Gezielte Auslieferungsverzögerung: Danke, dass Sie gewartet haben!
Wird ein neues Elektroauto noch im Dezember 2019 zugelassen, bringt es dem Hersteller nicht viel. Denn erst ab Januar 2020 gelten die neuen, schärferen CO2-Grenzwerte. Ohne einen massiven Zuwachs an E-Fahrzeugen sind die Hersteller-Vorgaben im nächsten Jahr nicht zu schaffen. Deshalb müssen die Kunden heute warten.
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Beweise gibt es keine. Nur Indizien: Die Autohersteller verschleppen die Neuzulassung von Elektroautos ins Jahr 2020 und begründen das vielfältig. Ein typisches Beispiel ist der Porsche Taycan – nein, ein Problem mit der Produktion oder den Zulieferern gäbe es nicht, aber wegen des neuen Modells plane man mit „einer flacheren Anlaufkurve“. Andere Marken wie Kia berufen sich auf „Engpässe bei der Batterieproduktion“. Und Renaults aufgefrischte Zoe braucht „ein Softwareupdate“. Das alles ist plausibel. Es gibt jedoch auch ein schwerwiegendes Argument für eine gezielte statt einer zufälligen Häufung von Auslieferungsverzögerungen: 2020 muss der CO2-Flottengrenzwert von 95 Gramm pro Kilometer eingehalten werden, sonst wird es teuer. Ohne einen massiven Zuwachs von Batterie-elektrischen Autos (BEV) und Plug-in-Hybriden (PHEV) ist das nicht zu schaffen.
Um zu verstehen, welche Strafzahlungen die Europäische Union androht, hilft ein Blick auf die Definition der Flottenemissionen: Jedem tatsächlich im Europäischen Wirtschaftsraum, also inklusive Island, Liechtenstein und Norwegen, neu zugelassenen Pkw ist ein CO2-Wert zugeordnet. Bei der Überschreitung des Limits sind pro Gramm und Auto 95 Euro fällig. Laut Branchenverband ACEA wurden zum Beispiel durch die Volkswagen AG bis inklusive Oktober 2019 rund 3,2 Millionen Fahrzeuge zugelassen. Es könnten bis Silvester etwa 3,8 Millionen werden. Wenn der Konzern den Flottengrenzwert wie im letzten vollen Berechnungsjahr um 26 Gramm verfehlt, würde daraus eine Summe von über neun Milliarden Euro resultieren. Der Image-Schaden käme dazu.
Die Ist-Situation ist aus der Perspektive des Klimaschutzes deprimierend. In den vergangenen drei Jahren sind die Flottenemissionen in der Europäischen Union kaum noch gesunken. Zeitweise war sogar ein Anstieg feststellbar. Die Ursachen dafür sind sattsam bekannt: Die Kunden lieben SUV, die zehn bis 20 Prozent mehr CO2 ausstoßen als Kombis oder Kompaktwagen auf der gleichen technischen Basis. Außerdem führte Dieselgate, der Skandal um manipulierte Stickoxidwerte, zu einem Rückgang des Marktanteils beim Selbstzünder. Und der hat zumindest bei großen Fahrzeugen wie SUV weiterhin einen CO2-Vorteil. Es lässt sich nicht schönreden: Die Autoindustrie war mit ihren bisherigen Antrieben nicht erfolgreich bei der Reduktion. Im letzten vollen Erhebungsjahr 2018 lag der reale Durchschnittswert bei 121 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer – die Lücke bis zu den vorgegebenen 95 Gramm erscheint unüberwindbar.
Zuversichtlich, dass „das CO2-Flottenziel knapp eingehalten wird“
Peter Mock, Europa-Geschäftsführer des International Council on Clean Transportation (ICCT), ist trotzdem zuversichtlich und prognostiziert: „Die deutschen Autokonzerne BMW Group, Daimler AG und Volkswagen AG werden das CO2-Flottenziel von 95 Gramm pro Kilometer knapp einhalten.“ Und zwar mit der Hilfe von BEV und PHEV. Erstere gehen mit null Gramm CO2 in die Bilanz ein, Letztere liegen dank der gemischten Berechnungsformel im Regelfall unter 50 Gramm pro Kilometer. „Dazu kommt 2020 der Supercredit“, erklärt Mock vom ICCT: „Autos mit Ladestecker zählen doppelt.“ Ein Joker, der allerdings auf einen Maximalnachlass von 7,5 Gramm begrenzt ist. In den Folgejahren schmilzt der Supercredit von 1,67 (2021) auf 1,33 (2022) ab; er entfällt erst 2023.
Es gibt einen weiteren Rabatt: Die internationale Autoindustrie konnte bei der EU ein so genanntes Phase-in aushandeln. 2020 dürfen pauschal die schmutzigsten fünf Prozent der neu zugelassenen Autos gestrichen werden. Die Lobbyarbeit funktioniert. Es wäre dennoch finanziell unattraktiv, eine Übererfüllung des CO2-Flottengrenzwerts zu erreichen. Der Grund sind die Folgeziele bis zum Jahr 2030: Hier gibt es keine absolute Vorgabe, sondern eine relative. Im Vergleich zu 2020 muss ein Rückgang von 37,5 Prozent nachweisbar sein. Es wäre also nicht klug, im kommenden Jahr zu gut dazustehen. Besser ist eine Punktlandung.
Zurück zur Gegenwart: Die Politik in Deutschland erzeugt ab 1. Januar – da ist er wieder, der Stichtag – zusätzlichen Rückenwind für BEV und PHEV. Neben den direkten Kaufprämien von bis zu 6.000 Euro bei Batterie-elektrischen Autos unter 40.000 Euro Listenpreis ist die formal befristete Senkung der Dienstwagensteuer ein entscheidender Faktor: Normalerweise muss die private Nutzung eines gewerblich betriebenen Pkws mit einem Prozent des Bruttolistenpreises pro Monat als geldwerter Vorteil versteuert werden. Dieser Wert sinkt für Autos mit Ladestecker auf die Hälfte; bei BEV bis 40.000 Euro sogar auf ein Viertel. Mal sehen, wer bald noch einen Volkswagen Up mit Verbrennungsmotor kauft. Eine Gegenfinanzierung dieser Subventionen etwa durch eine Bonus-Malus-Steuer wie in Frankreich findet übrigens nicht statt. Es gibt Geschenke.
„Pooling“ mit Marken wie Tesla
Bei der Einschätzung, wie verschiedene Autokonzerne ihre Flottenziele erreichen, ist Mock vom ICCT differenziert. „Die deutsche Autoindustrie sowie Renault-Nissan werden auf Elektrofahrzeuge setzen“, ist sich Mock sicher. Toyota dagegen könnte es mit einer Fortführung der Hybridisierung schaffen, das 95 Gramm-Ziel einzuhalten, denn bei der reinen Betrachtung dieser sparsamen Benziner unterbieten die Japaner den Grenzwert schon lange. Sie müssen also lediglich deren Anteil am internen Antriebsmix hochschrauben. „Bis vor kurzem hätte ich noch Probleme bei Ford erwartet“, sagt Mock mit Blick auf den US-Riesen. Es gibt aber das Gerücht, dass Ford 60 Prozent der Produktion des E-SUV Mustang Mach-E in Europa absetzen will. Job done.
Eng werden könnte es dagegen für die neue Allianz aus Fiat-Chrysler (FCA) und dem französischen PSA-Konzern (Opel, Peugeot, Citroen und DS Automobiles). Zwar gibt es bei PSA eine profunde und breit angelegte Elektrifizierungsstrategie; diese könnte jedoch durch FCA konterkariert werden. Eine Lösung des Problems bietet das Pooling: Grundsätzlich dürfen sich alle Hersteller für ihre CO2-Bilanz zusammentun. Tesla zum Beispiel wäre in der Lage, die Bilanz von FCA-PSA aufzupolieren, was natürlich nicht umsonst passieren würde.
Das Ergebnis ist aus Kundensicht positiv. Nach der Geduldsübung von 2019 erwartet die Interessenten ab dem Neujahrstag eine Flut von Produkten, die auch noch steuerlich gefördert werden. Dass diese Entwicklung nur das Ergebnis eines politischen Rahmens ist, wird vielen Kunden egal sein. Es gibt zwar keine Quote für Elektroautos – das Versagen bei der Emissionsreduzierung von Autos mit Verbrennungsmotor aber macht den Verkauf von Autos mit Ladestecker trotzdem notwendig.
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