Elektromobilität: Deutschland, wo bleibst Du?
Mit dem herausragenden Porsche Taycan haben deutsche Ingenieure ihr ganzes Können gezeigt. Er beweist, dass fortgesetztes Nichthandeln das größte Risiko für die heimischen Marken ist. Zugleich ist es ein allgemeines Armutszeugnis, dass noch immer veraltete Konstruktionen zu den Elektro-Topsellern gehören.
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Wow, was für ein Elektroauto: Der Taycan ist ein Porsche durch und durch. Filigraner gezeichnet als der barocke Panamera und höchstwertig verarbeitet. Präzise, perfekt und dynamisch. Der Taycan ist nicht nur auf dem Drag Strip, sondern auch in Kurven sauschnell. Es ist fast absurd, wie er mit Hinterradlenkung und aktivem Wankausgleich um die Ecke geht.
Und wenn die Ladeleistungsanzeige an der Gleichstromsäule bei 250 Kilowatt (kW) weiterhin steigt, wird klar: Widerstand zwecklos. Das Teil ist geil. Der Preis – ab 105.607 Euro, beim Testwagen Taycan Turbo von electrive.net inklusive etlicher Optionen 175.483,80 Euro – wird den Kaufwunsch wie immer bei Porsche nicht einschränken.
Der Taycan ist ein herausragendes Elektroauto und ein Beweis für das Können deutscher Ingenieure. Er ist Mahnung und Ansporn zugleich: Entweder, die heimische Autoindustrie bringt zeitnah weitere Modelle auf diesem Niveau. Oder sie wird weltweit Marktanteile an alle verlieren, die handeln. Wer einmal zu Tesla geht, kommt so schnell nicht zurück. Teslas Trumpf ist und bleibt die Alleinstellung in vielen Segmenten. Es gibt zum Beispiel schlicht keine Alternative zum Model 3. Es stellt sich also die Frage: Deutschland, wo bleibst Du, wo sind Deine Spitzen-Elektroautos?
Volkswagen in Bedrängnis
Die größte Sorge in dieser Hinsicht bereitet zurzeit Volkswagen. Es fällt auf, dass die Zahl der Neuzulassungen bei e-Up und e-Golf seit Jahresbeginn besonders hoch ist, und die Nachlässe auf die Listenpreise sind es ebenfalls. Volkswagen braucht diese Batterie-elektrischen Autos, weil sie 2020 als Doppel-Null in die CO2-Flottenbilanz eingehen: So genannte Supercredits sorgen für eine zweifache Anrechnung.
Eigentlich, so sollte man annehmen, könnte der ID.3 ab Spätsommer diese Aufgabe übernehmen. Allen Dementis zum Trotz aber wächst der Zweifel. Vielleicht sind die Softwareprobleme doch größer als kommuniziert. Und überhaupt: Falls der europäische Markt einbricht – wie viele ID.3 werden noch gebraucht, um die CO2-Durchschnittswerte auszugleichen? Wahrscheinlich ein paar weniger. Der Verkaufsstart des ID.3 ist auch eine Glaubwürdigkeitsprüfung. Zuletzt erreichten uns Signale, dass der e-Golf noch bis Anfang November produziert werden soll. Das wirkt nicht vertrauensbildend.
Der Wolfsburger Konzern befindet sich in am Beginn einer schweren Krise. Offenbar gelingt der Produktionshochlauf des Golf 8 nicht so wie gewünscht. Nur 8.392 Exemplare wurden 2019 gebaut. Er ist das meistverkaufte Auto Europas, aber irgendetwas stimmt nicht. Betriebsratschef Bernd Osterloh benennt „übereifrige Vorstände, die zu viel Technik in ein Auto stopfen“ wollten und „damit gescheitert“ sind als Schuldige. Eine scheinbare Bestätigung für die These, dass es mit den Bits und Bytes nicht läuft in Deutschland.
Toyota stapelt tief
Beim Golf 8 hakt es, der Produktionsanlauf des ID.3 wird misstrauisch betrachtet, und die größte Katastrophe ist China, wo der Markt im Februar um 75 Prozent eingebrochen ist – hier setzt der Volkswagen-Konzern 40 Prozent der Gesamtproduktion ab. Die massivste Bedrohung nach der Ablösung des Käfers durch den Golf und der Übernahme durch Ferdinand Piëch 1993 ist da.
Heraus geht es nur mit dem entschlossenen Weg in die Zukunft, und der trägt die Kürzel ID.3 und ID.4. Aber selbst eine Preisliste oder den Konfigurator zum Ausleben der Fantasie gibt es nicht. Der Volkswagen-Konzern ist öffentlich in der Offensive, wenn es ums Batterie-elektrische Auto geht: 1,5 Millionen Exemplare im Jahr 2025 sind das Ziel. Das entspricht jedoch nur rund 15 Prozent Anteil nach heutigen Absatzzahlen. Und vergleicht man das mit Toyota, jenem japanischen Riesen, der angeblich gar nichts vom BEV hält, relativiert sich der Ehrgeiz von Volkswagen: Bei ungefähr gleichen Gesamtverkäufen plant Toyota mit gut einer Million für 2025.
BMW und Mercedes lassen auf sich warten
Dass es bei Tesla eklatante Schwächen beim Service und Beschwerden über schwankende Qualität gibt, ist für die Käufer zweitrangig. Neben Porsche und Volkswagen könnten BMW und Mercedes erstklassige Elektroautos bauen – es bleibt jedoch nur der Konjunktiv.
Auf dem Genfer Autosalon beziehungsweise dem, was davon übrig blieb, hat BMW eine weitere Vorversion des i4 vorgestellt. Endlich ein Wettbewerber zum Tesla Model 3, wäre da nicht das Datum 2021 – ohne Monatsangabe – für den Anlauf. Und von Mercedes gibt es zwar eine ganze Armada vielversprechender Erlkönige vom Kompakt-SUV EQB bis zu den Limousinen EQS und EQE. In Serie ist jedoch nur der Smart erhältlich und, ach ja, der EQC, von dem im Februar 109 Stück auf die Straße kamen.
Im Mai 2013 fuhr der Autor dieses Beitrags zum ersten Mal ein Tesla Model S. Eine US-Version mit Einzelzulassung. Überschrift und Vorspann des Textes gelten in erschreckender Weise größtenteils noch heute: „Kaliforniens elektrische Kampfansage: Mit überragendem Antriebskomfort und schierer Kraft beamt sich das Tesla Model S in die Herzen von Fahrer und Passanten. Das mutige Elektroauto ist konkurrenzlos.“
Audi ist erwacht – fast
Immerhin ist bei Audi die Zeit des Erwachens fortgeschritten. Neben dem e-tron quattro, der durch das stabilste Temperaturmanagement aller Elektroautos überzeugt, bietet Audi den e-tron Sportback an. Noch wichtiger: Im Sommer beginnt der Verkauf des e-tron S mit zwei E-Maschinen an der Hinterachse, die für perfektes Torque Vectoring sorgen. Bei Tesla heißt das Plaid-Antrieb, und der ist bisher lediglich eine Ankündigung von Elon Musk. Quattro modern und der erste Lichtblick für den Slogan Vorsprung durch Technik. Es folgen der e-tron GT auf Basis des Porsche Taycan und der Q4 e-tron als erstes MEB-Modell der Ingolstädter.
Es ist ein allgemeines Armutszeugnis, dass zurzeit veraltete Konstruktionen wie Renault Zoe, Volkswagen e-Golf und BMW i3 zu den Topsellern gehören, und auch Tesla Model S und Model X sind abseits des Raven-Antriebs von gestern. Außerdem werden zu häufig Batteriesysteme ohne aktives Temperaturmanagement angeboten – Elektroautos sind in vielen Fällen eine technische Resterampe.
Zurück zum Porsche Taycan. Für den Erfolg des Batterie-elektrischen Autos ist es elementar, dass das gesamte Konzept herausragend ist und nicht nur Einzelaspekte. Das ist beim Taycan umgesetzt. In der Wirtschaftskrise sollte der Blick weit geöffnet und nach vorne gerichtet sein. Und das bedeutet für die deutsche Industrie in Gestalt der BMW Group, der Daimler AG und der Volkswagen AG den Auftrag, noch härter daran zu arbeiten, die besten Elektroautos der Welt zu bauen. Der Batterie-elektrische Antrieb ist in diesem Jahrzehnt eine Ergänzung dem Verbrennungsmotor. Lustloses Mitmachen genügt nicht mehr. Oder, um es mit Mercedes zu sagen: Baut das Beste oder nichts.
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