Eichrecht bei Ladeinfrastruktur: Gemessener Gleichstrom
Auch neue DC-Schnellladesäulen müssen im Lauf des kommenden Jahres in Deutschland eichrechtskonform sein. Eine entsprechende Ausnahmeregelung läuft am 31. März 2019 aus. Die gute Nachricht: Erste technische Lösungen gibt es inzwischen. Ein aktueller Überblick von Christoph M. Schwarzer.
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Pauschal acht Euro. So viel verlangt IONITY an den europäischen Schnell-Ladesäulen. Ein typischer Preis und eine repräsentative Abrechnungsmethode – noch. Denn 2019 steigt der Druck auf Hersteller und Betreiber von Gleichstrom-Ladesäulen, eichrechtskonforme Zähler zu konstruieren, von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) prüfen zu lassen und in den Markt zu bringen.
Wer nicht handelt, gerät in Bedrängnis: Zum einen durch die am 31. März auslaufende Übergangsfrist für alternative Bezahlmodelle und zum anderen durch die Autofahrer. Wenn in einem Jahr die Produktionsbänder für den Volkswagen ID. anlaufen, werden aus Tausenden von Elektroautos schnell Hunderttausende. Und deren Besitzer werden weniger großzügig auf den Missstand an den Gleichstrom-Säulen reagieren als die positiv gestimmten Early Adopter.
Ein Pauschalpreis von beispielhaft acht Euro entspricht bei durchschnittlich 29 Cent pro Kilowattstunde (kWh) einer Menge von 28 kWh. Wer ein Batterie-elektrisches Auto der ersten Generation hat, kann so viel Strom gar nicht laden. Und auch für die anderen gilt: Sie müssen genug Platz im elektrochemischen Speicher haben und ausreichend Zeit mitbringen. Das Ergebnis ist bekannt und nimmt in den digitalen Foren einen festen Platz ein – Schnellstrom ist wie Super Plus. Er kostet Aufpreis, und das je nach individuellem Batteriestand unangemessen viel.
Die Ursache dieser Schieflage ist die Tatsache, dass die meisten Ladesäulen den Strom nicht eichrechtskonform zählen konnten und können. Der erlaubte Ausweg ist die Pauschale. Aber es tut sich was: Beim Wechselstrom (AC für alternating current) gibt es vier zertifizierte Produkte, und für rund 20 weitere ist die Baumusterprüfbescheinigung der PTB in der Mache. Und auch beim Gleichstrom (DC für direct current) ist der Umschwung in vollem Gang. Zwei Hersteller können im ersten Halbjahr 2019 mit einer Freigabe rechnen.
Porsche und Isabellenhütte mit eichrechtskonformen Produkten
Das ist zum einen Porsche, wie uns Michael Kiefer, Leiter Hochvoltsysteme bei Porsche Engineering, auf Anfrage bestätigt. Der Autobauer, und das ist ungewöhnlich, entwickelt selbst. Neben den Taycan-Konstrukteuren aus Baden-Württemberg hat Isabellenhütte aus Hessen in Entwicklungspartnerschaft mit Innogy eine Lösung fertiggestellt: „Unsere Messwertkapsel zählt die verbrauchten Kilowattstunden eichrechtskonform. Darüber hinaus gibt es die Option des Zeittarifs, weil in unserem Zähler die gesetzliche Zeit nachgeführt wird“, bestätigt Tobias Wolff, Business Development Manager Smart Grid bei Isabellenhütte. Wolff berichtet im Gespräch mit electrive.net, dass in dem Konzept auch die Verluste des Ladekabels berücksichtigt werden; ein Aspekt, der bisher oft vergessen wurde, jedoch an Bedeutung gewinnt. Der erste Nutzer wird Partner Innogy sein, wo man beim Vorläufer RWE bereits durch die erste korrekte AC-Säule aufgefallen war. Fachkreise berichten außerdem, dass mindestens zwei weitere Hersteller demnächst einen Antrag auf Baumusterprüfung bei der PTB stellen werden.
Die derzeitigen DC-Bestandsäulen – das Portal CCS Map etwa weist für Deutschland rund 1.400 Stück aus – sind damit keineswegs illegal. Sie unterliegen einer Sonderregelung, die von der Arbeitsgemeinschaft Mess- und Eichwesen (AGME) unter Mitarbeit des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde. Eigentlich ist es in einem Land, in dem jede Supermarkt-Fleischwaage regelmäßig geeicht wird, kaum vorstellbar, dass ausgerechnet Strom an Ladesäulen nicht genau gezählt wird, zumal jeder Haushaltsstromzähler penibel geprüft wird. Mit Blick auf den politisch gewollten Hochlauf der Infrastruktur haben viele Beteiligte allerdings lange ein Auge zugedrückt; das Ergebnis dieser falschen Duldsamkeit muss jetzt mühselig zurückgedreht werden.
Derzeit gilt, dass Strom an nicht eichrechtskonformen Ladesäulen entweder verschenkt oder mit einer Pauschale abgerechnet werden darf. Zusätzlich darf der in einer DC-Säule gemessene AC-Strom vor der Umwandlung als Bemessungsgrundlage herangezogen werden, wenn der Anbieter auf der Kundenabrechnung 20 Prozent angenommene Verluste abzieht. Damit sollte zum 31. März Schluss sein.
Es ist absehbar, dass diese Frist nicht zu halten ist. Zuständig für den weiteren Fortgang ist wie gehabt die AGME, ein Gremium der Landeseichdirektionen. Hier ändert sich zum Jahreswechsel turnusmäßig die Führung. Nach Sachsen, dem kommenden Boom-Bundesland der Elektromobilität, ist Bremen dran. Mitte Januar setzt man sich zusammen, um neu zu entscheiden. Das BMWi sitzt auch wieder mit am Tisch.
Fristverlängerung als Gratwanderung zwischen Belohnung und Strafe
Die Gratwanderung ist offensichtlich: Zum einen wird es nicht möglich sein, ab 1. April mit der Brechstange das Eichrecht durchzusetzen, weil keine oder zu wenige DC-Ladesäulenhersteller eine Baumusterprüfbescheinigung haben. Es würde die Branche empfindlich treffen, wenn sie bis zum Erreichen der Konformität keine weiteren Produkte in den Betrieb bringen könnte. Zum anderen wird die AGME jene Firmen belohnen müssen, die sich nicht auf den Standpunkt gestellt haben, DC-Strom würde sich gar nicht messen lassen – eine unrichtige Schutzbehauptung, die in Einzelfällen immer noch in der Öffentlichkeit verbreitet wird.
Am wahrscheinlichsten ist also eine Fortsetzung der Duldung für mehrere Monate, obwohl es dem innersten Wesen der AGME widerspricht, nicht eichrechtskonforme Systeme zuzulassen. Klar ist: In absehbarer Zeit ist Schluss damit.
Endverbraucher erwartet günstige Kilometerkosten
Trotzdem werden die meisten DC-Standorte aus dem aktuellen Bestand auch zukünftig legal mit Euro-Pauschalen funktionieren. Weil aber permanent neue, eichrechtskonforme und kWh-exakte Säulen hinzukommen, werden die irgendwann in der Minderheit sein und perspektivisch verschwinden.
Das ist wichtig, denn das als Tarifwirrwarr oder schlichte Abzocke wahrgenommene derzeitige Modell schädigt den Ruf der Elektromobilität an sich. Batterie-elektrische Autos sind ungleich effizienter als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Es ist nicht nur wünschenswert, sondern für den Erfolg notwendig, dass sich dieser Vorteil in niedrigeren Kilometerkosten spiegelt. Und niemand sollte unterschätzen, wie sensibel der Endverbraucher seit Dieselgate auf staatlich geduldete Schludrigkeit reagiert. Wenn 2020 der Massenstart des Batterie-elektrischen Fahrens losgeht, muss die Lösung des Problems absehbar sein.
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