Showdown um die E-Quote

Am Mittwoch entscheidet die EU über das Auto der Zukunft. Eine Quote für Elektromobilität wird kommen, direkt oder indirekt. Der VDA lobbyiert für eine wirkungslose Regelung – und manipuliert damit die Jamaika-Sondierungen. Dabei bevorzugt der VW-Konzern eine Quote nach kalifornischem Modell, wie ein internes Papier zeigt, das electrive.net vorliegt. Ein Lagebericht.

Berlin und Brüssel: Der Streit um die zukünftigen CO2-Vorgaben für Autos wird auf zwei Ebenen ausgetragen. Eigentlich ist die Europäische Union zuständig. Am 8. November, also am Mittwoch, soll der Kommissionsbeschluss veröffentlicht werden – der aber ist noch nicht final verhandelt. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) versucht, eine Quote für Elektroautos aufzuweichen. Und das, obwohl der Volkswagen-Konzern für eine verpflichtende Mindestzahl von BEVs (Battery Electric Vehicle) und PHEVs (Plug-In Hybrid Electric Vehicle) lobbyiert. Das belegt ein internes Papier, das electrive.net exklusiv vorliegt. Klar ist nach heutigem Stand: Die Quote kommt. Die Frage ist nicht ob, sondern wie.

Die alte Welt ist die der CO2-Flottenemissionen. 95 Gramm pro Kilometer darf der Durchschnitt eines Herstellers im Jahr 2021 maximal betragen. Kleine Abweichungen nach oben oder unten aufgrund unterschiedlicher mittlerer Leergewichte sind möglich. Der Wert wird im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erhoben. Und weil nur die Tank-to-Wheel-Bilanz zählt, gehen BEVs weiter als Joker mit Null ein. Alles spricht dafür, dass die Hersteller das Ziel von 95 g CO2 / km einhalten werden – falls das nicht geschieht, sind Strafzahlungen fällig.

Für das Jahr 2030 sieht die EU-Kommission eine Modifikation dieses Modells vor: Wahrscheinlich wird keine konkrete Gramm-Zahl, sondern ein prozentuales Reduktionsziel von 25 bis 35 Prozent im Vergleich zu 2021 beschlossen. Grund dafür ist die Umstellung vom NEFZ auf den WLTP (Worldwide harmonized Light vehicles Testing Procedure), der nach Ablauf aller Übergangsfristen spätestens am 1. Januar 2021 für alle Pkw gilt. Der WLTP-Flottengesamtwert zu diesem Datum ist der Ausgangspunkt für die CO2-Senkung in Prozent.

2030: Mehr als 15 Prozent BEV plus zehn Prozent PHEV

Weil die EU-Kommission überzeugt ist, dass der Klimaschutz mit Verbrennungsmotoren nicht gesichert werden kann, soll eine Quote von 15 bis 20 Prozent BEV plus zehn Prozent PHEVs im Jahr 2030 verbindlich eingeführt werden. Für 2025 ist ein verpflichtender Zwischenwert vorgesehen. Hersteller, die diese Mindestwerte positiv überschreiten, erhalten dafür einen Nachlass in der jeweiligen konventionellen Flotte. Details dazu sind noch nicht konkretisiert; möglich ist etwa die Wiedereinführung der Mehrfachanrechnung von BEVs („Supercredits“).

Die bisherige deutsche Bundesregierung hatte den Kommissionsentwurf nicht angezweifelt, und es gibt einen Konsens unter den EU-Kommissaren für Industrie, Verkehr, Klima und Umwelt. Quote und Vorgehen waren so gut wie abgesegnet.

Aufweichungsarbeit des VDA

Transport & Environment (T&E), die Dachorganisation der europäischen Verkehrsumweltverbände, berichtet nun von einer massiven Lobbyarbeit des VDA in Brüssel: Dem mangelnden Rückhalt der Bundesregierung zum Trotz hat VDA-Präsident Matthias Wissmann einen der mächtigsten EU-Beamten angerufen, nämlich Martin Selmayr. Selmayr (CDU) ist Kabinettschef von Jean-Claude Juncker und für sein robustes Vorgehen bekannt – die Funktion als so genannter Sherpa darf nicht falsch verstanden werden. Sie bedeutet Verhandlungsführer; die Sherpas in der EU haben einen sehr großen Einfluss.

Nach Auskunft von T&E will Selmayr im Sinne des VDA sowohl die E-Quote für 2025 als auch jede Sanktion bei Nichterfüllung des Ziels verhindern. Diese Instrumente wären also wirkungslos. Speziell die potenziellen Geldstrafen hatten in der Vergangenheit einen starken Effekt auf die Autohersteller und könnten nun für die Mindestzahl von BEVs und PHEVs fehlen. „Weil dem VDA die Unterstützung der deutschen Bundesregierung fehlt, rennt er zu seinen Freunden in der Kommission, um die zukünftigen CO2-Ziele abzuschwächen“, kritisiert Greg Archer, Direktor des Verkehrsprogramms von T&E. Das, so Archer, sei kurzsichtig und unnötig.

Volkswagen plädiert fürs kalifornische Modell

Unnötig, überflüssig – und zumindest vom Volkswagen-Konzern so nicht gewollt. In Wolfsburg kann man sich, wie das interne Positionspapier zeigt, eine E-Quote nicht nur vorstellen. Volkswagen will die Gelegenheit nutzen, diese auch zu gestalten, damit zu kontrollieren und zwar als direkte Kopie nach dem Prinzip von Kalifornien: Beginnend mit dem Jahr 2023 steigt die Quote nach diesem Vorbild von 17 Prozent mit einer jährlichen Steigerung von 2,5 Prozentpunkten auf 34,5 Prozent im Jahr 2030 an.

Das kalifornische Modell, das in ähnlicher Form von China übernommen wird, versteht die Quote jedoch nicht als absolute Zahl. Die Fahrzeuge werden aufgrund eines Schlüssels gewichtet, wie electrive.net in einem Beitrag vom 5. Dezember erklärt hat: Volkswagen schlägt einen direkten Zusammenhang zwischen Batterie-elektrischer Reichweite und Anrechnungsfaktor vor. Ein Volkswagen I.D. mit einer NEFZ-Reichweite von 500 Kilometern würde 3,6-fach einfließen, ein aktueller e-Golf 2,5-fach. Kalifornien sieht zurzeit eine maximal 4-fache Anrechnung vor (ab 2018: höchstens 3-fach).

So stellt sich der Volkswagen-Konzern ab 2023 eine EU-Quote für Elektroautos vor. Visualisierung: electrive.net

Der Vorschlag von Volkswagen ist also keineswegs radikal – bereits eine BEV-Quote von zehn Prozent multipliziert mit einer 3,6-fachen Anrechnung würde nach dem kalifornischen Modell 36 Prozent entsprechen. Das selbst formulierte Ziel von 34,5 Prozent für 2030 wäre problemlos erreichbar, und das, obwohl Volkswagen öffentlich für 2025 schon eine absolute Quote von 25 Prozent BEV verspricht.

Dies ist ein typisches Beispiel für das Verhandlungspokern in Brüssel.

Wen schützt der VDA?

Das Vorgehen des VDA dagegen wirkt widersprüchlich und kann spekulativ nur durch zwei Ursachen erklärt werden: Zum einen könnte durch ein aufgeweichtes EU-Ziel Einfluss auf die Jamaika-Sondierungen genommen werden. Für Union und FDP ist es leicht, sich auf eine EU-Vorgabe zu berufen, egal ob sie streng oder lasch ist. Schwierig wird es, auf nationaler Ebene im Alleingang härtere Vorschriften als in der EU durchzusetzen – insofern wäre eine abgeschwächte EU-Quote für die Beharrungskräfte ein Gewinn. Mutmaßlich ist das Warten auf den 8. November der Grund für das auffällige Verschleppen der Sondierungsgespräche im Verkehrssektor.

Der zweite Grund für die Intervention des VDA könnte ein Konflikt innerhalb der deutschen Autoindustrie sein. Schließlich vertritt der Verband alle Marken und nicht nur Volkswagen. Während Volkswagen inklusive Audi und Porsche inzwischen eine konsequente Linie verfolgt, sieht es bei Daimler nicht gut aus: Mit Ausnahme des Smart electric drive gibt es aktuell kein einziges BEV zu kaufen, und selbst bei dem ist der 22 kW-Lader bis heute nicht lieferbar. Die Realität der Daimler AG steht im diametral umgekehrten Verhältnis zum technologischen Potenzial.

Schützt VDA-Präsident Wissmann vielleicht auch BMW, wo man zwar einen erfolgreichen i-Weg beschreitet, aber weiterhin höchst abhängig vom Dieselmotor ist? Oder handelt er aus einem Lobbyreflex heraus immer in Richtung einer Minimallösung?

Matthias Wissmann (CDU), als ehemaliger Bundesverkehrsminister ein Vorgänger von Alexander Dobrindt, steht ohnehin in der Kritik. Längst wird Bernhard Mattes, früher Chef von Ford Deutschland, als Nachfolger gehandelt. Die Uhr von Wissmann könnte nach über zehn (aus Verbandsperspektive erfolgreichen) Jahren im Amt schlicht abgelaufen sein. Womöglich ist der Kampf gegen die Quote sein letzter.

ICCT: 40 Gramm CO2 pro Kilometer für 2030

Zurück zur E-Quote. Diese sollte nach Ansicht von Peter Mock, Europa-Geschäftsführer des International Council on Clean Transportation (ICCT), deutlich höher ausfallen als alle Player aus der Industrie sich das vorstellen. Wenn man die Klimaschutzziele der EU als Basis nimmt, müsste im alten NEFZ-Rechenmodell der CO2-Ausstoß pro Kilometer von 95 Gramm (2021) auf 40 Gramm (2030) fallen.

Dieser Wert könnte erreicht werden, wenn die weiterhin mit fossilen Kraftstoffen betriebenen Autos ihren CO-Wert moderat auf durchschnittlich 83 g CO2 / km (NEFZ) senken. Gleichzeitig müsste der Anteil der Autos mit Ladestecker bis 2030 auf 56 Prozent steigen, wobei der ICCT annimmt, dass die Pkw bis mindestens zur Golf-Klasse BEVs sind und in den schwergewichtigen Segmenten PHEVs. Mehrkosten pro Auto: 1.250 Euro.

Zusammenfassung der Zusatzkosten, einschließlich indirekter Kosten, aber ohne Steuern. Durchschnittliche Emissionen von Pkw in der EU bis 2025/2030 bei einer Least-Cost-Strategie mit einem früheren Übergang zu Elektrofahrzeugen. Quelle: ICCT-Report von Oktober 2017, Download als PDF hier.

Entscheidend für den Ausgang der EU-Verhandlungen ist nicht, ob die Quote kommt, denn sie kommt sicher. Wichtig ist das Kleingedruckte. Wenn die EU keine Sanktionen bei Nichterfüllung eines Zero-Emission-Mandats beschließt, sich der VDA unter Wissmann also durchsetzt, ist das scheinbar günstig für den unbeweglichen Teil der Industrie. Die Strafe aber könnte dann der Kunde verhängen: Er wird sich immer mehr von Produkten abwenden, welche die Lebensgrundlage der Menschheit gefährden.

4 Kommentare

zu „Showdown um die E-Quote“
Thomas Wagner
06.11.2017 um 09:05
Ein trauriges Schauspiel ist es, was unsere Auto-Lobbyisten hier abliefern. Man kann dabei nur zum Schluss kommen, dass sie den Ernst der Lage wirklich noch nicht verstanden haben !
Martin Leitner
06.11.2017 um 10:59
Das E-Auto wird den Verbrenner innerhalb des kommenden Jahrzehnts komplett verdrängen - mit und ohne Quote. Autobauer, die das noch nicht begriffen haben, werden untergehen oder mit massiver Staatshilfe gerettet werden. Für letzteres müsste man u.a. den Hr. Wissmann persönlich haftbar machen. Der Artikel hat übrigens einen sehr gelungenen Schlußsatz.
josef
06.11.2017 um 11:21
Alle folgen der emissionen versteuern. Und schon steuert man aufs beste gesamtsystem zu. Daher der name "steuern"

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