Eine gute Prämie fördert das Ökosystem des Elektroautos
Bis Juni will die Bundesregierung über die Ausgestaltung einer Kaufprämie entscheiden, jetzt wird in Arbeitsgruppen verhandelt. Eine wirklich sinnvolle Förderung der Branchen rund um die Elektromobilität geht aber weit über das Auto hinaus. Ein Debattenbeitrag von Christoph M. Schwarzer.
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Mehr Shitstorm war selten: Die deutsche Autoindustrie sei unverschämt, so heißt es vielstimmig, wenn sie angesichts fetter Gewinne und Dividendenausschüttungen einen Kaufbonus durch Staatsknete fordern würde. Das böse Wort von der „Abfuckprämie“ markiert den Höhepunkt der Kritik: Ein Förderansatz wie 2009, als einfach sämtliche Neukäufe mit 2.500 Euro unterstützt wurden, solange ein Altwagen dafür in die Schrottpresse ging, ist heute politisch und gesellschaftlich unvorstellbar. Die Welt hat sich weitergedreht. Wie aber kann eine Fördermaßnahme aussehen, die ein sinnvolles Ziel hat?
Klar ist nur: Die Lage ist ernst. Dass die Automobilproduktion im April wegen stillstehender Bänder um 97 Prozent eingebrochen ist, ist harte Realität. Die Neuzulassungen sind im Vergleich zum März um 61 Prozent zurückgegangen. Auch bei den Batterie-elektrischen Autos, die häufiger aus Überzeugung und seltener aus Opportunität gekauft werden, sank der Wert um 55 Prozent. Die Wirtschaftskrise wird kein V, also keine Kurve, in die es schnell hinein und zügig wieder hinausgeht. Sie entlarvt einmal mehr, dass Deutschland mit über 47 Millionen Pkw ein gesättigter Markt ist. Die Nachfrage war zuletzt ohnehin nicht groß. Jetzt eine steuerfinanzierte Pauschalprämie auszuschütten, hieße nichts anderes, als zukünftige Verkäufe vorzuziehen.
Es sollte statt einer Abwrackprämie 2.0 die Verknüpfung aus Kaufanreiz und übergeordnetem Ziel geben. Es liegt auf der Hand, dass die Energiewende im Verkehr ein guter Zweck sein könnte, nämlich die Abkehr vom Verbrennungsmotor und dessen fossilen Kraftstoffen hin zur Elektromobilität mit Strom aus erneuerbaren Energien.
Eine simple Erhöhung der vorhandenen Kaufprämie von 3.000 Euro brutto aus dem Staatshaushalt plus 3.000 Euro netto vom Autohersteller für Elektroautos mit einem Nettobasispreis von unter 40.000 Euro wäre wahrscheinlich willkommen. Man stelle sich vor, diese Summe würde auf je 5.000 Euro – insgesamt auf den Bruttokurs gerechnet demnach über 10.000 Euro – angehoben werden: Ein Volkswagen ID.3 könnte für 19.900 Euro über den Tisch gehen. Eine schöne Vorstellung, die einigen Zögerlichen über die Schwelle helfen könnte. Und natürlich würde es auch die unvermeidbaren Mitnahmeeffekte geben. Falsch wäre eine Anhebung trotzdem nicht.
Realer oder konstruierter Engpass
Ob dadurch die Produktions- und Verkaufszahlen von Elektroautos automatisch ansteigen würden, ist aber fraglich. Die Industrie tut sich weiterhin schwer mit dem Hochlauf vorhandener und dem Start neuer E-Modelle. Zu häufig müssen Kunden zu lange auf die Auslieferung warten. Was genau das Bottleneck ist, bleibt spekulativ: Es könnte sein, dass die Lieferketten der Batterieproduktion noch nicht perfekt funktionieren und es Engpässe gibt. Es ist möglich, dass die Gewinnmarge geringer ist und Elektroautos darum weniger attraktiv sind. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Autoindustrie schlicht zu unflexibel auf die Bedürfnisse einer sich langsam, aber stetig ändernden Nachfrage reagiert.
Unbestritten ist, dass Batterie-elektrische Autos zur Erfüllung der von den europäischen Nationen gemeinsam beschlossenen CO2-Flottengrenzwerte notwendig sind. Das zeigt eine Markt- und CO2-Analyse des International Council on Clean Transportation (ICCT) fürs erste Quartal:
Etliche Hersteller – konkret von oben nach unten in der Tabelle: Nissan, FCA im Bilanzpool mit Tesla, Volvo, BMW, Renault, Kia und Hyundai – nutzen das Maximum der Supercredits (Spalte „SC“) von 7,5 Gramm CO2 bereits voll aus. Sie bewegen sich im Zwischenergebnis bei lediglich einstelligen Abweichungen im Zielkorridor. Einzige Ausnahme ist Daimler, wo die Lücke zwischen tatsächlichen und vorgegebenen CO2-Werten beängstigend groß ist. Es ist keineswegs zynisch anzunehmen, dass bald zu jedem AMG-Modell ein Smart EQ dazugegeben wird.
Batterie-elektrische Autos sind also notwendig, um Strafzahlungen zu vermeiden, und das wird 2021 noch krasser der Fall sein: Das so genannte Phase-in (Spalte „PI“), bei dem die schmutzigsten fünf Prozent der Neuzulassungen gestrichen werden dürfen, fällt weg. Vorsichtige Hersteller werden folglich darauf achten, quasi überschüssige Elektroautos erst 2021 zuzulassen. Den Schaden haben die Interessenten, die sich fühlen, als würde ihnen ein Fahrzeug zugeteilt statt verkauft werden.
Das beste Beispiel für die Widersprüchlichkeit der Autoindustrie ist der Volkswagen-Konzern. Der ID.3 sowie zwei Versionen des ID.4 (Steil- und Schrägheck) stehen in den Startlöchern, der Skoda Enyaq kommt, und auch der Audi Q4 e-tron ist so gut wie fertig. Trotzdem kann sich Herbert Diess in der Öffentlichkeit nicht dazu durchringen, allein für die Elektroautos Anreize zu fordern – auch die anderen sollen was abhaben, die TSIs und TDIs.
Heimische Wallboxen, Fotovoltaikanlagen und so lokale Betriebe fördern
Eine Förderung im Sinn der Unabhängigkeit von fossilen Ressourcen und des Klimaschutzes aber wäre die Kombination aus einer leicht erhöhten Kaufprämie für Batterie-elektrische Autos und des umgebenden Ökosystems. Damit ist zum Beispiel eine Direktförderung von Wallboxen und deren Installation durch lokale Handwerker gemeint. Die heimische Wallbox gehört zu den meistunterschätzten Instrumenten, um die Elektromobilität in die Masse zu bringen.
Ebenfalls im Sinn der mittelständischen Betriebe wäre die Kopplung einer Wallbox an die eigene Fotovoltaikanlage. Zu oft konzentriert sich die Diskussion über Elektroautos auf das, was nicht geht. Fraglos, es gibt unpassende Einsatzprofile. Umgekehrt ist aber bekannt, dass das Potenzial außerhalb der Großstädte, also im suburbanen Raum und auf dem Land, sehr groß ist. Dort, wo die Häuser das Eigentum der Bewohner sind, wo Platz ist und wo Strecken zurückgelegt werden, mit denen die meisten Batterie-elektrischen Autos problemlos fertig werden.
Eine typische Fotovoltaikanlage mit einer Leistung von bis zu 10 kWp ist heute inklusive Pufferspeicher – hier kommen manchmal die äußerst zyklenfesten Lithium-Eisenphosphatbatterien zum Einsatz – inklusive Installation durch den lokalen Handwerksbetrieb für unter 25.000 Euro brutto zu haben. Eine Menge Holz? Ja, aber eine Investition, die nicht ins Nichts führt, sondern in jeder Hinsicht eine Ernte einfährt. Hier wäre es außerdem dringend notwendig, den Ausbaudeckel für Solarenergie abzuschaffen. Darüber hinaus würde eine symbolische Prämie einige bisher untätige Hausbesitzer dazu anregen, sich überhaupt mit der Verbindung aus Batterie-elektrischem Auto, heimischer Wallbox, eigener Fotovoltaikanlage und Pufferspeicher zu beschäftigen.
Keine staatliche Leistung ohne Gegenfinanzierung
Es ist grundsätzlich keine gute Idee, staatliche Geschenke ohne Gegenfinanzierung zu verteilen. In der aktuellen Situation mit extrem niedrigen Kraftstoffpreisen könnte zum Beispiel endlich die Umlegung der Kfz-Steuer auf den Kraftstoffpreis sowie dessen Besteuerung nach Energieinhalt eingeleitet werden. Das würde die Aufweichung des Dieselnachlasses und damit die Abschmelzung einer indirekten Milliardensubvention bedeuten – ein Vorgang, den die Diesel-Nation Frankreich schon unter Präsident Sarkozy begonnen hat und der bei uns offenbar undenkbar ist. Irgendwo aber muss das Geld herkommen.
Es bietet sich auch an, die Grenzwertgerade der CO2-Flottenemissionen als Richtschnur zu nutzen. Diese liegt nämlich nicht bei exakt 95 Gramm pro Kilometer, sondern wird über das Leergewicht angepasst. Für Freunde des Taschenrechnens: Die fahrzeugindividuelle CO2-Vorgabe ist M (Masse) minus 1.392 (Durchschnittsgewicht in kg) multipliziert mal 0,0333 (Steigung der Gewichtsgerade) plus 95. Pkw, die oberhalb dieses Limits liegen, sind keinesfalls förderungswürdig und könnten im Gegenteil zur Finanzierung belastet werden.
Dass der Bundeswirtschaftsminister – offenbar ohne festen Kompass unterwegs – mal eine CO2-abhängige Unterstützung und mal eine bedingungslose fordert, ist ein unwürdiges Zeugnis der allgemeinen Debatte. Es würde dem Ruf der Politik und der Industrie erheblich schaden, wenn wieder eine ungesteuerte Abwrackprämie in Kraft gesetzt werden würde. Genauso schlecht ist übrigens eine fortgesetzte Diskussion ohne Entscheidung, denn selbstverständlich halten sich besonders Privatkäufer jetzt zurück, worunter auch die Händler erheblich leiden.
Wahrscheinlich sind die Deutschen viel offener für eine Innovationsprämie in Form einer gezielten Förderung von Elektroautos, Wallboxes und Fotovoltaikanlagen mit Pufferspeicher, als es die Politik vermutet. Hier geht es nicht um eine radikale Kehrtwende, sondern um ein sanftes Nachsteuern zu einem Weg, der ohnehin längst eingeschlagen ist. Den Absatz von Elektroautos würde das zwar nicht krass, sondern nur tendenziell steigern. Ein kleines Stück Verkehrswende. Mehr ist in einem Land, dass mehr als genug Pkws hat, so oder so nicht zu erwarten.
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