„Aus dem Kostenkampf bei Batterie-Zellen kann ein Leistungskampf werden.“
Die Unternehmensberatung P3 Group aus Aachen beteiligt sich am Batteriezell-Entwickler Custom Cells. Die Firma aus Itzehoe entwickelt und produziert auf Kunden-Anforderungen optimierte Zellen. Was hinter diesem ungewöhnlichen Schritt steckt, haben wir mit Dr. Christoph Theis besprochen. Der Gründer und Geschäftsführer von P3 setzt voll auf die Batterie-elektrische Mobilität.
Herr Theis, warum beteiligen Sie sich mit Ihrer Beratungsfirma P3 an einem Batteriezell-Hersteller?
Nun, zum einen sind wir von dem Geschäftsmodell der Custom Cells Itzehoe GmbH überzeugt. Zum anderen macht uns die Beteiligung noch glaubwürdiger in unserer Rolle als führende Unternehmensberatung im Bereich der Elektromobilität.
Wie funktioniert das Geschäftsmodell der Custom Cells?
Am besten ist es, Sie kommen als Kunde mit einer Spezifikation für eine Lithium-Zelle auf die Custom Cells zu. Die Firma legt dann die von Ihnen gewünschte Zelle aus und produziert sie. Zwar nur in kleinen Stückzahlen. Aber kundenindividuell und marktspezifisch. In allen möglichen Zellchemien und Formaten.
Wofür braucht es solche individuellen Zellen, wenn es doch die erprobte Massenware aus Asien gibt?
Es gibt Anforderungen an Lithium-Ionen-Zellen, die weit über das hinausgehen, was Standardzellen heute im Stande sind zu leisten. Beispielsweise in der Medizintechnik. Mit hochtemperaturfesten Zellen bis 150 Grad Celsius könnten beispielsweise bestimmte Operationsinstrumente ohne Stromkabel betrieben werden und würden den Chirurgen während der OP nicht mehr stören. Oder in der Luftfahrt. Drohnen würden in ganz neue Anwendungsgebiete vorstoßen, wenn ihre Zellen Leistungsdichten von bis zu 350 Wh/kg hätten. Oder aber in der Sicherheitstechnik: Hier gibt es Anforderungen an die Schockresistenz der Zellen, die in Extremfällen bis zu neunmal höher liegen können als bei automotiven Zellen.
Temperaturfestigkeit, Leistungsdichte und Schockresistenz, das sind alles Beispiele für aktuelle Herausforderungen und laufende Projekte der Custom Cells.
Die Firma Varta zeigt mit spezifischen Zellen für Hörgeräte, dass es diese Nischenmärkte gibt und wie man sie erfolgreich besetzt. Aber was hat das mit P3 zu tun? Sie beraten schließlich Autohersteller.
Wir haben uns der Elektromobilität verschrieben und glauben, dass sich die Entwicklung hin zu einer Spezialisierung und Individualisierung von Batterie-Zellen auch in der Automobilindustrie vollziehen wird. Und das ist dann wahrlich kein Nischenmarkt mehr.
Bisher machen die Autohersteller doch kaum Anstalten, sich bei der Zellproduktion aus der Deckung zu wagen. Woher nehmen Sie Ihre Hoffnung, dass sich das ändert?
Nun ja, wie soll ich sagen: Die Zelle wird wichtig werden! Wettbewerbsrelevant. Vielleicht sogar wettbewerbsentscheidend. Ob ein Neufahrzeug eines Automobilherstellers erfolgreich werden wird, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Vom Design, von den Kosten oder vom Image beispielsweise.
Zukünftig wird der Erfolg ganz maßgeblich aber auch von der Zelle abhängen. Die Zelle hat entscheidenden Einfluss, nicht nur auf den Preis, sondern auch auf den Fahrspaß, den Sie mit dem Fahrzeug haben können: Fahrdynamik, Fahrkomfort, Höchstgeschwindigkeit, Reichweite, Lebensdauer, Innen- und Kofferraumangebot! Alles wichtige Faktoren. Und im Zeitalter der Elektromobilität alle ganz wesentlich abhängig von einer Komponente: der Zelle.
Da wird sich ein gigantischer Wettbewerb entwickeln. Ein Wettlauf um die beste Zelle. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Zellen sind unbegrenzt. Zellchemie, Beschichtungsarten, Elektrolyte, Separatoren, Elektrodenmaterial und nicht zuletzt die Bauform und korrespondierende Modul- und Kühlkonzepte. Und das jeweils auch in Wechselwirkung zueinander. Die Variantenvielfalt ist unendlich.
Wohin wird das führen?
Zu einer kontinuierlichen Ertüchtigung der Zelle. Und zur Individualisierung ihrer Anwendung. Wir werden leistungsoptimierte Zellen bekommen, energieoptimierte, kostenoptimierte und volumenoptimierte. Und natürlich Mischformen daraus. Wir werden eine dauerhafte Weiterentwicklung der Zellen erleben.
Wir glauben, dass es markenspezifische Zellen geben wird, marktsegmentspezifische und baureihenspezifische. Wir denken auch, dass es innerhalb eines Fahrzeugs zwei verschiedene Zelltypen geben kann, die einen sind auf Energiedichte optimiert und die anderen auf Leistungsdichte. Vielleicht kommt ein elektrischer 911’er in ein paar Jahren mit drei verschiedenen Zellangeboten auf den Markt: Als „Carrera“, als „Carrera S“ und als „Turbo“. Das wird alles noch Jahre dauern. Aber wir vermuten, dass wir im Antrieb der Elektrofahrzeuge den gleichen Wettbewerb und die gleiche Variantenvielfalt bekommen, wie wir sie im Verbrennungsantrieb durch Zylinder-, Hubraum- und Getriebevarianten gewohnt sind.
Das ist aber ein gewagter Blick in die Glaskugel. Davon spürt man derzeit gar nichts.
Ja, das stimmt. Derzeit haben wir standardisierte Zellen, Massenzellen. Wir haben eine weltweite Produktions-Überkapazität an Zellen und daraus folgend einen reinen Kostenkampf. Die Zelle ist derzeit noch „commodity“.
Aber ganz ehrlich: Wir haben ja derzeit auch noch keine wirkliche Elektromobilität. Kein breites Angebot. Die 21700er Zelle wird vermutlich die letzte Standardzelle sein. Sie ist gut genug, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen. Danach aber geht es erst richtig los. Aus dem Kostenkampf wird ein Leistungskampf. Ein Kampf um den wettbewerbsfähigsten elektrischen Antrieb. Und der wird zu über 70% aus der Zelle heraus geführt!
Das Zellgeschäft ist extrem kapitalintensiv. Da wollen Sie mit P3 und custom cells ernsthaft mitmischen?
Nun ja, wir sind sehr klein. Zu klein für das große Spiel. Die Firma hat gerade einmal 20 Mitarbeiter. Aber die P3 hat sich im Rahmen der Beteiligung an der Custom Cells zu Partnerschaften und Investitionen in Millionen-Höhe verpflichtet. Ein Vorgehen und auch Geld, dass die heutige „Manufaktur“ ein Stück weit automatisieren und zu mittleren sechsstelligen Stückzahlen eines Typs pro Kundenprojekt führen kann.
Wir werden nie ein Volumen-Zellhersteller werden können. Aber vielleicht ein guter Entwicklungs- und Scale-up Partner, zumindest für die innovativen Automobilhersteller. Für den Bau von Prototypen-Zellen. Oder Show Cars. Oder vielleicht als Zell-Lieferant für die Formel E.
Dafür müsste der OEM dann aber Zellentwickler werden.
Ja, so ist es. Nach langen Jahrzehnten, in denen die Autoindustrie von Maschinenbauingenieuren dominiert wurde, waren es in den vergangenen 20 Jahren zunehmend die Elektro- und Elektronikingenieure. Jetzt kommen die Digitalisierer und eben auch Elektrochemiker in die erste Reihe. Ein OEM, der hier keine Entwicklungskompetenz aufbaut, wird es in einem Zeitalter der Elektromobilität schwer haben.
Muss der OEM dann also doch irgendwann auch Zellproduzent werden?
Das ist sicher die schwierigste Frage. Die Abhängigkeiten zwischen Produktentwicklung und Produktion sind in Bezug auf die Zelle sicher nicht kleiner als in Bezug auf einen Verbrennungsmotor. Ob aus den Bayerischen Motoren Werken aber „Bayerische Zell Werke“ werden müssen – gestatten Sie mir das Wortspiel – vermag ich nicht zu beurteilen. Es stehen enorme Investitionen in Milliardenhöhe an. Der Return on Invest ist nicht gut. Und es sind erhebliche und völlig neue Kompetenzen erforderlich. Auf der anderen Seite steht aber die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel!
Was empfehlen Sie also?
Es gibt derzeit viele Fragen: Kann der OEM mit einer auf die Gesamtfahrzeugebene reduzierten Wertschöpfung erfolgreich sein? Braucht er in der insgesamt deutlich kleiner werdenden Wertschöpfung der Elektromobilität nicht gerade eine höhere Wertschöpfungstiefe? Nissan hat sich jüngst von seiner Zellfertigung getrennt. Ein klares Signal in Richtung Zulieferer?
Die deutschen Zulieferer werden sicher ganz genau prüfen, ob sie nicht doch in eine Zellfertigung einsteigen sollen. Aber die Zulieferer können die markenspezifischen Wettbewerbsdifferenzierungen nicht erzeugen. Sie können die Marke und den Unterschied nicht machen. Das können nur die OEMs selbst. Und deswegen werden sie vermutlich eine eigene Zellfertigung hochziehen müssen. Sicher nicht sofort. Vielleicht aber in Kooperation mit einem Partner.
Herr Theis, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
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