Ionity: Jeden zweiten Tag ein neuer Ladepark
In Brohltal-Ost in der Eifel hat es im April 2018 angefangen, heute betreibt Ionity über 100 Schnellladeparks in Europa. In anderthalb Jahren sollen es schon vier Mal so viele sein. Das Tempo in den vergangenen Wochen war hoch – es muss auch so hoch bleiben, zeigt Sebastian Schaal in seinem Wasserstandsbericht.
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Von 0 auf 100 in 20 Monaten: So könnte man kurz und knapp die Bilanz von Ionity zusammenfassen. Als das Gemeinschaftsunternehmen von Audi, BMW, Daimler, Ford, Porsche und Volkswagen Ende Mai seinen 100. HPC-Ladepark (High Power Charging) im südnorwegischen Rygge eröffnete, war das in der Tat ein Meilenstein – keine zwei Jahre nach der Gründung des Unternehmens.
Wie schnell der Ausbau vorangeht, zeigt ein einfacher Blick auf die Karte: Drei Wochen nach der Zeremonie in Norwegen sind zwischen Ytteran in Schweden und Valdichiana in Italien 112 Ladeparks in Betrieb – in 14 Ländern. Das Tempo ist enorm. Zum Vergleich: Das niederländische Unternehmen Fastned hat seit Juni 2019 ebenfalls 100 HPC-Parks in Betrieb, dafür seit der Gründung aber fast sieben Jahre benötigt. Und das in gerade einmal drei Ländern, die Komplexität bei den Genehmigungen ist da geringer.
Der schnelle Ausbau bei Ionity soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Unternehmen seinen eigenen Plänen hinterherhinkt: Ursprünglich sollten bereits zum Jahreswechsel 100 Ladestandorte stehen, wie Ionity-Chef Michael Hajesch noch im Oktober 2018 in einem Interview bekräftigte. Erreicht wurde diese Marke knapp sechs Monate später.
Wo steht Ionity derzeit? Ist das Ziel der 400 angekündigten Standorte, die bis Ende 2020 in Betrieb sein sollen, noch zu erreichen?
„Absolut“, findet Hajesch heute. „Wenn wir die Schlagzahl der vergangenen Monate durchhalten, werden wir unser Ziel nächstes Jahr erreichen“, sagt der Ionity-Chef gegenüber unserer Redaktion. „Das Frontloading zahlt sich aus.“ Das „Frontloading“ ist die Vorarbeit, die für den Kunden unsichtbar bleibt: Komponenten werden bestellt, Standorte vertraglich gesichert, Genehmigungen eingeholt. Bis der erste Bagger rollt, sind 85 Prozent der Arbeit bereits erledigt.
Um den Ausbau zu veranschaulichen: Ende März waren knapp über 60 Ladeparks mit durchschnittlich sechs Ladepunkten in Betrieb. Zehn Wochen später schon 50 mehr. Das wird aber so nicht weiter gehen. In einigen Ländern wollen die Behörden zusätzliche Baustellen an Autobahnen und Raststätten in der Ferienzeit vermeiden. „Das verzögert natürlich unseren Rollout in dieser Zeit“, sagt Hajesch.
In 82 Tagen zum neuen Ladepark
Das Zeitfenster ist eng: Im Sommer bremsen urlaubsbedingte Abwesenheiten und die behördlichen Genehmigungen, im Winter kann das Wetter die Baustellen um Wochen zurückwerfen. In den nordischen Ländern konnte im vergangenen Jahr praktisch ab Oktober nicht mehr gebaut werden. Immerhin: Inzwischen baut Ionity vermehrt in Südeuropa. Dennoch kann das Wetter Pläne über den Haufen werfen – und eine Verzögerung führt dann zur nächsten.
Passt aber alles, geht es recht schnell. Bislang liegt die durchschnittliche Bauzeit bei weniger als 82 Tagen – um Anschlüsse zu legen, Fundamente für Säulen und Trafos zu gießen, Parkplätze anzulegen und die ganze Technik zu installieren.
Um deren Beschaffung muss sich Ionity nach eigenen Angaben keine Gedanken mehr machen. „Wir haben frühzeitig mit allen Lieferanten Verträge geschlossen, die unseren Bedarf abdecken“, so Hajesch. „Jetzt im Rollout rufen wir nur noch die bestellte und zugesicherte Hardware ab.“ Ganz reibungslos geht aber auch das nicht: In Nempitz nahe Leipzig sind seit Wochen die Ladestationen installiert. Dennoch ist die Anlage noch nicht in Betrieb, weil offensichtlich noch der Trafo fehlt. Und bei den Grundstücken seien für etwa 95 Prozent der geplanten Stationen Verträge mit den Eigentümern unterzeichnet.
Eine Änderung steht aber noch an: Bislang hat Ionity die Ladesäulen im Design der jeweiligen Hersteller Tritium, ABB oder Porsche Engineering in Betrieb – und noch nicht das eigene „Zieldesign“, das Ionity gerne auf seinen Grafiken verwendet. Wenn das HPC-Netz steht, sollen Design und Nutzeroberfläche für den Kunden an allen Stationen gleich sein, egal welche Technik sich dahinter verbirgt. Das erste Gerät im finalen Design befindet sich derzeit in der Abnahme, danach sollen die ersten Säulen ausgeliefert werden.
Gut möglich, dass die ersten Exemplare in Deutschland stehen werden. 28 Stationen sind hier schon in Betrieb, so viele wie in keinem anderen Land. Dazu kommen noch acht Baustellen. Aber auch mit dann 36 Stationen ist die Verteilung nicht optimal: Zwischen Magdeburg, München, Stuttgart und Bonn ist das Netz zwar so engmaschig, dass die E-Autofahrer sogar die eine oder andere Station auf der Langstrecke auslassen können. Anderenorts sieht es aber mau aus: Die gut befahrene A24 zwischen Berlin und Hamburg muss vorerst ohne Ionity-Station auskommen. Und auch das große Niedersachsen ist ein fast weißer Fleck auf der Karte. Nur ganz im Südwesten an der A30, direkt an der Landesgrenze zu NRW, sind vier Ladesäulen. Und selbst wenn jetzt die neue Station in Wolfsburg steht, ist zwischen Ostfriesland und der Elbe (bis runter nach Göttingen) keine Ionity-Station in Sicht. Ob hier später, also nach 2020, noch Ladeparks hinzukommen, ist aktuell nicht klar.
Man werde über 2020 hinaus natürlich weitermachen, heißt es aus dem Unternehmen. Zu konkreten Standorten, die noch nicht genehmigt sind, will sich Ionity auch mit Blick auf die Konkurrenz aber nicht äußern.
Probleme beim Betrieb der Ladeparks
Neben dem schnellen Netzausbau steht Ionity noch vor einer anderen Herausforderung: Der zuverlässige Betrieb der Ladeparks. Je mehr Elektroautos auf die Straßen kommen, desto häufiger stehen sie auch an den Ladesäulen – und da kann es schon einmal zu Problemen kommen.
Die Ursachen dafür sind vielfältig. Mal hakt die Kommunikation zwischen der Ladesäule und den Servern des Anbieters, über dessen Ladekarte abgerechnet werden soll. Ein anderes Mal startet der Ladevorgang (zurecht) nicht, weil sich bei Regen oder Schnee Feuchtigkeit über die Kontakte am Auto oder der Säule gelegt hat. Oder aber das Kabel ist schlicht nicht richtig eingesteckt.
Um den Kunden zu helfen, setzt Ionity vor allem auf seine Hotline. „Wir haben Schnittstellen zu allen Beteiligten eingerichtet, also sowohl den Hardware-Lieferanten als auch den Autobauern – nicht nur zu unseren Shareholdern, sondern zu allen Unternehmen, die Elektroautos verkaufen“, sagt Hajesch. „Bis jetzt haben wir noch jedes Fahrzeug zum Laden gebracht.“ Den Einsatz der Ionity-Hotline kann man unter anderem hier sehen.
Unter den ganzen kleineren und größeren Problemen beim Laden sticht jedoch eines hervor: Der Audi e-tron quattro – also eines jener deutschen Elektroautos, für das die Hersteller Ionity gegründet haben – schien besonders anfällig zu sein. Im Internet finden sich viele Videos und Berichte, in denen die Fahrer über Probleme an Schnellladesäulen klagen. Nach wenigen Sekunden brach da der Ladevorgang ab – noch während des „Handshakes“, also bevor Strom geflossen ist. Die Ursache hierfür scheint der Ladeport des e-tron zu sein: Er ist minimal größer, deshalb kann das schwere, flüssigkeitsgekühlte Ladekabel einer Ionity-Station den CCS-Stecker wieder minimal aus der Buchse herausziehen – gerade weit genug, dass die Kommunikation zwischen Auto und Ladesäule unterbrochen wird.
„Bei CCS sollte es keine Probleme geben, da jeder Autobauer die Technik nach dem festgelegten Standard implementiert“, sagt Hajesch dazu. „Wenn aber die vorhandenen Toleranzen des Standards ungünstig ausgelegt werden, kann es durchaus zu Problemen kommen.“ Aber: Man könne nur das beeinflussen, was auch im eigenen Verantwortungsbereich liege. Die Toleranzen in der Ladebuchse eines E-Autos zu kontrollieren, gehört für Ionity naturgemäß nicht dazu.
Die Zeit dafür dürfte Hajesch und seinem Team auch fehlen. Die ausstehenden 288 Ladeparks in 18 Monaten werden ihre volle Aufmerksamkeit fordern. Das bedeutet nämlich einen neuen Ladepark alle zwei Tage. Bald wird sich zeigen, wie gut die Vorarbeit wirklich war.
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