Auswertung der These zur Debatte um Technologieoffenheit

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Für Volkswagen-CEO Herbert Diess ist klar: Auto-Deutschland muss sich jetzt auf Batterie-elektrische Mobilität konzentrieren. Widerspruch gibt’s von anderen Herstellern und aus dem Verkehrsministerium. Deshalb haben wir Diess‘ Aussage im April zur Abstimmung gestellt. Jetzt liegt die spannende Auswertung vor!

** Sie können sich die Auswertung der These hier auch als PDF herunterladen. **

Volkswagen will alles auf eine Karte setzen. Aus der Sicht des Konzerns gibt es in der nächsten Dekade keine Alternative zur Elektromobilität mit batteriebetriebenen Fahrzeugen (BEV). Das betonte dessen Vorstandsvorsitzender Herbert Diess bei der VW-Jahrespressekonferenz am 12. März mit Nachdruck. „Um den CO2-Fußabdruck unserer Flotte zu senken und die strengen EU-Vorgaben zu erfüllen, spielt der Elektroantrieb eine absolute Schlüsselrolle. Er ist auf absehbare Zeit die beste und effizienteste Möglichkeit für weniger CO2 im Straßenverkehr“, sagte er. „Technologieoffenheit ist jetzt die falsche Parole und führt nur dazu, den Systemwandel weiter in die Zukunft zu verlegen.“ Alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte seien deshalb aufgefordert, fortan an einem Strang zu ziehen, „um der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen“.

Diese Aussagen irritierten Diess‘ Kollegen in München und Stuttgart. War BMW und Daimler der Anspruch der „Technologieoffenheit“ doch wichtig, um neben dem Markthochlauf der Elektromobilität sowohl den Verbrennungsmotor möglichst lange zu erhalten als auch auf die Brennstoffzelle zu setzen. Spannungen im Verband der Automobilindustrie (VDA) waren die Folge. Sogar über einen Austritt von VW wurde kurzzeitig spekuliert. Schon am 20. März einigten sich die Chefs der drei großen deutschen Autobauer in einer Telefonkonferenz jedoch darauf, dass die batterieelektrische Mobilität im kommenden Jahrzehnt die einzige Technologie sei, mit der sich die Emissionsvorschriften der EU einhalten ließe. Brennstoffzellen-Autos (FCEV) würden erst später marktreif werden. Ein entsprechendes Konsenspapier wolle man ausarbeiten. Die Hersteller von bereits marktreifen Brennstoffzellenfahrzeugen werden sich daran nicht beteiligen. Auch das Bundesverkehrsministerium hält daran fest, dass es „alternative Antriebstechniken technologieoffen“ fördert.

„Technologieoffenheit ist jetzt die falsche Parole und führt nur dazu, den Systemwandel weiter in die Zukunft zu verlegen.“

Vor diesem Hintergrund stellten wir die Aussage von VW-Chef Diess zur Technologieoffenheit wörtlich als These des Monats April zur Diskussion – und erfuhren dabei mit insgesamt 512 Teilnehmern eine Rekordresonanz. Eine Minderheit der Teilnehmer stimmte der These vorbehaltlos (186) oder mit Vorbehalten (49) zu. Eindeutig oder mit Einschränkungen abgestritten wurde die Richtigkeit der These dagegen von einer Mehrheit von 230 bzw. 44 Teilnehmern. Hinzu kamen drei neutrale Bewertungen.

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Zeichnet man die Diskussion der These inhaltlich nach, so finden sich darin die folgenden Aussagen. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider.

Pro: Energieeffizienz spricht für batterieelektrische Mobilität

„Batterieautos haben den geringsten Primärenergie-Bedarf. Das macht sie attraktiv“, hatte Herbert Diess ein Chart seiner Präsentation bei der Jahrespressekonferenz überschrieben. Dieses Argument wird in zahlreichen Variationen auch in unserer Diskussion von den Befürwortern der These am weitaus häufigsten angeführt. „Ein BEV ist die effizienteste Art, sich mit einem Kfz im Verkehr zu bewegen“, schreibt beispielsweise ein Teilnehmer, während ein anderer meint: „Das Problem der Brennstoffzelle ist der hohe Primärenergiebedarf. Die Brennstoffzelle darf jetzt nicht als Ausrede verwendet werden, nicht in eine Batterieherstellung zu investieren.“ Ein Dritter wiederum bilanziert: „Welche Alternativen gibt es? eFuels (PtL) oder H2 (PtG). Letztlich ist schon heute klar, dass selbst bei einer signifikanten Effizienzsteigerung beider Prozesse die Wirkungsgrade Well-to-Wheel betrachtet nie so gut sein werden wie bei batterielektrischen Fahrzeugen. Die Alternativen würden dazu führen, dass wir unsere knappe Ressource an regenerativer Energie verschwenderisch einsetzen.“

Pro: Entschlossenheit und Fokussierung sind dringend geboten

„Technologieoffenheit ist im Grunde das Eliminieren konkreter Ziele“, bringt ein Kommentator seine Zustimmung zur These zum Ausdruck. Andere unterstreichen, dass die Konzentration auf ein Ziel geboten sei, um das Innovationstempo zu erhöhen. Eine solche Fokussierung werde insbesondere die Weiterentwicklung der Batterietechnologie beschleunigen. Ein Befürworter weist darauf hin, dass dies mittelfristig auch Brennstoffzellenfahrzeugen zugutekomme, denn „die Batterietechnik ist grundsätzlich zu optimieren, da alle elektrisch angetriebenen Fahrzeuge (also auch die BZ-Fahrzeuge) Batterien benötigen“. An anderer Stelle wird jedoch angemerkt, dass die Industrie gar nicht die Mittel habe, sich alle Möglichkeiten offen zu halten. So hätten sich Mercedes und BMW von der Brennstoffzelle verabschiedet, „weil es zu teuer ist“. Anschaulich plädiert ein Anhänger der VW-Strategie mit folgenden Worten für mehr Entschlossenheit: „Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt, und dazu muss man ein klares Ziel definieren und losgehen. Das ewige Studium der Landkarte bei gleichzeitigem Verharren auf demselben Fleck bringt nichts.“

Pro: Energiewende braucht Batterieautos jetzt!

Das dritte hauptsächliche und vielfach wiederholte Argument der Thesenbefürworter bezieht sich auf die (potenzielle) Netzdienlichkeit batterieelektrischer Fahrzeuge, die für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende unabdingbar sei. Stellvertretend dafür sei folgender Kommentar zitiert: „Mit batterieelektrischen Fahrzeugen und intelligenter Ladesteuerung und bidirektionalem Laden können Verbrauchskurven geglättet werden. Die Brennstoffzellentechnologie weist einen zu geringen Wirkungsgrad auf und eignet sich daher erst als wirksamer Beitrag in der Sektorenkopplung, wenn die Energiewende zu vollständiger Versorgung aus alternativen Quellen geführt hat.“

Zustimmung mit umgekehrtem Vorzeichen

Erstaunlich viele Diskutanten stimmen der These zu, indem sie – der Intention des VW-Chefs entgegengesetzt – einen Systemwandel hin zum Wasserstoffantrieb favorisieren. „Die Konzentration muss in Richtung Brennstoffzelle forciert werden“, heißt es beispielsweise in einem Pro-Kommentar. Auch stimmen zahlreiche Befürworter der These nur in dem Sinne zu, dass unter dem Rubrum Technologieoffenheit Verbrennungsfahrzeuge nicht weiter optimiert werden sollten. „Verbrenner sind nicht mehr up-to-date. Brennstoffzelle und Batterie gehört die Zukunft“, lautet ein in dieser Hinsicht typischer Kommentar. Ein Teilnehmer schreibt sogar „der Weg von Herrn Diess ist ein Irrweg“ – und stimmt trotzdem mit „Pro“.

Fokussierung und Offenheit schließen sich nicht aus

„Man sollte weiterhin offen für andere Technologien sein, deren Wandel beobachten und auch dort forschen. Der Hauptfokus und die damit verbundenen Gelder müssen jedoch aktuell auf den BEV liegen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Diese Eher-Pro-Meinung ist typisch für die vielen Kommentare, die wertungsunabhängig dafür plädieren, zwar derzeit der Entwicklung von BEV entschieden den Vorzug zu geben, dabei aber die Vorteile von Brennstoffzellen und eventuell auch von synthetischen Kraftstoffen keinesfalls aus den Augen zu verlieren, zumal es Anwendungsfälle gebe, „bei denen auch auf lange Sicht batteriegespeiste Elektroantriebe nicht zum Einsatz kommen können, Überseefrachtschiffe und Flugzeuge zum Beispiel“.

Contra: Anwendungsbezogen denken!

Diese Anwendungsbezogenheit ist der Anlass für zahlreiche Stimmen aus dem Contra-Lager, eine Technologieoffenheit bei der Entwicklung alternativer Antriebe vehement zu verteidigen. „Batterie und Brennstoffzelle haben ihren Platz in unterschiedlichen Segmenten: es werden beide gebraucht“. Für eine nachhaltige Mobilität müsse es beide geben. BEV sollten nicht auf „Reichweite getrimmt“, sondern vielmehr vorrangig im innerstädtischen Verkehr und auf Pendlerstrecken bis zu 150 km eingesetzt werden. Denn für Langstrecken, Busse und den Güterverkehr eigneten sich Brennstoffzellenfahrzeuge viel besser. „BEV sind eine charmante Lösung – als Smart Fortwo oder Honda Urban“, schreibt ein Diskussionsteilnehmer. „Der größte Teil der Verkehrslast ist damit aber nicht zu bewältigen. So simpel ist die Wirklichkeit.“

Contra: Nicht ein zweites Mal hinter Asien zurückfallen

In China, Korea und Japan habe man deshalb längst erkannt, dass die Verkehrs- und Mobilitätswende mindestens zweigleisig gestaltet werden müsse und treibe neben der Entwicklung von BEV auch die von FCEV voran. Darauf weisen viele Gegner der These hin. „Asien hat bereits einen großen Vorsprung in der Produktion von Batterieautos, das darf uns bei der Brennstoffzelle nicht passieren, wenn wir die Automobilindustrie in Deutschland behalten wollen.“ Zwar habe Deutschland im vergangenen Jahrzehnt seine internationale Führungsrolle bei der Entwicklung des Wasserstoffantriebs in Gefahr gebracht, noch verfüge es auf diesem Gebiet neben Japan aber über die besten Voraussetzungen zur Weltmarktführerschaft. „Es wäre ein unbegreiflicher Fehler, keine H2-Fahrzeuge zu entwickeln. Sollten die Deutschen das verpennen, kommen die begehrten Premiumlimousinen bald aus Asien.“

Contra: Bitte mehr Kundenorientierung

In diesem Kontext mahnen manche Contra-Kommentare an, stärker zu berücksichtigen „was der Kunde eigentlich will“ als darauf zu achten „welche Technologie schneller und kostengünstiger für das Unternehmen umsetzbar ist“. BEV und FCEV bedienten verschiedene Kundensegmente, von denen keines ausgeblendet werden dürfe. Wenngleich die Batterietechnologie ausgereifter sei als die Brennstoffzellentechnologie, so ließen BEV doch aus Kundensicht noch viele Wünsche übrig, insbesondere hinsichtlich ihrer „Reichweite, Betankungszeiten und der Verfügbarkeit von Ladepunkten“. Auf lange Sicht werde sich, so wird vorausgesagt, der Wasserstoffantrieb womöglich als nutzerfreundlicher erweisen. Prägnant formuliert heißt das: „Ich will elektrisch fahren wie ich es vom Diesel gewohnt bin. Das geht nur mit Brennstoffzellen.“

Contra: Innovation braucht Wettbewerb

Kundenorientierung wiederum braucht den Wettbewerb. Er wirkt innovationsfördernd. Nur in ihm „kann sich die beste, effektivste und kostengünstigste Technologie zeigen und durchsetzen“. Systemfestlegungen dagegen glichen einer Planwirtschaft. In diesem Sinne äußert sich eine beträchtliche Zahl von Thesengegnern. Präzise bringt das der folgende Kommentar auf den Punkt: „Der Verzicht auf eine Offenheit für mehrere Technologien kann immer nur für einzelne Subjekte im Wirtschaftsleben das Mittel der Wahl sein. Für eine Gesellschaft als Ganzes muss dieser Verzicht über kurz oder lang in die Irre führen. Er begrenzt Innovationen, beschränkt den Fortschritt und macht von einer einzelnen Technologie abhängig.“

Contra: Batterieelektrik ist nicht nachhaltig

Immer wieder wird in dieser Diskussion auch die Nachhaltigkeit von BEV in Frage gestellt. „Eine Konzentration auf Batterie-Autos ist eine Einbahnstraße, die zudem Abhängigkeiten von anderen Ressourcen schafft: Lithium & Co anstatt Erdöl.“ Die Rohstoffe für Batterien seien endlich, ihr Gewicht ein Ballast, ihre Entsorgung ein Zukunftsproblem. „Mit der jetzigen Technologie ist es mit dem Blick auf Nachhaltigkeit und einem schonenden Umgang mit den knappen Ressourcen dieser Erde geradezu ein Sakrileg, Pkw und Lkw mit großen Batterien für lange Strecken auszustatten. Wir sollten nicht von einer Ressourcenverschwendung zur nächsten übergehen. Ein Brennstoffzellensystem in Verbindung mit einer kleinen Batterie ist für die Natur die beste Lösung.“ Auf Dauer gesehen seien BEV daher vermutlich nur eine „Brückentechnologie“ und „Übergangslösung“.

Contra: Die Zukunft gehört dem Wasserstoff

Die Verfügbarkeit ausreichend großer Speicher für die überschüssige Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen ist eine essentielle Bedingung für das Gelingen der Energiewende. „Wasserstoff ist allen anderen Speicheroptionen deutlich überlegen“. Es zeichne sich ab, dass im Zuge einer zunehmenden Sektorenkopplung „Wasserstoff zukünftig in großen Mengen zur Verfügung steht und hierdurch auch in die Mobilität drängen wird“. In diesem Sinne sei der Brennstoffzellenantrieb „ein Aspekt einer künftigen wasserstoffbasierten, nachhaltigen Energiewirtschaft“. Seine Entwicklung dürfe deshalb auf keinen Fall vernachlässigt werden.

Fazit

Kein Teilnehmer dieser Diskussion freut sich nicht darüber, dass VW neuerdings entschlossen auf Elektromobilität setzt. Die meisten Teilnehmer jedoch – darunter zahlreiche, die der These zustimmen – widersprechen der Forderung des VW-Chefs, dafür nicht nur in seinem Unternehmen, sondern in Deutschland insgesamt die Technologieoffenheit bei der Entwicklung alternativer Antriebe zu opfern. Sie halten das für kurzsichtig und eigennützig gedacht. Denn wenn auch in den kommenden Jahren batterieelektrische Fahrzeuge zunächst aus guten Gründen dominierten, so würden doch mittelfristig nach Meinung der Mehrheit Brennstoffstellenfahrzeuge enorme Bedeutung gewinnen. Ohne sie sei eine nachhaltige Zukunft nicht zu verwirklichen. „Elektromobilität ist keine Frage von schwarz oder weiß“, fasst ein Diskussionsteilnehmer zusammen. „Je nach Anwendungsfall hat die Batterie oder die Brennstoffzelle ihre Berechtigung. In Sachen Batterie haben die deutschen Hersteller ganz klar die erste und die zweite Innovationswelle verpasst. Diesen Rückstand auch für die Brennstoffzelle zu riskieren, wäre fatal. Zumal der Brennstoffzellen-Mobilität durch renommierte Forschungsinstitute perspektivisch das größere Potenzial zugemessen wird!“

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