Batterie vs. Brennstoffzelle: Fokus oder offene Flanke?
Volkswagen hat die Batterie-elektrische Mobilität zur dringlichen Aufgabe erklärt – und der Brennstoffzelle damit zumindest mittelfristig eine Perspektive im Automobil abgesprochen. Wir haben Volker Blandow, Global Head of E-Mobility beim TÜV SÜD, um eine Einschätzung dazu gebeten. Der Experte arbeitet vornehmlich in Asien – und warnt eindringlich vor H2-Vernachlässigung.
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Die aktuelle Diskussion in Deutschland, ob fokussiert die Elektromobilität gefördert werden oder ob man „technologieoffen“ alle alternativen Antriebe fördern sollte, erscheint zunächst seltsam, wenn man dies aus dem Blickwinkel von China betrachtet. In China hat die Elektrifizierung des Automobils – mit aktuell nahezu hunderttausend verkauften Einheiten im Monat – nicht nur sagenhafte Absatzzahlen erreicht, es hat auch ganzen Industriezweigen zu neuen Geschäftsmodellen verholfen. Vordergründig natürlich den Batterieherstellern und deren Zulieferindustrien.
Etwas weniger sichtbar, aber ähnlich erfolgreich, haben sich zudem unzählige Hersteller von Komponenten und von Ladeinfrastruktur in einem stabilen Marktumfeld etabliert. Es steht außer Frage, dass hinter diesem Erfolg gewaltige staatliche und private Investitionen stecken – sowie eine Regierung, die vor allem die Marktseite finanziell stark stützt. Mit verlässlichen Absatzzahlen lässt es sich als Industrie gut leben, da der durchaus existierende Wettbewerb die Produktqualität fördert. China zeigt, dass die Elektrifizierung ganzer Regionen mit PKW, Bussen, Lieferfahrzeugen, Taxis und Zweirädern technisch problemlos möglich ist. Zu bestimmten Zeiten sind in der Innenstadt von Shenzhen praktisch nur noch elektrisch betriebene Fahrzeuge unterwegs, was den Besuch in Straßencafés wirklich sehr angenehm macht.
Brennstoffzelle auch in China im Fokus
Und trotzdem hat sich in den vergangenen zwei Jahren mit der Brennstoffzelle eine zweite Form der Elektrifizierung in China sehr deutlich technisch auf den Weg begeben. Erneut wird dies von staatlichen Programmen unterstützt und von vielen privaten Akteuren, vornehmlich aus dem Nutzfahrzeugbereich, aber natürlich auch im Pkw-Segment, umgesetzt. China hat sich zudem bei wichtigen Technologielieferanten eingekauft. Ballard ist da nur das bekannteste Beispiel. Great Wall Motors hat ein riesiges Entwicklungszentrum für Wasserstoffantriebe und Infrastruktur in Betrieb genommen.
Was treibt China in diese Richtung, wo doch scheinbar alles auf den Erfolg des Batterie-elektrischen Fahrzeugs ausgerichtet ist? Hier geht der Blick der Chinesen vor allem auf die asiatische Konkurrenz aus Japan und Korea. Japan hat mit Toyota einen Player, der sogar so stark auf die Brennstoffzelle setzt, dass er das reine Batteriefahrzeug fast vergessen hat. Honda und Nissan folgen, auch weil Sie auf Augenhöhe mit Toyota bleiben möchten. Hyundai/Kia hingegen haben gezeigt, dass sich Brennstoffzellenfahrzeuge auch heute schon kommerzialisieren lassen. Die bereits dritte Technologiegeneration wird mit dem Nexo im Jahr 2019 weltweit ausgerollt, mit beachtlichen Parametern: 700 km elektrische Reichweite, 3 Minuten Betankungszeit, volle Reichweite im Sommer wie im Winter – und letzteres auch bei Autobahnfahrten. Das sind die Stärken der Technologie.
Im Grunde könnte man heutige Benzin- und Dieselfahrzeuge über Nacht gegen Brennstoffzellenfahrzeuge austauschen. Der Kunde würde keinen Unterschied merken, außer den typischen Vorteilen des elektrischen Antriebs, wie Ruhe und Drehmoment, und dass die Zapfsäule an der Tankstelle etwas anders aussieht und Kilogramm statt Liter anzeigt. Ein Brennstoffzellenfahrzeug gleicher Reichweite, gleicher Größe und gleicher Motorleistung wiegt gute 500 kg weniger als sein Batteriekollege (Model S vs. Honda Clarity 2). Dies ist zwar beim elektrischen Antrieb etwas weniger relevant als beim reinen Diesel/Benziner, es hat aber natürlich durchaus Relevanz bei der Frage nach dem Ressourceneinsatz. Wir steuern global auf mögliche 2-3 Milliarden Fahrzeuge in den nächsten 20 Jahren zu.
Wasserstoff als universeller Energieträger und Speicher
China betrachtet die Technologie zunächst aus der Sicht von Nutzfahrzeugen wie Busse und Lieferfahrzeuge, dann sollen schwere LKW folgen. Ein Überlandbus von BYD mit 300 bis 400 km Reichweite hat fast 3 Tonnen Batterien an Bord. Hier kann man die Sinnfrage durchaus stellen. Dass sich allein mit Nutzfahrzeugen die Stückzahlen in der Stack-Fertigung nicht – wie für eine relevante Kostensenkung notwendig – steigern lassen, hat man allerdings auch in China erkannt. Daher erfährt auch der Brennstoffzellen-Pkw weitreichende Aufmerksamkeit, auch wenn hier die Fahrzeugzahlen bei aktuell knapp 30 Millionen Neufahrzeugen pro Jahr nicht in den Himmel wachsen. Immerhin, mindestens eine Million Wasserstoffautos sollen es 2030 bereits sein, inoffiziell wird von deutlich mehr gesprochen, darunter einige zehntausend Busse.
Was bewegt speziell Japan so stark in Richtung Wasserstoff zu gehen? Die Olympischen Spiele 2020 sollen ganz im Zeichen dieses Antriebs stehen, weshalb knapp 100 Tankstellen gebaut wurden und alle Busse und Pkw mit Brennstoffzelle fahren werden. Es sind vor allem zwei Gründe, die in Japan gesehen werden: Energetisch glaubt Japan bislang nicht daran, sich allein mit in Japan erzeugter erneuerbarer Energie versorgen zu können, weshalb Importszenarien von Wasserstoff beispielsweise aus Australien entworfen werden.
Wasserstoff wird dabei zum universellen Energieträger und Speicher, Brennstoffzellen zu Stromerzeugern. Selbst die Stahlherstellung ließe sich damit durch die Substitution von Koks CO2-frei realisieren. Viele zehntausend stationäre Brennstoffzellen-Systeme sind bereits installiert. Die Menge Wasserstoff, die für den Transportbereich nötig wäre, ist dann im Vergleich eher sehr klein, wird quasi nebenbei mit abfallen.
Wachsende Abhängigkeit bei Rohstoffen
Ein anderer wichtiger Grund ist die Abhängigkeit von Zelllieferanten und den Batterierohstoffen. Die Kompetenz, Brennstoffzellen zu fertigen, haben alle OEMs im Haus, einzig kritischer Rohstoff ist momentan noch Platin. Hier gibt es aber wegen des hohen Bedarfs in Abgas-Katalysatoren eingespielte Versorgungswege. Der Rest ist fertigungstechnisch relativ leicht beherrschbar: Bleche stanzen, Membrane und Elektroden assemblieren, Stacks zusammenschrauben – ein integrierter Brennstoffzellen-Stack mit Nebenaggregaten sieht aus wie ein Verbrennungsmotor. Sogar Tanks könnten manche OEMs selbst fertigen oder von Zulieferern herstellen lassen. Japan fürchtet bei der reinen Batterie-elektrischen Mobilität zu viel an eigener Wertschöpfung zu verlieren, die gerade im von Japan bedienten Marktsegment wirtschaftlich problematisch werden könnte, auch in Konkurrenz zu Korea. Vor allem aber zu China, wo bislang die preiswertesten Batteriezellen gefertigt werden, also genau jene, die Japan für sein Marktsegment unbedingt benötigt.
Was bedeutet dies nun für Deutschland und seine Automobilindustrie? Zunächst wird aktuell in der Diskussion sehr viel Gutes und Wichtiges gesagt. Das Bekenntnis des VW-Konzerns zu den Klimaschutzzielen von Paris ist uneingeschränkt zu begrüßen und bedeuten nichts Anderes als eine fast schon radikale Elektrifizierung mit relevanten Flottenanteilen bereits bis 2030 – und nicht erst ab 2040. Danach dann aber natürlich umfassend.
Herausforderungen bei der Infrastruktur
Gleichzeitig wird damit quasi die Technologieoffenheit Richtung Verbrenner eliminiert. Für diesen kann es dann keinen Platz mehr geben und VW stellt sehr richtig dar, dass die Gesamteffizienz Well-to-Wheel bei synthetischem Benzin weit schlechter ist als beim Brennstoffzellenantrieb. Keine Frage, die Effizienz eines reinen Batterieantriebs ist nicht zu schlagen. Es gibt aber eben noch andere Kriterien, solange Emissionsfreiheit und Kostenparität gegeben sind, wie Infrastrukturen und deren Komplexität und Ausprägung genauso wie Nutzwert für Pkw-Kunden und Anwendbarkeit auf Nutzfahrzeuge.
Beide Technologien haben in der Infrastruktur ihre Herausforderungen, aber mit ein- bis zweitausend Wasserstoff-Tankstellen ließe sich Deutschland zuverlässig versorgen, eine gut abschätzbare und überschaubare Zahl. Bei der elektrischen Infrastruktur ist der finale Bedarf viel schwieriger festzustellen: Ab welcher Anzahl an Ladepunkten schöpft der Kunde wirklich Vertrauen? Was passiert am ersten Ferientag auf der Autobahn, wenn tausende Fahrzeuge gleichzeitig schnellladen wollen? Beide Infrastrukturen haben kaum Synergien und unterschiedliche Akteure, wobei Strom in beiden Fällen quasi die Primärenergie ist, Wasserstoff-Tankstellen sind dezentrale P2G-Anlagen und Energiespeicher.
Es wird ohne jede Frage Platz für beide Technologien geben, denn das heimische Laden hat einen nicht zu unterschätzenden Charme. Hat man sich erst daran gewöhnt, wird die Fahrt zur Tankstelle regelrecht zur Qual. Wer aber keine heimische Steckdose Richtung „Auto“ legen kann, für den ist eine Wasserstoff-Tankstelle ein Segen.
Deutschland sollte Brennstoffzelle nicht vernachlässigen
Bei der Batterie-elektrischen Elektromobilität beginnen die Akteure langsam die Vorteile der Sektorkopplung für das Energiesystem in die Überlegungen zur Ladeinfrastruktur mit einzubeziehen. Der netzdienliche Betrieb von Millionen Batteriefahrzeugen kann durch „smarte“ Steuerung dem Stromnetz eine gewisse Entlastung bringen. Für den Wasserstoff sind diese Überlegungen noch kaum zu den Fahrzeugherstellern vorgedrungen, obwohl alle mit erneuerbarem Strom für ihre BEVs planen.
In einem 100%-Szenario erneuerbarer Energien für Deutschland fallen systembedingt in den Simulationen des Forschungszentrum Jülich jährlich etwa 220 TWh überschüssiger Energie an (das ist etwa ein Drittel des heutigen Jahresbedarfs für Deutschland), die einerseits saisonal in Form von Wasserstoff gespeichert werden sollte – dafür wären Batterien viel zu teuer. Andererseits stehen damit dem Verkehrsbereich optional große Mengen Wasserstoff zur Verfügung. Dies dürfte so für die meisten Industrienationen gelten, die nur begrenzt Speicherseen haben.
Würde man die Brennstoffzellentechnologie (wieder!) einseitig Asien überlassen, wäre das eine Art Wette – eine Wette darauf, dass es die Brennstoffzelle nicht schafft, günstiger zu werden. Man könnte zwar in Deutschland durch auf BEV fokussierte Förderung ein „Biotop“ für Batteriefahrzeuge alleine dadurch schaffen, dass der Aufbau von Wasserstoff-Betankungsinfrastruktur soweit entschleunigt wird, dass der Kunde nicht genügend Vertrauen hat, eine Tankstelle für Wasserstoff zu finden, wenn er sie braucht. Aber was ist mit den Exportmärkten? Können wir sicher sein, dass unsere wichtigen Absatzmärkte wie Kalifornien und China uns auf diesem Weg folgen und den Wasserstoff auch links liegen lassen? Was wäre, wenn China auch für diese Technologie eines Tages eine Quote einführt, um wie beim BEV die Marktkontinuität bei abklingenden Subventionen zu sichern? Für eine Exportnation in Sachen „Automobil“ mag man diese Wette zumindest als gewagt bezeichnen. Tesla hat sich sehr klar gegen die Brennstoffzelle positioniert, einer der Mitbegründer von Tesla will mit Nikola den Gegenbeweis antreten. Werden wir zukünftig vielleicht Nikola Tesla wieder mit vollem Namen kennen?
Über den Autor
Volker Blandow stand schon kurz nach seiner Ernennung zum Global Head of E-Mobility beim TÜV SÜD als einer der ersten Branchenköpfe vor unserer Kamera: „Der elektrische Antriebsstrang im Fahrzeug ist eindeutig die Zukunft“, sagte Volker Blandow im Video-Interview mit electrive.net Ende 2011. Und er sollte Recht behalten…
Blandow kann man getrost als „Jetsetter der Elektromobilität“ bezeichnen. Fast immer ist er unterwegs zu einem Kunden oder einem „seiner“ vielen Batterieprüfzentren auf der Welt. Aktuell ist er bei der TÜV SÜD China Holding in Hong Kong stationiert und kennt die Märkte in Asien deshalb aus dem Effeff.
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