Prof. Dr. Andreas Knie, InnoZ: Wann ist etwas wahr?

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Alle Welt spricht von großen Veränderungen im Verkehr, die wohl im Gange seien und die gerade für die Einführung von elektrischen Fahrzeugen von Bedeutung sind. Die Menschen wollen keine Autos mehr kaufen, viel lieber fahren sie Rad oder nutzen Bahn und Busse. Und natürlich Carsharing.

Andreas-Knie-200x250Das seit Jahrzehnten immer wieder von allen Parteipolitikern geforderte Teilen von Autos als Beitrag zur Lösung der Umwelt- und Verkehrsprobleme sei mittlerweile groß in Mode. Wenn man aber versucht, diese hoffnungsfrohen Signale statistisch handfest und robust zu erfassen und darzulegen, dann tut man sich schwer mit der Beweislast dieser Wende. Gut: Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung gibt laut Umfragen des Umweltbundesamtes mittlerweile an, sich von der großen Zahl der Verbrenner-Autos belästigt zu fühlen. Aber wir wissen auch: Zwischen dem, was man so erzählt, wenn der Tag lang ist, und dem, was man dann wirklich tut, gibt es Unterschiede – vor allen Dingen im Verkehrsverhalten.

Schaut man beispielsweise nach Berlin, dann sind hier mittlerweile knapp 3.000 Fahrzeuge im flexiblen und im stationären Carsharing unterwegs, immerhin knapp 15 Prozent davon mit elektrischem Antrieb. Hier hat sich also der Anteil des E-Antriebs entgegen allen Unkenrufen schon deutlich behauptet. Allerdings stellen diese Fahrzeuge gemessen an den 1,2 Millionen in Berlin zugelassenen Fahrzeugen keinen nennenswerten Anteil dar. Sie machen grade mal einen Anteil von 0,25 Prozent aus. Rein statistisch betrachtet, kommt Carsharing also gar nicht vor. Aber Vorsicht ist angesagt. Wir wissen, dass beispielsweise das Zufußgehen oder auch das Fahrrad in den amtlichen Verkehrsstatistiken, die sich vor allen Dingen auf die zurückgelegten Entfernungen (also die sogenannten Personenkilometer) konzentrieren, ebenfalls nicht vorkommt, so als ob es diese Fortbewegungsarten gar nicht gäbe. Und was es nicht gibt, für das muss man ja auch nichts tun. So verhält es sich auch mit elektrischen Fahrzeugen. Die gibt es ja auch nicht, man muss sich also auch gar nicht um sie kümmern.

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Und beim Carsharing? Man kann ja auch anders messen: Wir haben in der zweiten Märzhälfte dieses Jahres an fünf unterschiedlichen Stellen Berlins, die statistisch durch ein hohes Verkehrsaufkommen gekennzeichnet sind und die wir im Westen wie Osten in Gebieten mit ganz unterschiedlichen Milieus ausgewählt haben, einfach mal gezählt. Jeweils eine Stunde in der Zeit von 16.30 bis 17.30 Uhr. Die Frage war: Wie hoch war dabei der Anteil von Sharing-Fahrzeugen, die man glücklicherweise ja gut erkennen kann. Und? Im Schmitt lag der Anteil der Sharing-Fahrzeuge an dieser Bruttostichprobe des Berliner Verkehrs bei knapp 2 Prozent! Die Werte schwankten von 1 Prozent bis 3 Prozent, aber im Ergebnis lagen sie deutlich über dem eigentlichen amtlichen statistischen Ergebnis.

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Carsharing ist bereits jetzt sichtbar, es ist Teil einer erkennbaren sozialen Praxis – mit vergleichsweise hohem Anteil von E-Fahrzeugen. Carsharing ist daher durchaus relevant und zwar über das eigentliche amtliche Maß hinaus. Was also wahr ist und was nicht, hängt immer auch von der Art und Weise der Betrachtung ab. Aber die Ministerien haben durchaus ein Interesse, etwas nicht als „wahr“ erscheinen zu lassen. Denn das längst überfällige Gesetz, das der Bund schon seit Jahrzehnten verabschieden will, damit Carsharing im öffentlichen Raum die notwendigen Stellflächen bekommt, ist wieder einmal zurückgestellt. Ohne eine Änderung in den Bewirtschaftungsgrundsätzen öffentlicher Flächen kann Carsharing nicht wirklich wirtschaftlich betrieben werden. Dies gilt insbesondere für elektrische Flotten. Doch der Bund hat verfassungsrechtliche Bedenken entdeckt, ob er überhaupt zuständig ist, und will daher alles den Ländern überlassen. Damit hat die Große Koalition auch dieses Thema vergeigt, elektrische Flotten zu popularisieren. Macht aber nichts, denn Carsharing gibt’s ja eigentlich gar nicht…

Über den Autor

Andreas-Knie-150x150Prof. Dr. Andreas Knie ist seit 2006 Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) in Berlin. Zudem befasst er sich als Leiter Geschäftsentwicklung der Fuhrparkgruppe der Deutschen Bahn AG mit Carsharing-Projekten. Als Sozialwissenschaftler gilt Andreas Knie als Verfechter der Sharing Ökonomie. Zuletzt hat er zusammen mit Weert Canzler das Buch „Die digitale Mobilitätsrevolution“ veröffentlicht. Es verspricht einen fundierten Ausblick auf die Verkehrswelt von morgen.

2 Kommentare

zu „Prof. Dr. Andreas Knie, InnoZ: Wann ist etwas wahr?“
Kurt Sigl
05.04.2016 um 09:18
Lieber Herr Prof. Dr. Knie,aus der Seele gesprochen und DANKE! Leider kann mann das ALLES ungekürzt auf das gesamte Elektromobilitätsszenario in Deutschland übertragen. Gewollt sieht anders aus! Eine NPE vergeigt parallel zur Politik alles und noch eines stellen wir fest, jeder dümpelt in seinem eigenen Teich, ein wirkliches Miteinander gibt es leider nicht in Deutschland. Es wird reagiert und nicht agiert, was zur Folge haben wird, dass wir dann doch"gemeinsam" verlieren werden. Lassen Sie uns die Kräfte bündeln es ist allerhöchste zeit dafür!
Andreas-Michael Reinhrdt
05.04.2016 um 09:49
„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“, dieser inzwischen bekannte Satz stammt von Carl Josef Neckermann, Gründer des Versandhandels. Als ich gerade den Beitrag von Andreas Knie las zum Thema CarSharing, fiel mir dieser Satz ein. Warum? Prof. Knie beklagt zu Recht , daß der Bund das längst überfällige Gesetz..., damit Carsharing im öffentlichen Raum die notwendigen Stellflächen bekommt,.... zurückgestellt(hat)“. Es ist das Schicksal vieler Innovationen, dass deren Bedeutung meist nicht rechtzeitig erkannt, der Nutzen bestritten und auch deren gesellschaftliche Relevanz verkannt wird. So auch bei vielen Themen der Elektromobilität. Und auch beim Thema (E-)CarSharing, wie eindrucksvoll belegt. Es gibt einige Beispiele aus den Leuchtturm-, Modell- und Schaufensterprojekten Elektromobilität der letzten fünf Jahre, wo der Gesetzgeber und die Ministerien gar nicht, zu spät, halbherzig oder dilettantisch an Gesetzes- und Verordnungsmaßnahmen herangegangen sind. Viele haben auch konsterniert zur Kenntnis nehmen müssen, aus welchen Gründen in Deutschland gutgemeinte und sachlich gebotene Initiativen an Ministerialbürokratien und Parlamenten scheitern können. Wir haben aber auch positive Beispiele erlebt, wo gerade die Forschungsprojekte Handlungsbedarf aufgezeigt und die involvierten Referate von Ministerien schnell gehandelt und entsprechende Initiativen rasch auf den Weg gebracht haben unterstützt vom Parlament.Zum Thema CarSharing sollte jetzt der der Parlamentskreis Elektromobilität des Bundestags sich aufgefordert fühlen zu handeln, u.a. durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zum Thema „Bewirtschaftungsgrundsätze öffentlicher Flächen“. Auch könnte ich mir vorstellen, daß zu diesem Thema ein „ad-hoc Panel“ aller relevanten Akteure nächste Woche bei der Ergebniskonferenz „Schaufenster Elektromobilität“ in Leipzig dazu Stellung nimmt. Immerhin hat ja bereits das Bundesverwaltungsgericht seinen Sitz in dieser Stadt. Warum ist das eilig? Ich denken, wir verlieren substanziell weitere Motivation im Netzwerk Elektromobilität in Deutschland, wenn eines der Paradethemen der Elektromobilität, wie CarSharing, gleich anderen Beleg dafür liefert, daß Verfassung und Administration der Bundesrepublik laufend Veranlassung dafür geben, Vollzugsdefizite in Gesetzes- und Föderalismus- Angelegenheiten feststellen zu müssen. „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“. Das kann Personen, Parteien und Technologien betreffen. Aber auch Gesetze und Verordnungen. Entweder wir passen wichtige Gesetze unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit und dem seit langem erreichten Konsens an oder diese Rechtsnormen gehen und werden abgelöst. Schließlich wollten wir im Schaufenster Elektromobilität Ergebnisse, nämlich neue Produkte und Dienstleistungen, zeigen. Und nicht ein Schaufenster mit Kleingedrucktem, warum was nicht geht.

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