Direct eDrive: Universalantrieb für Kleinserien

Für ein Sportwagen-Projekt haben Jens Broedersdorff und Uwe Koenzen einen starken, aber kompakten E-Motor gesucht. Weil die angebotenen Motoren alle zu teuer waren, haben sie mit Partnern selbst eine E-Maschine entwickelt – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Alles fing mit einem Sportwagen an. Einige Investoren wollen ein exklusives Sportwagen-Projekt finanzieren – mit Elektroantrieb, versteht sich. Sie wenden sich an ihre Bekannten Jens Broedersdorff und Uwe Koenzen. Unter dem Namen „Classic eCars“ entwickeln und konzeptionieren die beiden nicht nur Retrofit-Elektroantriebe für Oldtimer vom Käfer bis zum Jaguar E-Type, sondern beraten auch Unternehmen bei dem Umstieg in die E-Mobilität – sie haben dabei unter anderem an dem Ladepark und der Logistik der E-Lieferwagen bei der in der eMobility-Welt bekannten Handwerksbäckerei Ihr Bäcker Schüren mitgewirkt.

Broedersdorff und Koenzen machen sich auf die Suche nach einem passenden Motor. Doch nach einigen Gesprächen mit „den üblichen Verdächtigen“ reift die Erkenntnis, dass die verfügbaren Motoren mit passenden Leistungsdaten sehr selten sind. „Wir haben bei bekannten Herstellern von Elektromotoren angefragt, wegen der speziellen Anforderungen waren die Angebote aber alle sehr hochpreisig und nur in sehr kleinen Stückzahlen verfügbar“, sagt Broedersdorff. „Daher haben wir uns entschieden, zusammen mit Engiro selbst einen E-Motor für diese Anwendung zu entwickeln.“

Engiro wurde 2010 in Aachen gegründet und ist laut der Unternehmens-Homepage auf die Entwicklung und Produktion von „hochleistungsfähigen E-Maschinen, elektrischen Getrieben und Antriebssystemen“ spezialisiert. Das Unternehmen ist über die Geschäftsführung und den wissenschaftlichen Beirat eng mit der dortigen RWTH verbunden.

Effizienter Motor ohne Getriebe

Schnell stand fest, dass der Motor so effizient wie möglich sein soll. Anders als in einem großen SUV gibt es in einem Sportwagen weniger Platz für Batterien – und wenn sowohl sportliche Fahrleistungen als auch eine angemessene Reichweite möglich sein sollen, muss der Motor mit dem vorhandenen Strom sparsam umgehen. Unter anderem diesem Grund haben die Projektpartner bei dem Entwurf auf eine sonst übliche Getriebeuntersetzung verzichtet. Die Kraft wird stattdessen über eine speziell entwickelte Hohlwelle direkt auf die Antriebswelle übertragen – daher der Projektname „Direct eDrive“.

„In den Simulationen hat sich nicht nur gezeigt, dass unser Konzept funktioniert, das Lastenheft ist in vielen Punkten sogar übererfüllbar“, sagt Broedersdorff. „Es gibt keine vergleichbare Lösung auf dem Markt“, ergänzt Koenzen. „Das sind alles Lösungen mit Getriebe und Hochdrehzahl-Konzept.“

Eine weitere Besonderheit des Entwurfs: Er ist auch als Doppelmotor einsetzbar. Somit ergeben sich zahlreiche Optionen für den Einsatz der permanenterregten Synchronmotoren. Bei einem Motor pro Achse wird noch ein mechanisches Differenzial benötigt. Werden aber zwei Motoren auf einer Achse „Rücken an Rücken“ montiert, entfällt auch das mechanische Differenzial – die Unterschiede zwischen beiden Fahrzeugseiten werden dann per Software ausgeglichen. Oder werden in einem 4×4-Nutzfahrzeug zwei Motoren auf der Kardanwelle montiert, ersetzen sie quasi das Mitteldifferenzial. Einige der simulierten Einsatzzwecke vom Lkw-Hybrid mit einem Motor bis hin zum Hochleistungs-Pkw mit zwei Doppelmotoren haben wir in der Galerie zusammengefasst.

Mit den unterschiedlichen Anordnungen der Motoren lassen sich auch unterschiedliche Leistungsbereiche abdecken. Ein E-Motor liefert 100 kW Dauerleistung und in der Spitze 259 kW über zehn Sekunden – somit sind 518 kW pro Achse und bis zu 1.036 kW im Fahrzeug möglich. In der Konfiguration mit zwei Doppelmotoren zudem eine gezielte Verteilung des Drehmoments pro Rad möglich, da jedes Rad von einem eigenen Motor angetrieben wird. Dieses Torque Vectoring ermöglicht eine bessere Traktion – egal ob im Sportwagen oder bei einem Geländefahrzeug auf rutschigem Untergrund.

„Die Motoren sind zwar für einen Sportwagen entwickelt, können aber dank des Drehzahlbereichs und der Doppelmotor-Konstruktion sehr flexibel eingesetzt werden, da sich zum Beispiel im Pkw-Bereich die Radgrößen kaum unterscheiden und bei Lkw-Anwendungen die Kardanwellen angetrieben werden können“, sagt Koenzen. Eine Limousine oder ein SUV sind somit auch denkbar. Bei Nutzfahrzeugen sind die Räder deutlich größer, hier spielt aber anders als beim Sportwagen die Höchstgeschwindigkeit keine Rolle. Sogar der Einsatz in Booten soll laut den beiden Entwicklern möglich sein.

Prüfstandsläufe bestätigen Simulationen

Trotz der Leistungsdaten und Variabilität soll die Effizienz bei über 96 Prozent liegen. „Wir haben nicht nur wegen des fehlenden Getriebes eine sehr hohe Effizienz. Engiro hat sehr lange am elektrischen Design getüftelt und weit über 100 Designs simuliert“, sagt Broedersdorff. „Mit dem Ergebnis, dass wir nicht nur in einem kleinen Bereich einen hohen Spitzenwert haben, sondern der Motor über einen breiten Drehzahlbereich sehr effizient arbeitet.“

Die Effizienz ist nicht nur simuliert, sondern gemessen. „Diese Motoren existieren nicht nur als Renderings, sondern sind voll funktionsfähige Prototypen und sind auf dem Prüfstand gelaufen“, sagt Koenzen. Mit den Werten waren die beiden Entwickler so zufrieden, dass sie jetzt nach weiteren Partnern suchen, um eine Kleinserie zu fertigen. Für die Großserie sei der Antrieb ungeeignet, wegen der Leistungsdaten sei der Materialeinsatz unter anderem an Neodym und Kupfer hoch.

Möglich sind nicht nur erwähnte Sportwagen, sondern auch Nachrüstlösungen für Lkw oder Spezialfahrzeuge von Unimog oder Bremach. Aber auch Sonderfahrzeuge in Gruben oder dem Bergbau sowie Boote können laut Broedersdorff mit den Maschinen ausgerüstet werden. Dabei ist je nach Bedarf eine Lieferung mit oder ohne Leistungselektronik möglich. Auf Wunsch helfen die Entwickler auch bei der Implementierung des Antriebs.
classic-ecars.de

4 Kommentare

zu „Direct eDrive: Universalantrieb für Kleinserien“
Ralf
18.10.2019 um 09:04
Laut Herstellerseite liefert ein Motor 1625Nm. Das ist höchstens für ein Kleinstwagen, wie Smart/Twingo ausreichend. So wirklcih zügig Beschleunigen, geschweige denn eine Bordsteinüberfahrt ist damit nicht möglich. D.h. für jeden vernünftigen Antrieb sind 2 Motoren nötig. Für LKW mit einer typischen Differentialuntersetzung von um die 4 kommt da auch viel zu wenig auf der Achse an. Da braucht's mal eben 20.000Nm! Der Eckpunkt der Maschine liegt bei 1500rpm (256kW bei 1625Nm). Das entspricht je nach Radgröße beim PKW um die 180km/h. Das ist selbst für einen Sportwagen völlig absurd und führt bei geringern Geschwindigkeiten zu einem extrem schlechten Wirkungsgrad. Anhand der Bilder schätze ich den Durchmesser auf etwa 400mm. Das ist schon ein riesiger Trümmer, der in die meisten Fahrzeuge garnicht reinpassrn dürfte. Zudemm ist der vermutlich so schwer dass er für OEMs völlig uninteressant sein dürfte. Aufgrund des nötigen hohen Einsatzes teurer Materialien (Magnete, Kupfer, Elektroblech) zweifle ich auch den Preisvorteil an.
Jens Broedersdorff
20.10.2019 um 22:55
Lieber Ralf, rechnen Sie einmal das Drehmoment aus, dass z.B. ein typischer, konventioneller Sportwagenantrieb an die Achse liefert: Motor Mmax an der Kupplung ca. 250Nm (2,5L Benziner) mal i erster Gang ca. 3,5 mal i Achse ca. 3.8 sind 3325Nm an der Antriebsachse. Da man ja für einen PKW direkt-Antrieb immer mindestens 2 Motoren (einer je Rad) benötigt, hätte ein solcher Direct-eDrive Doppelantrieb an der Achse 3.360Nm. Damit lässt sich die Schlupfgrenze auf jeden Fall überwinden, und mehr bekommt man nicht auf die Straße. Bei Höchstgeschwindigkeit von 200Kmh + braucht man auch nicht die peak Leistung des Direct-eDrive.
UWS
11.06.2023 um 11:43
Reicht ein Motor als 30km/h-Antrieb für einen 7,5 Tonner (Baujahr 1988) für ca. 1-2 km Strecke? Oder als Anfahrunterstützung bei zugeschaltetem Splitgetriebe (Sprit sparen / Umwelt schonen)Vorhandene Batterien: 4x12 (48 V) 75Ah Optima Yellow Top Im Stand Solar gepuffert, als Ladestation für ZOEDie Windparks vor Rügen liefern den Strom nur ans Festland, im Winter wird hier die kommunale Beleuchtung abgeschaltet -> deshalb gibt‘s hier auch kaum Ladestationen - die wenigen Stationen werden von ganz klugen Menschen sabotiert.> ich möchte die für dieses Fahrzeug bei der Herstellung produzierten CO2-Massen so lange wie möglich nutzen <
conny
17.08.2023 um 15:19
Da muss man noch einige Annahmen reinstecken, dann kommt man auf eine Leistung von 30 kW (31 kW bei 7,5 t, 2% Steigung, kein Gegenwind, 0°C, Rollbeiwert 0,02, 30km/h, mech. Wirkungsgrad 90%). Gar nicht so viel... Andererseits: 30 kW @ 48V ergibt einen Strom von 625 Ampere. Das ist viel und braucht mächtig dicke Kabel. Die richtig dicke Nuß ist aber die Homlogation für öffentliche Straßen, falls das gewünscht ist.

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