Souverän und anders – Polestar 2 im Fahrbericht
Mit dem Polestar 2 kommt in den nächsten Wochen eine spannende Elektro-Alternative auf den Markt. Vergleiche mit dem Model 3 liegen nahe, greifen aber teils zu kurz. In seinem Segment wird der Polestar für Firmenflotten und Dienstwagen interessant. Erste Ausfahrt mit einigen wichtigen Erkenntnissen.
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Eines muss man Polestar lassen: Mit dem Launch des 2 haben sie Aufmerksamkeit erzeugt. Dutzende Fahrberichte wurden in den vergangenen Wochen veröffentlicht, unzählige Videos bei YouTube hochgeladen. Fast konnte der Eindruck entstehen, hier wurde ein neuer Golf vorgestellt. Dabei ist die Marke in Deutschland vollkommen neu.
Was das Auto so attraktiv macht: Auf dem Papier ist es einer der ersten, wenn nicht der erste echte Herausforderer für das Tesla Model 3. Überall werden Vergleiche gezogen, was nun der Polestar und was der schon heute ikonische Tesla besser kann – und wo der Wettbewerber schlechter ist. Das ist natürlich naheliegend, versperrt aber teilweise den Blick auf die wohl wichtigste Tatsache: Dass Polestar ein richtig gutes Elektroauto gelungen ist. Ganz unabhängig von der Konkurrenz.
Denn der Polestar 2 hat seinen ganz eigenen Charme. Er bietet auf seinen 4,61 Metern Länge innen wie außen Vertrautes aus der Volvo-Welt, sowohl optisch als auch technisch. Aber er macht dennoch viele Dinge anders und neu – und umgeht so geschickt das Vorurteil, einfach nur ein aufgehübschter Elektro-Volvo zu sein.
Das fängt bereits vor dem Einsteigen an. Zwar gibt es noch einen Funkschlüssel (in Volvo-Optik, aber mit Polestar-Logo), die wohl verbreitetere Lösung zum Öffnen des Autos soll aber das Smartphone werden. Bereits aus mehreren Metern Entfernung soll der Polestar das Smartphone mit verknüpftem Google-Konto erkennen und je nach Annäherung in verschiedenen Stufen das Entriegeln und Hochfahren der Systeme vorbereiten. So hat sich das Auto vollständig einsatzbereit gemacht, bis der Nutzer eingestiegen ist. Nur noch die Fahrstufe einlegen und losfahren – ohne Startknopf.
Über das hinterlegte Google-Konto werden auch sämtliche Präferenzen abgerufen – die jeweilige Sitzeinstellung des Fahrers, die gewählte Innenraum-Temperatur, die zuletzt gehörte Spotify-Playlist. Steigen zwei Personen mit hinterlegtem Konto ein, will der Polestar anhand der genauen Position der Smartphones innerhalb des Autos berechnen, wer der wahrscheinliche Fahrer ist – und sich auf diesen einstellen.
Das Erkennen des richtigen Fahrprofils kann für den Komfort sehr wichtig sein. Denn dort sind auch die bevorzugten Fahreigenschaften hinterlegt. Auf einen Fahrmodi-Schalter à la „Sport – Komfort – Eco“ hat Polestar verzichtet – da die Erfahrung gezeigt habe, dass die meisten Fahrer ohnehin nur ein Profil nutzen und sehr selten wechseln. Deshalb lässt sich im Polestar 2 das Fahrverhalten des Autos im Menü personalisieren – das Lenkgefühl, die Rekuperation und ob das Auto beim Lösen der Bremse wie eine Wandlerautomatik anrollen soll oder nicht – was dann in dem persönlichen Fahrprofil gespeichert wird. Angenommen, einer der beiden Fahrer bevorzugt ein BEV-typisches One-Pedal-Driving, kein Kriechen und ein sportliches Lenkgefühl. Dann wäre es unangenehm, wenn das Auto plötzlich wie ein Verbrenner segelt – nur weil irrtümlich das Smartphone des Mitfahrers erkannt wurde. Da unsere Testfahrt allerdings unter den Corona-bedingten Abstandsregeln erfolgte, konnten wir die Grenzen der Smartphone-Erkennung mangels Beifahrer nicht ausloten.
Leise, stark, elektrisch eben
Nach dem Einsteigen fällt der Blick zunächst nicht auf das elf Zoll große Zentraldisplay, sondern beim Schließen der Türe auf den Außenspiegel. Die wirken gemessen an der Größe des Fahrzeugs sehr klein, sind es aber nicht: Der Spiegel ist rahmenlos, die eigentliche Spiegelfläche damit in etwa so groß wie üblich – bei einem kleineren und aerodynamisch besserem Gehäuse.
Aber wie fährt er sich jetzt? Nun ja: leise, stark, elektrisch eben. Die Beschleunigung fällt angesichts der 300 kW mehr als souverän aus, wobei die Vorderräder bei Vollgas an der Grenze der Haftung sind – die Traktionskontrolle muss hier noch spürbar eingreifen, das geht vielleicht auch etwas sanfter. Und anders als bei den aktuellen Volvo-Modellen wird nicht bei 180 km/h abgeregelt. Soll ja in Deutschland wichtig sein, dass eine 2 vorne auf dem Tacho erscheinen kann…
Der von Polestar gestellte Testwagen war mit dem optionalen Performance-Pack ausgerüstet. Das enthält neben größeren Felgen Federelemente von Öhlins und Bremsen von Brembo. Polestar spricht gerne von einem „einzigartigen Gesamtkonzept“ und, dass man nur „die besten Komponenten“ verbaut habe. In der Tat fährt sich der Polestar 2 mit all der Ausstattung sehr sportlich und kann hohe Kurventempi gehen. Angesichts der hohen Rekuperationsleistung (die auch über das Bremspedal abgerufen wird), dürften die Brembo-Bremsen im Alltag aber kaum einen Unterschied machen. Wer also auf die Optik mit den bronzefarbenen Bremssätteln und den typisch goldenen Öhlins-Federbeinen verzichten kann, schont nicht nur das Budget, sondern mit den kleineren Felgen auf Dauer auch den Rücken.
Ab Werk lehnt sich jener Rücken meistens an ein veganes Sitzpolster. Auf Wunsch ist auch klassisches Leder erhältlich, der Standard-Innenraum ist jedoch vegan. Dabei hat Polestar nicht versucht, ein veganes Leder-Substitut zu entwickeln, sondern mit dem „WeaveTech“ genannten Material auf ein besonderes Textil gesetzt. Das fühlt sich tatsächlich anders an als bekannte Stoffbezüge, wirkt eher wie ein robustes und hochwertiges Outdoor-Material. Auch beim Lenkrad wurde auf Leder verzichtet – einige Hersteller setzen an diesem wichtigen Kontaktpunkt des Fahrers mit dem Auto weiter auf tierische Produkte.
Das Lenkrad übrigens stammt aus dem Volvo-Regal, bis auf das Markenlogo selbstverständlich – leider auch die Lenkradtasten, deren Hochglanz-Kunststoff sich nicht so hochwertig anfasst und die keinen perfekten Druckpunkt bieten. Aber: Wer schon einmal einen Volvo der vergangenen Jahre (zur Probe) gefahren ist, wird sich mit der Bedienung zurecht finden. Über die Tasten auf der linken Seite werden Tempomat und „Pilot Assist“ gesteuert, rechts Bordcomputer und Multimedia. Gemäß des Polestar-Konzepts eben – bekannt, aber anders.
Google übernimmt – aber noch nicht perfekt
Anders ist, dass sich beim Druck auf die Taste des Sprachassistenten nicht eine Hersteller-typische Computerstimme meldet, sondern Google. Die Spracherkennung läuft in der Tat sehr zuverlässig, speziell gelernte Kommandos werden immer unwichtiger. Dennoch erkannte das System die eigentlich einfache Anweisung „Zielführung abbrechen“ nicht. Ein kleiner, aber nicht ganz unwichtiger Punkt, an dem Google noch etwas dazulernen sollte. Denn simpler kann man den Wunsch, die aktive Routenführung zu beenden, kaum äußern.
Also musste doch der Finger zu dem großen Touchscreen in der Mittelkonsole wandern. Dessen Bedienung mit vier großen und individualisierbaren Kacheln im Hauptmenü geht sehr intuitiv von der Hand. Musik, Fahrzeugeinstellungen, Klimaanlage – nichts ist weiter als drei Tipps entfernt. Alle Icons sind klar gestaltet und groß genug, um sie über den Touchscreen im Auto zu bedienen. Mit einer Ausnahme: In unserem Fall, eine Zielführung abzubrechen, muss in der auf Google Maps basierenden Karten-App mit dem Finger ein relativ kleines „X“ getroffen werden. Ein weiterer Punkt, der noch verbessert werden kann – Software-Updates sind „over the air“ möglich.
Insgesamt fällt das Bedienkonzept ebenfalls wieder in die Kategorie „bekannt, aber anders“: Der Polestar 2 verfügt noch über ein Fahrer-Display mit Tacho und Bordcomputer, geht mit der Google-basierten Technik und der Erfahrung des Tech-Konzerns bei der User Experience neue Wege. So ist der Umstieg von einem Auto mit einem konventionellen Innenraum deutlich einfacher als beim – nun ja – Model 3, wo der Tacho auf dem Mitteldisplay etwas Umgewöhnung erfordert und selbst die Düsen der Klimaanlage über den Touchscreen bewegt werden müssen. Auf ein Head-up-Display hat Polestar übrigens bewusst verzichtet. Bei der Konzernmutter Volvo ist die Bestellrate so gering, dass man den nötigen Bauraum im Cockpit besser nutzen wollte – wenn dieser in grob 95 Prozent der Fahrzeuge ungenutzt bleibt.
Zumindest bei den derzeit bestellbaren Polestar 2 mit Allradantrieb ist das „Pilot“-Paket in der Serienausstattung enthalten, bei den kommenden günstigeren Varianten eventuell nicht. Der „Pilot Assist“ zeigt die Fortschritte, die Volvo bei der Software in den vergangenen Jahren gemacht hat. Das System fährt deutlich besser und sicherer als zuvor, das „Bouncen“ zwischen den Fahrbahn-Markierungen gibt es nicht mehr. Dabei arbeitet das System mit zunehmend größeren Lenkeinschlägen. Es bleibt aber ein Fahrassistent, kein „Auto“-Pilot.
Aber nicht alle Assistenzsysteme arbeiten so ausgereift. Die Verkehrszeichenerkennung lässt sich relativ leicht verwirren – teilweise werden falsche Zahlen erkannt oder Zusatz-Schilder nicht richtig interpretiert. Damit sinkt das Vertrauen in die Anzeige. Und es wächst die Erkenntnis, dass die Aufmerksamkeit des Fahrers noch nicht wirklich zu ersetzen ist.
300 Kilometer Autobahnreichweite sind möglich
In der Summe aus Antrieb, Fahrkomfort und Assistenzsystemen hat der Polestar das Potenzial, ein gutes elektrisches Langstreckenauto zu werden. Vier Erwachsene finden bequem Platz (auch wenn Sitzpositionen eine sehr individuelle Sache sind), der Kofferraum bietet Platz für ausreichend Gepäck (440 Liter nach VDA-Norm) – und mit seiner großen Fließheck-Klappe auch einen bequemen Zugang zum Ladeabteil. Obwohl unser Testwagen mit der optionalen Teil-elektrischen Anhängerkupplung (bis zu 1.500 Kilogramm Anhängelast) ausgestattet war, befindet sich unter dem Kofferraum noch ein großes und tiefes Ablagefach. Für das/die Ladekabel ist unter der vorderen Haube ein Frunk platziert. Zudem sind noch bis zu 75 Kilogramm Dachlast möglich. Aber: Bei einer zulässigen Gesamtmasse von 2.600 Kilogramm und einem Leergewicht von 2.198 Kilogramm bleibt nicht mehr so viel übrig, um den Polestar 2 zu beladen.
Auch die Reichweite passt: Von den 470 Kilometern nach WLTP-Norm bleiben im Alltag natürlich weniger übrig, auf der Autobahn werden es ungefähr 300 Kilometer sein, je nach Fahrprofil sonst bis zu 400 Kilometer. Bei unserer Testfahrt mit einem Pendler-typischen Mix aus Stadtverkehr, Landstraße und Autobahn (mit Tempolimits und ansonsten Richtgeschwindigkeit) zeigte der Bordcomputer ungefähr 20 kWh/100 km an. Bei einigen Kollegen, die bei den Testfahrten rund um Köln eher auf den kurvigen Straßen im Bergischen Land unterwegs waren, lag der Verbrauch mit 24-25 kWh/100 km etwas höher. Mit einer Netto-Kapazität im Bereich 73-75 kWh (brutto: 78 kWh) kann sich jeder ausrechnen, welche Reichweite sich bei der jeweiligen Fahrweise ergibt.
Eines ist aber klar: Eine Fahrt aus dem Rheinland in das gut 550 Kilometer entfernte Berlin ist mit einem Ladestopp möglich. Sofern man 300 Kilometer am Stück fahren will und nicht lieber zwei bis drei kürzere Ladepausen einlegt. Der Polestar bietet die Flexibilität dazu.
Einen Punkt können wir aber noch nicht genau beantworten: Wie lange dieser Ladestopp dauern wird. Zum Zeitpunkt unserer Testfahrt waren bei vielen Ladepunktbetreibern noch keine detaillierten Ladeprofile des Polestar 2 hinterlegt. So kam es – wie auch in vielen der eingangs genannten YouTube-Tests – immer wieder zu Ladeabbrüchen oder Ladeleistungen, die weit von den angegebenen 150 kW entfernt waren. Bei unserem Ladevorgang an einer Ionity-Station pendelte die Leistung zwischen 48 und 64 kW. Bis Ende August die ersten Kundenfahrzeuge in Deutschland ausgeliefert werden, will Polestar das Problem gelöst haben. Bleibt also nur, sich auf die Aussage des Herstellers zu verlassen, dass der Polestar 2 bis zu einem Ladestand von 80 Prozent die maximale Ladeleistung abrufen können soll.
Wer ist ehrlicher: Polestar oder BMW?
Interessante Beobachtung: Der BMW iX3 kommt auf ganz ähnliche Daten. Die Batterie mit 74 kWh netto (brutto: 80 kWh) sorgt für eine WLTP-Reichweite von 460 Kilometern. Auch die Münchner geben die Ladeleistung mit maximal 150 kW an. Während aber beim iX3 der DC-Ladevorgang von null auf 80 Prozent 34 Minuten dauern soll, nennt Polestar hier 40 Minuten – obwohl der Polestar angeblich nicht vor 80 Prozent SoC die Ladeleistung abregelt. Die Vermutung liegt nahe, dass ein Autobauer die Werte unter Idealbedingungen angibt – und der andere einen konservativeren und damit realistischeren Wert.
Für das AC-Laden verfügt der Polestar 2 über einen dreiphasigen 11-kW-Onboard-Charger, damit dauert eine vollständige Ladung 7:45 Stunden. Etwas unpraktisch ist die Positionierung der Ladebuchse über dem linken Hinterrad. Nicht nur, dass beim AC-Laden der Weg zwischen dem Frunk mit dem Ladekabel und der Ladebuchse lang ist. Für viele in Deutschland am Straßenrand installierte Ladesäulen ist die andere Fahrzeugseite praktischer. Während beim Model 3 die Ladebuchse links hinten auf der Langstrecke nicht stört (da Tesla die Supercharger genau dafür positionieren kann), ist es unnötig umständlich, wenn man rückwärts in die schräge Parkbucht vor der HPC-Säule an der Autobahnraststätte einparken muss.
Polestar-CEO Thomas Ingenlath erklärt die Positionierung der Ladebuchse übrigens damit, dass man von dort durch das Fenster der Fahrertüre direkt auf das Display schauen kann, um alle wichtigen Infos zum Ladevorgang zu erhalten. Und der technische Grund: Das Batteriemanagement ist am hinteren Ende der Batterie platziert. Mit der Ladebuchse über dem Hinterrad wird die Verkabelung kürzer.
Bleibt der Blick auf die Kosten: Bis zum Jahresende ruft Polestar für sein erstes BEV einen Preis von 56.440 Euro auf, bei Geschäftskunden sind es 48.655 Euro netto. Im Business-Leasing ist der Polestar 2 ab 324 Euro pro Monat netto erhältlich, im Privatleasing sind es laut dem Konfigurator mindestens 376 Euro. Bei Wartung und Service setzt Polestar auf geschulte Volvo-Händler. So wird der kostspielige Aufbau eigener Service-Center, Ersatzteillager und Logistikabläufe vermieden – was in die Gesamtkalkulation genauso einfließt wie der Verzicht auf große, stationäre Händler. Ausgestellt werden die Fahrzeuge in deutschlandweit sieben Polestar Spaces, der erste eröffnet am 21. August in Düsseldorf. Bestellt wird aber – wie bei Tesla – ausschließlich online.
Und natürlich noch eine Frage: Wie schlägt er sich denn jetzt im Vergleich zum Model 3? In der Summe kann er nicht ganz mit dem fortschrittlicheren Konzept des Tesla mithalten – ist aber deutlich näher dran als alle anderen E-Autos in dieser Klasse. Und genau in dieser Position fühlt sich der Polestar derzeit ganz wohl. Bekannt, aber anders eben.
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