Schaeffler will Elektromotorenbau „lückenlos“ abbilden
Bei der Elektrifizierung der Mobilität spielen die Zulieferer eine entscheidende Rolle. Vor knapp einem Jahr hat auch Schaeffler einen eigenen Bereich für Elektromobilität gegründet. Zeit wurde es, könnte man sagen. Wir haben mit Dr. Jochen Schröder, Leiter der jungen Elektro-Sparte von Schaeffler, über die jüngsten Zukäufe und Ambitionen des Zulieferers gesprochen.
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Die meisten großen Zulieferer haben ihren Claim bei der Elektromobilität längst abgesteckt. Wie bereitet sich Schaeffler auf das Elektro-Zeitalter vor und welche Erwartungen haben Sie an den Hochlauf der E-Fahrzeuge?
Wir sind in der Elektromobilität sehr gut unterwegs und folgen unserer Strategie. Bereits 2016 haben wir im Hinblick auf Themen wie fortschreitender Klimawandel, zunehmende Urbanisierung, Globalisierung sowie Digitalisierung mit der Strategie „Mobilität für morgen“ die Weichen im Unternehmen neu gestellt, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Die Umsetzung der Strategie wird durch das Zukunftsprogramm „Agenda 4plus One“ sichergestellt. Daraus resultierend haben wir Anfang 2018 einen eigenen Unternehmensbereich E-Mobilität gegründet, den ich seit April 2018 leiten darf.
Wie Sie sehen, betrachten wir die E-Mobilität als zentrales Zukunftsfeld. Wir positionieren uns sehr deutlich und fokussieren bei unseren konkreten Lösungen für die Elektrifizierung des Fahrzeugantriebs sowohl auf Produkte für Hybridfahrzeuge als auch rein elektrisch betriebene Fahrzeuge. Das entspricht unserem sogenannten 30-40-30 Szenario, das wir bereits Anfang des letzten Jahres veröffentlicht haben. Danach erwarten wir für 2030, dass 30 Prozent der Fahrzeuge einen reinen Verbrennungsmotor haben werden, 40 Prozent einen Hybridantrieb und 30 Prozent rein elektrisch angetrieben werden.
Kupplungssysteme, Getriebeteile, Nockenwellenversteller, Lager – für diese Produkte steht Schaeffler im konventionellen Bereich. Welche Komponenten liefern Sie für E-Fahrzeuge?
An den vorgenannten Beispielen sehen Sie, dass wir bereits breit aufgestellt sind und systemisch denken. Aktuell sind wir mit Hybridmodulen mit namenhaften Kunden in China und den USA sowie mit unseren E-Achsgetrieben unter anderem im neuen Audi e-tron in Serie gegangen. Zukünftig wollen wir, wie oben erwähnt, zunehmend Elektromotoren in Serie fertigen und somit die wesentlichen Antriebskomponenten von Elektro- und Hybridfahrzeugen mit eigener Wertschöpfung in Serien produzieren. Gleichzeitig beliefern wir unsere Kunden auch mit Einzelkomponenten für elektrische Antriebssysteme, wenn sich ein Fahrzeughersteller für die Produktion eigens entwickelter Antriebssysteme entscheidet. Ferner entwickeln wir für die Zukunft Radnabenantriebe sowie hochinnovative neue Getriebekonzepte für Hybridfahrzeuge.
Was haben Sie in der Formel E gelernt, wo Sie ja schon lange aktiv sind? Welche Lösungen können Sie ganz konkret von der Rennstrecke auf die Straße bringen?
Wir sind tatsächlich bereits seit der ersten Saison der ersten elektrischen Rennserie weltweit mit an Bord. Damit zählen wir zu den Pionieren, die das Potenzial der Formel-E von Beginn an erkannten. Die seriennahe Entwicklungsrelevanz, bei der Wissen rund um ganzheitliches Systemverständnis, mit eigenem Elektromotor und eigener Leistungselektronik direkt in alle Entwicklungsbereiche der Schaeffler-Gruppe fließt, spiegelt sich ganz besonders bei dem Konzeptfahrzeug „Schaeffler 4ePerformance“ wieder: Basis des Ganzen ist ein umgebauter Audi A3, in den die vier Formel-E-Motoren aus dem Boliden FE01 implementiert wurden. Alle vier Antriebe waren die gesamte zweite Formel-E-Saison äußerst erfolgreich im Einsatz und stellen gleichzeitig die Basis für den Weltmeisterantrieb von Lucas di Grassi aus seiner Saison 2016/2017 dar.
Es geht letztlich darum, Wissen rund um ganzheitliches Systemverständnis unter Beweis zu stellen und Know-how aus den Bereichen E-Motoren und Leistungselektronik direkt in alle Entwicklungsbereiche bei Schaeffler einfließen zu lassen. So arbeiteten sowohl die Kompetenzbereiche von Schaeffler Motorsport, der Schaeffler Unternehmensbereich E-Mobilität als auch die Tochterunternehmen Schaeffler Engineering und Compact Dynamics eng zusammen. Ziel des Ganzen war die Idee, das Maximale aus der Formel-E für Serienanwendungen zu lernen.
Was hat die Übernahme des Elektromotoren-Spezialisten Compact Dynamics bisher gebracht?
Compact Dynamics bringt 30 Jahre Entwicklungskompetenz und Systemverständnis aus den Bereichen E-Motoren und Leistungselektronik mit. Das Unternehmen ist spezialisiert auf High Performance Anwendungen, die Herstellung von Prototypen und Kleinserien. In Kombination mit dem Schaeffler Know-how bei der Industrialisierung, der kontinuierlichen Produkt- und Supply Chain Optimierung, sehen wir uns gut aufgestellt, um hocheffiziente E-Motoren und elektrische Antriebssysteme für den Automotive-Großserienmarkt herzustellen.
Zusätzlich zu der Akquisition von Compact Dynamics, die im Jahr 2017 vollständig abgeschlossen wurde, haben wir Ende November einen Kaufvertrag über den Erwerb der Elmotec Statomat Holding GmbH (fortan „Elmotec Statomat“) mit Sitz in Karben bei Frankfurt am Main, abgeschlossen. Die Firma ist einer der weltweit führenden Hersteller von Fertigungsmaschinen für den Bau von Elektromotoren in Großserien und verfügt über einzigartige Kompetenz im Bereich der Wickeltechnologie. Mit dieser Akquisition erweitern wir unsere Kompetenzen im Bereich Elektromotorenbau.
Wir sind damit nun in der Lage, die Entwicklung und die gesamte Industrialisierung des Elektromotorenbaus lückenlos im Unternehmen abzubilden und die letzte bestehende Technologielücke bei der Herstellung von Rotoren- und Statoren zu schließen.
Sie haben kürzlich das Konzept eines „dedizierten Hybridgetriebes“ (DHT) mit zwei elektrischen und sechs mechanischen Gängen vorgestellt. Was versprechen Sie sich davon?
Wir haben in der Vergangenheit die verschiedensten DHT Konzepte untersucht und die wesentlichen Vor- und Nachteile bewertet. Das DH-ST 6+2 ist eine mögliche DHT-Variante, welche durch geschickte Kombination einer einfachen Getriebestruktur mit einem modernen E-Motor-Ansatz ein hohes Maß an Komfort und Effizienz liefert. Weitere Konzepte sind das DH-CVT sowie das sogenannte Schaeffler Multi Drive.
Die Multi Drive-Variante wurde kürzlich auf dem Symposium in China vorgestellt und überzeugt durch die Kombination aus minimaler Komponentenanzahl sowie einem äußerst effizienten und komfortablem E-Drive Modus ohne Schaltvorgänge. Speziell dieses Konzept erachten wir als optimale Lösung für Full- & Plug-in-Hybride basierend auf zwei E-Motoren kombiniert mit Schaeffler Know-how bei Kupplungen, Aktuatoren, Getriebekomponenten und der Gesamtsystemintegration. Das kompakte Design erlaubt zudem die Integration in bereits bestehende Fahrzeug-Plattformen ohne zusätzlichen Platzbedarf. DHT ist ein komplett neues Konzept, das künftig entscheidend zur CO2-Reduzierung beitragen kann.
Werden Hybrid-Lösungen überhaupt lange gefragt sein, wo der Trend zur reinen Elektrifizierung von Antrieben aller Art doch ungebrochen ist? Mit welchen Anteilen rechnen Sie?
Aufgrund z.T. fehlender Ladeinfrastruktur bzw. nicht gelöster Energiespeicherkapazitäten (Rohstoffe/Kosten) wird der Hybrid über sehr lange Zeit als Technologie wichtig sein, damit die anspruchsvollen CO2-Flottenziele und emissionsfreies Fahren im urbanen Umfeld auch in der Breite erreicht werden können. Sofern keine entscheidenden Fortschritte bei den Batterie-Technologien, verbunden mit drastischen Preisreduzierungen erfolgen, sehen wir Hybridlösungen speziell bei Fahrzeugen mit einer Reichweite über 300 km wirtschaftlicher als reine BEVs. Hier haben wir bspw. ausgerechnet, dass die Kosten für BEVs mit einer Reichweite größer als 300 km sogar höher liegen kann, als die von der EU beschlossenen Strafzahlungen bei Nichteinhaltung der CO2 Flottenziele.
Außerdem schauen wir uns auch sehr intensiv ganzheitliche CO2 Betrachtungen, sogenannte Well-to-Wheel oder Cradle-to-Grave Betrachtungen, sowie synthetische Kraftstoffe und Energieketten an. Auch in solchen Betrachtungen gewinnen Hybride gegenüber reinen Elektrofahrzeugen an Bedeutung. Wir bei Schaeffler sehen daher für das Jahr 2030 einen Anteil von Hybridfahrzeugen von ca. 40% aller neuzugelassenen PKW. Auch in Gesprächen mit OEM-Kunden bekommen wir die Rückmeldung, dass unser 30-40-30 Szenario als sehr realistisch erachtet wird.
Bei elektrischen Fahrzeugen wird das Thermomanagement aufgrund größerer Batterien und schnellerer Ladevorgänge immer wichtiger. Ein interessantes Feld auch für Schaeffler?
Das Thermomanagement von Elektrofahrzeugen ist nicht nur in Bezug auf die steigende Batteriekapazität und dem klaren Trend hin zur Flüssigkeitskühlung ein interessantes Geschäftsfeld für Schaeffler. Das Thermomanagement erlaubt die Balance von Wärmequellen und Wärmesenken im Bereich Innenraumklimatisierung, Leistungselektronik, Aktuatorik und selbstverständlich der Batterie. Der Zweck des Thermomanagements im Elektrofahrzeug ist die Reichweitenverlängerung und die Gewährleistung des optimalen Bauteilschutzes. Dies wird über einen geschickten Transfer und Haushalt von Wärmeenergie erreicht.
Aktuell entstehen immer neue Ideen für urbane Mobilitätskonzepte wie Robo-Taxis oder neuartige Kleinbusse und Lieferfahrzeuge. Von diesen wird man, sofern sie sich durchsetzen, geringere Stückzahlen brauchen, dafür sind sie komplex. Mit Mover haben Sie eine Plattform für solche E-Fahrzeuge im Frühjahr gezeigt. Lohnt sich das für Sie?
Der im Schaeffler Mover verbaute Radnabenantrieb ist extrem vielseitig. Wir sehen deutlich mehr Anwendungsgebiete als reine Robo-Taxis, die auf diesem Konzept basieren – und somit langfristig enormes Potential. Aktuell werden mehrere Optionen untersucht, eine davon besteht in der Ausgründung des Bereiches eWheel als Start-up, um in Kleinserien schnell Erfahrung zu sammeln und das Konzept in kurzer Zeit zur Marktreife zu bringen. An anderen Stellen zeigen wir damit, dass wir auf diese Weise den äußerst Business-orientierten und dynamischen Start-up Spirit mit dem seit Jahrzehnten etablierten Industrialisierungs-Know-how von Schaeffler perfekt zusammenbringen.
Letzte Frage, Herr Schröder: Die Gründung der neuen Sparte für E-Mobilität jährt sich im Januar zum ersten Mal. Wie fällt Ihr persönliches Zwischenfazit aus?
Durch die Gründung eines neuen Unternehmensbereichs konnten entscheidende Kompetenzen innerhalb von Schaeffler gebündelt und weiter ausgebaut werden. Hierdurch haben wir kürzere, interne Kommunikationswege und können schneller und schlagkräftiger richtungsweisende Entscheidungen treffen. Das unterstreicht die langfristige strategische Ausrichtung in Richtung E-Mobilität und das klare Commitment innerhalb von Schaeffler. Aus diesen Gründen bin ich äußerst optimistisch und möchte mich ausdrücklich bei meinem gesamten Team bedanken, das hart und konsequent arbeitet. Unser Ziel ist ganz klar, einer der bevorzugten Technologiepartner für unsere Kunden auch bei elektrifizierten Antrieben zu sein.
Herr Schröder, vielen Dank für das Gespräch!
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