CO2-Zielwerte: Peter Mock warnt vor WLTP-Trickserei
Die progressive Einigung der EU-Unterhändler auf eine CO2-Senkung bei Neuwagen um 37,5 % bis 2030 kam überraschend. Aber reicht sie überhaupt aus? Und was bedeutet sie für die Elektromobilität? Wir haben Peter Mock, den Europa-Chef der Organisation International Council on Clean Transportation (ICCT), gebeten, die Entscheidung einzuordnen. Ein Gastbeitrag.
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Zunächst bin ich ausgesprochen froh, dass es gestern zu einer Einigung kam. Die Zeit lief den Verhandlern davon. Gestern war die letzte Möglichkeit, noch unter der österreichischen Ratspräsidentschaft zu einer Einigung zu kommen. Wäre das Thema ins neue Jahr verschoben worden, hätte Rumänien die Präsidentschaft übernommen, und es wäre fraglich gewesen, ob man vor der Europawahl im Mai überhaupt noch eine Einigung hätte erzielen können. Damit hätte sich die Entscheidung möglicherweise um ein Jahr oder mehr verzögert. Aus diesem Grund ist auch die Automobilindustrie froh, dass es endlich eine Entscheidung – und damit ausreichend Planungssicherheit – gibt.
Aus Klimaschutzsicht wäre natürlich deutlich mehr notwendig gewesen. Um das Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen, müsste die EU die CO2-Emissionen der neuen Pkw bis 2030 um etwa 70 Prozent reduzieren. Tatsächlich beschlossen wurde nun eine Reduktion um 37,5 Prozent. Insofern muss die gestrige Entscheidung im Nachgang zur UN-Klimakonferenz der vergangenen Woche leider als unzureichend bezeichnet werden. Gleichzeitig sind die CO2-Standards für Neufahrzeuge aktuell die wichtigste Stellschraube, um die Emissionen des Verkehrsbereichs zu senken. Daher ist es aus meiner Sicht zentral, dass wir nun endlich verbindliche Ziele für 2025 und 2030 haben.
Blamage für die Bundesregierung
Technisch wäre eine sehr viel ambitioniertere CO2-Reduktion möglich. Mit Hilfe verbesserter Verbrennungsmotoren sowie insbesondere Hybrid- und Elektrofahrzeugen lassen sich die Emissionen moderner Fahrzeuge in die Nähe von null Emissionen drücken. Und man darf nicht vergessen: Jede CO2-Reduktion spart gleichzeitig auch Kraftstoff ein. Die EU-Kommission erwartet, dass die gestern beschlossene Regelungen einem durchschnittlichen Autobesitzer um etwa 1.500 Euro bei den Kraftstoffkosten entlastet, wobei die notwendigen Investitionen in bessere Fahrzeugtechnologien bereits eingerechnet sind. Dadurch wird nicht zuletzt Europas Abhängigkeit von importiertem Rohöl vermindert.
Höchst ungewöhnlich ist derweil, dass der nun beschlossene Kompromiss ambitionierter ist als der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission vom November 2017. Eigentlich wurde erwartet, dass die EU-Kommission neutral auf Basis der Fakten eine Regulierung im Einklang mit dem Pariser Klimaschutzabkommen vorschlagen würde. Sie wurde jedoch von den Lobbyaktivitäten der Automobilindustrie, insbesondere der deutschen, stark ausgebremst. Deutschland war auch das einzige größere EU-Land, welches sich – zusammen mit Ungarn, Rumänien und Bulgarien, und gegen den Willen von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) – gegen ein höheres Ambitionsniveau als von der EU-Kommission vorgeschlagen (30%), aussprach. Dass nun mit 37,5 Prozent unterm Strich ein besseres Ergebnis herauskam, ist vor allem dem entschiedenen Auftreten des Europaparlaments zu verdanken. Gleichzeitig kann man von einer Blamage für die Blockadehaltung von Teilen der Bundesregierung sprechen.
Hersteller könnten bei WLTP-Messungen tricksen
Größtes Manko der beschlossenen Regulierung ist die noch unsichere Absprungbasis. Da aktuell das CO2-Messverfahren auf das neue WLTP-Testverfahren umgestellt wird, sind sämtliche Zielwerte in Prozent-Reduktion angegeben. Damit besteht ein Anreiz für die Hersteller, den CO2-Wert ihrer Fahrzeuge bis zum Jahr 2021 künstlich zu erhöhen, um es danach einfacher zu haben, die vorgegebenen Prozente an CO2 zu reduzieren. Die dreistesten Schlupflöcher haben die EU-Politiker zwar im letzten Moment noch gestopft. Es besteht jedoch weiterhin die Möglichkeit, dass Fahrzeughersteller bei den WLTP-Messungen tricksen könnten, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Hier werden wir ein wachsames Auge haben.
Für die Hersteller relevant sind nun erst einmal die CO2-Zielwerte für das Jahr 2021. Diese sind zu schaffen, auch und gerade für die deutschen Hersteller. Allerdings werden dafür in zunehmendem Maße elektrifizierte Fahrzeuge benötigt. Hier kann die Politik den Fahrzeugherstellern unter die Arme greifen, indem sie die dringend erforderliche Reform der deutschen Kfz-Steuer in Angriff nimmt. Nur so kann es gelingen, dass der Absatz von Fahrzeugen mit niedrigeren CO2-Emissionen dauerhaft gefördert wird, während die hierfür notwendigen Ausgaben gleichzeitig durch höhere Steuern für SUVs und ähnliche Fahrzeuge gegenfinanziert werden. In Schweden beispielsweise wurde im Sommer diesen Jahres die Kfz-Steuer umgestellt, mit dem Ergebnis, dass dort der Anteil an Elektrofahrzeugen inzwischen sechsmal so hoch liegt wie in Deutschland.
Über den Autor
Peter Mock leitet seit 2010 die Aktivitäten der gemeinnützigen und unabhängigen Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) in Europa. Der Schwerpunkt des ICCT liegt auf Fahrzeugtechnologien und deren Auswirkungen auf Luftqualität und Klima. Die Untersuchungen zum realen Abgasverhalten von Dieselfahrzeugen sorgten für das Bekanntwerden des Dieselskandals. Der wissenschaftliche Beirat des ICCT setzt sich zusammen aus Behördenvertretern und unabhängigen Verkehrsexperten der wichtigsten Fahrzeugmärkte weltweit. Das ICCT finanziert sich durch Gelder privater Stiftungen, darunter die ClimateWorks Stiftung in den USA und die Stiftung Mercator in Deutschland.
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