Elektromobilität bei Innogy: Aus Erfahrungen gelernt
Seit zehn Jahren ist Innogy, früher unter RWE-Flagge, in der Elektromobilität unterwegs. Bei der Bestandsaufnahme mit electrive.net kündigt Geschäftsführerin Elke Temme neue Innovationen an – und berichtet von den Erfahrungen aus einer Durststrecke. Im Gespräch mit Sebastian Schaal hat sie auch angedeutet, wie es unter dem Dach von E.ON weitergehen könnte.
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„Nach weit mehr als 100 Jahren Entwicklungsgeschichte des Verbrennungsmotors im Straßenverkehr deutet sich mit der Elektromobilität eine technologische Zeitenwende im Verkehrsbereich an. Die Elektrifizierung der Antriebe ist eine ganz wesentliche Stellschraube für eine zukunftsfähige Mobilität. Sie bietet die Chance, die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren, die Emissionen zu minimieren und die Fahrzeuge besser in ein multimodales Verkehrssystem zu integrieren.“
Das steht in der Einleitung des „Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung“, datiert auf den 19. August 2009. Rückblickend klingen diese Worte aktueller denn je, in dieser Zeit ist viel passiert – und angesichts der heutigen Lage doch zu wenig. Zum Stichtag 1. Januar 2010 waren 1.588 Autos mit Elektroantrieb in Deutschland zugelassen, sagenhafte 0,0038 Prozent des Fahrzeugbestands.
Trotz solcher Zahlen und der freundlich formuliert zurückhaltenden Modellpolitik der deutschen Autobauer – VW war zum Beispiel gerade mitten in der Piëch-Winterkorn-Ära – hat RWE seitdem in die Elektromobilität investiert. Es gab wenige Elektroautos und noch weniger Ladepunkte. In den Folgejahren fiel nicht nur das berühmte Merkel-Zitat mit einer Millionen Elektroautos bis 2020, es wurde auch viel über das Henne-Ei-Problem diskutiert. Und über Umweltbilanzen, die Belastung des Stromnetzes und die Blackout-Gefahr.
Und heute? „Wir befinden uns gerade im Übergang vom Henne-Ei-Problem in einen Zustand, in dem wir ausreichend Ladeinfrastruktur für den aktuellen Fahrzeugbestand haben“, sagt Elke Temme. „Viele Punkte sind bereits gelöst oder sehr kurz davor. Die Reichweite ist mittlerweile kein Thema mehr und wir sehen, dass immer mehr interessante Auto-Modelle auf den Markt kommen.“ Die Managerin ist Mitglied der Geschäftsführung der Innogy eMobility Solutions GmbH und somit nah dran an der Marktentwicklung der Elektromobilität. Die genannte GmbH entwickelt und managt als Technologieanbieter Ladestationen – der „Ladeanbieter“ beim Laden an einer Innogy-Säule, der auch die Ladetarife festlegt, ist aber eine andere Abteilung.
Neben der steigenden Anzahl an E-Autos und deren höheren Reichweite macht Temme diese Aussage natürlich auch an der Ladeinfrastruktur fest. Die aktuellen Zahlen des Ladesäulenregisters scheinen das zu bestätigen – mit 20.650 öffentlich zugänglichen Ladepunkten ist deren Zahl alleine innerhalb der vergangenen 12 Monaten um 50 Prozent gewachsen.
Innogy steckt hinter vielen Säulen von Stadtwerken
Der überwiegende Teil dieser Ladepunkte wird von Energieunternehmen betrieben – teilweise von kleinen Stadtwerken, aber auch Großkonzernen wie EnBW oder eben Innogy. Wie eine aktuelle Studie von Accenture prognostiziert, bildet sich rund um das Laden von Elektroautos für Energieversorger ein enormer Markt – bis 2040 rechnen die Unternehmensberater mit 190 Milliarden Euro.
In diesem Feld kann Innogy gleich doppelt profitieren: Neben den selbst betriebenen Ladesäulen greifen auch viele Stadtwerke auf Hard- und Software des Konzerns zurück. Bei diesen White-Label-Lösungen kann der Kunde dank offener Schnittstellen relativ unkompliziert seine eigenen Services zusammenstellen – ob er lediglich das Abrechnungssystem in sein eigenes Portal einbindet oder die komplette App übernimmt und lediglich die Logos austauscht.
Auch das Backend ist mit der Zeit gewachsen und ausgebaut worden – und wickelt nach Temmes Angaben bereits über 100.000 Ladevorgänge pro Monat ab. „Bei der Technologie sind wir gut aufgestellt, sowohl bei der Hardware als auch bei der Software. Wir sind vor zehn Jahren als Pionier gestartet und viele technische Weiterentwicklungen von uns würde ich immer noch als Pionierleistung bezeichnen“, sagt Temme. „Beim eichrechtskonformen AC-Laden waren wir ganz vorne und auch im DC-Bereich werden wir durch unsere Kooperation mit Isabellenhütte Vorreiter sein.“
Insgesamt eine lange Zeit, in der das Unternehmen zahlreiche Daten und Erfahrungen sammeln konnte – etwa bei der Planung, dem Lastmanagement oder dem Zusammenspiel mit erneuerbaren Energien im Stromnetz. Ein Learning: intelligentes Laden ist eine Schlüsseltechnologie. „Die Debatte um Blackouts, den Netzausbau und angeblich fehlende Strommengen können wir ganz einfach umgehen, indem wir nur noch auf vernetztes Laden setzen“, so Temme. Deshalb habe man sich dazu entschieden, nur noch vernetzte Wallboxen zu verkaufen.
Vernetztes Laden vermindert Netzausbau
„Da geht es teilweise um Sekunden“, sagt die Geschäftsführerin. „Das müssen wir im Netz aussteuern können, andernfalls müsste das Netz massiv ausgebaut werden.“ Mit einer intelligenten Ladeinfrastruktur könne der notwendige Ausbau um 90 Prozent reduziert werden. Und erneuerbare Energien, die je nach Wetterlage teilweise abgeschaltet oder deren Strom exportiert werden muss, könnten so besser genutzt werden.
Ein Projekt, in dem Innogy Erneuerbare und Elektromobilität (O-Ton Temme: „Zwei Seiten derselben Medaille“) einsetzt, ist der Schnellladepark in Duisburg. In der Nähe zweier wichtiger Autobahnen hat Innogy einen Ladepark mit sechs Schnellladepunkten und mehreren AC-Ladern errichtet. Das Dach über den Schnellladern ist mit Solarzellen bestückt, der Strom wird in einem über 300 kWh großen Akku gespeichert.
Betrieben werden kann der Park nur mit einem Lastmanagement: Die Anschlussleistung an das Mittelspannungsnetz ist geringer als die summierte Ladeleistung aller Säulen. Sprich: Wird an allen Säulen gleichzeitig geladen, muss zwingend Strom aus der Batterie und den Solarzellen kommen. Ein (derzeit) unwahrscheinlicher Extremfall, aber bereits heute lässt sich im Betrieb Geld sparen, wenn der Solarstrom möglichst intelligent eingesetzt wird. Dazu gehört auch, dass das System die Wettervorhersage und prognostizierte Ladevorgänge mit einrechnet.
Die Ergebnisse seien vielversprechend, die Lademengen würden zunehmend steigen. „Der Enthusiasmus in Duisburg ist groß“, sagt Temme. „Dort hat sich bereits eine Community gebildet, die sich regelmäßig zum Laden und zum Austausch trifft. Das gibt uns nicht nur Feedback, sondern auch viele parallele Ladevorgänge und damit wertvolle Erfahrungen.“
Erfahrungen, die genutzt werden können, wenn Innogy womöglich weitere solcher Ladeparks baut – oder Kunden berät, die sich für eine solche Lösung mit DC-Ladern, AC-Säulen, Solardach und Batteriespeicher interessieren. „Unter dem neuen Dach könnte ich mir vorstellen, dass in diesem Bereich künftig auch Gesamtlösungen angeboten werden“, sagt Temme.
Das „neue Dach“ ist natürlich E.ON. Der 2018 eingefädelte Deal zwischen E.On und RWE würde für das junge Unternehmen Innogy einen neuen Eigentümer bedeuten – die Transaktion muss aber noch von den Wettbewerbsbehörden genehmigt werden. Einschneidende Veränderungen für die eigene Sparte erwartet Temme nach eigener Aussage nicht. Da es einen solchen Bereich bei E.ON nicht gebe, sieht sie darin eher eine „Win-Win-Situation“, da über E.ON neue Kunden erreicht werden könnten. „Wir bleiben Technologieanbieter, auch wenn wir neue Anteilseigner bekommen.“
Strategie bleibt gleich
An der aktuellen Strategie als Technologieanbieter und -dienstleister will Temme also auch unter den neuen Anteilseignern festhalten. Das Europa-Angebot bei den DC-Ladern wird gegen Ende des Jahres um eine 150-kW-Säule ergänzt, die von dem 2018 übernommenen US-Partner BTCpower stammt. Zudem soll bei den Ladepunkten für die heimische Garage und den Arbeitsplatz ein Schub von der zweiten Generation der Wallbox kommen, die Innogy in diesem Jahr vorgestellt hat. Das Gerät soll sich durch ein verbessertes Design und neue Funktionen (etwa ein Annäherungssensor) eine bessere User Experience bieten.
Wäre da nicht ein Punkt, der die Verbreitung von Wallboxen in vielen Tiefgaragen hemmt: das Wohnungseigentumsgesetz oder kurz WEG. Nicht nur VW hat sich im Zuge seiner Elektro-Offensive für eine schnelle Reform des Gesetzes ausgesprochen. Auch Innogy drängt auf eine Verbesserung der Lage. „Das WEG hemmt die Elektromobilität. Wir müssen wesentlich einfacher Lademöglichkeiten an Stellplätzen und in Garagen schaffen können – vorausgesetzt sie sind intelligent“, sagt Temme. „Das würde der Elektromobilität an sich stark helfen.“ Und natürlich dem Absatz der eigenen Wallboxen.
Aus der Durststrecke gelernt
Was natürlich auch hilft, sind mehr bezahlbare Elektroautos. Denn ohne entsprechendes BEV oder PHEV installiert wohl niemand eine Wallbox in der Garage oder nutzt die öffentlichen Ladepunkte – das Henne-Ei-Problem. Dass der Bedarf für solche Elektroautos da ist, zeigen nicht nur immer weiter steigende Verkaufszahlen bei aktuellen Modellen wie dem BMW i3 und Renault Zoe, sondern auch die langen Lieferzeiten (und den Ärger darüber) beim Hyundai Kona Elektro und Kia e-Niro. Spätestens mit den E-Autos von PSA (darunter der Opel Corsa-e) und den MEB-Stromern von Volkswagen dürfte die 2009 im NPE-Bericht herbeigeschriebene „technologische Zeitenwende im Verkehrsbereich“ Realität werden.
Dann erwartet Innogy eine steigende Nachfrage nach den eigenen Produkten. Das war in den vergangenen zehn Jahren nicht immer so. „Als Pionier waren wir ein Stück weit der Zeit voraus. Wir mussten irgendwann lernen, dass der Markt noch nicht so weit ist und etwas Gas rausnehmen“, sagt Temme rückblickend. Die Durststrecke habe man gut genutzt, um das Angebot weiterzuentwickeln. Denn: „Wir haben ein Team, das seit zehn Jahren an dem Thema arbeitet und dafür brennt.“ Das Durchhalten soll sich ab 2020 bezahlt machen – und die Elektromobilität zu einem echten Geschäftsfeld für Innogy werden. Auch wenn dann vielleicht ein anderes Label draufsteht.
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