„Wir wollen die Marktführerschaft halten und ausbauen.“
Kaum eine Woche vergeht ohne neue Wendungen in der Abgas-Krise. Derweil verkündet die Deutsche Post im nahezu selben Takt neue Flottenstarts des konzerneigenen E-Transporters StreetScooter. Dessen Macher haben über die Erfolgsgeschichte ein Buch geschrieben. Wir haben mit RWTH-Professor und StreetScooter-Geschäftsführer Prof. Achim Kampker darüber gesprochen.
Herr Prof. Kampker, wer in diesem Sommer die Zeitung durchblättert, gelangt zu dem Schluss, dass Auto-Deutschland gerade vor die Wand fährt. Täuscht dieser Eindruck oder droht hier wirklich Ungemach?
Sagen wir mal so: Die Auto-Industrie ist im Umbruch. Die Technologie entwickelt sich ständig weiter, allerdings gehen derzeit technologische Wettbewerbsvorteile verloren und Deutschland ist nicht unbedingt führend. Außerdem werden Marktbarrieren für die Elektromobilität gesenkt, was für neue Konkurrenten den Start vereinfacht. Beides führt zu einem neuen und schwierigeren Wettbewerbsumfeld.
Ich habe in den vergangenen Jahren sehr oft mit Vertretern verschiedener OEMs gesprochen. Stets hieß es: Wir verschlafen nichts. Doch jetzt, wo die Not in den Innenstädten am größten ist, haben nur die Wenigsten überhaupt Alternativen im Portfolio. War die Branche doch im Tiefschlaf?
Im Tiefschlaf war sie nicht. Im Hintergrund gab es mehr Aktivitäten, als wahrnehmbar. Was man allerdings verschlafen hat, sind attraktive Produkte, die jetzt aktiv im Markt sind. Erstens schadet dies dem Image der Branche und zweitens ist es etwas anderes, Studien zu zeigen als wirklich Fahrzeuge im Feld zu haben. Wir müssen schneller werden.
In Ihrem neuen Buch „Think Big Start Small: StreetScooter – The E-Mobile Success Story“ beschreiben Sie einen radikal neuen Innovationsprozess, der den StreetScooter überhaupt erst ermöglicht hat. Was konkret haben Sie denn anders gemacht, als ein Automobilkonzern es gemacht hätte?
Die wesentlichen Prinzipien werden detailliert im Buch beschrieben. Wenn man es aber auf den Punkt bringen will, gilt der Titel: „Think Big – Start Small“. Das heißt, immer das Ziel vor Augen zu haben, aber klein und schnell anzufangen. Und zwar mit weniger Spezifikation, mehr Mut und disruptiven Innovationen.
Wir wollten ein Elektrofahrzeug auf den Markt bringen mit extrem geringerem Investment und einer sehr kurzen Entwicklungszeit. Während andere den Kopf schüttelten, haben wir daran geglaubt, dass es möglich ist. Wir setzen auf die Idee des Return on Engineering. Ziel war es, mehr Kundenwert mit weniger Aufwand zu erreichen.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein.
Natürlich ist das schnell daher gesagt. Wir wurden uns bald darüber klar, dass wir uns dort selber herantasten und verschiedene Möglichkeiten ausprobieren müssen. Und genauso wurde uns bewusst, dass man Ideen und Ansätze verwerfen muss, auch wenn bereits Arbeit hineingeflossen ist. Scheitern gehört zum Erfolg dazu. Wenn man das einsieht, stehen die Chancen gut, mit einem geringeren finanziellen Einsatz zu einem für den Autokäufer wertvollen Ergebnis zu kommen. Und wir haben es geschafft: Die Dauer der Entwicklung des StreetScooter bis zum Einsatz auf der Straße lag gerade mal bei knapp über drei Jahren. Die Kosten betragen lediglich einen Bruchteil des gewöhnlichen Investments.
Gab es auch einen Moment, an dem Sie dachten, das wird nichts mit dem StreetScooter?
Die Finanzierung war sehr herausfordernd. In Deutschland gibt es wenige Risikokapitalinvestoren, die auch in einer frühen Phase Interesse an innovativen Projekten zeigen. Also natürlich gab es Situationen, in denen man von anderen belächelt wurde, wo man vielleicht auch selbst gezweifelt hat. Und vor allem diese Sache mit dem Ausprobieren, was der richtige Weg ist. Es bringt einen voran, es ist Teil des Erfolgs – aber das muss man erst einmal begreifen. Es muss einem klarwerden, dass mutiges Ausprobieren auch zum Scheitern in Teilbereichen führen kann. Dass es nicht das Ende oder der Untergang ist, sondern eine Chance, um zu adaptieren und weiter zu machen.
Was wäre aus dem StreetScooter geworden, wenn nicht die Post zugeschlagen hätte?
Dann wäre das ursprüngliche Konzept eines kleinen Stadtfahrzeugs weiterverfolgt worden und wir hätten andere Flottenbetreiber adressiert.
So, wie es jetzt Ihr Partner und Mit-Autor Prof. Schuh mit dem e.Go Life verfolgt.
Ja. Da fällt mir beispielsweise die Caritas als mögliche Kundin ein. Denn eines ist klar: Im Flotteneinsatz bietet die Elektromobilität auch heute schon nachhaltige Wettbewerbsvorteile. Und das hat sie vor drei Jahren auch schon getan.
Können Sie mit dem e.Go Life oder dem StreetScooter in Aachen noch mithalten, wenn ein Schwergewicht wie Volkswagen um die Jahrtausendwende herum voll in die Fertigung rein elektrischer Fahrzeuge einsteigt?
Im Hinblick auf StreetScooter sprechen wir von Nutzfahrzeugen. Dieser Markt wächst aktuell rasant. StreetScooter kann durch den frühen Start und die im Markt befindlichen Stückzahlen auf alle Fälle wettbewerbsfähig bleiben.
Zuletzt war in den Medien von Zweifeln an der Alltagstauglichkeit und Sicherheit der Fahrzeuge die Rede. Woher kommt dieser Gegenwind und was können Sie skeptischen Mitarbeitern der Post antworten?
Der StreetScooter ist sicher und alltagstauglich. Wir haben das Fahrzeug in ständiger Abstimmung gemeinsam mit den Zustellern entwickelt. Und wir sind über verschiedene Kanäle intensiv im Austausch mit ihnen. Wir machen etwa regelmäßig anonyme Befragungen. Wenn es dort Unzufriedenheit geben würde, hätten wir das gemerkt. Es kommt jedoch heraus, dass unsere Fahrzeuge deutlich besser bewertet werden als konventionelle Vergleichsfahrzeuge. Daher finden wir die Berichte merkwürdig. Natürlich können wir keine Montagsautos ausschließen, aber flächendeckende Probleme gibt es nicht. Dass ich mir den Kopf stoßen kann, hat auch nichts mit der Straßensicherheit zu tun. Die Anschuldigungen sind teilweise in sich unschlüssig.
Wie beurteilen Sie den technologischen Fortschritt der Elektromobilität: Kommt es zu einem Wettrüsten der Hersteller um die größte Batterie, die größte Reichweite?
Es zeichnet sich ab, dass jede Menge Bewegung reinkommt. Und viele Anbieter setzen auf Reichweite. Wir machen das bewusst anders – mit der spezifischen Auslegung der Fahrzeuge anhand der Anforderungen, die an sie gestellt werden. Man sollte bei Nutzfahrzeugen immer von der Wirtschaftlichkeit aus entwickeln.
Wäre also die kleinste Batterie mit der Möglichkeit zu schnellstmöglicher Zwischenladung und intelligenter Routenplanung das bessere Konzept?
Solche Konzepte wären denkbar. Aber dazu braucht es genügend Ladeinfrastruktur. Und vor allem schnelle Lademöglichkeiten. Das ist noch Zukunftsmusik.
Welche Chancen geben Sie der Brennstoffzelle?
Ich glaube, die Technologie wird sich parallel zur Batterie entwickeln. Wenn man die mittleren und höheren Reichweiten anschaut, wird man um die Brennstoffzelle nicht herumkommen. Mit 3,5-t-Fahrzeugen, die wir jetzt mit Ford entwickeln, gibt es natürlich Anwendungen mit 500 bis 600 Kilometer. Deswegen beschäftigen wir uns auch mit diesem Thema.
Noch mal kurz zu Ihrem Buch: Deutschland gilt als Meister der industriellen Fertigung. Und doch fordern Sie eine Vereinfachung. Denken deutsche Ingenieure zu kompliziert, um einfache Produkte zu entwerfen?
In „Think Big Start Small“ werfen wir die Frage auf, ob es uns vielleicht an Mut und Radikalität fehlt. Der Perfektionismus der Deutschen hat uns in Wissenschaft und Technik weit gebracht – das lässt sich nicht bestreiten. Doch wir tun uns oftmals schwer damit, umzudenken. Gerade das müssen wir aber tun in Sachen effizienter Produktentwicklung. Die deutschen Ingenieure müssen die Entwicklungsphasen ändern. Statt alles durchdacht und durchgeplant zu haben, sollte eine frühe Umsetzung erfolgen. Primotypen sollten dabei dem Erfahrungsgewinn dienen.
Im Moment entstehen überall neue eMobility-Startups. Gibt es eine Art Rezept, mit dem sich neue Ideen für elektrische Fahrzeuge verwirklichen lassen?
Eine Zutat ist definitiv das Return on Engineering Prinzip, also den Markteintritt in der Hälfte der Zeit und zu einem Zehntel der Investitionen zu schaffen. Ein weiterer Punkt ist die Sichtweise auf die Fahrzeuge vor dem Hintergrund der Lebenskurve. Statt um etwas Fixes handelt es sich um Produkte, die ständig und kontinuierlich in einem agilen System weiterentwickelt werden. Im Buch sprechen wir über das Learnovational System, bei dem Primotypen für einen schnelleren Lernprozess früh im Innovationsprozess aufgebaut werden. Und das Customer Engineering bedeutet, dass Standardprodukte einfach und kostengünstig individualisierbar sein müssen. Und dann wäre da noch der Disruptive Network Approach. Hierbei müssen Technologie- und Produktentwicklung voneinander getrennt werden. Im Fokus steht ein Optimum auf der Komponentenebene anstelle eines funktionalen Optimums des gesamten Systems.
Und welchen Rat geben Sie mit diesem Wissen den Diesel-geplagten traditionellen Automobil-Herstellern?
Wir sind sicherlich nicht in der Position, Ratschläge aus der Ferne zu erteilen. Die deutschen Autohersteller verfügen über ein exzellentes Management, das die richtigen Weichen stellen wird. Für uns bei StreetScooter war es aber immer wichtig, schnell und voll in die Elektromobilität einzusteigen und dynamisch mit dem Markt zu wachsen.
Bisher ist die automobile Landkarte in Deutschland klar durch die großen Hersteller-Zentren in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen markiert. Zeichnen Sie von Aachen aus diese Karte gerade neu, sozusagen in der Elektro-Version?
Aachen ist auch heute schon ein Elektromobilstandort. Neben StreetScooter wird zum Beispiel das erste flächendeckende Pedelec-Verleihsystem in Deutschland, Velocity, weiter ausgebaut. Daneben entstehen verschiedene Spin-Offs und Zulieferer im wachsenden Markt der E-Mobilität, wie auch e.Go. Aachen bietet mit seinem Campus und dem innovativen Umfeld perfekte Voraussetzungen, um den Ansprüchen der heutigen Zeit an den Fahrzeugmarkt zu begegnen. Dort kommen Menschen mit Ideen aus den verschiedensten Fachrichtungen und Altersklassen zusammen und arbeiten an neuen Ideen, entwickeln innovative Ansätze. Die Institute und Firmen können sich optimal vernetzen, die Nähe der unterschiedlichen Fachrichtungen hilft, interdisziplinär an zukunftsweisenden Ansätzen zu arbeiten. Das lässt sich nicht nur auf die Automobilebranche beziehen. Aber vor allem dieser Bereich, der gerade jetzt eine so große Entwicklung durchmacht, kann hier perfekt bedient werden.
Wird Aachen eines Tages das neue Wolfsburg oder Ingolstadt sein?
Wir sehen uns nicht als Volkswagen-Konzern und es wäre vermessen, Aachen mit Wolfsburg oder Ingolstadt zu vergleichen – zumindest was die Industrie anbelangt. Allerdings haben wir in den letzten Jahren in Aachen im Netzwerk mehr als 2.000 neue Jobs im Bereich der Elektromobilität geschaffen. Mit unserem Partner RWTH Aachen University und Initiativen wie beispielsweise dem Elektromobilitätslabor (eLAB) oder dem „Center for Ageing, Reliability and Lifetime Prediction of Electrochemical and Power Electronic Systems“ (CARL) arbeiten wir heute schon an Innovationen der Zukunft und bilden gleichzeitig unseren Nachwuchs praxisnah aus. Die hochqualifizierten Stellen zeigen die nachhaltige Entwicklung.
Zum Schluss noch der Blick in die Glaskugel: Wo steht StreetScooter im Jahr 2027?
Wir halten es für möglich, dass wir eines Tages die Produktion auf 100.000 Fahrzeuge pro Jahr ausbauen können. Die Nachfrage externer Kunden, an die wir ja seit einiger Zeit jenseits der Post auch verkaufen, steigt. Die Marktführerschaft im Bereich der leichten Elektro-Nutzfahrzeuge wollen wir halten und ausbauen. Das ist schon unser Anspruch.
Herr Prof. Kampker, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Weiterführender Links:
>> Open-Access-Publikation des Buchs unter www.returnon.engineering
1 Kommentar