Volkswagen ID: Ladeinfrastruktur, JETZT
Wenn Volkswagen Druck ausübt, bekommt alles eine andere Dimension. Das gilt aktuell für den Schwenk zur Elektromobilität im Allgemeinen – und die Ladeinfrastruktur im Besonderen. Christoph M. Schwarzer hat sich auf dem Charging Day des Herstellers genauer umgehört. Und einen Konzern erlebt, der ein paar Dinge geregelt wissen will, bevor er mit Elektroautos die Straßen flutet.
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Merken Sie sich Elli. Der Name steht für Electric Life. Elli ist eine Gesellschaft des Volkswagen-Konzerns und bündelt die Aktivitäten beim Laden sowie bei der Energie. Das Ziel ist, die Batterie-elektrische Mobilität in Form der ID.-Serie massentauglich zu machen. Wenn nicht nur technikaffine Fachleute, sondern normal interessierte Alltagsmenschen elektrisch fahren, muss alles funktionieren – simpel, übersichtlich und aus einer Hand. Das erste Produkt von Elli ist Volkswagen Naturstrom. Das Mosaik der Anwendungen bei der Ladeinfrastruktur aber ist bunt, es besteht aus vielen Teilen, und erst mit etwas Abstand ist das ganze Bild sichtbar.
So bietet Elli für Privatkunden zur elf kW-Wallbox auch den Installationsservice an. Volkswagen wird neben einer preisgünstigen (Spekulation: unter 1.000 Euro inklusive Montage) Standardversion eine gleichstarke 4G-fähige Variante mit erweiterter Software anbieten. Eine digitale Anwendung könnte sein, den Strom für einen Dienstwagen zu zählen und zu speichern, der in der heimischen Garage geladen wird. Weil die Frage der Besteuerung nicht exakt geklärt ist, formuliert Elli-CEO Thorsten Niklaß im Gespräch mit electrive.net eine dringende Bitte an die Politik: „Der Gesetzgeber muss eine klare Regelung schaffen.“ Diesen Satz sagt auf dem Volkswagen Charging Day in Berlin nicht nur er; die Forderung nach eindeutigen Vorgaben, die von der Industrie umgesetzt werden können, ist überall zu hören. In diesen Zusammenhang gehört auch die überfällige Novelle des Miet- und Wohnungseigentumsrechts. Was nicht zuletzt auch eMobility-Vorstand Thomas Ulbrich im electrive.net-Interview forderte.
Roboter statt induktivem Laden
Neben den Wallboxes, die zu Hause und am Arbeitsplatz errichtet werden können, gibt Volkswagen auch einen voll funktionsfähigen Ausblick auf die nahe Zukunft: Ein Roboter stellt die Steckverbindung mit dem Fahrzeug her. Dieses automatisierte konduktive könnte das Ende des induktiven Ladens sein, bevor das überhaupt angefangen hat – ein Miniroboter ist billiger und bei der weltweiten Standardisierung weniger aufwändig.
Immer wieder münden die Vorträge auf dem Charging Day vom Jetzt ins Bald. Dazu nochmal Elli-CEO Thorsten Niklaß: „Wir erwarten den Durchbruch zuerst bei den Flottenbetreibern.“ Die professionellen Fuhrparkmanager befassen sich längst mit den Potenzialen des firmeninternen Infrastrukturaufbaus, und die 0,5-Prozent-Regelung verstärkt die Motivation bei den Anwendern. Zusätzlich gibt es pragmatische Lösungen wie den Aquädukt von ChargeX. Das von Volkswagen unterstützte Startup hat eine Wallbox entwickelt, bei der eine Art Masterbox durch Plug & Play niederschwellig erweitert werden kann. Dazu gehört ein sequentielles Lastmanagement, sodass im Ergebnis für die Tiefgaragen einer Eigentümergemeinschaft oder den Firmenparkplatz ein Micro Grid aufgebaut werden kann – zu geringeren Kosten und auch bei einem schmalen Anschluss mit zum Beispiel 32 Ampere.
Digitalisierung des Stromnetzes mangelhaft
Viele Ideen, die mindestens seit Beginn dieses Jahrzehnts in der Welt der Elektromobilität verankert sind, könnten durch die Schlagkraft von Volkswagen endlich zur Wirklichkeit werden. So wird der ID.3 zwar nicht vom Produktionsstart an, aber in absehbarer Zeit netzdienlich und sogar bidirektional laden können. „Ich wundere mich, wie langsam sich der Energiesektor entwickelt“, kritisiert Thorsten Niklaß von Elli die Branche. Denn die Digitalisierung der Stromnetze kommt nicht voran, obwohl die Energiewende das über kurz oder lang erfordert. Und hier eröffnet sich ein breites Betätigungsfeld fürs Elektroauto, denn das netzdienliche und das bidirektionale Laden sind auch ein potenzielles Geschäftsmodell – die Vorstellung vom eigenen Pkw als Akteur am Strommarkt ist trotzdem leider noch im Denkstadium. Die Quote der erneuerbaren Energien liegt unterdessen, gemessen ab Jahresbeginn, bei knapp 47 Prozent. Sollte diese oder eine andere Bundesregierung endlich den Fuß von der gesetzlich verordneten Ausbaubremse nehmen, wird der Anteil zunehmen, und das muss er angesichts der Sektorkopplung von Strom, Wärme und Verkehr radikal.
Das Kürzel VW, so merkt es Christian Hochfeld vom grünen Thinktank Agora Verkehrswende ohne Ironie an, könne statt für Volks-Wagen für Verkehrs-Wende stehen. Hochfeld skizziert die Notwendigkeit des Antriebswechsels, um den Klimawandel zu begrenzen. Der Direktor von Agora Verkehrswende wirkt im Umfeld von Volkswagen keineswegs fremd, im Gegenteil passt sein Vortrag so gut zum Ausbau der Ladeinfrastruktur, dass erst der ernüchternde Blick aus dem Fenster auf die Straße mit der Dominanz von Verbrennungsmotoren wieder klarmacht, wo wir herkommen und wo wir stehen.
Plug&Charge statt App und Chip
Zurück zum Laden: Volkswagen bereitet neben der anfänglichen Identifikation per App oder Chip unter dem Label We Charge das automatisierte Plug&Charge vor. Das mag vielen Branchenkennern banal erscheinen, weil die ISO 15118 grundsätzlich dafür ausgelegt ist, aber genau darum geht es eben: In dem Augenblick, wo Volkswagen Druck ausübt, bekommt alles eine andere Dimension. Niemand muss den Konzern sympathisch finden, und das durch Dieselgate verlorengegangene Vertrauen ist nicht zurückgewonnen. Es sollte dennoch jedem klar sein, dass Volkswagen mit den diversen Marken von Audi über Porsche bis Skoda nicht nur in Deutschland und der EU, sondern schlicht Weltmarktführer ist. Was hier passiert, wirkt.
Die Anwendungen von Volkswagen für die Ladeinfrastruktur werden vielfältig sein, und selbstverständlich werden einige Lösungen erfolgreich sein und andere verschwinden. Ausweichend reagieren die Mitarbeiter nur, wenn sie nach Szenarien wie dem ersten Urlaubstag gefragt werden, wenn tausende Familien gleichzeitig auf der gleichen Route nach Süden starten. Die Branche denkt nicht in Grenzen – sie testet sie aus.
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