Neuer eVito: Mercedes bläst zur StreetScooter-Abwehr
Mercedes hat heute in Berlin den neuen eVito vorgestellt. Mit einer 41,4 kWh großen Batterie für 100 km gesicherte Winter-Reichweite und einem Einstiegspreis von 39.990 Euro zielt der E-Transporter klar auf die KEP-Dienste ab. Und das hat einen gelben Grund.
Mercedes-Benz Vans, die Daimler-Sparte für leichte Nutzfahrzeuge, erlebt gerade ihren Tesla-Moment. Wo Journalisten im Auto-Segment die Mercedes-Manager mit Fragen zur Konkurrenz aus Kalifornien löchern, sind es im Transporter-Bereich die Fragen zum eNutzfahrzeug-Star aus Aachen bzw. Bonn. Keine Frage: Die Deutsche Post schwimmt mit ihrem StreetScooter gerade auf einer medialen Erfolgswelle, aufgewirbelt auch von drohenden Diesel-Fahrverboten in deutschen Innenstädten. In dieser Stimmungslage hat Mercedes-Benz Vans heute in Berlin den neuen eVito vorgestellt – und die versammelten Journalisten auch in die seriennahen Prototypen gelassen. So viel vorweg: Das Produkt, auch wenn es nur ein Umbau der aktuellen Vito-Generation ist, wirkt ausgereift und alltagstauglich.
Zuschnitt auf die KEP-Branche
Aufgeschreckt vom Erfolg des StreetScooter haben die Entwickler den neuen eVito zunächst voll auf die sogenannte KEP-Branche (Kurier, Express, Paket) ausgelegt. Sie spendieren dem kleinen Transporter eine 41,4 kWh große und aktiv gekühlte Batterie, die aus drei Plug-in-Hybrid-Modulen aus dem Pkw-Baukasten der Accumotive in Kamenz besteht. Das reicht auf dem Papier für 150 Kilometer Reichweite nach WLTP) Bei voller Beladung und schlechtem Wetter sprechen die Mercedes-Ingenieure von 100 gesicherten Kilometern mit dem nutzbaren Teil des Speichers (etwa 38 kWh). Und diese Größenordnung kommt nicht von ungefähr: Analysen bei Kunden hätten diesen Wert als durchschnittliche tägliche Reichweite ergeben. Und bei den KEP-Kunden von Daimler sind die 100 Kilometer sogar das Tagesmaximum. Das Produkt orientiert sich also am Nutzen. Diese Vorgehensweise (neudeutsch Customer Co-Creation) hat sich Daimler bei der Post abgeschaut, die den StreetScooter auf die Bedürfnisse der Verbundzustellung von Briefen und Paketen ausgelegt hat.
In der Praxis können Daimler-Kunden dem eVito künftig 1.073 Kilo Zuladung zumuten. Das Fahrzeug selbst bringt dann ein zulässiges Gesamtgewicht von 3,2 Tonnen auf die Waage. Das Ladevolumen beziffert Mercedes mit 6,6 Kubikmetern. Eine 84 kW starke E-Maschine sorgt für ausreichende bis dynamische Beschleunigung. Auf dem Testgelände des ADAC in Berlin konnten wir mit einem seriennahen Prototypen ein paar Proberunden drehen. Dabei wurde deutlich: Auf einen flotten Ampelstart sollte man es mit dem eVito nicht ankommen lassen. Die Beschleunigung ist – ganz im Sinne der Nutzung – sanft abgestimmt. Dass es auch anders geht, zeigte jedoch eine Version zum Personentransport (Vito Tourer), die Mercedes ebenfalls mitgebracht hatte. Dort war das Drehmoment von bis zu 300 Newtonmetern deutlicher zu spüren. Kein Wunder: Die Referenz hierfür war der stärkste Diesel-Vito. Über diese Version spricht Mercedes gerade mit Shuttle- und Taxi-Betreibern.
Bei der Maximal-Geschwindigkeit können die Kunden zwischen 80 km/h, was für die Belieferung in der City selbst mit Stadtautobahn-Passagen ausreichen sollte, und 120 km/h entscheiden. Keine Auswahl gibt’s dagegen beim Ladegerät: Mit 7,2 kW zieht der Onboard-Lader den Energie-Nachschub auf zwei Phasen aus dem Netz. Da die KEP-Branche ihre Flotten in der Regel über Nacht ohnehin wegparkt, reicht das aus. Eine Option auf mehr, gar schnelles DC-Laden per CCS, gibt es nicht. Zumindest vorerst. „Wenn es Kunden gibt, die DC wollen, werden wir das anbieten können“, sagte Benjamin Kähler, Leiter eDrive@Vans bei Mercedes, im Gespräch mit unserem Branchendienst. Beim ebenfalls in Kürze startenden eSprinter werde die DC-Ladefähigkeit dagegen schon vom Start weg verfügbar sein, versprach Kähler.
Elektro-Abteilung mit Zugang zum Kunden
Seiner Abteilung kommt bei der Elektrifizierung des Portfolios – nach Vito und Sprinter soll auch der kleine Citan als BEV auf die Straße rollen – eine besondere Rolle zu: Mit einem Team von 50 Leuten entwickelt Benjamin Kaehler nicht nur die Elektro-Modelle, sondern ein ganzes EV-Ökosystem. Und bringt es auch den Käufern näher. Den fünf Entwicklerteams ist eine Kunden-Schnittstelle zugeordnet. Ein Novum in der Daimler-Welt. Damit will Mercedes-Benz Vans offenbar sicherstellen, dass neue Themen wie die Beratung zur richtigen Ladeinfrastruktur (bei Bedarf plus Lastmanagement) und BEV-spezifische Digital-Dienste sinnvoll mit vermarket werden. Außerdem will man offenbar verhindern, dass Verkäufer mit Benzin im Blut den Elektro-Vertrieb stören.
Damit kommen wir zum Preis: Der sticht mit 39.990 Euro netto in Deutschland (vor Abzug des Umweltbonus) den vergleichbaren StreetScooter Work L Box (ab 42.950 Euro netto) derzeit aus. Die ersten 1.000 Besteller (ab sofort hier) bekommen noch ein Servicepaket inklusive Wallbox obendrauf. „Es reicht nicht, einen elektrischen Transporter auf den Markt zu werfen“, sagte Volker Mornhinweg, Chef der Sparte Mercedes-Benz Vans, bei der Präsentation in Berlin. Und sein Nachsatz geht quasi als Eilsendung nach Bonn und Aachen: „Nicht die erste Lösung gewinnt, sondern die beste.“
Benjamin Kähler ließ ebenfalls keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Elektro-Pläne aufkommen: „Ich erwarte schon, dass uns die Kunden die Tür einrennen werden.“ Und auf einen solchen Ansturm, etwa im Falle von Diesel-Fahrverboten nach der Gerichtsentscheidung im Februar, sei man vorbereitet: Das Mercedes-Werk Vitoria im spanischen Baskenland, immerhin das älteste Werk für Vans in Europa, könne bei Bedarf Stückzahlen im sechsstelligen Bereich liefern. Ab der zweiten Jahreshälfte 2018 – so lange dauert es noch, bis die Auslieferungen des eVito starten – gibt es also eine neue Situation in Deutschland: Wettbewerb bei elektrischen Nutzfahrzeugen. Das ist gut für die Elektromobilität. Und für die Luft in den Städten.
Einen ersten Großkunden für den eVito hat Daimler auch schon sicher: Hermes und Mercedes-Benz starten Anfang 2018 ihre im Frühjahr vereinbarte Zusammenarbeit mit einer Pilotphase in Hamburg und Stuttgart. Danach wird der Einsatz der E-Flotte, die in der Paketzustellung eingesetzt wird und bis zum Jahr 2020 insgesamt 1.500 elektrische Vito und Sprinter umfassen soll, auf weitere Ballungszentren ausgeweitet. Auf die gelbe Herausforderung folgt also eine blaue Antwort.
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