Auswertung der These: Umweltbonus in Ladesäulen stecken
Die Kaufprämie für E-Fahrzeuge gibt es schon seit zwei Jahren – doch erst ein Bruchteil der Fördersumme wurde bisher verbraucht. Nun schlägt der Bundesrechnungshof vor, nicht abgerufene Mittel für den Ausbau der Ladeinfrastruktur umzuwidmen. Dem schließt sich auch die Mehrheit der Teilnehmer unserer These des Monats an – nach spannender Diskussion.
** Sie können sich die Auswertung der These hier auch als PDF herunterladen. **
Die Nachfrage nach elektrisch betriebenen Pkw deutlich anzukurbeln, um das Eine-Million-Ziel bis 2020 vielleicht doch noch zu erreichen, war die Absicht der Bundesregierung, als sie vor zwei Jahren beschloss, eine offiziell Umweltbonus genannte Kaufprämie für Elektroautos einzuführen. Seitdem erhalten rein batterieelektrische Neuwagen und Brennstoffzellen-Fahrzeuge, die nach dem 18. Mai 2016 gekauft wurden, einen Zuschuss von 4.000, Plug-in-Hybride einen Zuschuss von 3.000 Euro, den je zur Hälfte der Bund und die Hersteller tragen – allerdings nur bis zu einem Netto-Listenpreis von unter 60.000 Euro und einem CO2-Ausstoß von unter 50 Gramm je Kilometer. Insgesamt 600 Millionen Euro an Kaufprämien sollten bis einschließlich 2019 vom damit beauftragten Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ausgezahlt werden – die Bundesregierung zeigte sich bei deren Einführung aber optimistisch, dass die Gelder aus diesem Fördertopf schon früher abgerufen sein würden.
Dieser Optimismus hat sich nicht bewahrheitet, vielleicht auch deshalb, weil es am Angebot entsprechender Fahrzeuge nach wie vor mangelt. Bis zum Stichtag 30. Juni 2018 waren beim Bafa nur 66.029 Anträge für die Kaufprämie eingegangen – 38.146 für rein batterieelektrische Fahrzeuge, 27.866 für Plug-in-Hybride und 17 für Brennstoffzellen-Fahrzeuge. Damit sind erst rund 20 Prozent der gesamten Fördersumme verbraucht worden. Die Bundesregierung will das Programm deshalb verlängern, eine Entscheidung kann jederzeit fallen. Wäre es aber nicht sinnvoller, die Kaufprämie auslaufen zu lassen und in den Aufbau der immer noch lückenhaften Ladeinfrastruktur zu investieren? Fragten wir uns und formulierten dementsprechend unsere letzte These des Monats, die trotz ihrer kurzen Laufzeit von zwei Wochen 249-mal bewertet und kommentiert wurde:
„Die Kaufprämie sollte nicht – wie derzeit diskutiert – verlängert, sondern das Geld besser in den Aufbau von Ladeinfrastruktur investiert werden.“
Eine Mehrheit der Teilnehmer stimmte der Thesen vorbehaltlos (109) oder mit Vorbehalten (27) zu. Eindeutig (85) oder mit Einschränkungen (22) sprach sich eine große Minderheit gegen die These aus, während sich sechs Diskussionsbeteiligte neutral äußerten.
Zeichnet man die Diskussion der These im Wechselspiel der Pro- und Contra-Argumente inhaltlich nach, so finden sich darin die folgenden Aussagen. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider.
Funktioniert der Fahrzeugmarkt anders als der Energiemarkt?
Weil der Fahrzeugmarkt nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage gut funktioniere, sei absehbar, dass die Preise von Elektrofahrzeugen ab 2020 rasch sinken würden, denn dann sei ein ausreichendes Angebot vorhanden, lautet ein typisches Pro-Argument. Ausdrücklich wird dabei auf die bevorstehende Einführung der „VW ID-Familie“ verwiesen. Eine Kaufprämie sei dann nicht mehr nötig. Demgegenüber gebe es noch keine lohnenden Geschäftsmodelle für den Aufbau und Betrieb einer Ladeinfrastruktur. „Eine Investition in Ladeinfrastruktur wird erst in ein paar Jahren Profite erwirtschaften können. Daher müssen die Verluste der ersten Jahre durch Subventionen ausgeglichen werden, denn eine ausreichende Ladeinfrastruktur (LIS) ist eine absolute Voraussetzung für die Elektromobilität“, meint ein Diskussionsbeteiligter. Ein anderer plädiert für eine besondere Förderung von Privat- und Geschäftsleuten, die ihre eigene LIS öffentlich teilen. Im Contra-Lager dagegen werden solche Subventionen als „ideologisch motivierte staatliche Lenkungseingriffe“ empfunden. „Tankstellen zu finanzieren“, so heißt es, sei nicht Aufgabe des Staates, sondern sollte der freien Marktwirtschaft überlassen bleiben. Die Energiewirtschaft sei hier eindeutig in der Pflicht. Prämien sollten für Verbraucher und nicht für Konzerne ausgegeben, die Kaufprämie als „Breitenimpuls“ dürfe nicht aufgegeben werden. Die Devise staatlicher Förderung müsse lauten: „Kleine Leute unterstützen, nicht große Firmen“.
Ist die Kaufprämie sozial oder unsozial?
Eben deshalb, so klingt es in zahlreichen Pro-Kommentaren an, sei die Kaufprämie abzulehnen. Denn sie nütze nur „den wohlhabenden Windhunden“. Momentan könnten sich „nur gut Verdienende ein Elektroauto leisten. Warum sollte man denen auch noch Geld hinterherschmeißen?“ Dementsprechend meint ein anderer Befürworter der These: „Eine Kaufprämie aus Steuermitteln für Individualfahrzeuge ist unsozial und eine Subventionierung der Automobilhersteller, die keine attraktiven Produkte im Portfolio haben.“ Ohnehin sei die Kaufprämie bei den derzeitigen Anschaffungspreisen nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Infrastruktur-Investitionen hingegen kämen der Allgemeinheit zugute und böten gleichzeitig einen Anreiz für den Kauf eines Elektroautos. Seien doch fehlende Lademöglichkeiten insbesondere außerhalb der Ballungsräume „eine der aktuell größten Barrieren bei der Anschaffung eines E-Fahrzeuges“.
Woher kommt das Grundvertrauen in die Elektromobilität?
Das sei zu beweifeln, heißt es von Seiten der Gegner der These: „Mehr Ladesäulen führen nicht zu mehr E-Fahrzeugen. Aber genug E-Fahrzeuge führen durchaus zu mehr Ladeinfrastruktur. Infrastruktur entsteht aufgrund von Nachfrage, nicht anders herum.“ Schon heute investierten Unternehmen wie Allego, EnBW, E.On und Ionity kräftig in die Ladeinfrastruktur. Sie wüssten, dass die Kaufprämie nicht aufgrund fehlender Nachfrage nur stockend abgerufen werde, „sondern wegen fehlender Angebote. Spätestens bei Einführung des Model 3 werden die Zulassungszahlen explodieren.“ Diese Perspektive sei „für alle Betreiber von Ladestationen“ motivierend. Sie setzten auf eine „zunehmende Zahl von E-Fahrzeugen (keine PHEV). Die Kaufprämie schafft hier Vertrauen.“
Befürworter der These sehen das umgekehrt. „Ich bin einer der 250 Tesla-Fahrer, welche jetzt einen Ablehnungsbescheid bekommen haben“, schreibt einer. „Die Wirkung der Förderung ist generell sehr gering. Ein Ausbau der Infrastruktur würde die E-Mobilität sichtbarer für alle machen.“ Erst durch diese Sichtbarkeit aber, meinen andere, würde das Vertrauen in die E-Mobilität und die Nachfrage nach ihr so steigen, dass die Automobilindustrie sich endlich veranlasst sähe, Elektroautos zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Eine sichtbare Ladeinfrastruktur zeige, dass Elektromobilität „überhaupt möglich“ sei. Damit erfülle sie, heißt es in einem Eher-pro-Kommentar, ein Sicherheitsbedürfnis, das gemäß der Theorie des Psychologen Abraham Maslow für uns Menschen grundlegender sei als das Streben nach „Gewinnoptimierung“, dem die Kaufprämie entgegenkomme.
Gibt es noch viel zu wenig oder längst genug Lademöglichkeiten?
Wie groß das Sicherheitsbedürfnis bzw. die Reichweitenangst von tatsächlichen ebenso wie von potentiellen Elektroautofahrern ist, wird in zahlreichen Pro-Meinungen deutlich, die beklagen, dass es besonders in dünn besiedelten Gebieten „viel zu wenig Ladestationen“ gebe, das „Ladenetz eine Katastrophe“ sei, oder gar in Großbuchstaben festhalten: „Manche Landschaften bzw. Orte in Deutschland sind in Bezug auf die Ladeinfrastruktur WÜSTE.“ Solange „die Reichweiten noch weit unter 500 km pro Ladung liegen, ist ein engmaschiges Ladenetz absolut notwendig“, darin sind sich viele Pro-Stimmen einig. Ganz anders wird das – stellvertretend für manch andere – in folgendem Contra-Kommentar bewertet: „Jeder hat im privaten Bereich eine Steckdose, die zur Ladung genutzt werden kann. Für schnelle Lader sind bereits tausende Möglichkeiten vorhanden. Die Stromlieferanten sind voll im Geschäft. Warum also das Geld zusätzlich verschenken?“ Es brauche also, folgert ein anderer, „keine zigtausend Ladesäulen im öffentlichen Raum, es braucht dort LIS wo die Autos hauptsächlich stehen, zu Hause und beim Arbeitgeber.“ Statt öffentliche Ladeinfrastruktur zu fördern, täte der Staat besser daran, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die das private Laden erleichtern, sei es beim Netzausbau oder durch Vorschriften zur Einrichtung von Ladeanschlüssen beim Bau von Mehrfamilienhäusern.
Solche Vorschläge werden im Pro-Lager entweder für unrealistisch oder für unzureichend gehalten. „Die meisten Menschen können nicht zuhause laden (Laternenparker, Mieter, Eigentümergemeinschaften)“, heißt es dort, sie müssten sich regelmäßig „eine öffentliche Ladesäule suchen. Diese werden leider meist zugeparkt, da ausreichend Parkplätze sowieso Mangelware sind.“ Auch fehle es nach wie vor an Lademöglichkeiten in Parkhäusern oder vor Supermärkten. Überlegenswert sei es deshalb, Parkhausbetreiber dazu zu verpflichten und darin zu fördern, in ihren Häusern ausreichend viele Ladesäulen anzubieten. Ohne zuverlässige und flächendeckende Ladeinfrastruktur aber „werden Kunden ohne privaten Parkplatz mit Stromanschluss den Wechsel zum Elektrofahrzeug nicht wagen“.
Selbst wenn dem so sein sollte, lautet ein Contra-Argument, so müsse man konstatieren, dass es „mit der Bundes-Förderrichtlinie Ladeinfrastruktur, die 300 Millionen Euro schwer ist, bereits genügend Geld für den Aufbau von Ladeinfrastruktur“ gebe und dieses Programm nachweislich so gut angenommen werde, dass schon innerhalb kurzer Frist „das Problem der fehlenden Infrastruktur deutlich verringert“ sein werde. Ein anderes Argument gegen eine zusätzliche Förderung der Ladeinfrastruktur weist darauf hin, dass diese nicht technologieoffen sei, weil sie im Gegensatz zur Kaufprämie Brennstoffzellenfahrzeuge ausschließe.
Konstruktionsfehler der Kaufprämie beheben?
Dass die Kaufprämie in ihrer jetzigen Form Konstruktionsfehler habe, kritisieren sowohl viele Pro- als auch einige Contra-Kommentatoren. Namentlich sei sie
- zu niedrig: Die relativ geringe Förderung „motiviert kaum zum Kauf, sondern ist ein Mitnahmeeffekt für Leute, die sich ohnehin schon für ein Elektroauto entschieden haben“. Ratsam wäre es daher, die Prämie für Hybridfahrzeuge komplett zu streichen, auch um „fette SUV“ von der Förderung auszuschließen, und dafür die BEV-Förderung auf 7.000 Euro pro Fahrzeug zu erhöhen. Alternativ könne man die Kaufpreisgrenze auf 35.000 Euro senken und gleichzeitig die Prämie verdoppeln.
- zu umständlich und undurchsichtig: „Die Kaufprämie ist ein Bürokratiemonster“, heißt es anderswo, außerdem sei unklar wie die Unternehmen ihren Beitrag intern verrechneten. Möglicherweise sei sie also zumindest teilweise „ein Schuss ins Knie: wird sie gewährt, erhöhen die OEM die Preise“.
- nachteilig für Start-ups: Es sei zu befürchten, dass Neueinsteiger „wie Sono-Motors und e-Go-mobile“, die günstige Elektroautos anbieten wollen, „Probleme hätten, den Eigenanteil aufzubringen“, so dass eine Verlängerung der Prämie sie zugunsten der OEM benachteiligen würde.
- schlecht beworben: Für die Kaufprämie gebe es, moniert einer ihrer Befürworter, nicht genügend Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung durch den Bund.
- zu einseitig: „Wenn Politiker die Elektromobilität fördern wollen dann bitte durch E-ÖPNV wie Bahnen und z.B. Oberleitungsbusse in Kombination mit Batterien“.
Fördertöpfe zusammenlegen?
Das Problem, dass E-Autos lange Lieferzeiten haben, löse weder die Kaufprämie noch ein beschleunigter Ladesäulenausbau, deshalb sei die These nur neutral zu bewerten, lautet ein unentschiedener Kommentar. Sowohl weitere neutrale wie auch einige Pro- und Contra-Kommentatoren plädieren dafür, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen, also den Kauf von E-Autos ebenso wie den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu fördern. Verschiedentlich mündet diese Auffassung in den Vorschlag, die Fördertöpfe für beides künftig zusammenzulegen: “Dadurch ist eine flexible Förderung der Elektromobilität gesichert.“
Fazit
In der Diskussion der These stehen sich zwei ähnlich große Lager gegenüber, die offensichtlich unterschiedliche Interessen, soziale Hintergründe und Ausgangspositionen haben. Die einen argumentieren eher aus Sicht der Automobilhersteller, die anderen nehmen die Perspektive der Energiewirtschaft ein. Die einen möchten sich gerne ein Elektroauto kaufen, die anderen fahren schon eines. Die einen haben ein Eigenheim, die anderen leben in einer Miet- oder Eigentumswohnung. Die einen leben in der Stadt, die anderen auf dem Land. Quer durch die Lager fordern die einen mehr unternehmerischen Mut, die anderen mehr staatliche Lenkung. Jeder erwartet von den Vertretern des anderen Lagers, dass sie den ersten Schritt tun. Dabei sind sich im Grunde genommen alle darin einig, dass es notwendig ist, Elektromobilität so bald wie möglich breit zu verwirklichen. Vielleicht lohnt es sich deshalb für alle, über folgenden neutralen Kommentar nachzudenken: „Es sollte ein Mittelmaß gefunden werden: Elektromobilität funktioniert nur, wenn an mehreren Schrauben gedreht wird. Dazu gehören Förderprämien, Parkvergünstigungen, Ladeinfrastruktur-Ausbau, Einfahrts-genehmigung in Innenstädte und höhere, CO2-basierte Besteuerung von Verbrennern und ihren Kraftstoffen. Erst der Mix macht das Elektroauto für die breite Masse interessant.“
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