Wasserstoff-Hyundai im Fahrbericht: Die Nexo Solution
Der Hyundai Nexo ist eine Warnung. Er ist so attraktiv konstruiert, dass er für den Brennstoffzellen-elektrischen Antrieb das werden könnte, was das Tesla Model S fürs Batterie-elektrische Auto war: Ein Durchbruch. Der Nexo überrumpelt VW Tiguan, BMW X3 oder Mercedes GLC mit Vorsprung durch Technik – und sollte den deutschen Herstellern zu denken geben.
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Das Alarmsignal, das vom Nexo ausgeht, richtet sich an zwei Denkfraktionen. Zum einen an alle, die heimlich darauf hoffen, dass das Battery Electric Vehicle (BEV) niemals aus der Nische kommt. Weil die Skaleneffekte nicht einsetzen. Oder weil die Kunden die Abstriche bei der Nutzung nicht hinnehmen. Die Gegner hängen emotional so sehr am Verbrennungsmotor, dass sie sich eine elektrische und dekarbonisierte Autowelt weder vorstellen können noch wollen.
Aber auch die Verfechter des Alleinherrschaftsanspruchs der BEVs sollten sich den Hyundai Nexo genau ansehen. Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass den Batterie-elektrischen Autos mittelfristig ein Boom bevorsteht. Im Volkswagen-Konzern mit dem MEB. Bei Tesla mit dem Model 3. Und bei allen anderen. Gleichzeitig sollte niemand ignorieren, dass diese Technik ihre lebenspraktische Grenze immer dort findet, wo größere Fahrzeuge flexibel nutzbar über lange Strecken bewegt werden sollen.
Konkurrent für VW Tiguan, BMW X3 und Mercedes GLC
Der Hyundai Nexo ist den Außenmaßen nach direkt vergleichbar mit der Langversion des Volkswagen Tiguan, dem Allspace. Die SUVs in diesem Segment gehören übrigens bei Privatkäufern zu den beliebtesten Autos überhaupt. Das Angebot ist breit und reicht vom genannten Tiguan über den Skoda Kodiaq oder den BMW X3 bis zum Mercedes GLC. Unter der Haube dominiert der Dieselmotor, der mit der Euro 6d-Norm endlich die gesetzlichen Grenzwerte einhält und aus dieser Perspektive rehabilitiert ist.
Der Vorsprung durch Technik im Hyundai liegt in der Kombination aus dem geschmeidigen Komfort des Elektromotors mit dem Nutzwert eines Verbrennungsmotors. Elektrisch fahren ohne Reichweitenschere im Kopf, ohne den Blick aufs Thermometer und ohne Ladesäulen, die immer dann zugeparkt oder defekt erscheinen, wenn sie am dringendsten gebraucht werden.
Auf der über 1.000 Kilometer langen Testfahrt von electrive.net war die Betankung mit Wasserstoff (chemisch: H) schlicht kein Thema – und das, obwohl die H2-Infrastruktur besonders im europäischen Maßstab weiterhin mangelhaft ausgebaut ist. Das liegt zum einen an der geringen Füllzeit von gestoppten dreieinhalb bis vier Minuten und zum anderen am üppigen Inhalt der drei zylindrischen Tanks. Sie fassen 6,33 Kilogramm Wasserstoff.
BEV-Fahrer würden nun sofort nach der Reichweite fragen. Die Verbrauchsspanne reichte von 0,8 kg pro 100 Kilometer im fließenden Stadtverkehr über rund 1,3 kg bei Richtgeschwindigkeit bis gut 2 kg bei übler Bleifußfahrt auf der Autobahn; der Gesamtdurchschnitt lag bei 1,4 kg. Die daraus resultierende Zahl für die Aktionsdistanz ist im Alltag kein Thema. Vielmehr gilt es zu planen, wo auf der Route eine H2-Tankstelle ist. Kurz anhalten, vollmachen, weiter geht’s. Das ähnelt stark dem Verhalten mit Verbrennungsmotor und wird jene Kunden ansprechen, die viele Kilometer fressen (müssen) und Wert auf Convenience legen.
Gefälliges Design
Der Hyundai Nexo setzt sich auch vom einzigen tatsächlich erhältlichen Konkurrenten ab, dem Toyota Mirai. Der Japaner ist hochwertig gefertigt, zielt aber mit Manga-Design und Limousinen-Layout auf das asiatische und US-amerikanische Publikum. Der Nexo dagegen gefällt in Europa. Ausgeglichene Formensprache, große Heckklappe und gleichfalls mit bester Verarbeitungsqualität. Der Nexo ist eben kein Elektroauto, bei dem man Schwächen abseits des Antriebs als Preis für die Energiewende hinnehmen muss. Er ist als Auto an sich exzellent gemacht, was beim Blick auf die aktuelle Hyundai-Modellpalette nicht verwundern kann.
Zurück zur Grenzlinie zwischen BEV und Fuel Cell Electric Vehicle (FCEV). Besonders auffällig ist die formale Ähnlichkeit zwischen Hyundai Nexo und dem Mercedes EQC, der wiederum auf dem GLC basiert. Die Karosserieproportionen sind nahezu gleich. Beide haben vorne ein durchgehendes Lichtband, und auch die nebeneinanderstehenden Monitore im Innenraum wirken, als hätte man sich gegenseitig inspiriert. Beim Vergleich der Antriebe drängt sich der Gedanke auf, dass in diesem Format das FCEV die bessere Wahl ist.
Zwar ist das Beschleunigungsvermögen des 300 kW starken EQC viel höher als im Nexo, der mit 135 kW Systemleistung eher gemächlich wirkt. 80 kWh Batteriekapazität im Mercedes dürften allerdings nicht für große Sprünge reichen, was von der Pressestelle mit einer Reichweitenangabe im veralteten NEFZ („über 450 km“) kaschiert wird. Wer den EQC auf der Autobahn fährt, wird nicht ansatzweise so weit kommen wie im Nexo. Ein weiterer gravierender Nachteil des BEV-Konzepts ist das massive Übergewicht: Der Hyundai liegt mit 1.889 kg Leergewicht nur etwas über den klassenüblichen Dieseln. Der Mercedes bringt mindestens 2.425 kg auf die Waage – ein Zeugnis des unverhältnismäßig hohen Ressourceneinsatzes.
Deutsche Industrie verschenkt ihr Potenzial
In Stuttgart scheint man selbst nicht völlig sicher zu sein, welcher Antrieb am besten zum GLC passt: Der Kunde hat die Wahl zwischen sparsamen Dieselmotoren, bärenstarken Turbobenzinern in den AMG-Versionen, dem GLC 350e Plug-in-Hybrid und dem F-Cell, der auf Letzterem basiert. Der F-Cell macht uns bei electrive.net extrem neugierig; eine Zusage für einen Testwagen gibt es leider noch nicht. Die ersten Exemplare werden an Ministerien und andere Behörden ausgeliefert.
Dass Mercedes die komplett entwickelte Brennstoffzellentechnik einfach in der Schublade liegen lässt, ist erstaunlich. Der GLC F-Cell macht hier eine Ausnahme, wird aber lediglich verleast, nicht verkauft. Den Hyundai Nexo dagegen kann jeder bestellen, der ihn bezahlen kann: Der Preis beträgt 69.900 Euro mit vollständiger Ausstattung. Auf der Optionsliste sind nur zwei Punkte zu finden: Eine graue Matt-Lackierung (600 Euro) und ein empfehlenswertes Paket (3.500 Euro) mit einer Kameraanzeige für den toten Winkel (top!), Schiebedach, beheizten Sitzen hinten und belüfteten vorne sowie 19-Zollfelgen. Der Preis ist höher als für einen Volkswagen Tiguan TDI Allspace. Im Vergleich zu Jaguar I-Pace oder gar einem Tesla Model X ist der Hyundai schlicht ein Schnäppchen – und das, obwohl die Fahrassistenzsysteme jederzeit mit Tesla mithalten können.
Vom Hyundai Nexo geht ein Weckruf für die deutsche Autoindustrie aus, so wie es 2013 beim Tesla Model S war. Immerhin sind die drei großen Konzerne strategisch gut aufgestellt: Mercedes hatte den Brennstoffzellen-Antrieb bereits vor Jahren fertiggestellt. Die Aufhängungspunkte waren so ausgelegt, dass sie in alle aktuellen Limousinen gepasst hätten. Niemand ist so weit gewesen wie Stuttgart; ein Potenzial, das nicht verspielt, sondern nur verschüttet ist.
BMW kooperiert derweil eng mit Toyota, eine Zusammenarbeit, die dem Vernehmen nach in Stimmung und Inhalt sehr gut verläuft. Beide Unternehmen lassen sich Zeit. Toyota, weil man die Prozesse in den Griff bekommen will, bevor man die Stückzahlen stark hochfährt. BMW, weil man auf Kostensenkungen wartet. Im Volkswagen-Konzern ist Audi für die Brennstoffzelle zuständig. Audi hat ein Abkommen mit Hyundai zum Patent- und Technologietausch geschlossen. Der Kreis schließt sich.
Fazit
Der Hyundai Nexo ist eine erfreuliche Neuerscheinung bei den Elektroautos. Er überzeugt, weil der Käufer im Gegenzug für den geschmeidigen Antrieb keine Abstriche hinnehmen muss. Und er reinigt die Luft, die von Verbrennungsmotoren verschmutzt wird: Weil die Brennstoffzelle keinen Dreck verträgt, muss die Ansaugluft mit einem Feinstfilter gereinigt werden. Nach Angaben der Pressestelle säubert ein Nexo so die Abgase von zwei Diesel-Pkw. Im Zentraldisplay wird dem Fahrer außerdem angezeigt, für wie viele Menschen die Atemluft gereinigt wurde und wie viele Kilogramm CO2 vermieden wurden. Der Nexo ist keine Zukunftsvision. Er ist die Gegenwart.
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