Experten entlarven Elektroauto-„Studie“ von Hans-Werner Sinn als unwissenschaftliche Meinungsmache
Elektroautos belasten das Klima um 11 bis 28 Prozent mehr als vergleichbare Diesel. Mit dieser steilen These haben es Hans-Werner Sinn und seine Co-Autoren Christoph Buchal und Hans-Dieter Karl kurz vor Ostern zu einem großen Medienecho in Deutschland gebracht. Allerdings wurde ihre „Studie“ binnen kürzester Zeit von echten Experten als unwissenschaftlich entlarvt.
Es lief fast wie bei den 100 Lungenärzten: Ein vermeintlich renommierter Professor, in diesem Fall der Ökonom Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, veröffentlichte am 17. April über den Schnelldienst des Münchner ifo-Instituts einen Artikel mit der vielsagenden Überschrift „Kohlemotoren, Windmotoren und Dieselmotoren: Was zeigt die CO2-Bilanz?“ (PDF hier). In der begleitenden Pressemitteilung, die dank Verbreitung über die Nachrichtenagentur dpa ihren Weg in unzählige regionale und überregionale Zeitungen fand, heißt es gleich in der Überschrift: „Elektroautos kein Allheilmittel für den Klimaschutz.“ Und so verwundert es kaum, dass es dann in der „Berliner Morgenpost“ wie in vielen anderen Medien, die den Sinn-Beitrag völlig unreflektiert aufgreifen, heißt: „Studie behauptet: Elektroautos klimaschädlicher als Diesel.“ Selbst die „Auto Bild“, die es dank Elektroauto-Experten in der Redaktion eigentlich besser wissen müsste, fragt ungeniert „E-Autos doch keine CO2-Saubermänner?“ Und legt sogar noch einen drauf: Die „ifo-Studie“ würde „ADAC-Berechnungen bestätigen“.
Diese Art von Medienecho war denn wohl auch das Ziel der Übung von Hans-Werner Sinn und seinen Co-Autoren: Zweifel am Elektroauto wurden gesät, der Stammtisch mit vermeintlichen Argumenten wider die Verkehrswende munitioniert. Dumm nur, dass es inzwischen viele Journalisten gibt, die sich mit der Materie auskennen und das ifo-Papier in kürzester Zeit als das entlarvten, was es ist: Fake News. Hervorzuheben wären hier zwei Beiträge: der von Moritz Diethelm auf Focus Online („Ifo-Institut rechnet E-Autos schlecht – und macht dabei viele Fehler“) sowie der von „WirtschaftsWoche“-Redakteur Stefan Hajek mit der Überschrift „Was Hans-Werner Sinn bei seiner Elektroauto-Studie übersehen hat“. Hier die zentralen Kritikpunkte:
- Hans-Werner Sinn rechnet bei seinem CO2-Vergleich zwischen Tesla Model 3 und Mercedes C 220 Diesel mit NEFZ -Laborwerten, was insbesondere den Diesel deutlich besser aussehen lässt als er auf der Straße ist. Dabei sind Daten zu beiden Fahrzeugen (WLTP oder EPA) problemlos zu bekommen. Aber dann passt halt das Ergebnis nicht.
- Sinn geht von einer Batterie-Lebensdauer von nur 150.000 Kilometer aus, was gerademal 300 Vollzyklen entspricht. Ein Vielfaches plus Second-Life-Einsatz und Recycling würde der Wahrheit entsprechen.
- Sinn et al addieren den Energieaufwand für die Produktion der Batterie einfach auf den Verbrauch laut Strommix, rechnen die eingesparten Bauteile aus dem Diesel (Verbrennungskraftmaschine, Getriebe, Auspuffanlage, Abgasreinigung) aber nicht gegen. Werden diese nicht auch unter Stromeinsatz in Fabriken hergestellt? Unseriös!
- Bei der Batterieproduktion wird generell die Verwendung von fossil erzeugtem Strom unterstellt (Stichwort: Schweden-Studie), was aber nicht belegt werden kann. Das erzeugt eine einseitige (gewünschte?) Wirkung.
- Beim Fahrstrom für den Tesla 3 berechnen die Autoren CO2-Emissionen, die um 16 Prozent höher liegen als die offiziellen Angaben des Umweltbundesamtes.Warum? Unklar. Das Umweltministerium hat das Elektroauto deshalb inzwischen als die Lösung mit der besseren CO2-Bilanz verteidigt, was auch die kürzlich veröffentlichte umfassende Studie (PDF) des Heidelberger ifeu-Instituts für die Agora-Energiewende belege.
All diese Punkte legen bereits nahe, dass Hans-Werner Sinn mit seinem Beitrag ein Ziel verfolgt hat und sich dafür einiger Tricks bedient hat. Stefan Hajek bringt es wohl auf den Punkt, wenn er schreibt: „Im Kern hat Sinn beim Diesel stets Best-Case-Szenarien, beim E-Auto aber Worst-Case-Szenarien angesetzt.“
Mit Prof. Dr. Markus Lienkamp bringt sich neben den versierten Journalisten obendrein noch ein erfahrener Experte gegen Sinn in Stellung. Lienkamp leitet an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik. Er schreibt in einem Kommentar, der electrive.net vorliegt, dass der ifo-Beitrag „unwissenschaftlich gemacht“ ist, „unpassende Annahmen trifft“ und „manche Aspekte ignoriert“. Zur wissenschaftlichen Expertise der ifo-Autoren äußert Lienkamp:
- Herr Sinn ist unbestritten ein hervorragender Ökonom, jedoch sicher kein Ingenieur oder Physiker.
- Herr Buchal gibt auf seiner Forschungshomepage auf ResearchGate folgende Kompetenzen an: Material Characterization, Materials, Nanomaterials, Thin Films and Nanotechnology, Microstructure, Advanced Materials, Nanomaterials Synthesis, Thin Film Deposition, Semiconductor Device Physics, Thin Film Technology. Im Bereich Automobil ist er mir als Experte nicht bekannt.
- Herr Karl ist ein ehemaliger Mitarbeiter des ifo-Instituts und in den gängigen Wissenschaftsportalen nicht auffindbar.
Zudem kritisiert Prof. Lienkamp, dass der Artikel im ifo-Schnelldienst erschienen ist und „keinem peer review Verfahren unterzogen worden sein“ dürfte. „Dies ist kein wissenschaftliches Publikationsorgan“, sagt Lienkamp. Der Artikel gebe somit nur die Meinung der Autoren wieder. Und die sei eben von einer Anti-Elektroauto-Ideologie geprägt, wie die Autoren interessanterweise schon im Vorwort selbst einräumen: „Wir erläutern die gegenwärtige Faktenlage so detailliert, weil wir in der postulierten vollständigen Emissionsfreiheit der E-Autos eine zielgerichtete industriepolitische Täuschung vermuten“, heißt es dort.
Man darf den Beitrag von Hans-Werner Sinn, Christoph Buchal und Hans-Dieter Karl also getrost zu den Grenzwert-Thesen der 100 Lungenärzte legen. Aufschrift der Schublade: Unwissenschaftliche Verschwörungstheorien.
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