Bundesnetzagentur: Wird das Laden jetzt kundenfreundlich?
Mit der Ladekarte des eigenen Energieversorgers an jeder Ladesäule zum Einheitspreis laden? Dieser Traum mancher Elektro-Mobilisten könnte durch ein Verfahren der Bundesnetzagentur Wirklichkeit werden. Wir haben das Thema im Rahmen unserer These des Monats diskutieren lassen. Das Ergebnis ist eindeutig. Hier ist die differenzierte Auswertung.
** Sie können sich die Auswertung der These hier auch als PDF herunterladen. **
Am 10. Juni eröffnete die Bundesnetzagentur ein Konsultationsverfahren „zur Weiterentwicklung der Netzzugangsbedingungen Strom“, in dessen Rahmen auch ein Netznutzungsvertrag Elektromobilität festgelegt werden soll. Denn „dem möglichen Interesse des Nutzers eines Elektromobils, den benötigten Ladestrom auch bilanziell bei einem Energielieferanten seiner Wahl zu beziehen, kann im derzeitigen Umfeld technisch nicht nachgekommen werden“, begründet die Aufsichtsbehörde diesen Schritt. Sie beabsichtigt deshalb, die Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen ab April 2021 dazu zu verpflichten, es jedem Charge Point Operator (CPO) auf dessen Verlangen hin gegen Zahlung einer Gebühr zu ermöglichen, an seinen Ladepunkten Strom aller Energielieferanten anzubieten – zu deren jeweiligen Konditionen, so wie es beim Haushaltsstrom längst üblich ist.
Dieser Plan habe das Zeug, „die Branche grundlegend zu verändern“, indem er die „Monopole lokaler Stromanbieter“ brechen und damit für einen vereinfachten Zugang zur Ladeinfrastruktur (LIS) und für faire Preise sorgen könne, kommentierte der „Spiegel“, der am 19. Juni zuerst darüber berichtete. Denn drei Viertel aller öffentlichen Ladepunkte in Deutschland würden derzeit von Energieunternehmen betrieben, die zumindest dazu neigten, ihre eigenen Vertragskunden und -partner (z.B. Mobility Service Provider – MSP) zu bevorzugen – mit der Folge, dass die Ladestrompreise an derselben Säule um mehr als hundert Prozent variieren könnten. Während die Pläne der Netzagentur von den einen als „Meilenstein für die Elektromobilität“ begrüßt wurden, verwarfen andere sie als kontraproduktive politische Einmischung.
Vor diesem Hintergrund stellten wir unsere These des Monats Juli zur Diskussion. Daran beteiligten sich insgesamt 198 Leserinnen und Leser von electrive.net, wobei die große Mehrheit der These vorbehaltlos (112) oder mit Vorbehalten (39) zustimmte. Eindeutig oder mit Einschränkungen ablehnend standen der These 21 bzw. 18 Teilnehmer gegenüber. Hinzu kamen acht neutrale Bewertungen.
Zeichnet man die Diskussion der These inhaltlich nach, so finden sich darin die folgenden Aussagen. Sie spiegeln ausdrücklich die Auffassung der Diskussionsbeteiligten und nicht die Meinung der Redaktion wider.
Marktversagen macht Regulierung dringlich
„Zeit wird’s. Wenn der freie Markt es nicht kundenfreundlich gestalten kann, dann die Regierung“, schreibt eine Diskussionsteilnehmerin. Sie steht damit stellvertretend für diejenigen Befürworter der These, die vor allem die Dringlichkeit eines Umdenkens in der „LIS-Branche“ betonen. Diese müsse sich endlich primär an den Bedürfnissen der Kunden orientieren. „Mit ‚klein-klein‘ und relativ wenig Regulierung haben wir es ja jetzt 10 Jahre versucht und es ist ein ziemlich hässlicher Flickenteppich dabei herausgekommen“, lautet eine andere Stimme.
Unterfüttert wird diese Forderung nach einer kundenfreundlichen Regulierung durch Kurzberichte über schlechte Erfahrungen beim Laden des eigenen Elektrofahrzeugs. Seit anderthalb Jahren fahre er elektrisch und erlebe, wenn die Säule überhaupt zugänglich sei, immer wieder „diesen Unsinn mit unzähligen Tarifen“, die zwischen 30 und 90 Cent pro kWh schwankten, aber während des Ladens noch nicht einmal angezeigt würden, meint ein Unterstützer der Initiative der Netzagentur. Ein anderer schreibt: „Ich fahre seit zwei Wochen ein PHEV und bin erschrocken, wie undurchsichtig die Angebote verschiedener Anbieter von Ladekarten sind.“ Ein Dritter klagt: „Ich habe inzwischen schon 7 verschiedene Ladeanbieter und stoße trotzdem noch auf Säulen, die ich nicht freigeschaltet bekomme.“ Nicht allein auf den Preis komme es also an, sondern ebenso auf den unkomplizierten Zugang.
Gegen Wucherpreise und Kartenwirrwarr
Beide Aspekte spielen in der Diskussion eine etwa gleichgewichtige Rolle und werden vielfach angesprochen. „Wenn ich schon in Kauf nehme, dass das Tanken (Laden) länger dauert als beim Verbrenner, dann will ich wenigstens überall zu einem fairen Preis tanken können“, heißt es. „Sittenwidrige Auswüchse (Wucherpreise)“ könnten durch verbindliche Netzzugangsverträge eingedämmt werden. Erst ein „unkomplizierter und diskriminierungsfreier Zugang zu Ladepunkten ist Voraussetzung für Wettbewerb“. In dessen Rahmen könne auch das Kriterium „grüner Strom“ in die Ladeentscheidung eingebracht werden. „Endlich Schluss mit dem Ladekarten- und Ladetarifchaos“ wird gefordert, denn: „Es ist eine Katastrophe, wenn man an jeder Ladesäule – so man eine freie findet – erst mal nach der passenden Karte und den Kosten suchen muss. Das geht kundenfreundlicher, zumal der eine oder andere Stromanbieter, wie etwa Maingau in Obertshausen, das schon anbietet, und es funktioniert.“ Auch EnBW beispielsweise biete, was die Zugänglichkeit zu Ladesäulen betrifft, „eine nahezu vollständige Marktabdeckung in der DACH-Region und somit höchste Kundenfreundlichkeit“.
Plug & Charge für alle?
Wünschenswert wäre es also nach Meinung der meisten Befürworter der These, dass man von seinem heimischen Energieversorger eine Ladekarte zum Tarif seines Hausstroms bekommt, mit der einem jede Ladesäule offensteht. Manche halten das freilich nur für einen „Schritt in die richtige Richtung“. Ihrer Ansicht nach wäre es einfacher, an jeder Ladesäule zu den daran angezeigten Preisen mit EC- oder Kreditkarte Strom tanken zu können, so „wie es jeder von der Tankstelle kennt“. Dort müsse ja auch keiner erst einen Vertrag bei Aral abschließen, um dann bei Esso oder Shell tanken zu dürfen.
Die Bezahlung per Bankkarte erscheint denjenigen jedoch als zu umständlich, die Teslas Ladelösung des barrierefreien Plug & Charge-Ladens vorbildlich finden. Sie würden bei Vertragsabschluss am liebsten nur ihre Fahrzeug-ID angeben und dann: „Ladesäule anfahren, anstecken, in einer App den Verlauf der Ladung und die entstandenen Kosten ersehen.“ Eine Vereinheitlichung in diesem Sinne müsse „aber konsequent in alle Richtungen gehen, sodass Tesla-Fahrer an allen Ladesäulen laden können und Nicht-Tesla-Fahrer auch die Tesla-Infrastruktur zum selben Preis nutzen können“.
Ein Push für die Elektromobilität
Die Vereinfachung des Ladens werde die Anzahl an Elektro-Fahrzeugen pushen, je einfacher die Bezahlung des Stroms an den Ladesäulen sei, desto mehr neue Elektromobilitätsnutzer werde man gewinnen, zumal man dann der Reichweitenangst Ade sagen könne. Eine transparente einfache Ladeinfrastruktur sei deshalb „das Effektivste, was der Staat regulieren kann, noch vor Prämien für Elektrofahrzeuge“. So lässt sich die Meinung zahlreicher Thesenbefürworter zusammenfassen.
Zwei grundlegende und miteinander in Zusammenhang stehende Bedenken ziehen sich jedoch relativ unabhängig von der Bewertung der These durch viele Kommentare: Dass die Initiative der Bundesregierung nämlich zu höheren Ladestrompreisen führen und dass sie den weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur hemmen könne.
Furcht vor höheren Preisen
„Solange die CPO Preise nach Gusto definieren, wären EMP-Provider mit diesem Vorschlag gezwungen, jeden Vorleistungspreis zu akzeptieren. Das würde zu sehr hohen Einheitspreisen vor Kunde führen. Deshalb sollten Vorleistungspreise gedeckelt werden“, argumentiert ein Thesenbefürworter, dem sich ein anderer anschließt: „Kleine Anbieter könnten verschwinden, da teilweise unkalkulierbar. Deshalb muss hier auch reguliert werden. Verhinderungspreise sind zu vermeiden. Ansonsten könnten die Preise für den Kunden zumindest teilweise explodieren.“ Das Laden werde schon allein deshalb teuer werden, weil der Lieferantenwechsel am Ladepunkt aufwändig sei. Auch sei damit zu rechnen, dass Wahlfreiheit an der Ladesäule dazu führe, dass die Stromanbieter ihre Ladetarife nicht mehr so wie bisher subventionierten.
Sorge um Geschäftsmodell
Schwerer als die Furcht vor höheren Preisen wiegt für viele Diskussionsbeteiligte die Sorge um das Geschäftsmodell der LIS-Betreiber. Sollten die Pläne der Bundesnetzagentur Wirklichkeit werden, würde das zwar eine kundenfreundliche „Niedrigschwelligkeit“ des Ladens von Elektrofahrzeugen ermöglichen. Aber: „Gleichzeitig muss beantwortet werden, wie ein Pricing aussehen muss, welches gewährleistet, dass CPO auch langfristig hohe Investitions- und Wartungskosten auf sich nehmen, um attraktiv lokalisierte und nutzerfreundlich ausgestattete Ladeinfrastruktur zu errichten.“ Anders ausgedrückt: „Transparenz und Wettbewerb an den Ladesäulen sind gut, allerdings verschwindet der Anreiz für viele (heutige) Unternehmer, in Ladeinfrastruktur zu investieren.“ Optimistischer formuliert heißt das: „Offen bleibt die Frage, wie lukrativ dies für den Betreiber von Ladestationen ist, und ob der weitere Ausbau von Lademöglichkeiten somit forciert oder eher behindert wird.“ Diese Frage lässt sich nach Ansicht eines Diskussionsbeteiligten durchaus positiv beantworten: „Fördermittel gibt es reichlich, die lösen einen erheblichen Teil des Problems, die günstigeren Netzentgelte helfen und man muss über längere Abschreibungszeiten nachdenken.“
Vergleich mit Hausanschluss hinkt
„Das glaube ich erst, wenn’s tatsächlich so weit ist“, kommentiert ein neutraler Diskussionsbeteiligter die Initiative, womit er sich im Einklang mit einigen anderen befindet, die dazu raten abzuwarten, wie konsequent die Bundenetzagentur ihr Konsultationsverfahren verfolgen werde. Bemerkenswert ist ein neutraler Kommentar, der darauf hinweist, dass „der Vergleich mit der Stromwahl bei den Hausanschlüssen hinkt. Der Hausbauer bezahlt den Anschluss und wählt dann den Stromtarif. Bei den Ladesäulen bezahlt der Autofahrer, der lädt, nicht im Vorfeld den Aufbau der Ladesäule. Der Vorschlag der Netzagentur ist so, als wenn ein Hotelgast den Strombedarf für die Übernachtung von seinem Anbieter beziehen möchte. Oder wenn jemand zu Aral fährt, um dort Shell-Benzin zu tanken.“ Neutral verortet sich auch jener Diskussionsbeteiligte, der kommentiert: „Es besteht derzeit doch schon die Möglichkeit, seinen Wunschanbieter zu wählen und mit dessen Konditionen an Ladestationen zu laden.“
Der Markt funktioniert doch!
Das entspricht dem Inhalt vieler Contra-Kommentare, so wie diesem: „Durch EMP, die ihren Kunden einheitliche Preise an (fast) allen Säulen ermöglichen, ist die Initiative hinfällig. Wenn CPO überhöhte Preise fordern, werden sie an den EMP und damit bei den Kunden scheitern, ganz einfach.“ Oder: „Das heutige Marktrollenmodell stellt genug Wettbewerbsoptionen. An der Ladesäule wird heute kein Strom verkauft, der CPO ist Letztverbraucher. Eine Anwendung der (Haushaltskunden-) Stromregulierung auf die E-Mobilität ist weder sinnvoll noch notwendig.“ Bereits heute gebe es MSP, die „weitgehend flächendeckend öffentliches Laden zu attraktiven Preisen ermöglichen“, erinnert ein Dritter. Mithin sei der Preis nicht das wichtigste Kriterium von Kundenfreundlichkeit. Diesbezüglich seien „technische Verfügbarkeit (wochenlange Defekte), Zugänglichkeit (Blockieren durch Verbrenner oder EV, die nicht laden) sowie fehlender First Level Support CPO die deutlich größeren Hürden“.
Warnung vor Wettbewerbsverzerrung
Vielfach wird von Gegnern der These das Argument vorgetragen, die Pläne der Bundesnetzagentur würden den derzeit bestehenden Wettbewerb im Ladekartenmarkt aushebeln und zu einer Bevorzugung von Großunternehmen führen, weil nur diese über die kritische Masse an Kunden verfügten, um sich den dann „quasi vorgeschriebenen einheitlichen Ladepreis“ leisten zu können, lokale Stadtwerke dagegen das Nachsehen hätten: „Im vorgeschlagenen Modell sind Kunden wieder an einen der großen Stromanbieter gebunden und die Refinanzierung der Investitionen in Ladeinfrastruktur werden für die CPO deutlich schwieriger. Fazit: mehr Macht für die großen Stromanbieter bei verringertem Angebot an Ladesäulen.“
In der Zwickmühle?
Ein Diskussionsteilnehmer bezweifelt, dass sich die Netzagentur-Pläne wettbewerbsrechtlich durchsetzen ließen und verweist auf ein seiner Ansicht nach grundlegendes Dilemma: „Die komplette Diskriminierungsfreiheit gegenüber EMP lässt sich nur zum Preis von a) kundenunfreundlichen Preisen bei allen Anbietern oder b) einem deutlich verlangsamten Ausbau der Elektromobilität umsetzen.“ Ihm sekundiert ein anderer: „Die kolportierte Durchleitungspauschale von 2-3 ct/kWh würde bei Weitem nicht die Investitionskosten (trotz Förderungen), jährliche Wartung, Reparaturen und Support decken. Also entweder geht der Betrag in Richtung 10 ct/kWh oder die Investitionslust für neue Installationen geht rapide zurück.“
Fazit
Unsere Diskussion ergab ein klares Meinungsbild. Es spiegelt sich am besten in folgendem Pro-Kommentar wider: „Das bisherige Wirrwarr ist in anderen Bereichen (Strom, Telefon, Tankstellen etc.) undenkbar. Hier wird von der Bundesnetzagentur endlich ein Schritt im Sinne der Verbraucher sogar gegen die Interessen der Energiewirtschaft als Hauptbetreiber der Säulen vorgeschlagen, von dem ich hoffe, dass er umgesetzt wird, um einen wesentlichen Hemmschuh der Elektromobilität zu beseitigen“. Von Seiten der Energiewirtschaft werden freilich Argumente angeführt, die sich so einfach nicht von der Hand weisen lassen. Einer ihrer Manager schreibt: „Das wäre eine völlig sinnlose Erhöhung der Komplexität für Betreiber und Kunden, die zu nichts weiter führt als zu noch höheren Prozesskosten. Jeder Kunde kann doch bereits den EMP frei wählen – was soll das jetzt noch zusätzlich bringen ? Das löst ein nicht existentes Problem und bindet unnötig Ressourcen, die für den weiteren Ausbau dringender und sinnvoller eingesetzt werden müssen.“ Alle Beteiligten scheinen immerhin darin übereinzustimmen, dass der Erfolg der Elektromobilität ganz entscheidend von einer nutzerfreundlichen Ladeinfrastruktur abhängt. Es wäre deshalb dringend zu wünschen, dass das Konsultationsverfahren der Bundesnetzagentur nicht im Widerstreit der Interessen ins Leere liefe. Denn, um es mit den Worten eines Thesenbefürworters zu sagen: „Eine faire und nachhaltige Strategie lässt sich nur von einer übergeordneten, „neutralen“ Stelle mit einer gewissen Marktkenntnis erarbeiten. Der Markt ist noch zu jung und schnelllebig, um hier kurzfristig einen durch ihn selbst regulierten Endkundennutzen zu erreichen.“
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