Batterie im Überblick – Von Zellproduktion bis Lkw-Akku
Acht Referenten, viereinhalb Stunden Fachwissen und exklusive Insights: Die dritte Ausgabe von „electrive.net LIVE – Online-Konferenz für Elektromobilität“ drehte sich um das Herzstück jedes E-Fahrzeugs: die Batterie. Sie waren nicht dabei? Kein Problem, hier können Sie das Wichtigste zur Konferenz nachlesen.
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Die dritte Online-Konferenz, moderiert von electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz, ist ausgebucht, das Interesse am Fokusthema Batterie immens. Rund 500 Teilnehmer verfolgen vormittags im ersten Panel, was Dr. Tim Schulze vom Bundeswirtschaftsministerium, Uwe Seidel von VDI/VDE-IT, Dr. Heiner Heimes von der RWTH Aachen und Leopold König vom Zellproduzenten Customcells zur Batteriezellfertigung am Standort Deutschland zu sagen haben, ehe vier weitere Referenten sich nachmittags schwerpunktmäßig mit Batterien für elektrifizierte Nutzfahrzeuge beschäftigen.
Doch der Reihe nach: Dr. Tim Schulze, der im Wirtschaftsministerium zuständige Referent für Batteriezelltechnologie, ist der Mann für die industriepolitische Perspektive auf das Thema. Er erläutert die Hintergründe zur sogenannten Altmaier-Milliarde. 2018, da sei die Wirtschaft spürbar interessiert gewesen, aber eben nicht risikobereit genug, erläutert er. Eingebettet in europäische Initiativen hilft die Politik vor diesem Hintergrund bei der Anschubfinanzierung mit. Dabei ist nach den Worten von Schulze die Industrialiserung der Zellfertigung nicht die einzige Herausforderung, „sondern sie muss einen hohen Innovationsgehalt haben“. Dieser Ruf nach Innovation entpuppt sich im Laufe der Web-Konferenz zum roten Faden auf dem Weg zu einer konkurrenzfähigen europäischen Zellfertigung.
2030 sollen rund 30 Prozent der weitweiten Nachfrage nach Zellen aus deutscher und europäischer Produktion beliefert werden – diesem von Wirtschaftsminister Peter Altmaier vor einiger Zeit ausgegebenen Ziel bescheinigt Schulze noch volle Aktualität. Technologieführerschaft ist dabei nicht alles. Eng mit dem Thema sei der zu meisternde Strukturwandel verbunden: „Ob der Strukturwandel eher Chance oder Bedrohung ist, hängt davon ab, ob wir neue Wertschöpfung erobern.“ Auch den CO2-Footprint und das Thema Nachhaltigkeit bezeichnet Schulze als Schlüssel, indem er konstatiert, dass die Batterien noch „einen schweren CO2-Rucksack“ haben, „wir müssen an die Nachhaltigkeitsaspekte ran und am besten geht das hier vor Ort“.
Erst gestern hat die öffentliche Hand dem Batteriehersteller Varta eine Förderzusage über insgesamt 300 Millionen Euro für Projekte rund um Batteriezellen gemacht. Ein solcher Eingriff in die Wirtschaft ist – das betont Dr. Schulze in seinem Vortrag explizit – nur möglich, da der Aufbau einer europäischen Zellproduktion von der EU als sogenanntes IPCEI („Important Projects of Common European Interest“) klassifiziert wird. Genau genommen gibt es zwei IPCEI-Projekte in verschiedenen Realisationsstadien: „ein Schnellboot und einen Tanker“, so Schulze. An Ersterem sind 17 Unternehmen – unter anderem Varta – aus sieben Mitgliedsstaaten beteiligt, an Letzterem über 50 Unternehmen in zwölf Mitgliedsstaaten, wobei auch zu diesem „Tanker“ im Spätsommer/Herbst mehr spruchreif werde, versichert Schulze, der dem Themenfeld trotz Corona-Pandemie EU-weit „eine extrem hohe Dynamik“ bescheinigt.
Uwe Seidel vom Projektträger VDI/VDE IT ergänzt Schulzes Vortrag aus wissenschaftlich-beratender Perspektive. Zusammen mit der TU Berlin und TÜV Rheinland Consulting unterstützt sein Unternehmen die Megaprojekte unter anderem mit Querschnittsthemenarbeit, Analysen und Vernetzungsservices. Um den Aufbau einer Zellfertigung gruppiere sich ein enormes Ökosystem, so Seidel. Aufgabe von VDI/VDE sei unter anderem sicherzustellen, dass das in diesem Prozess gewonnene Konw-how künftig auch anderen EU-Mitgliederstaaten zugutekomme.
Zu risikoscheu für den Batteriezellenmarkt?
Einen Blick von außen auf die Lage liefert anschließend Dr. Heiner Heimes vom PEM der RWTH Aachen. Er stellt die Frage in den Raum, ob Europa bei der Batteriezellenfertigung die eigene Risikoversion zum Verhängnis geworden ist. Die Bestandsaufnahme ist in der Tat ernüchternd: Zwischen 2015 und 2020 hat Europa nur drei GWh Produktionskapazität dazugewonnen, in Asien waren es in der selben Zeit 33 GWh. Bis 2030 steige der Bedarf in Europa rasant an, was zu einer massiven Angebotslücke führe, zeigt Heimes in seiner Präsentation.
Doch der Geschäftsführende Oberingenieur des PEM in Aachen macht auch Hoffnung: Es seien viele Projekte in Europa geplant, wenn auch nicht unbedingt von Europäern. Außerdem sind aus Heimes‘ Sicht innovative Technologien eine Differenzierungschance für Europa. „Deutsche Forschungsinstitute besitzen diverse Pilotanlagen – sie sind in diesem Bereich gut aufgestellt.“ Durch Prozessinnovationen seien unter anderem 30 bis 40 Prozent potenzielle Energieeinsparung in der Zellproduktion möglich. Die öffentliche Förderung bezeichnet der RWTH-Mann als „fundamental wichtig und vollkommen legitim“ angesichts von selbst für große Unternehmen nur schwer zu schulternden Risiken. Und er konstatiert: „2020 wird das Jahr der Batterie, nicht trotz sondern wegen Covid-19. Covid-19 macht deutlich, dass der direkte, lokale Zugriff auf eine eigene Zellproduktion für OEMs unerlässlich ist.“
65 Prozent halten eine eigene deutsche Zellfertigung für „sehr wichtig“
Voll aus der Praxis kommen die Schilderungen von Leopold König, CEO von Customcells, einem Zellhersteller im Bereich Prototypen, Klein- und Mittelserien. Innerhalb von acht Jahren von einem Zwei-Mann-Betrieb zu einer Firma mit fast 100 Mitarbeitern gewachsen, nimmt König die Konferenzteilnehmer mit in die Fertigungshallen von Customcells, in denen Zellen teils innerhalb von Monaten für verschiedene Anwendungsfälle kreiert, modifiziert und anschließend hergestellt werden. Im Spezialanwendungsbereich fühlt sich Customcells ausdrücklich wohl. „Wir haben kein Interesse in direkte Konkurrenz zu asiatischen Herstellern zu treten“, antwortet König auf die Frage, ob man nicht in die aktuell angeschobenen Großprojekte einsteigen wolle.
Dabei schreiben die Teilnehmer der Online-Konferenz dem Aufbau einer eigenen deutschen Batteriezellfertigung einen großen Stellenwert zu. In einer Umfrage antworten 65 Prozent der Anwesenden, dass dies „sehr wichtig“ sei, 25 Prozent halten es nicht für kriegsentscheidend, nur wenige meinen, man könne doch einfach weiter bei den asiatischen Herstellern einkaufen. Aus der Pandeldiskussion mit allen vier genannten Speakern, bei der Fragen der Konferenzteilnehmer aus dem Chat einfließen, geht schließlich hervor, dass kobaltfreie Zellen in Großserie für Endkunden in etwa zehn Jahren kommen könnten (König). Dass eine Zellfertigung eigentlich erst ab 8 GWh richtig Sinn macht, weil dann unter anderem auch Mengenrabatte für Materialien wirken (Heimes) und, dass die Verwendung von Erneuerbaren Energien kein IPCEI-Kriterium ist, sondern von der EU bis Herbst ohnehin generell geregelt wird (Schulze).
Batterietechnologie für Elektro-Nutzfahrzeuge
Mit 400 Teilnehmern im digitalen Saal startet die Konferenz in den Nachmittag – mit dem thematischen Schwerpunkt auf Batterien für Nutzfahrzeuge. Denn elektrifizierte Lkw werden kommen, davon gehen fast alle Teilnehmer der Web-Konferenz aus. Über 80 Prozent glauben einer spontanen Umfrage zufolge, dass Lkw auf der Kurz- und Mittelstrecke langfristig mit Batterie und auf der Langstrecke mit Brennstoffzelle unterwegs sein werden.
Die drei folgenden Referenten dürfte diese Einschätzung freuen: Sven Schulz, CEO von Akasol,
Nico Münch, Director Business Development Sales von Webasto, und Dr. Jens Bockstette, Chef der Futavis GmbH, gewähren Einblicke in ihren dynamischen Arbeitsalltag. Alle drei betonen, dass es nicht die eine Batterie für alle Anwendungen gibt, der Schlüssel besteht in der Fähigkeit, bei dem Bau und Packing von Batteriesystemen auf Kundenwünsche eingehen zu können. Dabei gehen alle drei Unternehmen unterschiedlich vor. Schulz zeigt die Vorgehensweise aus Sicht eines reinen Batteriesystemherstellers, Münch die Perspektive aus Sicht eines klassischen Automobilzulieferers und Bockstette die Marschroute über den Offroad-Nutzfahrzeugbereich, der sich durch den Aufkauf durch die Deutz AG ergeben hat.
Klar wird aus den Vorträgen aller drei Referenten: Im Dreieck zwischen möglichst hoher Energiedichte, Leistung und Lebensdauer muss man sich bei jedem neuen Produkt für eine Position entscheiden. Alles zusammen geht schief. Als Orientierung helfe es, sich an den Kundenbedürfnissen zu orientieren, heißt es unisono. Wie soll beispielsweise der elektrische Stadtbus geladen werden – über Nacht, mittels Opportunity Charging oder per Flash Charging? Ist für die Gesamtkosten (Total Cost of Ownership) eines Elektro-Lkw eher eine teurere hochzyklische Batterie sinnvoll, die einen noch teureren Batteriewechsel vermeidet?
Akasol-Chef Sven Schulz geht in seinem Vortrag auch intensiv auf die aktuellen Batterietechnologien und die möglichen Lösungen der Zukunft ein. Seine Einschätzung: Die Lithium-Ionen-Technologie – allen voran mit NMC-Zellen – werde sich weiter verbessern und weite Marktsegmente behalten. Festkörperbatterien und Lithium-Schwefel seien in einigen Punkten überlegen, aber in den kommenden Jahren noch nicht verfügbar. „Da ist noch ein weiter Weg zu gehen. Wir beobachten das, aber es gehört schon viel dazu, die etablierten Technologien wirklich zu überholen“, so Schulz, der abschließend noch verrät, dass Akasol einen weiteren Serienkunden gewonnen hat. Das und weitere Aufträge stimmten nach Covid-19 für das zweite Halbjahr optimistisch.
Verdrängungswettbewerb ist eröffnet
Nico Münch von Webasto Battery Systems spricht zum Einstieg ohne Umschweife von einem Verdrängungswettbewerb im Batteriemarkt, bei dem Webasto als Stärken gegenüber Startups, asiatischer Konkurrenz und reinen Batterieherstellern seine Automotive-DNA und globale Stellung als Zulieferer in die Waagschale wirft. 2016 gestartet, zählt der eMobility-Zweig inzwischen 220 Mitarbeiter. Um bei möglichst großer Flexibilität dennoch Standardisierungseffekte zu erreichen, hat Webasto die sogenannte CV Standard Battery kreiert. „Ein Arbeitstier, das vor allem auf eine lange Lebensdauer setzt“, führt Münch aus. Die Zellen bezieht Webasto von Samsung aus Ungarn. Ob das Unternehmen auf deutsche Hersteller umschwänken würde? „Das werden wir in Betracht ziehen“, so Münch. Aber man sehe, dass die Anbieter vollauf damit beschäftigt seien, eine Fertigung aufzubauen und dann erstmal ihren engen Kreis an OEM-Kunden beliefern müssten.
Eine ganz andere Unternehmensstruktur stellt Dr. Jens Bockstette, CEO der Futavis GmbH vor. Die 2013 in der Nähe von Aachen gegründete Firma wurde kürzlich von der Deutz AG übernommen, zu der inzwischen auch Torqeedo gehört. In diesem Verbund sind nun die neu gegründete Sparte eDeutz und Torqeedo für die Fertigung von E-Antriebssystemen zu Land beziehungsweise zu Wasser zuständig, während Futavis für beide die Batteriemanagementsysteme liefert. Das Unternehmen verwendet existierende Komponenten – etwa etablierte Batteriemodule von BMW oder Toshiba – und verbaut diese zu flexiblen Einheiten „im Bereich 24 bis 800 Volt“, so Bockstette, der den durch Deutz nun nahegerückten Offroad-Bereich als besonders interessant und herausfordernd beschreibt. Futavis war übrigens auch an der Entwicklung des Antriebsstrangs des StreetScooter-Portfolios beteiligt. Dessen Aus tue weh, gibt Bockstette zu.
Markus Hackmann, Chef der Management-Beratung P3 Automotive, liefert schließlich einen Über- und Ausblick zur Elektrifizierung des Nutzfahrzeugmarkts. Aus seiner Präsentation wird vor allem erkenntlich, dass sich der Umstieg auf E-Fahrzeuge im Bussegment wesentlich schneller vollzieht als im Truckbereich. Was das Marktvolumen angeht, schätzt P3, dass der Nutzfahrzeugbereich 2030 einen Batteriebedarf in Höhe von 56 GWh haben wird – rund zehn Prozent des Gesamtbatteriebedarfs. Nach Ausführungen zur Brennstoffzelle und zu Ladelösungen für E-Fahrzeuge liefert Hackmann schließlich noch eine Einschätzung zur Sinnhaftigkeit von Oberleitungs-Lkw, wie sie bei eHighway-Projekten unter anderem in Hessen aktuell getestet werden. Kosten, Genehmigungsdauer und Ladeleistung sprechen aus seiner Sicht nicht für eine großflächige Anwendung. Sein Urteil: „Das sehen wir eher kritisch.“ Die Zukunft gehöre Batterie und Brennstoffzelle.
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Das Team von electrive.net bedankt sich bei den Sponsoren Akasol, Webasto, Customcells und Futavis, allen Referenten und natürlich den vielen Teilnehmenden für die gelungene Online-Konferenz! Nach einer kurzen Sommerpause melden wir uns mit zwei Ausgaben in der ursprünglichen IAA-Woche zurück. Die Informationen zum Programm folgen alsbald. Bleiben Sie gesund!
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