Digital Charging Solutions: Von der OEM-Stieftochter zum Enabler auf dem Lade-Markt
Vor gerade einmal drei Jahren wurde die Digital Charging Solutions gegründet, heute betreibt das Unternehmen unter anderem die Ladedienste von BMW, Mercedes-Benz und Audi. Mit electrive.net sprach Geschäftsführer Markus Bartenschlager exklusiv über das Geschäftsmodell von DCS, den großen Nachholbedarf der Lade-Branche und die umstrittenen Preismodelle.
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Bis vor kurzem haben die Ladedienste der deutschen Autobauer eine Art Nischen-Dasein gefristet. Eine einfache und bequeme Lösung für die Kunden, ihr Elektroauto zu laden. Wer sich selbst mit der Materie auseinandersetzt und einige Ladekarten der örtlichen Stadtwerke oder Mobility Service Provider besorgt, kann günstiger laden – muss aber quasi an jeder neuen Ladesäule nachschauen, welcher Dienst dort gerade am günstigsten ist.
Mit einem Schlag aber sind unter anderem der Audi e-tron Charging Service und Mercedes me Charge zum Politikum geworden. Ionity, das Schnelllade-Joint-Venture von BMW, Mercedes-Benz, Ford, Audi und Porsche (und künftig Hyundai-Kia) hatte im Januar angekündigt, die Preise für das Ad-hoc-Laden ohne Vertrag auf 0,79 Euro/kWh anzuheben. Während in der Folge erste Anbieter bereits die Preise für das Laden an den Ionity-Säulen angehoben haben, können die Kunden der Hersteller-Ladedienste zu günstigen Vorzugspreisen laden.
Auch wenn Audi oder Mercedes draufsteht, führen die Autobauer ihre Ladedienste nicht selbst. Sie werden von der Firma Digital Charging Solutions betrieben, die eine White-Label-Lösung für Autobauer oder andere Unternehmen wie Flottenbetreiber bietet. Sprich: DCS kümmert sich um die Einbindung der Ladepunkte, die Abrechnung der Ladevorgänge und weitere Aufgaben wie etwa das Backend der Apps oder die Integration der Ladepunkte in die Navigationssysteme. Die Kunden (in diesem Fall die Autobauer) können ihren Endkunden auf dieser Basis ein neues Produkt anbieten und auch das Abrechnungsmodell und die Preise vorgeben.
„Beim Preismodell richten wir uns nach unseren Kunden“, sagt Markus Bartenschlager, Managing Director von DCS. Sprich: Pauschaltarife, Zeitabrechnung, die geladene Strommenge oder ein CPO-basiertes Pricing, bei dem basierend auf den Einkaufspreisen abgerechnet wird – alles ist möglich. „Unserer Meinung nach wird es aber zunehmend in Richtung der CPO-basierten Preisgestaltung gehen.“ Mittelfristig „werden wir auch ein dynamisches Pricing wie bei Tankstellen sehen“, glaubt Bartenschlager.
DCS bietet nach eigenen Angaben bereits heute Zugang zu mehr als 140.000 Ladepunkten in 30 Märkten und bezeichnet sich selbst als das „am schnellsten wachsende Ladenetzwerk in Europa“. Bartenschlager ist der Treiber hinter dem Unternehmen. Der langjährige BMW-Manager, unter anderem bei den Financial Services und Mobilitätsdienstleistern wie BMW Rent und Alphabet aktiv, kam 2011 zum Thema Elektromobilität. Damals war die Aufgabe, Ladelösungen rund um den kommenden BMW i3 zu entwickeln.
„Schnell war klar, dass dieses Geschäftsmodell als digitaler Service skaliert werden muss“, sagt Bartenschlager heute. Das Potenzial, dieses digitale Geschäftsmodell breit aufzuziehen, konnte Bartenschlagers Abteilung aber nicht heben: Der BMW-Vorstand war anfangs alles andere als begeistert, dass auch die Konkurrenz von diesem Dienst profitieren könnte. Mit den Jahren (und steigenden Investitionen in die Elektromobilität) änderte die Münchner Chefetage ihre Meinung. Seit 2017 tritt das ausgegründete Unternehmen eigenständig auf – zunächst als 100-prozentige BMW-Tochter, inzwischen hält auch Daimler seit der Fusion der Mobilitätsdienste die Hälfte der Anteile. Dass Bartenschlagers Strategie aufging, zeigte einer der ersten Kunden außerhalb des Shareholder-Kreises: Mit Audi kam bald der dritte Premiumhersteller und Konkurrent dazu.
Ursprung in der Autobranche als Vorteil?
„Es war eine Win-Win-Situation für beide Seiten: Durch unsere OEM-Partner konnten wir im Markt schnell Fuß fassen und ihnen gleichzeitig mehr Marktpräsenz bieten“, beschreibt der DCS-Managing-Director die damalige Situation. „Somit konnten wir Synergien clever nutzen und mit einigen Marktteilnehmern wie Stromversorgern und Ladestationsbetreibern ins Gespräch kommen.“ Inzwischen sind über 400 Partner, teils große Energiekonzerne, teils kleine Ladepunktbetreiber (CPO) an Bord.
Während viele Mobility Service Provider aus der Energiebranche kommen und über das Geschäft mit dem Strom zur Elektromobilität gekommen sind (oder inzwischen auch die Mineralölkonzerne in Ladepunkte investieren), sieht Bartenschlager den Ursprung von DCS in der Autobranche als Vorteil – da man „ das Innenleben eines Autokonzerns mit seinen Vertriebs- und Entscheidungswegen“ gut kenne. Das hilft nicht nur beim Verkauf des eigenen Produkts, sondern auch der Entwicklung. „Im Bereich der Ladedienste sehen wir eine sehr enge Verbundenheit von Fahrzeug, Navigationssystem und der User Experience“, so Bartenschlager. „Das ist eine große Chance für einen OEM, einen Kunden in seine Welt zu integrieren und so eine höhere Bindung zu erzeugen.“
Innerhalb eines Jahres ist das Unternehmen von 55 auf über 100 Mitarbeiter weltweit gewachsen – DCS unterhält Büros in München, Berlin und Tokio. Mit dieser relativ überschaubaren Gruppe managt DCS nicht nur die Ladepunkte, sondern arbeitet auch eng mit den Ingenieuren der OEM bei der technischen Integration der Ladedienste in die Fahrzeuge zusammen und entwickelt auch die User Experience weiter, wenn ein Endkunde die Lade-App oder -Karte benutzt. Bald steht noch mehr Arbeit an: Demnächst wird DCS dem Vernehmen nach auch einen Ladedienst für eine asiatische Marke starten – einen Namen nennt Bartenschlager aber noch nicht.
DCS arbeitet an eigenem Ladedienst für Endkunden
Das White-Label-Geschäftsmodell trägt Digital Charging Solutions bis heute. Im Grunde genommen ein einziges Produkt, das wie ein Baukasten für die jeweiligen Kunden zusammengestellt wird. „Aufgrund unserer Historie fokussieren wir uns aktuell auf das B2B-Geschäft“, sagt der Managing Director. „So soll der OEM in die Lage kommen, sein Fahrzeug bestmöglich an den Kunden zu vermarkten.“ Das Knowhow und Partnernetz könnte DCS aber bald nicht nur für die Ladedienste der B2B-Kunden einsetzen. „Aktuell arbeiten wir ebenfalls an einem Produkt für Endkonsumenten“, bestätigt Bartenschlager im Gespräch mit electrive.net, ohne weiter ins Detail zu gehen.
Doch was macht einen guten Ladedienst aus? Günstige Preise, würden die einen sagen. Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit die anderen. Wieder andere wollen sich um möglichst wenig Gedanken machen, hier steht ein reibungsloser Ablauf im Vordergrund. Preise und Abrechnungsmodell geben die Kunden bei DCS vor, Dinge wie die User Experience haben DCS und der OEM in der Hand. Ein wichtiger Punkt – ohne den günstige Preise oder eine einfache Anwendung nichts taugen – ist aber die technische Verfügbarkeit der Ladepunkte.
Hier sieht Bartenschlager in der Branche großen Nachholbedarf. „Einige CPO stellen eine Datenqualität zur Verfügung, die nicht unserem Anspruch bei DCS genügt“, sagt der Manager. „Wir arbeiten also teilweise noch an den absoluten Basics.“ Mal sind übermittelte Daten falsch, mal fehlen Angaben komplett. Wenn die Informationen nicht ausreichen, ist es für das Auto (oder besser gesagt das dahinter liegende System) kaum möglich, die für die geplante Route bestmöglichen Ladestopps zu kalkulieren, damit der Fahrer so schnell wie möglich ans Ziel kommt – zuverlässig und ohne böse Überraschungen. Tesla kann das innerhalb seines geschlossenen Supercharger-Netzes bestens, weil der Hersteller die Datenqualität selbst in der Hand hat. Ein Feld, in dem sich die angestammten Autobauer, die über kein eigenes Ladenetz verfügen, bekanntlich schwer tun.
Datenqualität bei CPO als wichtiges Thema erkannt
Bartenschlager nennt ein Beispiel: „Uns interessiert etwa, welche Ladeleistung eine aufgestellte Säule wirklich bietet und nicht das, was in irgendeinem Datenblatt steht. Alleine diesen Wert bei der Vielzahl an Ladesäulen-Herstellern, -Betreibern und Roamingpartnern einheitlich und zuverlässig zu erfassen, ist eine komplexe Aufgabe. Für eine intelligente Routenplanung ist diese Real-Ladeleistung aber ein wichtiger Faktor.“ Immerhin sei das Thema Datenqualität bei den CPO erkannt. „Der ganze Markt muss sich qualitativ noch deutlich verbessern“, so der DCS-Direktor. Neben der Datenqualität gebe es auch bei den technischen Schnittstellen und der Prozesssicherheit Verbesserungspotenzial.
Das Ziel sei eine 100 Prozent zuverlässige Lösung. Nicht nur, um das Laden für die Endkunden einfach und bequem zu machen, sondern damit eines Tages überhaupt noch einfach geladen werden kann – Stichwort autonomes Fahren. „Wenn wir weit in die Zukunft blicken und eines Tages auch autonome Autos laden wollen, ist das Auto komplett auf sich alleine gestellt, weil kein Fahrer mehr da ist, der bei Problemen eingreifen kann und muss“, so Bartenschlager.
Die Umstellung auf das eichrechtskonforme Laden, das die CPO lange beschäftigt hat und weiter beschäftigt, hat auf das Geschäft von DCS dagegen kaum einen Einfluss. In einem Punkt wurde aus Sicht von Bartenschlager aber eine Chance verpasst: „Das Eichrecht macht uns insofern Probleme, als dass es nur regelt, die getankte Strommenge eichrechtskonform zu erfassen. Das Thema Ladezeit wird derzeit noch nicht berücksichtigt“, sagt der Lade-Manager. „Wenn jemand seinen Wagen fünfzehn Stunden an einer Ladesäule anschließt, blockiert auch der den Platz, obwohl das Auto eigentlich vollgeladen ist. Davon hat der Betreiber der Ladesäule nichts, denn ob jemand in einer Stunde volllädt oder in fünfzehn – es kostet das gleiche. Darauf kann man schlecht ein Geschäftsmodell aufbauen. Hier müsste nachjustiert werden.“
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