in aller Munde sind: Reichweitenangst aufgrund von Batteriegröße und mangelnder Schnelllade-Infrastruktur sowie zu hohe Anschaffungskosten. An dieser Stelle kommt bei Politikern häufig die Diskussion auf, dass gerade Mehr-Auto-Haushalte mit eigenem Haus sich diese Mehrkosten doch leisten können müssten – und damit keiner Förderung bedürften. Dabei wird leider vergessen, dass gerade diese Leute ein sehr gutes Gefühl für angemessene Preise haben: Mehr Geld für weniger Komfort oder Prestige wird auch hier nicht bezahlt, unabhängig davon, ob man es sich leisten könnte oder nicht.
auf die richtigen Anreize kommt es an
Und das wird bei den abschließenden Fragen zum notwendigen Anreizprogramm noch deutlicher: 93 Prozent aller Befragten sagen, dass sie ohne ein solches Programm in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht auf ein Elektroauto umstellen werden. Und die Prioritäten eines solchen Anreizprogramms sind auch klar: Unterstützung bei den hohen Anschaffungskosten, wobei hier statt einer Kaufprämie auch der Entfall der Mehrwertsteuer oder Sonderabschreibungsmöglichkeiten infrage kommen. Der zweite Schwerpunkt muss auf dem zügigen Aufbau einer leistungsfähigen Schnelllade-Infrastruktur liegen. Und hierbei sind keineswegs die aktuell avisierten 50 kW Säulen an kaum auffindbaren Standorten gemeint. Gerade für die Metropolregionen spielt ergänzend das exklusive und kostenfreie Parken eine weitere wichtige Rolle aus Kundensicht: Die Autofahrer sagen uns deutlich, was sie motivieren würde. Wir müssen nur frage – und dann auch zuhören.
Wenn wir das Feedback zahlreicher Teilnehmer im Landkreis Konstanz richtig interpretieren, dann hat diese Aktion samt der verschenkten Romanlektüre nicht nur einen intensiven Dialog mit wertvollen Erkenntnissen eröffnet, sondern auch bereits zu messbaren Erfolgen geführt: der Bestand an Elektroautos ist seit Oktober um einige Fahrzeuge angewachsen.
Natürlich können die Ergebnisse aus Konstanz nicht einfach auf das gesamte Bundesgebiet übertragen werden. Wir vermuten, dass sich die Antworten leicht unterscheiden werden, je nachdem ob die Mehr-Auto-Haushalte eher im ländlichen Raum, stadtnah oder innerhalb der Stadtgrenzen wohnen. Und doch kann die Befragung von Konstanz ein Impulsgeber für Baden-Württemberg oder gar die gesamte Republik sein, wenn es darum geht, jetzt zügig ein Anreizprogramm aufzulegen, das die wichtige Zielgruppe der Mehr-Auto-Haushalte tatsächlich zum Umstieg auf Elektroautos motiviert.
Den Abschlussbericht der Energieagentur finden Sie hier >>
Über den Autor
Michael Valentine-Urbschat hat seinen Diplom-Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München (TUM) gemacht und einen MBA an der INSEAD, Fontainebleau, nachgeschoben. Fast zehn Jahre lang hat er in der Antriebsentwicklung von BMW gearbeitet, später ist er als Partner ins Kompetenzzentrum Automotive von Roland Berger gewechselt und hat anschließend als CEO die neue Sparte für elektrische Fahrzeug-Antriebe von Siemens aufgebaut. Zuletzt hat er die Irrungen und Wirrungen der Elektromobilität in einem packenden Wirtschaftskrimi aufbereitet. „Elektrisiert“ gibt es als gebundene Ausgabe und Teil I bereits als E-Book. (mehr Infos hier) Aktuell arbeitet Michael Valentine-Urbschat als Senior Advisor für die Ingenieurberatung P3 Group.
4 Kommentare