Elektroautos nur sinnvoll mit 100 % Ökostrom?
Städte wollen den Diesel aussperren, zugleich macht eine Studie die Runde, die Elektroautos aufgrund der Batterieproduktion einen großen CO2-Rucksack aufsetzt. Wacker hält sich auch das Vorurteil, Elektroautos wären nur mit Erneuerbarem Strom sauber. Aber stimmt das eigentlich? Wir haben Prof. Dr. Eckard Helmers vom Umwelt-Campus Birkenfeld gebeten, diesen Mythos mit Fakten aufzuklären. Hier ist sein Gastbeitrag:
* * *
Die Vorstellung, dass Elektroautos nur mit 100 % Ökostrom sinnvoll sind, hat sich ins deutsche Bewusstsein gewissermaßen eingebrannt. Früh schon haben erste Ökobilanzen besonders deutscher Autoren die (teil-)fossile Stromproduktion für den Betrieb von Elektroautos thematisiert und das Schreckgespenst des kohleabhängigen Stromers an die Wand gemalt. Selbst Greenpeace hat Elektroautos Schweinenasen angeschnallt und kommentierte: „Elektroautos mit schmutzigem Strom sind auch dreckig“. Ja, wenn man sie nur mit Kohlestrom betriebe – aber will das jemand? Die Kohle, also gewissermaßen das Schwarze, Gefährliche und das im Betrieb saubere Elektroauto wurden in einen Topf geworfen. Hinzu tritt der andere Glaubensgrundsatz, der endlos, bis hin zur höchsten Politik, wiederholt wird: Dieselautos nützten dem Klima. In der Realität tun sie das nicht, haben es wohl nie getan. Beide Mythen wirken Hand in Hand gegen die im Sinne einer Mobilitätswende unverzichtbare Elektrifizierung des Straßenverkehrs in Deutschland – und sie wirken effizient.
Es entsteht der Eindruck, als könne man noch warten mit der Elektromobilität, bis überall 100 % Ökostrom verfügbar ist (was nicht absehbar ist); in der Zwischenzeit hat man ja den Diesel. Diese beiden Mythen, dazu die mangelhafte Ladeinfrastruktur und die Phantasiepreise, die derzeit für kleine Elektroautos verlangt werden – das sind wohl die Hauptgründe dafür, dass Deutschland bei der Elektrifizierung auf den hintersten Plätzen in Westeuropa liegt.
Ökobilanzen führen oft zu falschen Aussagen
Damit es kein Missverständnis gibt: Der Autor möchte Elektroautos nicht mit Kohlestrom, sondern mit einem Maximum an Grünstrom betreiben. Er ist sich auch darüber im Klaren, dass zur Elektrifizierung eine Verkehrsverlagerung und -vermeidung treten muss, wenn die Mobilitätswende erfolgreich sein soll. Vor allem hin zu mehr Fahrradnutzung. Auch dort wieder ein umgekehrt proportionaler Zusammenhang zwischen Verkehrswende und Dieselauto-Boom: Wer hat denn Lust, aufs Fahrrad zu steigen, um entlang der Straßen die Stickoxidemissionen all der Dieselautos zu inhalieren? Auch hier widersprechen sich die erhoffte Mobilitätswende und die per Steuersubvention betriebene Verdieselung direkt.
Doch zurück zur Ökobilanz. Der ADAC schreibt aktuell in seinen Tests von E-Autos: „Kein ökologischer Vorteil bei deutschem Strommix.“ Stimmt das nun? Nein. So pauschal ist die Aussage falsch. In der Realität können Elektroautos bereits mit heutigem deutschen Strommix über die gesamte Lebenszeit Vorteile gegenüber Verbrennungsmotor-Fahrzeugen einfahren. Richtig ist dagegen die Formulierung „Elektroautos haben eine optimierte Ökobilanz beim Betrieb mit Ökostrom“. Oder auch: „Die Umweltvorteile des Elektroautos kommen erst in der Kombination mit Grünstrom voll zur Geltung.“
Die Abbildung zeigt eine vereinfachte Ökobilanz, die den Nutzungsaufwand sowie die Kosten der Batterieherstellung berücksichtigt, basierend auf realem Sprit- und Stromverbrauch einschließlich der Bereitstellungsketten. In China mit seinem hohen Kohlestrom-Anteil (B, siehe Abb.) haben Elektroautos im Mittel keine CO2-Vorteile, aber auch keine Nachteile gegenüber Autos mit Verbrennungsmotor (A). Wenn China allerdings noch mehr Sprit aus Kohle herstellt (CtL, Coal-to-Liquid), dann führen Elektroautos sogar dort zu CO2-Einsparungen. Gegenwärtig mögen Elektroautos in China immerhin die lokale Luftqualität verbessern. In der Europäischen Union konnten Elektroautos dagegen im Mittel bereits 2009 (C) mit den effizientesten Verbrennungsmotor-Fahrzeugen (ICEV) konkurrieren, wobei der Toyota Prius 4 hier den niedrigsten möglichen Benzinverbrauch markiert. Mit zunehmender Grünstromproduktion bewegen sich Elektroautos in der EU auf Szenario D zu, mit CO2-Aufwendungen weit unterhalb von Verbrennungsmotor-Fahrzeugen (A). „E“ markiert in der Abb. den Carbon Footprint von Elektroautos bei Nutzung eines Strommixes mit dominierendem Grünstrom (150 g CO2eq/kWh). Die Kohlenstoff-Intensität in Kombination mit reinem erneuerbaren Strom liegt noch darunter. Durch neue Anwendungen (gesteuertes Aufladen von Elektroautos, stationäre Zweitnutzung von Batterien als Speicher für erneuerbaren Strom, Vehicle-to-Grid- sowie Vehicle-to-Home-Kombinationen) wird sich die Ökobilanz von Elektroautos in den nächsten Jahren in allen Szenarien weiter verbessern (grüne Pfeile).
Der Mythos vom grauen E-Auto
Was sind nun die Hintergründe des Mythos vom Emissions-problematischen Elektroauto? Einerseits politische: Kritische Informationen zur Ökobilanz des Elektroautos wurden früh gestreut, um die Energiewende zu beschleunigen, oder um die Elektrifizierung zu verlangsamen. Weitere Gründe liegen in der Methode der Ökobilanzierung. Sie bedient sich standardisierter Daten, was die Vergleichbarkeit verbessert, jedoch zu fehlerhaften Schlussfolgerungen führen kann. Seit dem Dieselskandal weiß auch die Öffentlichkeit, dass zwischen Laborwerten und Realität zum Teil Welten (gerne einmal 1000 %) liegen. Ökobilanzen fußen jedoch größtenteils auf Labordaten. Es gibt hunderte veröffentlichter Ökobilanzen von Elektroautos, allerdings hatte kaum einer der Forscher tatsächlich ein Elektroauto vor der Tür stehen. Stattdessen wurden fortwährend virtuelle Fahrzeuge modelliert, basierend auf dem Materialkuchen eines VW Golf aus dem Jahr 2000 mit ebenso virtuellen Verbrauchsdaten.
In einem ungewöhnlichen Projekt haben wir über mehrere Jahre Verbrennungsmotor-Fahrzeuge zu Elektroautos umgebaut und waren dadurch in der Lage, die individuelle Materialbilanz zu bestimmen (2). Vor allem verglichen wir den Spritverbrauch dieser Fahrzeuge vor der Elektrifizierung und den Stromverbrauch danach. Dies allein ermöglicht die direkte Gegenüberstellung der beiden Technologien. Die Schlussfolgerung: Ein Elektro-Smart hatte bereits im Jahr 2013 mit deutschem Netzstrom einen weit besseren Carbon Footprint über die Lebenszeit von 100.000 km als die Verbrennerversion – wenn der Smart im Stadtverkehr betrieben wurde (2). Im Drittelmix (Stadt-Land-Autobahn) waren beide in etwa gleichwertig. Wir gehen davon aus, dass der Elektrosmart in der Realität selten auf der Autobahn gefahren wird – dort, wo Elektroautos ineffizient sind. Bisherige Ökobilanzen haben diesen Fall nicht thematisiert und deshalb vor allem kleine Elektroautos benachteiligt.
Es gibt bisher kaum Ökobilanzen, die analytisch in die Tiefe gehen und nach den Ursachen für negative impacts von Elektroautos forschen. Dies geben die Daten jedoch auch her. Wir haben das getan (2). Dabei stellte sich heraus, dass insbesondere die energieintensive Herstellung der Batteriezellen in China mit seinem Kohlestrom sowie die verbauten elektronischen Leiterplatten einen hohen Preis über viele Wirkungskategorien haben. Das Problem mit der zunehmenden Steuerelektronik betrifft jedoch alle Autos. Die Herstellung der Batteriezellen in China wiederum stellt nicht den Normalfall, sondern den ungünstigsten Fall dar. Hier wird es erhebliche Verbesserungen der Ökobilanz geben, etwa dank der mit erneuerbarem Strom betriebenen Gigafactory von Elon Musk.
Das Märchen vom sauberen Diesel
Wer heute ein Elektroauto betreibt, sollte Grünstrom laden, wo möglich. Der Carbon Footprint der Stromproduktion und damit die Klimawirkung des gewöhnlichen Netzstroms werden sich aber auch kontinuierlich verbessern. Verbrennungsmotor-Fahrzeuge haben umgekehrt umso mehr Emissionen, je älter sie werden. Dieser Effekt wird in Ökobilanzen bislang überhaupt nicht berücksichtigt. Ökobilanzen tun bislang so, als ob Autos immer jene Emissionen beibehalten, die sie beim Verlassen der Fabrik aufweisen. Dies ignoriert ein besonderes Problem: Allein Deutschland exportiert jedes Jahr etwa eine Million gebrauchter Verbrenner mit hohen Kilometerständen nach Süd-/Osteuropa – unter anderem, damit die Eigentümer bei uns nicht in neue Dieselpartikelfilter und Dreiwegekats investieren müssen (tausende € pro Fahrzeug). So rechnet sich das Geschäftsmodell Dieselauto in Deutschland. Die Abgasreinigungstechnik hält lediglich etwa 200.000 – 250.000 km. Man kann davon ausgehen, dass solche Investitionen in Osteuropa auch nicht getätigt werden. Soviel zum sogenannten „clean Diesel“ von heute. Vorausgesetzt, er wird überhaupt „clean“ ausgelegt, dann könnte er über die gesamte Lebenszeit nur mit hohen laufenden Kosten „sauber“ sein. Das Problem der schmutzigen Altautos verschieben wir einfach nach Osteuropa und servieren es dort den Menschen auf der Straße. Je komplexer die Abgasnachbehandlung (ein sog. „clean diesel“ hat ein fünfstufiges Chemielabor an Bord), desto höher die Emissionen der Altfahrzeuge, wenn deren Technik nicht mit hohem Wartungsaufwand betriebsbereit gehalten wird. Mit Elektroautos hätte auch das ein Ende.
Ökobilanzen von Elektroautos werden sich aller Voraussicht nach in naher Zukunft noch positiver darstellen lassen als heute schon. Die lokalen Emissionsvorteile von Elektroautos werden bislang noch nicht ausreichend in Ökobilanzen dargestellt. Zusätzlich werden die Klimaeffekte der Rußemissionen von Diesel-PKW in Ökobilanzen nicht berücksichtigt, die bei vielen Diesel-PKW in der letzten Lebensphase auftreten (1,3).
Ein Bewusstseinswandel scheint dringend für die Mobilitätswende in Deutschland. Er muss wohl von unten kommen.
Über den Autor
Dr. Eckard Helmers ist Professor an der Hochschule Trier seit 1998. Er unterrichtet chemische Fächer mit dem Schwerpunkt Umweltchemie. Als Umweltanalytiker forscht er über die analytische Methodik und die Bewertung von Spurenstoffdaten in Toxikologie, Atmosphäre, Wasser, Boden, Luft und weiteren Matrizes und hat rund 40 wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht. Seit 25 Jahren beschäftigt er sich mit Verkehrsemissionen. Als Direktor am IfaS (Institut für angewandtes Stoffstrommanagement) leitet er die Abteilung für Zukunftsfähige Mobilität mit und hat den Umbau von Verbrennungsmotor-Fahrzeugen zu Elektroautos samt begleitender Ökobilanz-Forschung initiiert. Diese sog. „eConversion“ ermöglicht minimalen Ressourcenverbrauch und geringste Emissionen der Mobilität mit dem Auto.
Quellen:
(1) E. Helmers, M. Weiss (2017).
Advances and critical aspects in the life-cycle assessment of battery-electric cars (review). Energy and Emission Control Technologies. Published 1 February 2017, Vol 5, 1—18
dovepress.com
(2) E. Helmers, J. Dietz, S. Hartard (2017).
Electric Car Life Cycle Assessment Based on Real-world Mileage and the Electric Conversion Scenario. International Journal of Life Cycle Assessment, Vol. 22 (1), pp 15–30
springer.com
(3) M. Cames, E. Helmers (2013).
Critical evaluation of the European diesel car boom – global comparison, environmental effects and various national strategies. Environmental Sciences Europe 2013 (25):15
springeropen.com
9 Kommentare