Woher der Elektrobus-Boom in Polen kommt
Mehr als jeder dritte Elektrobus in der EU wurde in Polen gebaut. Die Stärke der Industrie fußt nicht nur auf dem heimischen Hersteller Solaris – sondern auch auf einer konstant hohen Nachfrage aus dem eigenen Land, wie Aleksandra Fedorska analysiert. Die schlechte Luft in vielen polnischen Städten hat dazu geführt, dass die Inlands-Nachfrage seit Jahren hoch ist. Und jetzt zieht auch das Interesse im Rest Europas deutlich an.
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In den vergangenen Jahren hat sich Polen zu einem der führenden Hersteller von E-Bussen in Europa entwickelt. Erst kürzlich wurde in der polnischen Stadt Poznań (Posen) eine Pantograf-Ladestation für E-Busse mit bis zu 540 kW in Betrieb genommen. Dieses Vorzeigeprojekt ist Teil einer boomenden Entwicklung der E-Busindustrie. Besonders erfolgreich ist das polnische Unternehmen Solaris, welches in der Nähe von Poznań Elektrobusse produziert und inzwischen rund ein Viertel aller Ausschreibungen in Europa gewinnt.
Doch auch andere Firmen, wie z. B. Volvo, setzen bei der E-Busentwicklung und Herstellung auf Standorte in Polen. Der Geschäftsführer von Volvo Polska, Ulf Magnusson, erklärt die positive Marktentwicklung mit der Präsenz der wichtigsten E-Bushersteller vor Ort sowie der starken Nachfrage nach emissionsarmen Bussen in den vom Smog betroffenen polnischen Städten. Hinzu kommen die guten finanziellen Möglichkeiten der örtlichen Verkehrsbetriebe, die nicht nur durch steigende Einnahmen, sondern auch durch zusätzliche EU-Förderung in die Lage versetzt werden, ihre überalterten Flotten zu erneuern. Dies trifft z.B. auf Lublin zu. Die im Osten des Landes gelegene Stadt mit über 320.000 Einwohnern erwarb 20 E-Busse von Solaris samt der benötigten Ladeinfrastruktur für 62 Millionen Złoty, was etwa 15 Millionen Euro entspricht.
Das polnische Amt für Statistik gab für das Jahr 2018 bekannt, dass der Anteil der elektrisch betriebenen Busse aus polnischer Herstellung in diesem Jahr 36 Prozent des Absatzes in der EU entsprach. Der Absatz dürfte in Polen in den kommenden Jahren weiter steigen, da aktuell 62 kommunale Gebietskörperschaften ihr Interesse an klimaschonenden Fahrzeugen für die öffentliche Personenbeförderung bekundet haben. Die hohe Luftverschmutzung in den polnischen Städten zwingt die öffentliche Hand zu weiteren Investitionen in umwelt- und klimafreundliche Verkehrslösungen. Die polnische Agentur für industrielle Entwicklung (ARP) geht von einem Bedarf von 800 E-Bussen in den kommen Jahren aus.
Solaris will vom polnischen E-Bus-Boom profitieren
Von dieser wachsenden Nachfrage wird voraussichtlich auch Solaris überproportional profitieren. Die aktuellen Bestellungen aus Poznań, Warszawa (Warschau), Lublin aber auch Berlin und Mailand haben gezeigt, dass die E-Busse von Solaris insbesondere in Großstädten gefragt sind. Nach eigenen Angaben hat das polnische Unternehmen im laufenden Jahr bereits über 300 E-Busse verkauft.
Solaris setzt schon seit 2001 auf den elektrischen Antrieb. Damals verkaufte das Unternehmen seine Oberleitungsbusse „Trollino“ vor allen an polnische und osteuropäische Kunden. Der Erfolg des Batterie-elektrischen Busses „Urbino electric“, der aus dem bereits 1999 gebauten niederflurigen Stadtbusmodell „Urbino“ hervorgegangen ist, begann 2011. Heute ist es das meistverkaufte Fahrzeugmodell des Unternehmens.
Bus-Betreiber fordern individuell angepasste Fahrzeuge
Dank der Erfahrungen in der Konstruktion von E-Bussen hat Solaris den Urbino electric inzwischen so ausgelegt, dass er hinsichtlich Batterie, Lademöglichkeiten, der Stückzahl und der Länge des Busses sehr variabel ist. Diese Flexibilität ist gerade bei den Ausschreibungen in Großstädten vorteilhaft, denn so kann sich Solaris individuell auf die Anforderungen der jeweiligen Metropolen einstellen und eine Ausstattung anbieten, die die in den Städten vorherrschenden verkehrstechnischen Bedingungen am besten berücksichtigt. „Die Busbranche verlangt heute von den Herstellern eine ausgeprägte Anpassungsfähigkeit bei den technischen Anforderungen und den benötigten Stückzahlen“, sagt Mateusz Figaszewski, Leiter der E-Mobility-Entwicklung bei Solaris.
Diese Vorteile wollen auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nutzen, die seit Januar 2019 den Urbino electric in ihrer Flotte haben. Die BVG bestellte Busse mit einer „High Power“-Batterie anstelle des neuesten Modells „High Energy+“. Damit wird zwar nicht eine Reichweite von 200 Kilometern erreicht, die Gelenkbusse können aber mit der Pantograph-Ladeinfrastruktur sowie mit Plug-in-Ladestationen auf dem Werksgelände aufgeladen werden.
Die Stadt Poznań hat mit den städtischen Verkehrsbetrieben (MPK) seit Jahren die Rolle der Avantgarde in der E-Mobilität übernommen und diesen Aspekt in das städtische Marketingkonzept aufgenommen. „Wir haben es uns zum Ziel gemacht, die Ersten bei den klima- und umweltfreundlichen Verkehrslösungen zu sein. So haben wir als erste Stadt in Polen und neunte in Europa einen hybridangetriebenen Stadtbus im Jahr 2008 erworben, um die Gäste der damals stattfindenden UN-Klimakonferenz, in unserer Stadt zu befördern“, sagt die Pressesprecherin der MPK. Mit den neuen E-Bussen und Pantograf-Schnellladern wird der Wandel in Poznań nun noch deutlicher werden als mit den Hybridbussen. Ein sichtbares Zeichen, dass es voran geht.
Über die Autorin
Aleksandra Fedorska ist polnisch-deutsche Politologin und Publizistin. Sie arbeitet als Korrespondentin für polnische und deutsche Medien in den Fachbereichen Energiepolitik und E-Mobilität. Fedorska lebt und arbeitet im schleswig-holsteinischen Jagel und in der polnischen Stadt Poznań.
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