Tesla Model 3 Fahrbericht – Die Leichtigkeit des E-Autos
Ist das Model 3 von Tesla wirklich ein Gamechanger? electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz hat den Stromer ein Wochenende lang ausgiebig im Familienalltag getestet. Und macht sich nun noch mehr Sorgen um die etablierten Autohersteller als vorher schon. Hier ist sein völlig subjektiver Fahrbericht.
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Meine erste Begegnung mit dem Model 3 liegt schon ein knappes Jahr zurück. Damals, auf einer Messe in Hannover, hatte ein Aussteller ein US-Exemplar auf seinen Stand gestellt – es war ein Publikumsmagnet. Ich kann mich noch gut erinnern, wie enttäuscht ich war. Von dem für europäische Gewohnheiten unglücklichen Kofferraum, von so mancher miserablen Verarbeitung und der billig wirkenden Türmechanik. Fahren konnte ich das mit großen Erwartungen nur so überhäufte Elektroauto damals allerdings nicht.
Das sollte sich erst am vergangenen Wochenende ändern. Ein nagelneues Model 3 Performance der Elektroauto-Vermietung Nextmove – stationiert am Berliner Euref-Campus – stand für mich bereit. In der wohl schönsten Farbe, dem kräftigen Deep Blue Metallic, und auf 20-Zoll-Felgen öffnete es schon optisch mein verwöhntes deutsches Autoherz.
Die ersten Ampelstarts mit dem Dualmotor-Allradantrieb (340 kW kombiniert, 639 Nm Drehmoment) machten meinen Organen schnell klar, worauf sie sich an diesem Wochenende einzustellen hatten. Denn wer in seinem Freundes- und Familienkreis auch nur erwähnt, ein Tesla Model 3 zu fahren, kann sich vor Mitfahrwünschen kaum retten. Insofern hatte der rechte Fuß gut zu tun, die Drehstrom-Asynchronmaschine auf der Vorder- und die permanenterregte Synchronmaschine mit erhöhtem Reluktanzanteil auf der Hinterachse auf Drehzahl zu bringen. Jene 3,4 Sekunden, welche die Performance-Version gerademal benötigt, um aus dem Stand auf Tempo 100 zu spurten, wollten vielfach erlebt werden.
Nach vier Jahren mit einem BMW i3 – und beruflich bedingten Probefahrten in allen erdenklichen Elektroautos anderer Marken – bin ich an die Spurtstärke der Stromgefährte durchaus gewöhnt. Doch die einwandfreie Traktion und das formidable Handling des flachen Performance-M3 haben mir eine neue Dimension erschlossen. Natürlich ist das Auto in dieser Ausführung mit einem Brutto-Preis von 68.680 Euro weit weg von Elektromobilität für die Massen. Dieses Versprechen muss Tesla-CEO Elon Musk in Europa bekanntlich erst noch einlösen.
Doch – und hier setzt meine Sorge an – kenne ich ausreichend viele Menschen, die in dieser Preisklasse bisher ihre Autos von etablierten Premium-Herstellern beziehen. Einen BMW 330d als Limousine mit M Sport-Paket etwa bekommt man mit entsprechender Sonderausstattung problemlos in diese Sphäre konfiguriert. Mit dem Audi A4 oder S4 sowie der C-Klasse von Mercedes verhält es sich ganz ähnlich. Was all diesen Bestsellern deutscher Hersteller bis heute fehlt, ist eine elektrische Alternative – von PHEV-Brückenlösungen mal abgesehen.
Die Mühelosigkeit der Elektromobilität
Für technische Details-Erprobungen des Tesla Model 3, etwa zum Verbrauch oder den Funktionen des Autopiloten, war am Wochenende keine Zeit. Ich habe mich darauf beschränkt, mit der Familie den Autoalltag abzubilden. Das Laden an der Wallbox (dreiphasig, 11 kW), die Fahrt zur Eisdiele nahe einer Schnellladestation (von Delta mit 70 kW), das Cruisen im „Lässig“-Modus und das Fahren in der Stadt sowie auf der Autobahn und kurvigen Landstraßen. Etwas mehr als 300 Kilometer standen am Ende auf der Uhr. Die Begeisterung für dieses E-Auto hatte sich schon nach 24 Stunden eingestellt. Und das hat einen einfachen Grund: Was das Model 3 wirklich auszeichnet, ist seine maximale Alltagstauglichkeit. Es ist diese Mühelosigkeit, mit der Tesla dieses Elektroauto auf die Räder stellt, als wäre es das normalste auf der Welt – und nicht etwa eine gigantische Kampfansage an alle anderen Hersteller. Derweil haben die Kids übrigens vor allem das durchgängige Glasdach ins Herz geschlossen.
Als grandioser Schachzug erweist sich im Hinblick auf den Alltag nun die Entscheidung für den DC-Schnellladestandard CCS. Damit eröffnet sich dem Tesla Model 3 ein rasant wachsendes Ladenetz. In unseren fast auf die Sekunde genau 30 Minuten in der Eisdiele hatte die Batterie des Model 3 bei nahezu konstanten 70 kW um die 35 kWh aufgesogen – genug für die nächsten 200 Kilometer. An Stationen wie den Tesla-eigenen Superchargern oder den Power-Säulen von Ionity warten auf der Langstrecke bekanntlich noch ganz andere Leistungsklassen. Auch das geplante und netzschonende Laden über Nacht erwies sich dank einfachster Bedienung auf dem zentralen Display des Model 3 als kinderleichte Übung.
Computer auf Rädern
Überhaupt, das Display! Ich war – wie wohl die meisten Autofahrer – extrem skeptisch in Bezug auf das minimalistische Cockpit und die Bündelung aller Informationen auf diesem einen Bildschirm. Doch auch hier dauerte es keine 24 Stunden und der Umgang damit verlief weitgehend mühelos. Und die noch immer große Zahl an Schaltern und Knöpfen selbst in meinem schon modernen BMW i3 wirkt dagegen fast antiquiert. Klar, vor einem Überholmanöver auf dem Touchscreen spontan in den Sportmodus zu wechseln, ist anstrengender als der Druck auf einen Knopf, wie es bei den bekannten Marken funktioniert. Aber auch das ist Gewöhnungssache. Die gern bemühte Geschichte vom Computer auf Rädern – Tesla hat sie im Model 3 zur Perfektion getrieben. Vorteil: Das nächste Update ist nicht weit.
Selbstverständlich habe ich an dem Performance-Modell einige kleine Mängel gefunden, hässliche Lufteinlagerungen im Lack etwa oder Klebereste im Cockpit. Auch ein dumpfes Quietschen der Lenkung beim Ausparken war ab und an zu hören. Über das derzeitige Chaos bei den Auslieferunen will ich auch nicht nachdenken. Doch all diese Unzulänglichkeiten eines Newcomers im Autogeschäft können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Tesla mit dem Model 3 ein großer Wurf gelungen ist. Und wenn erst die günstigeren Varianten ihren Seeweg nach Europa finden, kann man nur hoffen, dass es die etablierten Hersteller Volkswagen nachmachen und ihre Elektro-Offensiven noch weiter beschleunigen. Oder sich daran gewöhnen, dass auch immer mehr Deutsche ein amerikanisches Auto kaufen.
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