85 Model 3 storniert: Elektroauto-Vermietung Nextmove erhebt schwere Vorwürfe gegen Tesla
Nextmove nimmt weit weniger Tesla Model 3 in die Flotte auf als vorgesehen. Ende 2018 hatte das Unternehmen 100 Tesla Model 3 bestellt. Nach Problemen bei der Auslieferung der ersten Exemplare hat der Autobauer die weitere Bestellung storniert – immerhin 85 Fahrzeuge im Wert von rund fünf Millionen Euro.
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Bei den Auslieferungen der ersten 15 Fahrzeuge im Frühjahr 2019 sei laut Nextmove nur jedes vierte Model-3-Neufahrzeug ohne Mängel gewesen. Unserer Redaktion liegen Übergabeprotokolle vor, in denen bis zu sieben Mängel je Fahrzeug aufgelistet sind – größtenteils handelt es sich dabei um optische Mängel wie Lackeinschlüsse, Kratzer im Lack oder Innenraum, aber etwa auch Feuchtigkeit in einem der Scheinwerfer.
Schwerwiegender sind jedoch auch sicherheitsrelevante Mängel, wie etwa ein stark beschädigter Reifen. In einer Pressemitteilung nennt Nextmove zudem noch defekte Laderegler, falsche Kabelbäume oder fehlende Notruftasten. „Solche Qualitätsmängel hätten die Sicherheit der Kunden und die Wirtschaftlichkeit von Nextmove gefährdet“, heißt es in der Mitteilung.
„Tesla ist offenbar in der Servicehölle angekommen“, sagt Nextmove-Geschäftsführer Stefan Moeller dazu. Der nächste Vorwurf hat es in sich: Eine zunächst erfolgte Einigung mit Tesla Deutschland über einen Prozess zur mangelfreien Übergabe bzw. für termingerechte Reparaturen habe Tesla zurückgenommen, Nextmove ein 24-Stunden-Ultimatum gesetzt und nach dessen Ablauf die Bestellung von besagten 85 weiteren Fahrzeugen storniert. „Wie bereits gestern telefonisch angekündigt, möchte Tesla gern an den regulären Prozessen festhalten. Daher wird Tesla heute, die zur Abnahme überfälligen Fahrzeuge, gemäß der Fahrzeugsverkaufs-Bedingungen stornieren“, schrieb der Autobauer in einer Mail an die Elektroauto-Vermietung.
„Wir wissen nicht, ob wir ein Einzelfall sind oder generell so mit Geschäftspartnern umgesprungen wird. Wir bedauern das sehr“, so Moeller. „Aber: Letztlich haben wir nur auf der Einhaltung marktüblicher Qualitätsstandards und Prozesse gedrängt, um unsere Mieter und unser Geschäftsmodell zu schützen.“
Auf Anfrage von electrive.net wehrt sich Tesla gegen den Vorwurf, selbst die Stornierung veranlasst zu haben. „Es ist falsch zu sagen, dass Tesla die Bestellung storniert hat, da es der Kunde war, der keine weiteren Autos angenommen hat, die vor Ort zur Auslieferung bereit waren“, sagte ein Sprecher des Unternehmens. „Wir glauben, dass die Entscheidung des Kunden, die verbleibenden Model 3-Bestellungen nicht vollständig anzunehmen, nicht ausschließlich auf Qualitätsproblemen beruhte, sondern in hohem Maße von seiner Enttäuschung über einen unabhängigen Streit von Anfang des Jahres beeinflusst wurde.“ Eine Erklärung, die nahezu wortgleich auch gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg gegeben wurde, die ebenfalls über die Vorgänge zwischen Nextmove und Tesla berichtet.
Nextmove steht unter gewissem Zugzwang, denn nach der Bestellung der 100 Fahrzeuge hat das Unternehmen mit Kunden bereits zahlreiche Langzeit-Mietvertäge abgeschlossen. Diese mussten teilweise gekündigt oder den Kunden zum rabattierten Preis ein anderes Elektroauto vermietet werden. Im Sommer hat Nextmove nach eigenen Angaben vier Model 3 über das Internet bestellen wollen. „Das Resultat war, dass uns Tesla nachweislich Fahrzeuge als neu anbot, die bereits einmal auf eine Privatperson zugelassen waren“, so Moeller.
Das hätte in erster Linie zwei Folgen gehabt: Das BAFA gewährt den Umweltbonus nur für Fahrzeuge, die zum ersten Mal zugelassen werden. Wenn die Model 3 wie von Nextmove behauptet bereits zugelassen waren, hätte man trotz des Angebots als Neuwagen den Umweltbonus nicht mehr beantragen können. Zudem hätte man die Umsatzsteuer nicht mehr als Vorsteuer beim Finanzamt geltend machen können.
Zu diesem Vorwurf erklärte Tesla, es habe sich um ein „vorübergehendes Systemproblem mit der VIN-Zuordnung“ (Vehicle Identification Number) gehandelt, das inzwischen gelöst sei. Es sei falsch anzunehmen, dass Tesla jemals die Lieferung von Autos mit Fahrgestellnummern, die zuvor für einen anderen Kunden registriert wurden, geplant habe.
Auf Fahrzeuge von Tesla verzichten will Nextmove nicht, zumindest nicht vollständig. „Obwohl wir das Model 3 für das derzeit beste Elektroauto der Welt halten, setzen wir nun stark darauf, dass kommendes Jahr andere Hersteller mit konkurrenzfähigen Fahrzeugen auf den Markt kommen – und zudem wissen, was Kundenservice bedeutet“, sagt Moeller. „Aber natürlich werden wir auch immer wieder testen, ob sich Tesla aus der Servicehölle befreien kann.“
Nextmove hat nach eigenen Angaben 38 Model S und 12 Model X in der Flotte. Die ersten zehn Model S habe man bereits 2015 gekauft. Bereits vor dem offiziellen europäischen Verkaufsstart des Model 3 im Frühjahr 2019 hatte Nextmove 2018 mehrere Model 3 aus den USA importiert und so das Volumenmodell bereits vor dem Marktstart vermietet.
Update 21.08.2019: In einem neuen Video ordnet Nextmove-Geschäftsführer Stefan Moeller das Statement von Tesla in Reaktion auf die „Servicehölle“-Vorwürfe der Elektroauto-Vermietung ein. Moeller befeuert auch das in Branchenkreisen schon länger kursierende Gerücht, wonach Jochen Rudat, Director Central Europe bei Tesla, „seit einigen Wochen nicht mehr im Unternehmen tätig ist“. Die Redaktion von electrive.net versucht schon länger, ein Statement dazu von der Tesla-Pressestelle zu bekommen – bisher vergeblich. Auch die Kontaktaufnahme zu Jochen Rudat selbst ist mehrfach gescheitert, weshalb wir inzwischen sehr ernsthaft davon ausgehen, dass er das Unternehmen tatsächlich verlassen hat.
Update 22.08.2019: Nach den Spekulationen um seinen Abgang hat sich Jochen Rudat zu Wort gemeldet – jedoch nicht über eine offizielle Tesla-Mitteilung. Gegenüber elektroauto-news.net sagte Rudat: „Ich bin nach wie vor bei Tesla angestellt und weise anderslautende Gerüchte entschieden zurück.“ Es bleiben aber Zweifel: Das Portal erwähnt aber auch Gerüchte, wonach Rudat beurlaubt sei. Damit entsprächen beide Aussagen der Wahrheit – noch angestellt, aber nicht mehr im Unternehmen tätig.
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