Elektroautos: Wie sauber ist der Fahrstrom? Eine Entwicklungsbilanz
Die Energiewende auf dem Strommarkt ist sowohl Erfolgsgeschichte als auch Nachweis des politischen Unwillens, die Klimaziele zu erreichen. Was bedeutet das für die CO2-Emissionen der Elektromobilität? Christoph M. Schwarzer klärt die Zusammenhänge anhand der deutschen Stromerzeugungsdaten 2019 auf.
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Das Batterie-elektrische Auto wird jeden Tag sauberer. Die CO2-Emissionen des Fahrstroms sinken. Die Ursache: Vor gut 20 Jahren wurde in Deutschland die Energiewende bei der Stromerzeugung eingeleitet. Weg von der zentralen Verbrennung fossiler Ressourcen und der geldvernichtenden Atomkraft. Hin zu dezentralen Photovoltaik-Anlagen, Windrädern und Biomassekraftwerken. Aktuelle Entwicklungen zeigt electrive.net mit Grafiken des Fraunhofer ISE und ließ sie im Gespräch mit Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, einordnen und bewerten.
Die CO2-Bilanz der Fahrenergie fürs Batterie-elektrische Auto spielt eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung und für die politischen Klimaziele. Aber ist es überhaupt fair, den allgemeinen Strommix als Rechenbasis anzunehmen, wenn öffentliche Ladesäulen nur mit Grünstrom förderfähig sind und die meisten Nutzer auch privat CO2-frei leben? „Ja, es ist fair, weil ein Elektroauto physikalisch betrachtet aus dem Strommix geladen wird. Aber wer einen Ökostromvertrag hat, zahlt sein Geld an ein Unternehmen, das in die Energiewende investiert. Eindeutig und erstrebenswert ist die Versorgung aus meiner Sicht mit selbst erzeugtem Strom aus einer eigenen Photovoltaik-Anlage“, so Professor Quaschning.
Im Jahr 2019 lag der Anteil der Nettostromerzeugung – also die Menge an Strom, die dem Markt tatsächlich zur Verfügung steht und nicht im Kraftwerk verbraucht wird – bei 46 Prozent:
Ein CO2-Wert pro Kilowattstunde (kWh) liegt für das Jahr 2019 noch nicht vor, weil das Umweltbundesamt (UBA) mit Verzögerung veröffentlicht. 2018 betrugen die CO2-Emissionen 474 Gramm pro kWh; ein Minus laut UBA von 38 Prozent gegenüber 1990. Für 2019 gehen Fachleute von einer Reduktion von über zehn Prozent gegenüber 2018 aus, also von gut 400 g CO2/kWh.
Ein kleines Rechenbeispiel für ein populäres E-Auto: Ein Tesla Model 3 verbraucht laut spritmonitor.de im Realbetrieb 18,1 kWh/100 km. Legt man den 2018er Wert zu Grunde, ergeben sich daraus 85,8 g CO2 pro km. Hierbei ist anders als bei fossilen Kraftstoffen die Vorkette der Produktion berücksichtigt. Wie hoch die CO2-Emissionen für Förderung am Bohrloch, Schiffstransport, Raffinerie und Tanklastzug sind, kann nur geschätzt werden – der ADAC Eco Test geht mit Zahlen der EU von rund 20 Prozent aus. Ein Pkw mit Verbrennungsmotor dürfte also 71,5 g CO2 pro km ausstoßen, um einen CO2-Gleichstand zu erzielen. Und das wiederum wären 3,1 Liter Benzin oder 2,7 Liter Diesel im echten Straßenverkehr – Autos mit Verbrennungsmotor verbrauchen aber etwa das Doppelte.
Die jüngste Verbesserung lässt sich am besten mit einem Blick auf die prozentuale Veränderung von 2018 auf 2019 erklären:
Der Zuwachs bei der Windenergie geht nur zu einem Teil auf das Konto des Zubaus – es war schlicht ein besonders windiges Jahr. Das Plus bei der Produktion durch Gaskraftwerke und die Reduktion bei Braun- und Steinkohle wiederum sind das Ergebnis der Verknappung und der in der Folge gestiegenen Preise für Verschmutzungszertifikate. Erdgas verbrennt im Vergleich zu Braun- und Steinkohle CO2-ärmer; außerdem können die Kraftwerke schneller auf Angebots- und Nachfrageschwankungen reagieren. Dieser politisch gesteuerte Marktmechanismus funktioniert also.
Steigen die CO2-Emissionen wieder?
Der Blick zurück könnte ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit hervorrufen. Und fraglos ist der Status Quo nicht von allein eingetreten, sondern das Ergebnis langfristiger Bemühungen. Professor Volker Quaschning ist trotzdem deutlich: „Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten, muss die Bundesregierung sich zu massiven Ausbauzielen bei Wind- und Solarenergie bekennen.“ So lange das nicht der Fall sei, müsse von einem „groben Betrug an der Bevölkerung“ gesprochen werden.
So befürchtet Quaschning bereits für 2023 wieder ansteigende CO2-Emissionen pro kWh Strom, weil die in Relation zu fossilen Energieträgern CO2-armen Atomkraftwerke sukzessive vom Netz gehen, zeitgleich jedoch nicht genug Wind- und Solarenergie zugebaut werde. „Der Zubau muss vervielfacht werden“, fordert er.
Ein weiterer Grund für die Notwendigkeit des Zubaus ist die Sektorkopplung: In der Ära der fossilen Energieversorgung wurde elektrische Energie in Großkraftwerken, siehe oben, erzeugt. Die Hauswärme wurde aus Heizöl und Erdgas generiert. Und der Verkehr zu Lande, zu Wasser und in der Luft verließ sich komplett auf Rohölprodukte – mit allen negativen Folgen von der politischen Abhängigkeit über Tankerkatastrophen bis zu elenden Kriegen.
Mit der Sektorkopplung werden auch Wärme und Mobilität zunehmend über Strom versorgt. Um beim Batterie-elektrischen Auto zu bleiben: Es ist ungleich effizienter als eines mit Verbrennungsmotor. Und es verschiebt die Energieerzeugung ins Inland. Das bedeutet übersetzt aber auch, dass der Gesamtstromverbrauch in Deutschland von gut 500 Terawattstunden (TWh) nicht etwa sinken, sondern extrem ansteigen wird. Branchenexperten gehen von einem Bedarf von 1.000 bis 1.800 TWh aus.
Womit wieder der von Volker Quaschning angesprochene Bedarf offensichtlich wird: Der Ausbau von Wind- und Solarenergie muss stark erhöht werden, wenn man es mit dem Klimaschutz ernst meint.
Zum Abschluss empfehlen wir von electrive.net allen Leserinnen und Lesern, die noch mehr Details wissen wollen, die von Professor Bruno Burger am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) erstellte Übersicht zur Stromerzeugung in Deutschland 2019.
Und den Spöttern, die im Winter von der Dunkelflaute – also dem vermuteten Totalausfall in den Wochen um die Sonnenwende – schwadronieren, geben wir einen Blick auf die bisherige Erzeugung im Jahr 2020:
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