Mobilität in München: Stehparty nicht nur für die Schickeria
Die bayerische Landeshauptstadt München stellt sich gerne mit weiß-blauem Himmel dar. Doch in Wirklichkeit trüben Stickoxide und Dunst die Postkarten-Romantik. Denn in Bayern ticken die Elektromobilitäts-Uhren eher langsam.
Wie kommen E-Fahrzeuge zu neuer Energie und Städte zu besserer Luft? Mit der Serie „Urban Infrastructure“ beleuchtet der Branchendienst electrive.net die unterschiedlichen Strategien der größten Städte in Deutschland zum Umstieg auf Elektro-Fahrzeuge. Nach Hamburg, Stuttgart und Berlin betrachtet die in Bayern lebende Autorin Annette Schwabenhaus die eMobility-Fortschritte in München.
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München ist ein Magnet und oft wird behauptet, dass, wer einmal hier her kam, bleibt. Die Attraktivität der Stadt und die hinreißend schöne Natur direkt vor den Toren der Metropole tragen sicher dazu bei. Dort zu bleiben, ist man auch geneigt, denn wer es erst einmal mit seinem Auto durch stundenlange Staus hinein geschafft hat, möchte sich dieselbe Warterei nicht gerne für den Weg aus der Stadt heraus nochmals antun. Wobei auch die Fortbewegung innerhalb der Stadt eine Herausforderung ist.
Die Verkehrslawine und Heizungsanlagen der Gebäude produzieren schneller schlechte Luft, als diese sich durch normale Luftbewegung austauscht. Der Wind, der durch die aufwändig sanierten Straßenzüge weht, reicht deshalb nicht aus, die riesigen Mengen an CO2, Feinstaub oder Stickoxiden abzutransportieren.
Der Verkehr steht
Der Mittlere Ring ist die meistbefahrene Straße Deutschlands und führt die Staustatistik Deutschlands an. Durchschnittlich steht man hier sogar doppelt so lang in der Blechkolonne wie die Kölner auf der Leverkusener Brücke. Im europäischen Ranking hat es München damit auf Platz 8 gebracht. Ein trauriger Rekord. Zum Feierabend schleicht die Blechlawine ganz ohne Freude am Fahren mit gerade einmal 20 km/h auf der 28 km langen Strecke um München herum. Bei einer jährlichen, durchschnittlichen Zunahme des Verkehrs um ca. zehn Prozent ist absehbar, dass diese Durchschnittsgeschwindigkeit in Zukunft noch weiter sinken wird, egal, ob der Stauer nun elektrisch oder mit einem Verbrenner unterwegs ist. Diejenigen, die derweil auf das Fahrrad oder Pedelec umsteigen, kommen bereits jetzt oft schneller an ihren Zielort, während andere in ihren SUVs noch frustriert dem Stauradio lauschen.
Die Luft steht auch
An der Landshuter Allee wurde bis zum 9. Mai dieses Jahres bereits 20 Mal der Tagesmittelwert von 50 mig/m3 Feinstaub überschritten und am Stachus im gleichen Zeitraum 21 Mal. Tendenz steigend. Das klingt nicht nach reiner Luft. Um den Luftreinhalteplan zu erfüllen, beschloss München, an den Brennpunkten den Verkehr auf Tempo 50 km/h zu reduzieren, doch dieser hat sich genau dort bereits selbst auf eine weitaus geringere Durchschnittsgeschwindigkeit reduziert. Eine weitere Maßnahme zur Luftreinhaltung könnte eine City Maut sein. Münchens Umweltreferentin Stephanie Jacobs sprach sich allerdings 2016 strikt gegen eine solche Maut aus. Diese sei unsozial, unverhältnismäßig und rechtswidrig. Sie gab die Verantwortung für sauberen Straßenverkehr an die Autohersteller weiter.
Doch die Zeiten ändern sich, unattraktive Regelungen müssen vielleicht doch sein. OB Reiter denkt mittlerweile laut über ein Diesel-Fahrverbot nach. Auch hätte die Stadt gerne eine blaue Innenstadtplakette in der Umweltzone. Ob diese jemals zum Einsatz kommt und wie München seine Stickoxid-Probleme in den Griff bekommen soll, wird im Herbst 2017 das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. So lange bleibt die reine Luft eine bayerische Postkarten-Illusion.
Wenn schon zu viel Verkehr die Stadt flutet, dann sollte das Bestreben vorherrschen, diesen so emissionsfrei wie möglich zu gestalten. Könnte man meinen. Doch dazu bräuchte es passende Elektrofahrzeuge – und die nötige Ladeinfrastruktur.
Die Ladeinfrastruktur und ihre Förderung
Im Ladesäulen-Verzeichnis Lemnet.org sind im Juni 2017 gerademal 113 Ladepunkte im Stadtgebiet von München gemeldet. Die Landeshauptstadt München möchte noch 2017 immerhin 100 weitere Ladesäulen installieren, wovon sie die ersten 30 bereits in Betrieb genommmen hat. Ist das nun viel oder wenig Ladeinfrastuktur? Regensburg mit ca. 1/10 an Einwohnern von München bietet heute schon im Stadtgebiet 41 Ladesäulen. Und in Hamburg stehen laut der Plattform heute bereits 285 Ladesäulen. Dementsprechend sieht man dort auf den Straßen auch mehr Elektrofahrzeuge als in der bayerischen Hauptstadt.
Das Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt fördert seit Januar 2017 die Installation von Ladesäulen. Wer in München wohnt oder dort einen Betrieb führt und nachweist, dass die Ladesäule oder Wallbox mit Ökostrom gespeist wird, kann pro Jahr bis zu sechs Ladepunkte gefördert bekommen. Die Ladeeinrichtung muss auf privatem Grund stehen und darf nicht öffentlich zugänglich sein. Die Förderung umfasst Anschaffung und Montage und der Geldsegen ist auf 20 Prozent der Netto-Gesamtkosten oder maximal 1.500 Euro pro Ladepunkt limitiert. Für DC-Schnelladepunkte gibt es maximal 5.000 Euro.
Die Landeshauptstadt München investiert durchaus in Elektromobilität mit ihrem Programm IHFEM (Integriertes Handlungsprogramm zur Förderung der Elektromobilität in München), um den Luftreinhalteplan umzusetzen. Über 30 Mio Euro wurden für den Zeitraum 2015-2017 zur Verfügung gestellt. Das Geld wurde in neun Handlungsfelder mit elf Maßnahmen verteilt. Öffentliche Ladeinfrastruktur, Konzepte für Mobilitätsstationen, die Förderung von E-Bikes, von batterieelektrischen Bussen, Pilotprojekte zur Beschaffung von Elektrofahrzeugen im kommunalen Fuhrpark und P+R Plätze mit Ladeinfrastruktur für Pendler, sowie Weiterbildungs- und Forschungsmaßnahmen wurden von dem Geld unterstützt. IHFEM wird auch in 2018 weitergeführt. In welchem Umfang, bleibt allerdings abzuwarten, haben doch CSU und SPD Mitte Juli im Stadtrat deutliche Kürzungen beantragt. Parallel dazu wurden am selben Tag in der Kabinettssitzung der Bayerischen Staatsregierung allen Ernstes Kaufanreize für moderne Dieselfahrzeuge in das Maßnahmenpaket eingeschnürt. So richtig wichtig scheint die Elektromobilität den Parteien also doch nicht zu sein.
Für den gewerblichen E-Verkehr und die dazugehörende Ladeinfrastruktur wurden nochmals 22,2 Mio Euro frei gesetzt. Also müsste doch schon überall Elektromobilität zu sehen sein? Die Rechnung geht nur langsam auf. Denn dort, wo beispielsweise in Gewerbehöfen Ladesäulen entstehen, stehen erst Monate später auch die passenden E-Fahrzeuge. Immerhin wird Elektromobilität in diesen Fällen sehr nachhaltig aufgebaut.
Seit ein paar Tagen gibt es zudem einen bayerischen Förderplan für Ladeinfrastruktur, der die Mittel des Bundesförderprogramms noch aufstocken soll. 7.000 Ladesäulen bis 2020 lautet das Ziel. Davon werden gewiss auch ein paar in München aufgestellt.
Geteilte Elektromobilität
Den Einstieg in elektrisches Fahren bietet das CarSharing-Angebot DriveNow, mit dem heimischen Elektroauto BMW i3. In der Stadt stehen derzeit 80 BMW i3 für spontane Fahrten zur Verfügung. Um auch Münchner Betrieben den Umstieg auf Elektromobilität zu erleichtern, fördert die Stadt Unterstützung durch legitimierte Berater. Sie liefern Fuhrparkanalysen und Flottenkonzepte, Ladeinfrastrukturkonzepte und andere Beratungsleistungen rund um Elektromobilität. Die Stadt München zielt auf den Multiplikator-Effekt jeder Beratung und honoriert diese mit 80 Prozent Zuschuss oder maximal 6.000 Euro.
Über Förderprojekte der Landeshauptstadt München werden Unternehmen zur Analyse und Verbesserung ihres betrieblichen Mobilitätsmanagements angeregt. Mit dem Ziel, den durch Mitarbeiter, Besucher oder Lieferverkehr verursachten Verkehr zu reduzieren. Dies kann durch neue Kommunikationskonzepte zur Förderung der Heimarbeit, Anreize zu Dienstfahrrädern, Fahrgemeinschaften, Job Tickets oder viele andere Maßnahmen erreicht werden. Wichtiger als der Umstieg vom konventionellen Pkw auf einen elektrischen ist für die Stadt als Fördermittelgeber die Verkehrsvermeidung. Wer nach Anwendung aller Anreizsysteme und betrieblichen Umstrukturierungen noch als Pkw-Fahrer zu identifizieren ist, wird von den Unternehmen über Lade-Angebote und andere Incentives zum Umstieg auf Elektrofahrzeuge motiviert.
Elektrisches Fahren jenseits des Pkw
Einen ersten 18-Meter-Gelenk-Elektrobus von Sileo aus Salzgitter testet derweil die MVG seit dem 1. Juli. Ab August kommen zwei weitere 12-Meter-Stromer hinzu. Eine Ausschreibung über zwei 18 Meter lange E-Gelenkbusse wird noch für 2017 angekündigt. 2018 sollen außerdem weitere Elektro-Solobusse geordert werden. Die MVG ist von den ersten Fahrergebnissen der lautlosen Busse durchaus begeistert. Über eine Innovationspartnerschaft mit dem Bushersteller MAN, dessen Firmenzentrale vor den Toren der Stadt angesiedelt ist, wurde 2016 begonnen, einen Elektrobus zu entwickeln. Der Prototyp soll 2018 vorgestellt werden, die Serienproduktion ab 2019 starten. Diese Zeitplanung gibt zu denken, denn andere Bushersteller (allen voran chinesische) kamen schon wesentlich früher auf die Idee, selbst zu investieren und erzielen mit ihren E-Bussen bereits beträchtliche Umsätze.
Die erste öffentliche Mobilitätsstation ist seit gut einem Jahr in Betrieb. Sie ermöglicht an dem zentralen ÖPNV-Umschlagplatz Münchner Freiheit dank Ladesäulen den Umstieg zwischen dem eigenen Elektroauto, elektrischen CarSharing-Fahrzeugen, Bus, U-Bahn und dem Sharing-Rad der MVG. Weitere Mobilitätsstationen sind in den verkehrskritischen Gebieten Parkstadt Schwabing, Domagkpark und rund um die Innenstadt geplant. Der Umstieg zwischen Mobilitätsangeboten soll sowohl die Elektromobilität als auch die Nutzung anderer Mobilitätsformen fördern. Dabei gewinnen Fahrräder und Lastenräder immer mehr an Bedeutung. München arbeitet hier also nicht nur für eine Mobilitätsform, sondern integriert Elektromobilität in das Gesamtkonzept zur Verkehrsreduzierung. So werden Lademöglichkeiten an U-Bahn-Parkplätzen errichtet, um die Elektrofahrzeuge im Bereich des Quellverkehrs zu belassen und sie dort zu laden, wo sie tagsüber besser untergebracht sind als im Stau.
Auch die Güterlogistik steht im Stau und verursacht im Stillstand hohe Kosten. Deshalb startete UPS im Rahmen des Förderprojektes City2Share im Juli einen Test in Untersendling und der Isarvorstadt, wo Pakete von einem Micro-Depot aus mit Lastenrädern im Quartier ausgefahren werden, um die Zustellung zu beschleunigen. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. Die praktische Umsetzung und Wirtschaftlichkeit eines Lieferdienstes auf zwei Rädern beweist beispielsweise bereits das Unternehmen rapid, Münchens größter Fahrradkurierdienst. Dieser stellt schnell, schadstoffarm und zuverlässig Kleinsendungen zu.
Die Stadt elektrifiziert ihre Flotte – endlich
Der städtische Fuhrpark ist noch kaum mit Elektrofahrzeugen bestückt. Doch die Stadt möchte in den nächsten drei Jahren 200 ihrer 220 Fahrzeuge auf Elektroantrieb umstellen. Das ist ein Zeichen. Oberbürgermeister Reiter hat immerhin schon einen halben Akzent gesetzt und ein Hybridfahrzeug angeschafft, das an einer Ladesäule im Hof des Rathauses lädt. Eine sogenannte Bürgermeister-Säule steht jetzt also auch in München.
Fazit
Dass etwas beherzter in Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge investiert werden könnte und manches Geld, das in Studien fließt, in die Umsetzung gelenkt werden könnte, wünschen sich viele E-Mobilisten in München. Vor allem, wenn sie von einer durch CarSharing-Fahrzeuge besetzten Ladesäule zur nächsten irren. Die E-Mobilitäts-Willigen der Landeshauptstadt befinden sich in einer Zwickmühle zwischen ihrem Luftreinhalteplan und den Fahrzeugherstellern des Freistaates. In anderen Städten ohne OEMs vor der Türe wird oft beherzter für die Bürger und deren saubere Luft entschieden.
Der anhaltende Zuzug in die Region stellt die Stadt vor ständig neue Herausforderungen. Mehr Mut zu schnellen Entscheidungen stünde der Stadt deshalb sicher gut. Hoffnungsträger sind private Unternehmen, die in neuen Mobilitätskonzepten und Verkehrsvermeidung durchaus auch Wirtschaftlichkeit erkennen. In München treiben durchaus viele kluge Köpfe die Dekarbonisierung des Verkehrs und die Luftreinhaltung voran. Sie alle können viel erreichen, wenn der politische Wille der Stadt und die Entscheidungen der Landesregierung es zulassen. Die vom Oberbürgermeister entfachte Debatte um Fahrverbote hilft dabei vielleicht. Leider ist dennoch längst nicht ausgemacht, dass es an der Isar in der Folge wirklich zu einer echten Verkehrswende kommen wird.
Text und Bilder: Annette Schwabenhaus
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