Formel E: Eine einzigartige Saison geht zu Ende

Mit sechs Rennen in Berlin hat die Formel E ihre sechste Saison abgeschlossen. Meister wurde der Portugiese Antonio Felix da Costa im DS Techeetah – in einer Saison, die nicht nur wegen der beinahe fünfmonatigen Corona-Pause wie keine andere war.

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Überraschend war es keineswegs, dass Antonio Felix da Costa sich den Titel geholt hat. Ein Fahrer, der bereits für zwei Teams (Aguri und BMW i Andretti) Rennen in der Formel E gewonnen hatte, wechselte in das beste Team der vergangenen Jahre – DS Techeetah. Eine Kombination mit Potenzial. Überraschend war es aber, wie deutlich da Costa in der Tabelle vor allen anderen Fahrern lag: Der Portugiese kam am Ende dieser einzigartigen Saison auf 158 Punkte – Vize-Meister Stoffel Vandoorne im Mercedes nur auf 87 Punkte.

Geprägt wurde diese Saison aber nicht nur von dem Meister in dem gold-schwarzen Rennauto, sondern natürlich auch von der Corona-Pandemie. Nach fünf Rennen musste die Saison unterbrochen werden, weil Großveranstaltungen verboten wurden und die Reisen – etwa zum ePrix nach Sanya in China – einfach nicht möglich waren. Oder wie in London, wo auf der geplanten Fläche der Rennstrecke ein temporäres Krankenhaus für Covid-19-Patienten errichtet wurde.

Da Costa hat die Saisonunterbrechung bis zu den neu geplanten sechs Finalrennen auf drei Strecken-Varianten in Berlin nicht beeindruckt. Er machte bei den ersten beiden Rennen da weiter, wo er in Marokko aufgehört hatte: mit Siegen. Bei elf Rennen holte da Costa nur zwei Mal keine Punkte – bei der zweiten Nullrunde war es aber egal, denn da stand er bereits als Meister fest. Eine Konstanz, die ihm in den Jahren davor gefehlt hatte. Und das trotz des teils heftig geführten teaminternen Duells mit Jean-Eric Vergne, dem Champion der vergangenen beiden Saisons.

Eine Überraschung ist auch der Vize-Meister Stoffel Vandoorne. Nach zehn der elf Rennen lag der frühere Formel-1-Fahrer nur auf dem neunten Platz in der Fahrerwertung. Am Donnerstag änderte sich aber alles, denn der Belgier gewann beim Saisonfinale sein erstes Formel-E-Rennen. Mit einem fehlerfreien Auftritt – 25 Punkte für den Sieg und 3 Punkte für die Pole Position – schob sich der Belgier noch an sieben Konkurrenten, darunter Vorjahres-Meister Vergne, vorbei. Zugleich war es der erste Sieg für das Mercedes-Werksteam in seiner ersten Saison. Es war gleich ein Doppelsieg: Zweiter am Donnerstag wurde Nyck de Vries im zweiten Mercedes vor Sebastian Buemi im Nissan e.dams. Positiv für Nissan: Dank des Podestplatzes von Buemi und dem überraschenden Sieg seines Teamkollegen Oliver Rowland am Mittwoch sicherten sich die Japaner den zweiten Platz in der Team-Wertung.

Lange Zeit sah es so aus, als ob die Saison für Mercedes nicht ganz nach Wunsch verläuft. Das erste Jahr als Werksteam (davor war HWA im Einsatz) begann zwar mit zwei Podien von Stoffen Vandoorne positiv. Aber vor allem im Qualifying hatten Ex-Formel-1-Pilot Vandoorne und sein Teamkollege Nyck de Vries mit ihrem Mercedes auf vielen Strecken Probleme, auf eine Runde das Tempo der Konkurrenz zu gehen. Im Rennen waren die Mercedes oft schnell und vor allem effizient. Mit den oft schlechten Startplätzen im engen und sehr umkämpften Mittelfeld verloren die Mercedes aber oft zu viel Zeit auf die Spitze, um um die vorderen Plätze mitkämpfen zu können. Wer auf Platz 15 losfährt, hat auf den Stadtkursen mit dem kniffligen Energiemanagement wohl nur bei chaotischen Rennverläufen die Chance auf einen Podiumsplatz.

Zudem ist im Mittelfeld das Risiko einer Kollision in der Startphase höher – wie sowohl Vandoorne als auch de Vries bei anderen Rennen in Berlin merken mussten. Als beim letzten Saisonlauf beide Mercedes-Piloten aus den ersten beiden Startreihen losgefahren sind, konnten sie ihren Speed und Effizienz voll ausspielen – kurz vor Schluss konnte sich de Vries dank seiner sparsameren Fahrweise mit mehr Rest-Energie an Buemi vorbeischieben und so dem Nissan-Piloten die entscheidenden Punkte abnehmen, damit Vandoorne Vize-Meister werden konnte. Wäre Buemi hinter Vandoorne Zweiter geworden, wären der Schweizer in der Gesamtwertung vor dem Belgier gelandet. Für Mercedes also ein guter Schlusspunkt der Premieren-Saison.

Porsche: Schnell, aber energiedurstig

Ebenfalls positiv verlief in der Summe die erste Saison von Porsche in der Formel E. André Lotterer konnte mit zwei Podiumsplatzierungen (beim ersten Saisonlauf in Saudi-Arabien und dem ersten Berlin-Rennen) und einer Pole-Position beim vierten Saisonrennen in Mexiko den Speed des Porsche 99X electric unter Beweis stellen. Zudem konnte Lotterer in fünf der sechs Finalrennen Punkte holen und hatte bis zum letzten Rennen Chancen auf den Vize-Titel. Im entscheidenden letzten Rennen ging Lotterer jedoch leer aus, womit er in der Gesamtwertung noch von Rang 5 auf 8 zurückfiel.

Teamkollege Neel Jani hatte jedoch mehr Probleme und konnte erst beim vorletzten Saisonlauf Punkte holen. Dabei fällt auf, dass Porsche die Corona-Pause offenbar gut genutzt hat: Der 99X electric war von Anfang an schnell, verlor aber oft gegen Rennende viele Plätze, da die Fahrer zu viel Energie sparen mussten. Das in der Formel E so wichtige Energiemanagement gelang dem Team – ob nun wegen eines geringeren Verbrauchs oder besserer Rennstrategien – zunehmend besser. Ganz gelöst sind die Probleme aber noch nicht: Lotterer verlor im vorletzten Saisonrennen eine weitere Podestplatzierung erst zwei Kurven vor Schluss – weil René Rast im Audi am Rennende noch mehr Energie zur Verfügung hatte. Auch Jani konnte im Kampf um Platz 5 nicht mehr gegen Alex Lynn im Mahindra attackieren. Aber: Die Tendenz zeigte bei Porsche über den Saisonverlauf nach oben.

Saison der Extreme für BMW

Über BMW i Andretti kann man das nicht sagen, mit dem Finale kann das Team nicht zufrieden sein. Das De-facto-Werksteam der Münchner, das wegen des Partners Andretti mit US-Lizenz startet, hatte sich vor den sechs Finalrennen noch Hoffnungen auf die Teamwertung gemacht, Maximilian Günther auf den Vize-Titel bei den Fahrern. Der Bayer konnte auch eines der sechs Finalrennen gewinnen. In den anderen fünf Rennen holte Günther aber keinen einzigen Punkt.

Überhaupt war die Saison von Günther, die erste mit BMW, von Extremen geprägt. Günther kam nur in drei Rennen in die Punkte. Wenn aber, dann stand er auf dem Podium: Das dritte Saisonrennen in Chile gewann er, ebenso das dritte Rennen in Berlin. In Marrakesch wurde er hinter dem späteren Meister da Costa Zweiter. Ansonsten gab es nur Nullrunden – zu inkonstant, um zu der absoluten Spitze in der Formel E zu gehören. Das gilt auch für seinen Teamkollegen Alexander Sims, der den zweiten Lauf in Saudi-Arabien gewonnen hatte. Der Brite punktete zwar öfters, aber ging auch fünf Mal leer aus. Nach zwei Siegen in den ersten drei Rennen hat sich BMW sicherlich mehr vom weiteren Verlauf der Saison erhofft als die Ränge 9 und 10 bei den Fahrern und am Ende Rang 5 bei den Teams.

Ähnlich sah die Situation bei Jaguar aus: Bis zur Corona-Pause galt der Neuseeländer Mitch Evans als ernstzunehmender Meisterschafts-Kandidat. In Berlin konnte Jaguar aber nie um die vorderen Plätze mitfahren – entsprechend rutschte Evans von seiner aussichtsreichen Position in der Meisterschaft mit jedem weiteren Rennen auf dem Tempelhofer Feld ab.

Audi: Erste sieglose Saison in der Formel E

Auch für Audi war es eine sehr durchwachsene Saison. Die erste sieglose Saison für Audi und das Vorgänger-Team Abt, insgesamt nur drei Podiumsplatzierungen durch Lucas di Grassi und René Rast. Di Grassi hatte bisher in keiner Saison in der Gesamtwertung schlechter als den dritten Platz abschlossen, 2019/2020 wurde er nur Sechster. Daniel Abt, der bis zu dem Vorfall bei der „Race at Home Challenge“ für Audi fuhr, konnte zuvor nur acht Punkte holen. Das – und die Eingewöhnungsphase der ersten vier Berlin-Rennen für René Rast – hat dafür gesorgt, dass das Audi-Kundenteam Virgin in der Team-Wertung vor dem Werksteam liegt. Als Sechster landet Audi sogar noch hinter BMW.

Dabei war aber di Grassi in der Fahrerwertung auf dem genannten sechsten Platz immer noch der beste Fahrer mit Audi-Antrieb. Zu wenig für die Ansprüche in Ingolstadt, auch gemessen an der Tatsache, dass di Grassi erst mit seinem sechsten Platz im Finalrennen in der Gesamtwertung noch an Porsche-Pilot Lotterer vorbeiziehen konnte – Porsche ist der Neuling, Audi die Mannschaft mit Formel-E-Erfahrung im VW-Konzern. Besonders die Leistungen von Robin Frijns beim Saisonfinale (3x auf dem Podium) haben Virgin in der Team-Wertung noch vor das Werksteam gebracht. Aber: Mit zwei Superpole-Teilnahmen in den letzten beiden Saisonrennen und dem dritten Platz in Rennen 10 und Rang vier in Rennen 11 hat Rast eine steile Lernkurve gezeigt – und macht Lust auf mehr in 2021.

Wie sehr es in der Formel E, trotz der gleichen Optik, auf das Auto ankommt, lässt sich nicht nur beim Fahrer- und Team-Meister DS Techeetah beobachten. Daniel Abt hat bisher keines der insgesamt ausgetragenen Formel-E-Rennen verpasst und einige davon gewonnen. Nach dem Rauswurf bei Audi dockte er für die sechs Finalrennen in Berlin bei dem chinesischen Nio-333-Team an. In dem langsamsten Auto im Feld konnte selbst Abt auf seiner Lieblingsstrecke in Berlin nichts ausrichten und blieb – wie auch sein Teamkollege Oliver Turvey – ohne Punkte. Trotz der andauernden Unterstützung seiner Fans, die Abt weiterhin den Fanboost, also eine kurzzeitige Mehrleistung, einbrachten.

Nach der einzigartigen Saison 20219/2020 ist übrigens vor der wiederum einzigartigen Saison 2021 – wegen der Corona-Pandemie findet die Formel-E-Saison erstmals nicht jahresübergreifend statt. Insgesamt 14 Rennen sind zwischen dem 14. Januar in Chile und dem 25. Juli in London geplant. Berlin ist bisher auf den 19. Juni terminiert, zudem soll die Formel E am 8. Mai 2021 wieder in Monaco fahren.

Und eines steht dabei bereits heute fest: Egal, wer nach den beiden Rennen in London in der Tabelle ganz oben steht, wird nicht direkt auf Antonio Felix da Costa folgen. Während sich der Portugiese „nur“ Champion der Saison 6 der Formel E nennen darf, wird dem besten Fahrer der Saison 2021 eine ganz andere Ehre zuteil: Er darf sich dann Weltmeister nennen.

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