Ladesäulenhersteller kämpfen um Leistungselektronik
In diversen Messegesprächen ist der Redaktion von electrive.net im vergangenen Jahr zugetragen worden, dass die Hersteller von Ladestationen mit dem Bezug von Leistungselektronik zu kämpfen haben. Gibt es diese Knappheit wirklich? Und was sind die Ursachen? Michael Nallinger hat sich in der Branche umgehört.
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Insbesondere Hersteller von DC-Ladesäulen stehen einer engen Liefersituation aus Asien gegenüber. Eine Umfrage von electrive.net zeigt dies ebenso wie die Anpassungsstrategien in den Einkaufsabteilungen. Infotainment, Autonomes Fahren und Elektrifizierung treiben zudem den Halbleitereinsatz im Fahrzeug gehörig an.
Bei Mennekes sieht man sich schon seit Längerem mit Lieferzeiten von mehr als 12 Monaten konfrontiert. Als Gegenmaßnahme empfiehlt der Geschäftsführer des Ladesäulenherstellers, Volker Lazzaro, sich durch langfristige Forecasts und spezielle Dispositionsstrategien auf die Situation einzustellen. „Man muss kontinuierlich versuchen, die Marktentwicklung vorherzusagen“, lautet seine Strategie. Allerdings funktioniere dies nur solange bis keine Komponenten abgekündigt werden. Es könne passieren, dass die Lieferung einer auf einer Platine verbauten Komponente abgesagt werde, weil der Hersteller sie nicht länger produziere. Ein Problem entstehe insbesondere dann, wenn dieser Zeitraum kürzer ist als die Lieferzeit einer Alternativkomponente, so Lazzaro.
Bei ABB will man zwar keine detaillierten Fragen zur spezifischen Liefersituation bei Leistungselektronik beantworten, allerdings bestätigte man Engpässe, „wie auch bei anderen Herstellern von Ladeinfrastruktur“. Betroffen sei insbesondere die 1.000-Volt-fähige Elektronik. Dies habe schon zu verzögerten Auslieferungen geführt, so Frank Mühlon gegenüber electrive.net. Der Geschäftsführer und Global Product-Group Manager von ABB Deutschland hofft jedoch, dass dies bald ein Thema der Vergangenheit ist, schließlich habe man entsprechend reagiert und Prozesse der gesamten Lieferkette auf die Herausforderungen ausgerichtet. Beispielsweise wurde „die Pipeline nach vorne hin“ in Richtung des gestiegenen Bedarfs angepasst, so Mühlon. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, auf günstigere und verfügbare Ware aus China zuzugreifen. Darauf habe man jedoch aus Qualitäts- und Sicherheitserwägungen heraus verzichtet. Mühlon verweist darauf, dass der Ausbau des Ladesäulengeschäfts durch die Lieferengpässe „auf mittlere Sicht auf keinen Fall“ behindert sei.
Gute Netzwerke und Partnerschaften
Auch beim Speicherhersteller ADS-TEC sieht man sich derzeit mit „Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Komponenten im Bereich Leistungselektronik“ konfrontiert. Allerdings vertraut man auf „das gute Netzwerk“ der Mitarbeiter in der Einkaufsabteilung. „Hier sind wir durch Partnerschaften mit Lieferanten sehr gut aufgestellt“, so eine Sprecherin von ADS-TEC, deren Produkte neuerdings auch als „Ladespeicher“ in Verbindung mit Schnellladesäulen eingesetzt werden.
Bei Innogy, einem der größten Betreiber von Ladestationen in Deutschland, möchte man sich zur Thematik nicht konkret äußern. Dies würde dem Wettbewerb zu viel Einblick in das Geschäft bieten. Nur so viel teilt der Energiekonzern auf Anfrage von electrive.net zur Knappheit von Leistungselektronik mit: Dies betreffe nur die DC-Ladeinfrastruktur. AC-Charger – und damit der überwiegende Teil der Ladesäulen – seien von der Problematik nicht betroffen.
Schwer verfügbare Multi-Keramikkondensatoren
Beim ZVEI und hier speziell beim Fachverband PCB and Electronic Systems hat man zwar keine konkreten Zahlen zur Liefersituation von Elektronikkomponenten für Ladesäulenhersteller vorliegen, verweist allerdings auf eine allgemeine Entspannung. Seit dem dritten Quartal 2018 beobachte man eine gewisse Verbesserung der seit 2017 einsetzenden Verknappung bei elektronischen Bauteilen. Dies habe vor allem mit der etwas rückläufigen Konjunktur zu tun, berichtet der Geschäftsführer des Fachverbands Christoph Stoppok. Engpässe sieht er insbesondere noch bei sogenannten Multikeramik-Kondensatoren. Diese habe man so nicht erwartet.
Während der Halbleiter-Anteil in Smartphones, Tablets, PC und TV in den kommenden Jahren zunehmend stagniert, nimmt der Einsatz von Halbleitern im Automotive-Bereich durch drei Megatrends stetig zu. Dabei handle es sich erstens um Konnektivität, das heißt den Einbau von Premium-Infotainment im Fahrzeug, zweitens um Autonomes Fahren sowie den Einsatz von Fahrerassistenz-Systemen und drittens um die Elektrifizierung und die steigende Produktion von Elektrofahrzeugen.
Dabei ist die Inputsituation unterschiedlich: Der sogenannte Halbleiter-Inhalt für traditionelle Automotive-Anwendungen von 350 Dollar pro Fahrzeug erhöht sich durch den Halbleitereinsatz für Infotainment & Konnektivität um etwa 100 Dollar pro Fahrzeug. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs treibt diesen Wert um durchschnittlich rund 450 Dollar nach oben, beim Autonomen Fahren sind es sogar 1.000 Dollar pro Fahrzeug.
Starkes Wachstum bei Halbleitern im Auto
Dabei wächst seit 2016 der Automobil-Halbleitermarkt im Schnitt schneller als die Fahrzeugproduktion. Überstieg das Halbleiterwachstum im Jahr 2016 dasjenige der Herstellung von Fahrzeugen um fünf Prozent, betrug der Abstand im ersten Halbjahr 2018 schon 13 Prozent. Jedoch hat sich auch hier der Absatz seit dem dritten Quartal 2018 konjunkturbedingt etwas abgeschwächt.
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