P3 Charging Index: Porsche Taycan derzeit bestes Langstrecken-Elektroauto
Die reine Reichweite oder maximale Ladeleistung sagt nur bedingt etwas darüber aus, wie schnell man auf längeren Fahrten mit einem oder mehreren Ladestopps tatsächlich vorankommt. Die Ingenieurberatung P3 Automotive hat aus diesem Grund den P3 Charging Index entwickelt, um für Nutzer eine echte Vergleichsmöglichkeit zu schaffen.
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Der Vergleich zweier Elektroautos im Prospekt ist relativ einfach: Wessen Batterie bietet mehr (nutzbaren) Energiegehalt, wer hat die höhere Norm-Reichweite, welches Auto hat die höhere maximale DC-Ladeleistung? Wer schonmal ein Elektroauto gefahren ist, kennt aber die Probleme an diesem Vergleich: Norm-Verbräuche und -Reichweiten sind kaum zu erreichen, die maximale Ladeleistung ist oft nur in einem sehr kleinen Bereich verfügbar, zudem beeinflussen viele Faktoren wie etwa die Temperatur und der aktuelle Ladestand der Batterie die tatsächliche Ladeleistung.
Aus dieser Überlegung heraus hat P3 Automotive den P3 Charging Index entwickelt, der nun zum ersten Mal veröffentlicht wird und electrive.net exklusiv vorliegt. Damit für den Nutzer ein Wert für die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Modelle entsteht, sind dem Unternehmen zufolge vor allem zwei Fragen wichtig: Welche Reichweite wird benötigt, um zum nächsten Zwischenstopp bzw. Ziel zu kommen? Und wie lange dauert der Ladevorgang, um diese Reichweite nachzuladen?
Der Index selbst ist ein Quotient der real nachgeladenen Reichweite innerhalb von 20 Minuten zu dem Zielwert von 300 Kilometern nachgeladener Reichweite. Dass die Ladegeschwindigkeit in Relation zum Verbrauch gesetzt wird, soll laut P3 zu „mehr Transparenz in Bezug zur echten Alltagstauglichkeit der E-Autos auf der Langstrecke“ führen.
Sprich: Ein Auto, dass auf den Ideal-Indexwert von 1,0 kommt, kann in 20 Minuten jene 300 Kilometer nachladen – und so mit nur einem Ladestopp 600 Kilometer weit fahren, wenn die Batterie bei Fahrtbeginn voll war. Der Wert von 300 Kilometern wurde gewählt, weil typische Langstreckenfahrer zumindest alle 250 bis 300 Kilometer ohnehin eine kurze Pause machen würden, so P3.
Doch was sind nun „reale“ Werte für Ladeleistung und Verbrauch? Um bei der Ladeleistung ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten – bei dem kurzzeitige Spitzen bei der Ladeleistung bei sehr niedrigen Ladeständen und das Abregeln der Ladeleistung bei hohen Ladeständen nicht erfasst werden –, kalkuliert P3 hier die durchschnittliche Ladeleistung in einem „Ladefenster“ von 20 bis 80 Prozent State of Charge (SoC). Der gerechnete Verbrauch basiert auf der WLTP-Angabe, es wurde aber jeweils ein Zuschlag auf Basis des ADAC Ecotests addiert, um einem realen Wert näher zu kommen.
Im Ergebnis schneidet aktuell der Porsche Taycan am besten ab. Den möglichen Idealwert von 1,0 erreicht zwar keines der aktuell verfügbaren Modelle, der Porsche kommt ihm mit 0,72 jedoch am nächsten – dicht gefolgt vom VW ID.3 in der Version mit der größten 77-kWh-Batterie mit 0,7 und dem Tesla Model 3 mit 0,66 Indexpunkten.
Allerdings fehlen sowohl beim Taycan als auch beim ID.3 noch die Verbrauchswerte aus dem ADAC Ecotest, beim ID.3 auch eine detaillierte Ladekurve. Hier hat P3 nach eigenen Angaben eigene Schätzungen vorgenommen. „Wir können die Ladekurven gut einschätzen, da wir seit 10 Jahren alle Fahrzeuge kennen“, sagt Markus Hackmann, Managing Director E-Mobility der P3 Group und einer der beiden Autoren der Studie. „Wenn man an der ein oder anderen Stelle nach Ankündigungen und Werten zum Ladeverhalten von Volkswagen schaut, dann kann man bereits erste Ankerpunkte identifizieren“, ergänzt Christian Gehring, Mit-Autor und Senior Consultant E-Mobility bei P3. „Natürlich werden solche Abschätzungen mit Veröffentlichung bzw. Messungen von unserer Seite entsprechend nach oben oder unten korrigiert.“
Für den ID.3 rechnet P3 im Ladefenster mit durchschnittlich 108 kW, was den MEB-Stromer hinter dem Taycan, Audi e-tron und Model 3 auf dem vierten Platz bei der Ladeleistung einsortiert – noch vor dem Model S. Da der ID.3 mit dem (geschätzten) Ecotest-Zuschlag immer noch das Auto mit dem niedrigsten Verbrauch der Auswertung ist, kann der VW in den angesetzten 20 Minuten Strom für 211 Kilometer nachladen.
Dass der Taycan noch vor dem ID.3 liegt, ist vor allem auf die hohe Ladeleistung seines 800-Volt-Bordsystems zurückzuführen, denn der Verbrauch des Elektro-Porsche ist von P3 als der höchste im Vergleich angesetzt. Von den laut Hersteller maximal möglichen 270 kW bleiben über das untersuchte Ladefenster von 20-80 Prozent SoC durchschnittlich 224 kW übrig – macht 216 Kilometer Reichweite in 20 Minuten. Trotz der mehr als doppelt so hohen Durchschnitts-Ladeleistung liegen die nachgeladenen Kilometer nur knapp über dem ID.3-Niveau.
Die maximale Ladeleistung sagt wenig aus
Die an einem Supercharger V3 möglichen 250 kW beim Tesla Model 3 liegen jedoch außerhalb des Fensters, zudem hat der Tesla laut P3 „über den Ladevorgang im gesamten Testfeld die schnellste Absenkung der Ladeleistung“. Somit reicht es „nur“ für durchschnittliche 128 kW, während der mit nominell 150 kW langsamere Audi e-tron quattro diesen Wert im Ladefenster sehr konstant halten kann und auf 149 kW im Schnitt kommt. Die Folge: Während der Tesla in den ersten zehn Minuten stolze 126 Kilometer nachladen kann, kommen in der zweiten Hälfte der angesetzten Ladedauer „nur“ noch 71 Kilometer hinzu. Da die Ladeleistung des Audi bis 70 Prozent SoC langsam ansteigt, lädt er in der zweiten Hälfte mit 88 Kilometer sogar etwas schneller als zu Beginn (85 Kilometer).
Gerade der Vergleich mit dem e-tron ist interessant, da hier die Auswirkungen der weiteren Faktoren wie Batteriegröße und Verbrauch besonders groß sind. Während das Model 3 selbst mit dem rechnerischen Zuschlag zu den effizientesten Autos im Vergleich gehört, kommt der Audi auf den zweithöchsten Verbrauch – und fällt so mit einem Indexwert von 0,58 trotz der besseren Durchschnitts-Ladeleistung wieder hinter den Tesla zurück. Mit seinem konstanten Ladeverhalten kann sich der Audi in der Auswertung jedoch knapp vor dem Tesla Model S und Model X halten, die beide auf 0,53 Indexpunkte kommen – trotz eines um rund 5 kWh niedrigeren Verbrauchs.
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch etwas weiter unten: Der Mercedes-Benz EQC kommt mit 99 kW auf eine deutlich höhere Durchschnittsladeleistung als der Hyundai Kona mit 63 kW. Wegen der deutlich höheren Effizienz des koreanischen Elektroautos liegen sie im P3 Charging Index mit 0,42 (EQC) und 0,41 (Kona) aber nahezu gleichauf in ihrer Langstreckentauglichkeit.
Weitere Auswertungen sind geplant
Bei Vergleichen zwischen dem EQC und Kona sowie Model 3 und e-tron wird aber auch klar, dass es sich um Autos aus komplett unterschiedlichen Segmenten handelt. Hier kann sich P3 künftig eine weitere Differenzierung der eigenen Auswertung vorstellen. „Sofern mehr Fahrzeuge am Markt verfügbar sind, würde ich nicht ausschließen, dass man den Index auch segmentspezifisch anpassen könnte“, so Gehring. „Stand heute gibt es aber zu wenige Fahrzeuge, sodass bei dem Aspekt Langstrecke alle in einen Topf geschmissen werden dürfen (und auch sollten).“
Zudem habe man sich bei den aktuell ausgewerteten Fahrzeugen auf die Top-Varianten fokussiert, um eine Vergleichsbasis zu haben. Das Ziel wäre, sofern verfügbar auch andere Batterie- und Antriebsoptionen der Fahrzeuge in den Index auszunehmen – damit etwa ein Model-3-Interessent mithilfe der Auswertung abschätzen kann, ob die Standard Range Plus für seine Langstrecken-Bedarfe ausreicht oder doch der Griff zur reichweitenstärkeren (und schneller ladenden) Dual-Motor-Version besser wäre.
Fahrzeuge wie der BMW i3 fehlen in der Auswertung dagegen komplett, obwohl einige Nutzer auch solche „Stadt“-Elektroautos auf gelegentlichen längeren Fahrten nutzen. „Der P3 Charging Index ist in der ersten Version für alle Fahrzeuge entwickelt worden, die mit einem Anspruch der Langstreckentauglichkeit in den Markt gebracht worden sind“, erklärt Gehring. Dass ein Fahrzeug wie der i3 selbst mit der 42,2-kWh-Batterie in dem Index nicht gut abschneiden würde, liegt auf der Hand: Die festgesetzten 300 Kilometer sind hier gerade in der Norm, aber kaum bei Autobahn-Tempo zu erreichen. Für die Langstrecken-Auswertung habe man solche Fahrzeuge aus diesem Grund nicht berücksichtigt, so Gehring. Aber man könne und wolle andere Use Cases untersuchen und entsprechend bewerten. Hier können Sie den ersten P3 Charging Index als PDF herunterladen >>
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