NewMotion: Schauen Kleinkunden in die Röhre?
Die Shell-Ladetochter NewMotion krempelt ihren Vertrieb um und will sich mehr auf Großkunden fokussieren. So weit, so gut. Doch es gibt unterschiedliche Darstellungen darüber, wie stark kleine Bestandskunden betroffen sind. Eine Entscheidung von NewMotion könnte sogar direkte Auswirkungen auf bereits gezahlte Fördergelder haben.
* * *
Es war ein kurzer Eintrag, der aber viele in der Lade-Branche aufhorchen ließ. Anfang März hieß es in einem Beitrag im Elektroauto-Forum von einem Betroffenen, dass NewMotion Kleinkunden die Bestellungen gesperrt habe. Demnach solle nur noch beliefert werden, wer über 200 Wallboxen pro Jahr abnehme. Für Unternehmen, die mit halbfertiger Lade-Hardware oder auch auf NewMotion spezialisierte kleine Installateure hatten über Nacht ein Problem. Der geplante weitere Ausbau ist nicht mehr möglich, vielleicht sogar der Betrieb der bestehenden Hardware gefährdet. Und ein Systemwechsel kostet viel Zeit und Geld.
Wenige Tage später hieß es jedoch, es sei ein Missverständnis gewesen. Ja, NewMotion wolle sich bei neuen Resellern auf größere Vertriebspartner konzentrieren. Bestehende Endkunden und Partner sollen aber weiter betreut werden – bei der E-Mail habe es sich um eine automatische Rückantwort und somit einen „technischen Fehler“ gehandelt.
Eine Argumentation, die NewMotion auf Nachfrage von electrive.net bestätigt. „Um ein zertifizierter Vertriebspartner von NewMotion zu werden, bedarf es eines umfangreichen Trainings und Onboardings“, so das Unternehmen. „NewMotion hat deshalb die Entscheidung getroffen, vorerst mit einer ausgewählten Anzahl von Premium-Vertriebspartnern zusammenzuarbeiten und in diese zu investieren. Daher werden neue Anfragen eine längere Wartezeit als üblich haben.“ An Neuanfragen werden seitdem automatisierte Mails mit Bitte um spätere Kontaktaufnahme gesendet. „Durch eine Reihe unglücklicher Zufälle“ sei diese automatische Antwort auch an einen direkten Kunden gegangen, der sich mitten in einer Installation befand.
„NewMotion hat sich zum Ziel gesetzt, jedem Menschen zu ermöglichen, so viele Kilometer wie möglich mit sauberer Energie zu fahren“, heißt es in dem Antwortschreiben abschließend. „Aus diesem Grund stand zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion die Bestellungen von Kleinkunden zu stornieren.“
Also alles nur ein einfaches Missverständnis? Ein Sturm im Wasserglas?
Weitere Recherchen von electrive.net zeigen ein anderes Bild. Der Redaktion liegen Schilderungen von zwei voneinander unabhängigen Betroffenen vor, die der Aussage von NewMotion widersprechen – sie haben die Kündigung erhalten. Mal als Distributor, mal als Ladepunktbetreiber.
Fall 1 ist ein anderer Installateur. Amadeus Bürgel hat nach eigenen Angaben über mehrere Jahre als Reseller NewMotion-Produkte an Kunden verkauft, installiert und betreut. „Ohne jegliche Vorwarnung kam eine E-Mail, dass das Reseller-Portal ab sofort geschlossen sei und ich keine Bestellungen mehr tätigen könne“, sagt Bürgel gegenüber electrive.net. „Eine Begründung dazu gab es nicht. Auch keine Aussage, was mit laufenden Projekten passiert.“
Nun doch eine Mindest-Abnahme?
Erst auf telefonische Nachfrage bei dem zuständigen NewMotion-Außendienst-Mitarbeiter habe er erfahren, dass NewMotion ab sofort nur noch mit großen Partnern zusammenarbeiten wolle. Hier wurde eine Mindest-Abnahme von 50 Stationen im Jahr genannt, um Partner zu bleiben. „Da ich meinen Kunden das Produkt verkaufen möchte, was für ihn am besten passt, will ich nicht unter dem Druck einer Mindestmenge stehen und daher kommt eine solche Vereinbarung für mich nicht in Frage“, so der Installateur. „Denn NewMotion hat auch nicht immer die passende Lösung.“
Aktuell überwiegt die Enttäuschung, dass eine jahrelange Zusammenarbeit so geendet hat. „Wenn sich NewMotion in Zukunft auf große Reseller konzentrieren will, dann ist das eine neue Strategie und die ist auch in Ordnung, dann habe ich das zu akzeptieren“, sagt Bürgel. „Aber dann sollte man seinen jahrelangen Partnern diesen Schritt begründen und ihnen auch die Chance geben die laufenden Projekte abzuschließen.“ Zudem sei noch unklar, was mit den Kunden passiere, bei denen die Bürgel GmbH seit Jahren die NewMotion-Installationen betreut. „Wird NewMotion da jetzt einen unbekannten Monteur aus 200 Kilometer Entfernung senden, wenn etwas nicht funktioniert? Eine Lösung, die weder meine Kunden, noch ich gut finden“, sagt Bürgel.
Erst auf Nachfrage zu den Vorwürfen räumt NewMotion eine Mindest-Abnahme ein. „Die Vertriebspartner müssen eine Reihe von Kriterien erfüllen, wie z.B. ein Mindestbestellvolumen von 50 Ladepunkten pro Jahr. Im Zuge dieser Entscheidung hat NewMotion das Reseller-Portal für die Reseller geschlossen, die die Kriterien für eine Zertifizierung als Vertriebspartner nicht erfüllen“, schreibt das Unternehmen. „Um die Wartezeiten bei Anfragen kleinerer Reseller zu reduzieren, informieren wir diese derzeit und auch künftig proaktiv, dass sie die Kriterien für die Zertifizierung als Vertriebspartner erfüllen müssen, um direkt bei NewMotion Bestellungen aufgeben zu können.“ Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben „davon überzeugt, dass unsere neuen Reseller-Richtlinien den Kundenservice und die Customer Experience für E-Autofahrer verbessern und wir somit die E-Mobilität weiter fördern“.
Wie es in diesem Fall weitergeht, ist unklar. Seit dem Telefonat mit dem Außendienstler herrscht Funkstille. Fest steht aber: Ein einfaches Missverständnis mit einer automatisiert verschickten Mail ist es nicht mehr. Sondern die klare Ansage: 50 Ladepunkte oder du bist raus.
Stadtwerk wird Backend-Vertrag gekündigt
Dass es sich nicht um einen Zufall oder eine reine Neuordnung des Vertriebs bei NewMotion, sondern offenbar um einen größeren strategischen Wechsel im Umgang mit kleineren Kunden handelt, zeigt ein weiterer Fall. Denn auch Ladepunktbetreiber sind betroffen: Anfang 2017 hat ein Stadtwerk, das nicht genannt werden möchte, am 1. Förderaufruf der Bundesregierung teilgenommen und eine Zusage erhalten. Mit den erhaltenen Fördergeldern wurden einige Parkhäuser in der Stadt mit Ladepunkten ausgestattet, zudem weitere Ladesäulen im Stadtgebiet aufgestellt.
Kooperationspartner für die Abrechnung wurde NewMotion. Ausschlaggebend war die „Open-Source-Lösung“, wie das Stadtwerk nun schreibt. „NewMotion hat uns als eines der wenigen Unternehmen angeboten, Ladesäulen herstellerunabhängig in ihr Backend zu integrieren“, sagt eine mit den Vorgängen vertraute Person. „Denn nicht jeder Hersteller hat für jede Anwendungssituation die passende Ladeinfrastruktur im Angebot. Mit den von uns im Jahr 2017 installierten Ladesäulen verschiedener Hersteller hat dies zunächst reibungslos funktioniert.“ In den Parkhäusern wurden Ladepunkte von NewMotion installiert, an anderen Orten „Ladesäulen namhafter Hersteller“. Betrieben wurde alles über die Software der Niederländer.
Die ersten Probleme kamen 2018 auf: Die installierten NewMotion-Ladeboxen ließen sich nicht eichrechtskonform umrüsten und mussten – obwohl kein Jahr alt – ersetzt werden. Teuer und ärgerlich. In der Zwischenzeit hatte der Mineralölkonzern Shell NewMotion übernommen – und nach der Erfahrung des Stadtwerks die „Open-Source-Strategie“ geändert. „Entgegen zwischenzeitlicher Zusagen setzt NewMotion seither ausschließlich auf firmeneigene Hardware und lehnt nun eine Backend-Integration eichrechtskonform nachgerüsteter oder neu installierter Ladesäulen von anderen Herstellern ab“, so unsere Quelle. „Somit waren wir gezwungen, sowohl für zwischenzeitlich neu errichtete als auch eichrechtskonform nachgerüstete Ladesäulen einen alternativen, herstelleroffenen Backendbetreiber zu finden.“ Ausnahme sind offenbar nur einige Modelle des niederländischen Herstellers Alfen, die weiterhin mit NewMotion funktionieren.
Anfang März 2020 – also parallel zu dem Foren-Beitrag – habe man von NewMotion die Kündigung des Backend-Vertrags erhalten. Auch wenn sie es nicht direkt bestätigen wollen, stellt die Kündigung das Stadtwerk vor ein großes Problem: Ohne NewMotion-Backend lassen sich die NewMotion-Ladepunkte nicht mehr betreiben. Und das Stadtwerk kann auch die Förderbedingungen nicht mehr einhalten. Laut diesen haben sich die geförderten CPO verpflichtet, dem Fördermittelgeber sieben Jahre lang Reportings über die Ladevorgänge zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen gibt es aber nur im Backend – selbst über einen Laptop an der Station selbst können diese Daten offenbar nicht ausgelesen werden. Selbst wenn die Stadtwerke den Strom verschenken würden, können sie ohne Backend nicht die Förderbedingungen einhalten. Also müssen entweder die Fördergelder zurückgezahlt werden oder – ohne erneute Förderung – auf eigene Kosten neue Ladepunkte errichtet werden.
Autoren: Sebastian Schaal und Daniel Bönnighausen
5 Kommentare