EU-Kommission präsentiert eigene Wasserstoffstrategie
Die EU-Kommission hat nun die EU-Strategien für die Integration von Energiesystemen und für Wasserstoff verabschiedet, auch in Hinblick auf den Verkehrssektor. In einigen Punkten unterscheiden sich die Pläne aus Brüssel und die kürzlich vorgestellte Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.
Die beiden Strategien präsentieren eine neue Investitionsagenda für saubere Energie im Einklang mit dem EU-Wiederherstellungspaket der nächsten Generation der Kommission und dem Europäischen Green Deal, heißt es in der Mitteilung der Kommission. Damit sollen quasi zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Das Energiesystem, auf das 75 Prozent der Treibhausgasemissionen der EU entfallen, muss auf dem Weg zur für 2050 angepeilten Klimaneutralität grundsätzlich umgebaut werden. Die geplanten Investitionen sollen laut der Kommission nun bei der wirtschaftlichen Erholung von der Corona-Krise wichtige Impulse liefern.
Kern der EU-Strategie zur Integration des Energiesystems ist die Kopplung der Sektoren Verkehr, Industrie, Gas und Gebäuden, die bisher jeweils ihren eigenen Regeln folgen. Die Strategie enthält bereits einige konkrete Pläne, etwa eine Reform der Energiesteuer-Richtlinie. Das betrifft unter anderem auch die Besteuerung für die Produktion und Speicherung von Wasserstoff, die harmonisiert werden sollen. Zudem soll es über alle Sektoren hinweg „deutlichere CO2-Preissignale“ geben.
Andere Punkte sind noch nicht so weit fortgeschritten. So sollen die Subventionen für fossile Energieträger – in Deutschland pro Jahr ein zweistelliger Milliardenbetrag – abgeschafft werden. Zudem soll der Emissionshandel ausgeweitet werden, Vorschläge hierfür sollen aber erst im Juni 2021 kommen.
Neben der Vernetzung der Energieträger, Infrastrukturen und Verbraucher will die Kommission als zweite Säule der Strategie die direkte Elektrifizierung der Endverbraucher fördern. Dabei werden ausdrücklich „Elektrofahrzeuge im Verkehr“ genannt. Konkret soll „ein Netz von einer Million Ladestationen für Elektrofahrzeuge neben dem Ausbau der Solar- und Windkraft“ zu den sichtbaren Ergebnissen zählen. Vor der Vorstellung der Strategie kursierten auch Berichte über zwei Millionen Ladestationen als Zielmarke. Als „unerlässlich“ werden dabei aber Smart Charging-Lösungen und V2G-Technologien genannt, um „kostspielige Investitionen in die Netzkapazität zu begrenzen.“
Erst nach der direkten Elektrifizierung soll die dritte Säule greifen: saubere Kraftstoffe. In Sektoren, „in denen die Elektrifizierung schwierig ist“, fördert die Strategie etwa „erneuerbaren Wasserstoff sowie nachhaltiger Biokraftstoffe und Biogas“. Hierfür will die Kommission aber noch ein neues Klassifizierungs- und Zertifizierungssystem vorschlagen, um erneuerbare und kohlenstoffarme Kraftstoffe als solche kennzeichnen zu können.
Wasserstoff in Bussen, Lkw und Zügen
Wasserstoff kommt in dem „integrierten Energiesystem“ also eine eigene Rolle zu – deshalb auch die zusätzliche EU-Wasserstoffstrategie. „Wasserstoff kann die Dekarbonisierung von Industrie, Verkehr, Stromerzeugung und Gebäuden in ganz Europa unterstützen“, heißt es in der Mitteilung. Die Strategie soll bei der Umsetzung dieses Potenzials in die Realität durch Investitionen, Regulierung, Marktschaffung sowie Forschung und Innovation helfen.
In der ersten Phase sieht der EU-Plan den Einsatz von Wasserstoff in Stadtbussen, gewerblichen Flotten (etwa Taxis) und in „speziellen Teilen des Schienennetzes“ vor, aber auch schwere Lkw werden genannt. H2-Tankstellen könnten einfach an lokalen oder regionalen Elektrolyseuren entstehen oder von dort verteilt werden. Aber auch der Einsatz von Wasserstoff in (Binnen-)Schiffen ist denkbar – und könnte bald attraktiver werden. Am Dienstag hatte der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments dafür gestimmt, die CO2-Emissionen des Seeverkehrs in das EU-Emissionshandelssystem aufzunehmen. Damit soll die Dekarbonisierung der Schifffahrt vorangetrieben werden.
Vorrangig soll es erneuerbarer Wasserstoff richten, der hauptsächlich mit Wind- und Sonnenenergie gewonnen wird. Da der Kommission klar ist, dass das kurzfristig nicht möglich ist, seien „andere Formen von kohlenstoffarmem Wasserstoff erforderlich, um die Emissionen rasch zu reduzieren und die Entwicklung eines lebensfähigen Marktes zu unterstützen“.
Konkret sollen bis 2024 mindestens 6 GW Elektrolyse-Leistung installiert werden, zwischen 2025 und 2030 sollen es mindestens 40 GW sein. Dann soll Wasserstoff ein „fester Bestandteil unseres integrierten Energiesystems“ geworden sein. Von 2030 bis 2050 sollen erneuerbare Wasserstofftechnologien dann so ausgereift sein, dass sie in großem Umfang in den schwer zu dekarbonisierenden Sektoren eingesetzt werden können.
Brüssel und Berlin haben unterschiedliche Pläne bei der H2-Produktion
Ein Ziel, das grundsätzlich auch die Bundesregierung verfolgt. In der Praxis ergeben sich jedoch einige Unterschiede, wie das „Handelsblatt“ schreibt. Für den kurz- und mittelfristigen Wasserstoff-Bedarf will die EU bestehende Produktionsanlagen umrüsten, um die CO2-Emissionen zu senken. In sogenannten „Carbon Capture and Storage“-Verfahren soll das CO2 abgespalten und gespeichert werden. Von diesem Weg hat sich Deutschland aber verabschiedet. So war in dem Ende Januar vorgelegten Entwurf der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ noch von „CO2-freiem Wasserstoff“ die Rede, was auch solche CCS-Lösungen bei der Herstellung aus Erdgas umfasst hätte. In der im Juni beschlossenen Version ist jedoch durchweg von „grünem“ Wasserstoff die Rede – also primär aus mit Ökostrom betriebenen Elektrolyseanlagen.
Die Befürchtung – offenbar vor allem aus dem SPD-geführten Umweltministerium und dem Forschungsministerium (CDU) – bei der „Duldung“ von dem aus Erdgas mit CCS-Lösungen hergestellten blauen Wasserstoff war, dass dieser nicht den Weg für grünen Wasserstoff bereitet, sondern dessen Entwicklung eher hemmt. Offen ist, wie sich die unterschiedlichen Ansätze in der Praxis auswirken werden. Und auch, wie sich die Märkte und Nachfrage entwickeln werden, wenn Deutschland in Projekten wie der angekündigten Anlage in Marokko Wasserstoff aus Solarstrom erzeugen will, andere Länder aber potenziell günstigere Erdgas-Lösungen mit CO2-Speicherung nutzen.
Differenzen mit womöglich großen praktischen Auswirkungen gibt es auch beim Umgang mit den erneuerbaren Kraftstoffen. Obwohl Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer als Freund der Synfuels gilt, hat sich Deutschland in der Nationalen Wasserstoffstrategie darauf verständigt, die mit 1,1 Milliarden Euro geförderten „Anlagen zur Erzeugung strombasierter Kraftstoffe“ etwa für strombasiertes Kerosin einzusetzen. Die EU nennt zwar auch die Luftfahrt und die Seefahrt als mögliche Einsatzzwecke, pflegt aber einen offeneren Umgang mit der Technologie – die Lobby-Schlacht, ob nun auch einige Sektoren auf der Straße schwer elektrifizierbar sind oder nicht, zeichnet sich schon ab.
europa.eu (Mitteilung), europa.eu (EU Strategy for Energy System Integration als PDF), europa.eu (Hydrogen Strategy als PDF), handelsblatt.com, europa.eu (Schifffahrt)
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