Lithium-Gewinnung aus Geothermie-Anlagen in Deutschland?
Mehrere Unternehmen wollen laut einem Medienbericht schon bald Lithium in Deutschland produzieren. So könnten deutsche Batteriezellfabriken weitgehend unabhängig von Importen des wichtigen Rohstoffs werden. Was die aktuellen Projekte eint: Sie setzen auf die Geothermie.
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Die Projekte sind am Oberrhein angesiedelt, der laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) geothermisch heißesten Region Deutschlands. Wie die „Welt am Sonntag“ berichtet, plant der Energiekonzern EnBW, eine Geothermieanlage in Bruchsal nördlich von Karlsruhe durch eine Extraktionsanlage für Lithium-Chlorid zu erweitern. „Im Labor hat das recht ordentlich funktioniert“, sagte Projektleiter Thomas Kölbel gegenüber der Zeitung. „Jetzt versuchen wir es mit einer Demonstrationsanlage.“
Die Firma Vulcan Energy Resources arbeitet gemeinsam mit dem Energiekonzern Pfalzwerke an einem ähnlichen Projekt. Das Geothermiekraftwerk Insheim soll noch in diesem Jahr um eine Pilotanlage erweitert werden. Schon 2022 könnte in Insheim eine kommerzielle Anlage in Betrieb gehen, die jährlich 2.000 Tonnen Lithiumhydroxid produziert – sofern die Pilotanlage entsprechende Ergebnisse liefert.
In den Geothermie-Anlagen wird heißes Wasser aus tieferen Erdschichten gefördert, um deren Wärme zu nutzen. Im Oberrheingraben enthält das Thermalwasser Lithium, dass nun aus dem warmen Wasser gefiltert werden soll, ehe es wieder in die Erde geleitet wird. Laut dem BGR enthält das Tiefenwasser in dieser Region zwischen 200 und 400 Milligramm Lithium pro Liter. „Solche Gehalte finden sich auch in einigen Salaren in Südamerika“, sagt BGR-Experte Michael Schmidt.
Auch Horst Kreuter von Vulcan Energy Resources sagte gegenüber dem „Spiegel“, dass der Lithiumgehalt hoch genug sei. Da die Anlage den Strom aus der Geothermie nutzen könne und dabei noch Strom für weitere Zwecke übrig bleibt, sei der CO2-Abdruck dieser Produktion „sogar negativ“. BGR-Experte Schmidt sieht das Potenzial der europäischen Projekte, „den hiesigen Lithiumbedarf für eine Zellfertigung zu einem beträchtlichen Anteil“ bedienen zu können.
Offen ist, ob sich die Förderung in Deutschland lohnt. Beide Projekte könnten mit ihren Demonstrations-Anlagen erste Anhaltspunkte dafür liefern. Von den Größenordnungen der Deals, mit denen sich Autobauer und Batteriezell-Hersteller derzeit ihre Versorgungen mit Lithiumhydroxid sichern, sind die Projekte in Deutschland mit den von Vulcan genannten 2.000 Tonnen im kommerziellen Betrieb weit entfernt.
Die Pläne von Vulcan Energy Resources werden auch vom Europäischen Institut für Innovation und Technologie (EIT) über dessen Investitions-Arm Inno Energy mit einer sechsstelligen Summe gefördert. „Durch dieses sowie die drei weiteren existierenden europäischen Projekte zum Lithiumabbau könnte Europa bis 2025 rund 80 Prozent seines Bedarfs aus eigenen Quellen abdecken“, sagt Christian Müller, Deutschland-Chef von Inno Energy. Wie der „Spiegel“ schreibt, habe das Bundeswirtschaftsministerium aber noch nicht entschieden, ob es die Lithium-Projekte in Deutschland fördern werde.
Update 02.07.2020: Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat nach eigenen Angaben zusammen mit der Forschungsstelle des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches am Engler-Bunte-Institut (EBI) ein minimalinvasiven Verfahren entwickelt, mit dem vor dem oben geschilderten Hintergrund künftig jedes Jahr tausende Tonnen Lithium in Geothermie-Anlagen aus den Tiefengewässern des Oberrheingrabens gefördert werden könnten. Bei dem neuen Ansatz werden in einem ersten Schritt die Lithiumionen aus dem Thermalwasser herausgefiltert und in einem zweiten Schritt weiter konzentriert, bis Lithium als Salz ausgefällt werden kann. Das Grimmer-Saravia-Verfahren – benannt nach seinen zwei Hauptentwicklern Jens Grimmer und Florencia Saravia – ist bereits zum Patent angemeldet.
Das KIT geht davon aus, dass in den tiefen Gesteinslagen beträchtliche Mengen Lithium befinden. „Nach unseren Kenntnissen können es bis zu 200 Milligramm pro Liter sein. Wenn wir dieses Potenzial konsequent nutzen, dann könnten wir in Deutschland einen erheblichen Teil unseres Bedarfs decken“, so Grimmer vom Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) des KIT.
Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie sind die beiden Wissenschaftler nun dabei, eine Testanlage zur Lithium-Gewinnung zu entwickeln. In diesem ersten Prototypen, der in einer Geothermie-Anlage im Oberrheingraben aufgebaut werden soll, werden zunächst einige Kilogramm Lithiumkarbonat beziehungsweise Lithiumhydroxid gewonnen. „Wenn die Versuche erfolgreich sind, ist der Bau einer Großanlage geplant“, schreibt das KIT. Möglich sei dann eine Produktion von mehreren hundert Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr pro Geothermie-Anlage. Nach aktueller Datenlage belaufen sich die Potenziale im Oberrheingraben auf deutscher und französischer Seite auf mehrere tausend Tonnen an förderbarem Lithium pro Jahr.
Update 16.12.2020: Die EnBW und das Karlsruher Institut für Technologie haben nun mit den Partnern Bestec, Hydrosion ein Verbundprojekt namens UnLimited („Untersuchungen zur Lithiumproduktion aus heißen Tiefenwässern in Deutschland“) ins Leben gerufen, um die oben beschriebene Pilotanlage im Geothermiekraftwerk in Bruchsal einzurichten. Zudem hat sich das BMWi zur Förderung entschlossen: Das Ministerium übernimmt 2,7 Millionen Euro und damit den Großteil der auf 3,4 Millionen Euro geschätzten Projektkosten.
„Das in Bruchsal erbohrte Wasser ist mit rund 150 mg Lithium pro Liter Wasser relativ reich an Lithium“, so Professor Jochen Kolb, Leiter der Abteilung Geochemie und Lagerstättenkunde am Institut für Angewandte Geowissenschaften des KIT. Es werde zwar nicht die bundesweit benötigte Menge liefern, doch diese heimische Produktion eröffne Alternativen für Lieferketten und reduzierte Umwelteinwirkung.
Zurzeit werden nach Schätzungen der Partner mit dem Wasserdurchsatz in Bruchsal überschlägig rund 800 Tonnen Lithiumchlorid pro Betriebsjahr ungenutzt gefördert und zurückgeführt. Auf Basis des oben geschriebenen Laborverfahrens soll nun vor Ort gezeigt werden, dass eine nachhaltige und umweltverträgliche Gewinnung des Rohstoffs auch im industriellen Maßstab möglich ist. Die Beteiligten schätzen, dass bei jährlich rund 8.000 Betriebsstunden in der Geothermieanlage in Bruchsal Lithium für 20.000 E-Auto-Batterien gewonnen werden könne. Das Projekt soll ferner Fragen zur Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der Lithiumextraktion aus dem Tiefenwasser und zur Qualität des Lithiums beantworten.
welt.de, spiegel.de, v-er.com, kit.edu (Update I), kit.edu (Update II)
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