IAA Nutzfahrzeuge: MAN und Daimler schalten auf E.
Lächerlich. Einfach lächerlich. Der Gedanke, dass auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover plötzlich Elektro- statt Dieselmotoren ausgestellt werden, war und ist für viele Besucher absurd. Hier regiert der Selbstzünder und sonst niemand. Oder? Ein Messerundgang mit Christoph M. Schwarzer.
Ein Blick auf die Stände der Hersteller zeigt, dass sich der Wind in der Branche dreht. (Unseren Wegweiser für Elektromobilität auf der Messe finden Sie hier.) Und das nicht trotz, sondern gerade wegen der besonderen Umstände des Nutzfahrzeugbetriebs:
- Es geht ums Geld: Die Fuhrparkmanager unter den Messegästen rechnen permanent in TCO, in den Gesamtkosten namens total cost of ownership. Und sie wissen, dass Industriekunden für Strom nur rund die Hälfte normaler Haushalte bezahlen. Hier eröffnet sich eine positive Perspektive, die zwar noch nicht Realität ist, aber in vielen Gesprächen bereits diskutiert wird. Das Gleiche gilt für den Wartungsbedarf der Fahrzeuge, der durch die Elektrifizierung sinkt: Bremsbeläge werden geschont, Ölwechsel fallen aus und die allgemeine Zuverlässigkeit ist hoch. Jeder Cent zählt.
- Viele Betriebe haben Planungssicherheit: Im öffentlichen Nahverkehr, auf Zustellfahrten und anderswo sind die Touren genau bekannt. Diese Reproduzierbarkeit macht den Einsatz Batterie-elektrischer Fahrzeuge leichter. Die Flexibilität, die etwa einem privat genutzten Pkw selbstverständlich abverlangt wird, ist hier nicht zwingend notwendig.
- Zukunftsfestigkeit durch lokale Emissionsfreiheit: Die Diskussion um Fahrverbote in Städten erzeugt bei vielen Beteiligten eine begründete Angst. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Hersteller hierbei keineswegs nur an den deutschen Markt denken – es gibt eine unaufhaltsame internationale Entwicklung. Die urbane Luftqualität soll nicht mehr durch Auspuffabgase belastet werden. Die Nullemission könnte zur Pflicht werden.
Als repräsentatives Beispiel für ein wirklichkeitsnahes Produkt schaut electrive.net bei MAN auf den Stand. Hier steht der Prototyp des Linienbusses „Lion’s City“ in einer Batterie-elektrischen Version. Nein, liebe Freunde des Stroms, der „Lion“ bezieht sich nicht auf den Lithium-Ionen-Akku, sondern auf den Löwen im Markenlogo: MAN hat 1971 die Büssing AG übernommen, deren Omnibusse das Wahrzeichen der Stadt Braunschweig stolz auf dem Kühlergrill trugen.
MAN e-Bus ab 2019
Dr. Götz von Esebeck, Leiter eMobility bei MAN Bus & Truck, erklärt den Zeitplan: „2018 wird der Batterie-elektrische Lion’s City in einer Kleinserie getestet.“ Noch vor 2020 werde der Linienbus für jeden Verkehrsbetrieb zu kaufen sein, so Esebeck – und vor 2020 übersetzen wir als 2019. In rund drei Jahren also.
Ein feines Lächeln spielt über das Gesicht Esebecks, als er über die möglichen Batteriekapazitäten spricht. Grundsätzlich sei man durch den modularen Aufbau flexibel und könne verschiedene Größen anbieten. Wenn der Preisverfall aber weiter anhalte, sei mehr Speicher immer die bessere Lösung. Zwar könnten kleinere Akkus durch Schnellladung – bei einem Stromabnehmer etwa sind 250 bis 450 kW Ladeleistung möglich – ausgeglichen werden. Einfacher ist natürlich die Nachtladung für eine Batterie, die über 400 kWh hat und dann den ganzen Tag hält. Nach Automaßstäben ist das „Overnight Charging“ per Kabel keineswegs langsam: Hier sind 50 kW (DC nach CCS) das Mindeste, und 150 kW sind gut vorstellbar.
Luftqualität: Städte unter Handlungsdruck
Der Batterie-elektrische MAN Lion’s City wird ansonsten genau wie seine Varianten mit Dieselmotor in einer 12- sowie in einer 18-Meterversion mit Gelenk angeboten. Alles normal also – bis auf den nicht vorhandenen Dreck aus dem Auspuff.
Die Verkehrsbetriebe in den Großstädten warten bereits auf so ein Produkt, weil sie damit vor der EU-Kommission eine konkrete Aktivität für den Luftreinhalteplan nachweisen können. Viele Kommunen stehen zunehmend unter Druck, weil die Messwerte für Stickoxide und Partikel zu hoch sind. Im schlimmsten Fall drohen gerichtlich oder gesetzlich verordnete Fahrverbote – ein letztlich wirtschaftsschädigender Umstand, den jede Stadt unbedingt vermeiden will.
So ist es inzwischen sogar vorstellbar, dass schwere Zugmaschinen für Sattelzüge im Verteilerverkehr (also abseits der langen Autobahntouren) Batterie-elektrisch unterwegs sind. Bei MAN steht für diesen Zweck der Prototyp eines e-Trucks. Er basiert auf der konventionellen TGS 4×2 BLS-TS Zugmaschine mit 18 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht. Die Rahmendaten: 250 kW Motorleistung, 2.700 Nm Drehmoment. Reicht.
MAN, mehrheitlich in Besitz des Volkswagen-Konzerns, steht wie erwähnt beispielhaft für eine Entwicklung, die in ähnlicher Form beim Branchenriesen Daimler zu sehen ist. Auch dort beeindruckt der Messestand, und im Mittelpunkt stehen elektrische Studien: Der Urban e-Truck (ähnlich dem MAN für den Verteilerverkehr konzipiert), der Citaro als e-Linienbus (siehe MAN) und ein Transporter („adVANce“). Ach ja, und der e-Canter aus der Kooperation mit Mitsubishi Fuso ist bald in der dritten Generation am Markt. Die Deutschen sind aufgewacht und haben begriffen, dass sie die Zukunft nun mitgestalten können. Oder sie müssen zusehen, wie die Konkurrenz von BYD und anderen Firmen auf den Weltmärkten an den Verkaufsanteilen nagt.
Zu wenig Greifbares beim Platzhirsch Volkswagen
Genug des Lobs. Zum Abschluss ist es Zeit für einen Blick auf den Stachel in der Seite von Volkswagen: In einer Halle mit in Deutschland weniger dominanten Nutzfahrzeugherstellern wie Hyundai, Toyota oder PSA hat StreetScooter ein paar Quadratmeter. Jenes ehemalige Spin-off der RWTH Aachen, das nun von der Post gekauft wurde und in einer Art beschleunigter Manufaktur Batterie-elektrische Briefzustellautos baut.
Die Einfachheit des StreetScooters ist erfrischend. Das ist ein Nutzfahrzeug im Sinn des Wortes. Kein Schnickschnack, alles wirkt simpel und robust. Die Post hat sich mit dem StreetScooter aus der Abhängigkeit vom Volkswagen Bus befreit. Das (meistens) gelb lackierte Gefährt ist hier in Hannover, dem Geburtsort aller VW T6, auch eine Warnung: Wenn Ihr bei VW es nicht macht, machen wir es selbst. Der Platzhirsch hat bei seinem Urprodukt „Bulli“ leider nichts Elektrisches zu bieten. Da hilft auch der eilig für die IAA zusammengeschraubte eCrafter als Studie nicht.
Wer einmal erlebt hat, wie ein dörflicher Postbote in einen VW Bus springt, den Anlasser betätigt, 50 Meter Vollgas fährt um dann wieder anzuhalten und weiter die Briefe zu verteilen, weiß, wie sinnvoll und dringend die Umstellung ist. Die Hersteller stehen vor der Wahl: Mitmachen oder Kunden verlieren.
Autor: Christoph M. Schwarzer
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