Auswertung der These: Elektro-Carsharing in Ballungsräumen
Traue keinem über 30? Für das Carsharing gilt dieses Motto anscheinend nicht. Zu seinem 30. Geburtstag in diesem Jahr setzen mehr Menschen auf geteilte Mobilität als je zuvor – mit exponentiellen Zuwachsraten. Allein in Deutschland gibt es über zwei Millionen Carsharing-Kunden, wobei drei Viertel davon Free-Floating-Angebote nutzen.
** Sie können sich die Auswertung der These hier auch als PDF herunterladen. **
Das geht aus einem Thesenpapier zu Status und Zukunft des Carsharings hervor, dass die BMW-Tochter DriveNow im April auf Basis von Zahlen des Bundesverbandes CarSharing veröffentlichte, kurz nachdem die Daimler-Tochter Car2go in einem vergleichbaren Papier geschrieben hatte: „Vollelektrisch betriebene Carsharing-Flotten verstärken die ohnehin positiven Effekte des Carsharings“.
Wenige Tage zuvor, am 28. März 2018, hatten Daimler und BMW mitgeteilt, dass sie eine Fusion ihrer Carsharing-Unternehmen anstreben, „um ein einzigartiges, nachhaltiges Ökosystem für urbane Mobilität zu entwickeln“, wie Daimler-Chef Zetsche formulierte. Beispielhaft dafür steht die strategische Partnerschaft, die DriveNow mit Hamburg eingegangen ist, wo es 2019 eine nahezu vollelektrische BMWi3-Flotte anbieten will, sofern die Hansestadt die Ladeinfrastruktur ausreichend ausbaut. Ein anderes Modell geteilter Mobilität wird die VW-Tochter MOIA bald ebenfalls in Hamburg in Kooperation mit der Hochbahn erproben: 200 vollelektrische Minibusse mit jeweils sechs Sitzen, die individuell per App angefordert werden können.
Elektroautos alleine machen aber noch keine Verkehrswende. Um die Probleme des immer dichteren Straßenverkehrs zu lösen, bedarf es insbesondere in den Ballungsräumen vernetzter und intermodaler Mobilitätskonzepte, die den Menschen den Abschied vom motorisierten Individualverkehr erleichtern. Von dieser Überlegung ausgehend, präsentierten wir passend zum 30. Geburtstag des Carsharings in Deutschland unsere aktuelle These des Monats:
„In Ballungsräumen sollte Elektro-Carsharing als integraler Bestandteil des öffentlichen Nahverkehrs in öffentlich-privater Partnerschaft ausgebaut werden.“
Eine sehr große Mehrheit der 123 Teilnehmer stimmte ihr vorbehaltlos (84) oder mit Vorbehalten (21) zu. Eindeutig (7) oder mit Einschränkungen (8) sprach sich eine kleine Minderheit gegen die These aus, während sich drei Diskussionsbeteiligte neutral äußerten.
Zeichnet man die Diskussion der These inhaltlich nach, so finden sich darin die folgenden Ansichten und Vorschläge. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider.
Vorteile des E-Carsharings
Viele Befürworter der These begründen ihre Bewertung ausschließlich mit dem Hinweis auf den Nutzen und die Vorteile des E-Carsharings. „Elektro-Antriebe und Carsharing passen gut zusammen, logisch und stimmig, das trägt zur Luftverbesserung in Städten auf jeden Fall stark bei“, ist eine diesbezüglich typische Aussage. Jedes Carsharing-Fahrzeug ersetze, so wird auch allgemein und antriebsunabhängig argumentiert, zahlreiche Privatfahrzeuge, vermindere den Straßenverkehr, reduziere den Parkraum und schaffe dadurch mehr Platz für soziale Treffpunkte.
Jenseits seiner Emissionsfreiheit wird als besonderer Pluspunkt des E-Carsharings vermerkt, dass es vielen Menschen den „Erstkontakt mit der Elektromobilität“ ermögliche und sie gewissermaßen „spielend“ an die neue Technik heranführe. Und warum solle man das E-Carsharing nicht auch im nachbarschaftlichen Umfeld ausdehnen, meint ein Kommentator: „Bei meinem Elektro-Smart funktioniert das Car-Sharing mit meiner Frau ganz gut. Weshalb nicht auch mit einem Dritten (oder Vierten), d.h. mit Leuten, die einem etwas bekannt sind. Wenn dieses Prinzip ein wenig gefördert würde, könnte es schnell um sich greifen“. Demgegenüber steht die Contra-Position: „Ich denke, jeder will lieber ein eigenes Auto besitzen“. Dem pflichtet ein anderer bei, der schreibt, bisher habe sich Carsharing nicht durchgesetzt: „Warum sollte sich mit einem alternativen Antrieb etwas daran ändern?
Lückenschluss auf der letzten Meile
Als Ergänzung zum ÖPNV, so wird mehrfach betont, „wäre E-Fahrzeug-Sharing der perfekte lokal emissionsfreie Lückenschluss für die Stadt“. Besonders für „die Bewältigung der ersten und der letzten Meile“ sei eine enge Verknüpfung des ÖPNV mit E-Carsharing zu empfehlen. Nicht nur Pkw sollten dabei allerdings als Sharingfahrzeuge zum Einsatz kommen, sondern auch Fahrräder, Elektroroller, Kombis und kleine Lieferwagen. Gleichzeitig müsse der ÖPNV ausgebaut, vergünstigt und ebenfalls komplett elektrifiziert werden, vor allem im Busverkehr. Der Paradigmenwechsel weg vom fossilen privaten Pkw-Gebrauch“ verlange überdies nach „mehr Eigenbewegung“ zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Ein Gegner der These merkt jedoch an, der ÖPNV müsse es schaffen, „so leistungsfähig zu sein, dass Carsharing unnötig wird“.
Generell, meint dagegen ein Befürworter, wäre eine Erweiterung des ÖPNV-Begriffes sinnvoll, „um individuelle und gleichzeitig gemeinwohlorientierte Mobilität zu garantieren“ und schlägt einen dementsprechenden „Modellversuch in einem Ballungsraum“ vor. Von einem Kommentator kommt der Hinweis, dass im niederländischen Enschede ähnliches bereits erprobt würde. Ein skeptischer Befürworter weist allerdings darauf hin, dass ÖPNV und Carsharing auch in Zukunft nicht alles ersetzen könnten, was private Fahrzeuge heute an Mobilität gewährleisteten.
Fünf Gründe für die Integration
Gleich fünf Gründe, warum sich E-Carsharing einfach und kostengünstig mit dem ÖPNV verknüpfen lasse, führt ein anderer Diskussionsteilnehmer ins Feld: „Eine Kommune kann ihr ÖPNV-Angebot erweitern a. ohne Personalaufbau b. ohne Führer-Personenbeförderungsschein c. mit wartungsarmen Fahrzeugen in passender Größe d. zur Abdeckung entlegener, dünn besiedelter Gebiete e. zur Vernetzung der Mobilitätsangebote insgesamt im Interesse der Kunden.“ Dagegen heißt es in einem Eher-Contra-Kommentar, Carsharing kannibalisiere derzeit den ÖPNV, „da die Geschäftsgebiete nur in Bereichen erfolgen, in denen auch der ÖPNV gut funktioniert. Warum sollten die Verkehrsunternehmen sich also selbst Konkurrenz machen?“
Unter denjenigen Diskussionsteilnehmern, die der These nicht uneingeschränkt zustimmen, betonen mehrere, dass sich ÖPNV-Carsharing-Verbünde keinesfalls auf Ballungsräume beschränken dürften. In suburbanen und ländlichen Räumen würden sie viel stärker benötigt. Nur dort seien öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) sinnvoll, denn in urbanen Zentren könnten sich Carsharingangebote auch selbst tragen.
Skepsis gegenüber ÖPP-Modellen
ÖPP stoßen bei manchen Diskutanten auf wenig Gegenliebe. Zwar sei er voll dafür, den Ausbau des E-Carsharings und dessen Integration in den ÖPNV öffentlich zu fördern, meint ein Pro-Kommentator. „Wo ich nicht zustimmen kann, ist die sogenannte öffentlich-private Partnerschaft, die letztlich meist zu Lasten der Bevölkerung und zur Bereicherung des privaten Teils geht.“ ÖPP seien wettbewerbsfeindlich, heißt es anderswo, und ein Eher-Contra-Kommentar fragt, ob es nicht sein könnte, „dass die ÖPP-Forderung in der These nur die mangelnde Wirtschaftlichkeit privater free-floating Carsharing-Dienste bemäntelt? Sodass der Zugriff auf ÖPNV-Subventionen die Erreichung der Gewinnzone ermöglicht? Wobei die Gewinne dann privatisiert werden?“ Integrierte Mobilitätskonzepte sollten besser als marktwirtschaftliches Angebot realisiert werden. Im Rahmen seiner Verantwortung für die Verkehrsinfrastruktur als Teil der Daseinsfürsorge müsse der Staat dabei in transparenten Verfahren die Vergabehoheit haben.
Zweifel am Free-Floating
Nur ein Beteiligter dieser Diskussion spricht sich explizit für den Ausbau von Free-Floating-Angeboten aus. Von anderen werden diese als ökologisch zweifelhaft eingestuft. Sie blockierten einerseits „stundenlang öffentliche Ladesäulen“, wird beklagt. Andererseits sei es „offensichtlich, dass die Freefloater zu einer Zunahme des Verkehrs führen, also als Carsharingkonzept widersinnig sind. Daran ändert auch der E-Antrieb nichts.“ Größere Wertschätzung genießt das Carsharing mit festen Stationen mit entsprechender Ladeinfrastruktur (LIS), am besten so, „dass die nächste Station nicht weiter entfernt ist als etwa die nächste Bushaltestelle (ca. 500m)“. Ein Contra-Kommentator gibt allerdings zu bedenken: „1. Die Ballungsräume sind viel zu groß, um dort Flex-Carsharing wirtschaftlich betreiben zu können. 2. Stationäres Elektro-Carsharing ist wegen der notwendigen LIS noch teurer. Es würde nur mit erheblichen Subventionen funktionieren, die weit über die heutigen Zuschüsse pro Fahrt beim ÖPNV hinausgehen.“
Ridesharing statt Carsharing?
Der interessante Aspekt dieser Diskussion beleuchtet die Frage, ob man angesichts des drohenden Verkehrsinfarkts der Ballungsräume mit Hilfe der kombinierten Möglichkeiten von Elektromobilität, Konnektivität und autonomem Fahren nicht besser gleich „die Ursache des Problems anpacken“, also „die Fahrzeuge mit Passagieren auffüllen“ solle. Gehört die Zukunft also eigentlich dem Ridesharing statt dem Carsharing? Diese Frage wird quer durch alle Bewertungen der These thematisiert. Aufschlussreich sind in dieser Hinsicht zwei neutrale Kommentare. „Carsharing wird nur in überschaubarem Maße zunehmen. Viel mehr Zukunft haben P&R-Parkplätze, von denen kleine, autonom fahrende Pendelbusse in hoher Taktzahl abgehen“, heißt es in einem; „was wir wirklich brauchen ist ‚Mobility on demand‘. Autonome Taxis, jederzeit und halbwegs flächendeckend verfügbar, günstig und durch ridesharing optimal ausgelastet“ in dem anderen. Weniger statt mehr Verkehr werde auf Dauer nur durch „Roboterautos und Ridesharing“ entstehen, bringt es ein Contra-Kommentator auf den Punkt. Und ein Befürworter der These prophezeit mit Blick auf die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien gar das Ende des ÖPNV, wie wir ihn kennen: „Autonome Elektromobilität wird den ÖPNV in weiten Teilen nicht nur ergänzen, sondern komplett ersetzen. ÖPNV ist in meinen Augen ein aktuell notwendiger Kompromiss, dessen Anforderungen aber durch autonome Elektromobile viel besser abgedeckt werden können.“
Fazit
Der Ausbau und die möglichst breite Einführung des E-Carsharings wird von der überwiegenden Zahl der Diskussionsbeteiligten für notwendig befunden. Seine Integration in den ÖPNV erscheint dabei unerlässlich. Strittig ist, ob öffentlich-private Partnerschaften dafür das geeignete Mittel sind. Auch fragt sich, ob Carsharing nicht nur eine Übergangslösung darstellt. Denn für eine nachhaltige Verkehrswende wäre Ridesharing mit möglichst voll besetzten Elektrofahrzeugen erforderlich. Dank der enorm schnell fortschreitenden Entwicklung des autonomen Fahrens könnte es bereits in absehbarer Zukunft Wirklichkeit werden und dabei auch die Organisation des ÖPNV grundlegend verändern.
** Sie können sich die Auswertung der These hier auch als PDF herunterladen. **
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