Till Oberwörder: „Wir erwischen einen guten Zeitpunkt.“

Erst seit April ist Till Oberwörder neuer Chef der Daimler-Bussparte. Mit dem Mercedes Benz eCitaro hat er diese Woche nun ein vermutlich wegweisendes Produkt präsentiert – den ersten rein elektrischen Serien-Stadtbus von Daimler. Wir haben mit Oberwörder über den Start ins Elektro-Zeitalter, die verschiedenen Batterie-Technologien und die Herausforderungen der Städte gesprochen.

Mercedes hat weit vor der IAA Nutzfahrzeuge das Tuch von seinem ersten rein elektrischen Stadtbus gezogen, der im Herbst in Produktion geht. (alle Details zur Weltpremiere hier) In Mainz wurden die nächsten Schritte gleich mit skizziert: Eine Feststoff-Batterie soll schon 2020 und die Brennstoffzelle als Range Extender 2022 kommen. Und eine klare Ansage gab’s obendrauf: Daimler will Weltmarktführer für elektrische Busse und Lkw werden. Die Adressaten dieser Botschaft sitzen in China und Kalifornien. Nach der Präsentation des eCitaro konnte electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz mit Till Oberwörder sprechen. Dabei wurden auch Fragen der Abonnenten des electrive.net-Newsletters einbezogen, die nach einem Aufruf am Tag der Präsentation zahlreich eingegangen sind.

* * *

Herr Oberwörder, aus den Kommunen höre ich seit Jahren, dass es keine elektrischen Stadtbusse aus deutscher Produktion zu kaufen gibt. Warum sind Sie mit dem eCitaro so spät dran?

Bei uns gilt: Zuverlässigkeit vor Schnelligkeit. Wir haben mit dem eCitaro ein Produkt, das in den letzten Jahren durch die gleichen Testzyklen gelaufen ist, wie wir es von einem klassischen Citaro auch kennen. Wir haben Winter- und Sommererprobungen mit den entsprechenden Temperaturschwankungen in der gleichen Form durchgeführt wie beim klassischen Fahrzeug. Das ist aus unserer Sicht wichtig gewesen, um die Erwartungen der Kunden genau zu treffen. Es geht auch darum, das Thermomanagement tatsächlich zu verstehen, das Fahrzeug im Detail zu durchdenken und aus diesen Erfahrungen heraus auf die städtischen Rahmenbedingungen abzustellen. Das war der wichtigste Teil. Der zweite Teil ist, dass die Erfahrungen, die wir über die Zeit gemacht haben, ein wichtiger Beitrag gewesen sind, um in eine beratende Tätigkeit einzusteigen. Wir nennen das eMobility Consulting. Bei dieser Beratung setzen wir uns mit den Kunden gemeinsam hin und legen fest, welche die jeweils beste Lösung ist. Hier schauen wir uns neben dem reinen Fahrzeug durchaus auch andere Aspekte an, wie die Taktung der Betriebe, die entsprechenden Streckenführungen, die Topografie, all die Dinge, die auf den Betrieb Einfluss haben. Da sehen wir Bus und Infrastruktur im Kontext.

Europäische Wettbewerber aus den Niederladen, Polen oder Schweden haben Elektrobusse trotzdem schon längst im Programm. Von den Chinesen ganz zu schweigen. Drohen Sie Marktanteile zu verlieren?

Der politische Wille, den wir unter anderem in Deutschland sehen, ist jetzt deutlich geschärfter. Das wirkt natürlich unterstützend. Insofern gehen wir aus unserer Sicht genau zum richtigen Zeitpunkt mit dem eCitaro und den entsprechenden Dienstleistungskonzepten in den Markt. Wir passen insofern sehr gut in die Zeitleiste der Städte hinein, als dass die Städte heute annoncieren, was sie im Jahr 2020 ausschreiben möchten und dass sie dann beispielsweise rein elektrisch ausschreiben wollen. Deswegen glauben wir, dass wir einen guten Zeitpunkt erwischt haben.

Hat Daimler Buses die Dynamik der Elektromobilität vielleicht auch ein Stück weit unterschätzt? Der Druck auf die Kommunen ist ja vor allem auch durch den Dieselskandal bei den Pkw entstanden.

Wir haben seit Jahrzehnten Erfahrung gesammelt und auch aus früheren elektrifizierten Prototypen wichtige Erkenntnisse gewonnen. Das Know-how ist da und das übersetzen wir jetzt in einen wirklich alltagstauglichen elektrifizierten Bus, der seine Aufgabe beim ÖPNV erfüllt. Das darf man nicht vergessen: Das Fahrzeug hat eine Aufgabe. Es geht nicht darum, dass es nur elektrisch ist, sondern es muss auch tatsächlich den Auftrag des ÖPNV erfüllen können. Da sind wir sehr gut beraten gewesen, mit sehr viel Akribie einen Reifegrad zu erreichen, der aus unserer Sicht sehr überzeugend ist.

Ich habe unsere Leser gebeten, mir ein paar Fragen an Sie zu schicken. Die häufigste war: Wird Daimler den eCitaro auch in signifikanter Stückzahl liefern können?

Ich freue mich, Ihren Lesern die Antwort geben zu können, dass – wie immer – die Nachfrage die Volumenentwicklung bestimmt. Dadurch, dass der eCitaro ein Fahrzeug ist, das in Serie produziert wird und ganz normal in Produktionsprozessen mitverankert ist, können und werden wir entsprechend der Nachfrage eine gute Anzahl der entsprechenden Ausschreibungen gewinnen und die Volumen dann auch produzieren.

Können Sie konkreter werden: Wie viele Fahrzeuge können Sie bis Ende 2020 unter idealen Bedingungen schaffen?

Ich möchte zu Volumen keine Prognose abgeben. Aber was man sieht, ist, dass die Anzahl der Ausschreibungen steigt und mit dieser Entwicklung auch die Volumen in den Ausschreibungen transparent sind. Ich glaube, das kann eine gute Indikation geben.

Was ist der limitierende Faktor bei der Produktion? Ich tippe auf die Batterie.

Es gibt immer Aspekte, die man bei Produktionen berücksichtigen muss, aber wir haben kein spezifisches Thema, das wir in irgendeiner Form bei einem eCitaro anders zu sehen hätten als beim klassischen Citaro. Sie machen gemeinsam mit ihren Partnern entsprechende Jahresplanungen und auf der Basis wird dann entsprechend zugeliefert und geplant.

Sie haben heute neben der klassischen Lithium-Ionen-Batterie auf NMC-Basis auch einen zweiten Technologiepfad eröffnet – die Festkörperzelle. Warum fahren Sie zweigleisig?

Wichtig ist für uns, was unsere Kunden mittelfristig erwarten. Der Wandel in die elektrifizierte ÖPNV-Welt ist auch für unsere Kunden aufwendig. Insofern ist eine gewisse Planungssicherheit notwendig, denn schrittweise werden immer mehr elektrifizierte Fahrzeuge im jeweiligen Fuhrpark sein. Indem wir uns bei der Batterietechnologie klar positionieren, können wir auch auf die städtischen Bedürfnisse besser reagieren.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn Sie über eine Lithium-Polymer-Batterie sprechen, dann reden wir über einen durchschnittlichen Zeitraum von ungefähr zehn Jahren Nutzung. Abhängig von den entsprechenden Rahmenbedingungen kann das die Total Cost of Ownership der jeweiligen Stadt senken. Dafür benötigt man eventuell aber eine andere Ladetechnik als bei einer NMC-Batterie. Im Gegenzug kann bei einer NMC-Batterie über einen Produktlebenszyklus von zehn Jahren gegebenenfalls ein Batterietausch erforderlich sein. So muss man individuell pro Stadt schauen, wie diese Batterietechnologien entsprechend Anwendung finden. Da schaffen wir Optionen.

Wagen Sie eine Prognose der Produktionsanteile zwischen den beiden Technologien?

Das lässt sich heute noch nicht vorhersagen. Da muss man einfach schauen, wie sich der Markt entwickelt.

Für welche Städte eignet sich welche Technologie besser?

Die Städte müssen grundsätzlich entscheiden, welche Ladeinfrastruktur sie favorisieren. Geht es eher in Richtung Schnellladefähigkeit, dann nimmt man NMC. Ist Langlebigkeit mit anderen Infrastrukturbedingungen gewünscht, ist es aus heutiger Sicht eher LMP. Sie wissen selbst, wie schnell sich die Batterietechnologien entwickeln. Aber aus heutiger Sicht wäre das der grundsätzliche Pfad.

2022 kommt dann noch die Brennstoffzelle als Range Extender als Option hinzu. Warum setzen Sie a) nicht früher darauf und warum b) nur als Range Extender? Immerhin sind Millionen an Fördergeldern in die Entwicklung der Brennstoffzelle in der Bus-Anwendung geflossen.

Wichtig war uns heute, den Technologiepfad aufzuzeigen. Wir wollen einfach deutlich machen, in welcher Kombinatorik wir denken und wie wir glauben, dass wir schrittweise möglichst viele Strecken elektrisch abdecken können.

Das heißt, ich kann auf einen reinen Brennstoffzellen-Bus von Daimler hoffen?

Wir arbeiten an allen Technologien. Grundsätzlich gilt, alle Technologien müssen am Ende für unsere Kunden auch wirtschaftlich sein.

Das zweite Thema, das unsere Leser umtreibt, ist die Ladeinfrastruktur. Was empfehlen Sie den Kunden?

Auch hier ist ein wichtiger Aspekt der politische Wille, den Ausbau der Infrastruktur zu unterstützen. Wenn ich die Politik richtig verstanden habe, dann ist dieser Wille da. Insofern ist es stark von der jeweiligen Region und der Stadt abhängig, wie die Rahmenbedingungen ausschauen. Darauf reagieren wir dann.

Der eCitaro setzt auf das Laden per Combo-Stecker im Depot. Vor ein paar Jahren war das DC-Opportunity-Charging mit Oberleitungssystemen en vogue. Kürzlich wurde am Amsterdamer Flughafen ein umfassendes Schnellbussystem damit aufgebaut. Wird diese Technologie eine Nischenlösung bleiben?

Wir haben ja neben dem Stecker für das Depot heute schon die Möglichkeit, Opportunity Charging per Pantograph anzubieten. Wo es tatsächlich städtische Voraussetzungen dafür gibt, vielleicht in Verbindung mit bereits existierenden Schienenfahrzeugen, macht das Sinn.

Die eine Lösung für alle Kunden gibt es also nicht?

Nein. One size fits all spiegelt nicht die unterschiedlichen städtischen Rahmenbedingungen wider.

Ändern sich Strukturen bei Ihnen, wenn Sie künftig noch viel stärker in die Beratung gehen müssen?

Die Strukturen haben sich schon angepasst und ergänzt. Wir waren immer schon eine Firma, die nicht nur das Fahrzeug, sondern eben auch die Dienstleistung und ganz konkret auch die Partnerschaft mit den Kunden im Vordergrund sieht. Wir sind keine kurzfristigen Partner. Wir wollen immer langfristige Beziehungen. Das gilt auch für elektrifizierte Busse. Natürlich haben wir uns auch entsprechend aufgestellt. Die Erfahrungen aus unseren eigenen Tests fließen in die intensiven Gespräche mit unseren Kunden ein. So können wir eine fundierte Empfehlung geben. So entstehen für die Städte ideale Lösungen.

Werden Sie die Kunden nur beraten oder perspektivisch die Infrastruktur gleich mit verkaufen und installieren?

Wir beraten. Wir sind kein Unternehmen, das Ladeinfrastruktur verkauft.

Ein Ausblick noch auf den Vertrieb, das ist ja auch Ihr Metier. Was wird der eCitaro kosten oder um welchen Faktor ist er teurer als ein vergleichbarer Dieselbus?

Man munkelt in der Branche, es sei das Zwei- bis Zweieinhalbfache. Ich denke, diese Richtung ist nicht ganz unrealistisch.

Lassen sich die höheren Anfangsinvestitionen nach TCO-Rechnung aufgrund der Einsparungen beim Kraftstoff wieder reinholen?

Über die Zeit ist das realistisch. In der Anfangsphase sind die Kosten sicherlich erst einmal höher. Aber wir gehen heute davon aus, dass sich die Gesamtbetriebskosten in der nächsten Dekade deutlich senken lassen, nicht zuletzt durch die sinkenden Kosten, die wir ja auch in den letzten Jahren schon bei den Batterien erleben konnten. Diese Kosten-Effekte werden weitergehen, relativ zeitnah und zügig.

Aus welchen Märkten rechnen Sie mit der größten Nachfrage nach dem eCitaro?

Ich will mich da nicht einschränken. Heutzutage sehen wir sicherlich in Europa die größte Nachfrage. Aber es gibt auch durchaus Märkte außerhalb Europas, die ähnliche Interessen klar und deutlich formulieren. Wir sind auch heute schon weltweit aufgestellt. Das ändert sich ja nicht, nur weil wir einen eCitaro vermarkten.

Die Chinesen wollen mit ihren Elektrobussen nach Europa. Geht der Daimler mit seinen also nach China?

Grundsätzlich ist Wettbewerb immer gut. Da muss man schauen und darauf reagieren.

Sie haben heute auch einen Minibus auf Sprinter-Basis vorgestellt. Warum hat der als Citybus noch ein Diesel-Aggregat an Bord?

Weil wir Sie demnächst wieder einladen und gegebenenfalls das eine oder andere Überraschungsmoment noch bei uns behalten wollen.

Der Sprinter wird ja gerade elektrifiziert, Ihre Minibusse also absehbar auch?

Sie können bei uns nie etwas ausschließen, aber nageln Sie mich nicht fest.

Wann könnte in Deutschland ein Null-Emissions-Stadtbusverkehr flächendeckend realisiert sein?

Wir glauben, dass die Nachfrage nach elektrifizierten Fahrzeugen wirklich stark zunimmt. Wenn Sie ein Jahr wie 2030 nehmen, kann man durchaus davon ausgehen, dass vielleicht bis zu 70 Prozent der Busse im städtischen Umfeld elektrifiziert sind.

Letzte Frage: Wann wird Daimler Buses den letzten Diesel-Citaro verkaufen?

Wir verkaufen den Diesel-Citaro, Euro VI, genauso weiter, weil es ein extrem gutes, effizientes und sauberes Fahrzeug ist – übrigens auch der Hybrid – mit entsprechend positiver Marktresonanz. Über die Zeit wird sich das entwickeln und zeigen. Es gibt keinen Zeitpunkt, über den wir diskutieren.

Herr Oberwörder, ich bedanke mich für das Gespräch!

3 Kommentare

zu „Till Oberwörder: „Wir erwischen einen guten Zeitpunkt.““
REINHARDT
12.07.2018 um 07:52
"Man munkelt in der Branche, es sei das Zwei- bis Zweieinhalbfache. Ich denke, diese Richtung ist nicht ganz unrealistisch".Ich denke, dass der Wettbewerb und die Technologie- Entwicklung solche Preisunterschiede nicht zulassen werden. Bei den E-Trucks sind die Ankündigungen preislich moderater.
Martin Leitner
12.07.2018 um 09:37
Ich verstehe absolut nicht, was da das zweifache oder gar zweieinhalbfache kosten soll. Der Akku kann es unmöglich sein. Selbst wenn man konservativ mit 250 €/kWh rechnet, wären es "nur" rund 60.000 €. Und der Rest dürfte eigentlich nicht mehr kosten.
Max
12.07.2018 um 10:28
Der Fahrzeugpreis muss natürlich auch die Entwicklung refinanzieren. Niedrige Stückzahlen und hohe Entwicklungskosten -> hohe Kosten je Fahrzeug

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