Plant die Bundesnetzagentur eine Neuordnung des Marktes für Ladeinfrastruktur?
Die Bundesnetzagentur hat ein Konsultationsverfahren gestartet, an dessen Ende die Ladeinfrastruktur-Branche grundlegend verändert sein könnte. Kern ist die Frage, wer wem zu welchen Konditionen Zugang zu seiner Ladeinfrastruktur gewähren muss.
Das entsprechende Konsultationsverfahren läuft bereits seit dem 10. Juni und hat hinter den Kulissen bereits für heftige Diskussionen gesorgt. Wie der „Spiegel“, der zuerst über das Verfahren berichtet hat, schreibt, hätten große Versorger den Vorstoß der Netzagentur als „Kriegserklärung“ empfunden.
Im Kern geht es um einen Ansatz, der das bisherige System mit intransparenten Ladegebühren, Roaming-Abkommen und höchst unterschiedlichen Tarifen an ein und derselben Ladesäule beenden würde: Für den Kunden soll es möglich sein, einen Vertrag mit einem Versorger seiner Wahl abschließen zu können – und zu den dort vereinbarten Konditionen an allen öffentlichen Ladesäulen zu laden. Sprich: Die Charge Point Operator (CPO) sollen verpflichtet werden, den Strom mit dem Vertrag eines Konkurrenzunternehmens abzugeben. Dafür sollen sie „eine angemessene Gebühr für die Nutzung ihrer Infrastruktur“ erhalten. Gängige Praxis ist das bereits beim Haushaltsstrom, wo Vertragsfreiheit herrscht und man beim Umzug seinen Stromversorger quasi mitnehmen kann.
Das Problem, das die Behörde nun identifiziert hat, ist die Marktmacht der CPO, die nicht nur die eigenen Preise festlegen können, sondern auch mitentscheiden, über welche anderen Ladedienste (EMP bzw. MSP) per Roaming auf die eigenen Ladepunkte zugegriffen werden kann. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) stellt regelmäßig fest, dass rund drei Viertel aller öffentlicher Ladepunkte von Energieunternehmen betrieben werden. Das sind in den Städten oft die örtlichen Stadtwerke, die einen Großteil der dortigen Ladeinfrastruktur betreiben. Wie der „Spiegel“ schreibt, sind in „manchen Gebieten wie Hamburg, Köln oder Essen“ mehr als 80 Prozent der Ladepunkte im Besitz des jeweiligen örtlichen Energieanbieters oder Stromnetzbetreibers.
Der BDEW zeigt sich auf Anfrage von electrive.net ebenfalls wenig begeistert von dem Vorschlag der Bundesnetzagentur. „Politisch vorgegebene Bezahlsysteme halten wir für keinen guten Weg – hier sollte es Wettbewerb geben, in dem sich die für die Kunden besten Systeme durchsetzen“, so der Verband. „Zum einen kann im Voraus niemand sagen, welches das beste Bezahlsystem wäre und zum anderen entwickeln sich die Nutzerpräferenzen sehr dynamisch.“
Eine große Marktmacht, über die der Zugang zu den wichtigen Ladepunkten geregelt wird. Günstigen Strom gibt es nur für die eigenen Kunden, vertragsfremde Ad-hoc-Lader müssen teils deutlich höhere Preise bezahlen. Das ist nicht nur in den Städten so, sondern teilweise auch an den Autobahnen – siehe die Preisdiskussion rund um Ionity Anfang des Jahres, als der Preis für Ad-hoc-Kunden ohne Vertrag auf 0,79€/kWh angehoben wurde, während die Kunden der an Ionity beteiligten Autobauer zu Konditionen laden, die weniger als die Hälfte betragen. Der Nutzer, der auf die Schnelle nicht Vertragskunde des jeweiligen Anbieters werden kann oder will, zahlt für die selbe Strommenge in der Folge deutlich mehr. Übertragen auf die fossile Welt der Tankstellen würde das bedeuten: Total-Vertragskunden zahlen bei Shell das Doppelte. Undenkbar.
„Dem möglichen Interesse des Nutzers eines Elektromobils, den benötigten Ladestrom auch bilanziell bei einem Energielieferanten seiner Wahl zu beziehen, kann im derzeitigen Umfeld technisch nicht nachgekommen werden“, fasst die Bundesnetzagentur die aktuelle Lage nüchtern zusammen.
Stattdessen der „zur Konsultation gestellte Ansatz“ im Vergleich: „Übergabestellen zwischen dem örtlichen Verteilnetz und einer Ladesäule oder auch einem mobilen Ladekabelsystem mit eingebautem Zähler werden zum Zweck der bilanziellen Abwicklung als Netzkoppelungspunkte konfiguriert. Der Betreiber der Ladepunkte wird verantwortlich für ein virtuelles Bilanzierungsgebiet, das er in Analogie zu einem physischen Verteilnetzbetreiber verwaltet und die von den Nutzern eines Elektromobils bezogenen Energiemengen auf Summenzeitreihen zur weiteren Verarbeitung im Rahmen der Bilanzkreisabrechnung bereitstellt. Hervorzuheben ist, dass die Festlegung keine Aussage darüber trifft, ob der Betreiber von Ladepunkten dem Grunde nach verpflichtet ist, einen solchen bilanziellen Netzzugang zu gewähren. Entscheidet sich der Betreiber, einen solchen bilanziellen Netzzugang anzubieten, so sind Netzbetreiber verpflichtet, mit ihm einen Netznutzungsvertrag nach Maßgabe der hier angestrebten Inhalte abzuschließen.“
Einen solchen „Netznutzungsvertrag zur Ermöglichung des bilanziellen Netzzugangs an Ladepunkten für Elektromobile“, wie ihn die Bundesnetzagentur anstrebt, hat die Behörde exemplarisch bereits ausgearbeitet. Nur das wichtige „Netznutzungspreisblatt für Marktlokationen“, in dem die Entgelte für die Nutzung der Ladepunkte geregelt werden sollen, enthält statt konkreter Preise leider nur „xx,xx €/kW*Tag“ und „xx,xx Cent/kWh“.
Das soll nun offenbar in der Konsultation mit den betroffenen Unternehmen erarbeitet werden – und das recht schnell. Geht es nach der Bundesnetzagentur, soll die neue Regelung im April 2021 in Kraft treten – vorerst auf Verlangen des Ladepunktbetreibers. Und ab April 2022 nicht nur für Neuverträge, sondern auch „bereits abgeschlossene Netznutzungs-/ Lieferantenrahmenverträge sind wörtlich an die Anlagen 1 bis 3 in der Fassung gemäß vorstehender Tenorziffer 5 anzupassen“.
Dass die Bundesnetzagentur jetzt „aus ihrem Dämmerschlaf erwacht“, führt der „Spiegel“ auf das Bundeswirtschaftsministerium zurück, dem die Behörde unterstellt ist. Das Ministerium von Peter Altmaier war maßgeblich daran beteiligt, den staatlichen Anteil am Umweltbonus zu verdoppeln und so starke Anreize für den Kauf eines Elektroautos zu schaffen. Ohne passende Ladeinfrastruktur und einfache Preiskonzepte (mit einem Vertrag an allen Ladepunkten laden) lassen sich aber nur wenige Kunden für ein Elektroauto begeistern – Kaufprämie hin oder her.
Aber nicht nur das Wirtschaftsministerium ist aufgewacht: Die NOW GmbH, die im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums agiert, schreibt bald die Errichtung und den Betrieb des größten deutschen Schnell-Ladenetzwerks aus. Bis zu 1.000 Schnellladeparks – nicht Ladepunkte – sollen entstehen. „Das ist ein Paradigmenwechsel“, sagt Johannes Pallasch, Leiter der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur bei der bundeseigenen NOW GmbH, im Gespräch mit electrive.net. „Wir müssen das aktuelle Marktversagen überwinden.“
spiegel.de (Paywall), bundesnetzagentur.de (Übersicht), bundesnetzagentur.de (Dokument des Festlegungsverfahrens, PDF), bundesnetzagentur.de (Netznutzungsvertrag, PDF)
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