Fahrbericht: Audi e-tron Sportback auf der Langstrecke
Hoher Verbrauch, maximaler Komfort und eine starke Ladekurve: Kann der Audi e-tron auch anspruchsvolle Langstrecken meistern und sich damit als Tesla-Alternative für Dienstwagen empfehlen? Wir haben es getestet: Auf 870 Kilometern vom Süd-Schwarzwald in den Norden Brandenburgs.
* * *
Satte 35 Grad Außentemperatur sind für jenen Freitag im August angekündigt, an dem wir mit dem Audi e-tron Sportback 55 quattro auf die Reise gehen wollen. Knapp 900 Kilometer sind geplant: Von Schopfheim am Südzipfel des Schwarzwaldes nach Neuruppin eine knappe Fahrstunde nördlich von Berlin. Viel weiter kann man in Deutschland fast nicht fahren. Für Fahrer und Fahrzeug ist das ein ordentlicher Ritt. Eine Woche zuvor hat der Autor diese Strecke schon einmal problemlos mit seinem Tesla Model 3 gemeistert, dank Supercharger-Netzwerk und vieler HPC-Ladeparks anderer Anbieter problemlos und völlig ohne Planung. Kann man das auch mit dem Audi e-tron Sportback machen?
Die Tour startet in der Tiefgarage von Schopfheim, eine nagelneue Ladestation hat das Elektroauto über Nacht auf 100 Prozent SoC geladen. Das Display zeigt beim Einsteigen 353 Kilometer Reichweite an. Wir rechnen mit drei bis vier Ladestopps je nach Fahrweise und Verkehr. Geplant wird nicht, wir fahren wie im Tesla einfach drauflos. Denn wir wollen wissen, wie die Reichweiten-basierte Routenführung inzwischen funktioniert.
Und die schickt uns auf kürzestem Wege quer durch den Schwarzwald über den Feldberg rüber zur Autobahn 81. Die schöne Tour bei sommerlichen 29 Grad hinterlässt bergauf bereits Spuren: Der Verbrauch lag nach 37 Kilometern dank der Steigungen an der Feldbergkuppe bei satten 37 kWh auf 100 Kilometer. Erfahrene Elektroautofahrer lassen sich davon aber nicht beirren: Denn nach der Steigung kommt das Gefälle – und dabei wird nicht gebremst, sondern geladen. Und das macht der e-tron besonders gut: Bei einer Bremsung aus 100 km/h kann der Audi mit bis zu 300 Nm und 220 kW rekuperieren. An der A81 angekommen und mit 77 Kilometern auf der Uhr liegt der Schwarzwald-Schnitt nur noch bei 22,9 Kilowattstunden.
Weiter geht es auf einer vollen A81 in Richtung Norden. Der Verkehr ist dicht, denn Baden-Württemberg macht Feierabend oder Urlaub oder beides, weshalb sich unser Verbrauch bis in den Stuttgarter Raum auf 21,8 kWh reduziert hat und der Akku erst halb leer ist. Der e-tron will am Ionity-Ladepark am Rasthof Wunnenstein nördlich von Stuttgart erstmals laden. Nach 239 Kilometern Fahrt sind noch 45 Prozent Energie für weitere 119 Kilometer im Speicher. Profis fahren da eigentlich weiter. Doch wir tun dem Audi den Gefallen und gönnen uns bei nunmehr 33 Grad Außentemperatur einen Kaffee.
Hohe Ladeleistung selbst bei hohen Temperaturen
Trotz der Hitze schlägt sich die e-tron-Batterie mit ihren 95 kWh Brutto-Kapazität (wir können 86,5 kWh netto tatsächlich fürs Fahren nutzen) sehr gut. Nach 20 Minuten sind 42 kWh eingespeist, wobei die Ladeleistung noch immer bei respektablen 90 kW liegt. Laute Kühlgeräusche macht dabei nur die Tritium-Ladesäule. Wir fahren weiter und biegen am Kreuz Weinsberg auf die Autobahn 6 in Richtung Nürnberg ab. Von der Hitze außen merken wir innen nichts: Die Klimaanlage erzeugt unhörbar angenehme 22 Grad und wir genießen vorn die kühlbaren Sitze unseres voll ausgestatteten und entsprechend teuren (112.085,02 Euro brutto laut Preisliste) e-tron Sportback.
Bei dichtem Verkehr Richtung Nürnberg ist kaum mehr als Tempo 120 drin, der Verbrauch hat sich inzwischen bei 22,5 kWh eingepegelt. Doch nun kommt Unruhe auf im Cockpit: Das Navi will die Route ändern und nicht über Nürnberg zur A9 in Richtung Berlin, sondern auf die A7 in Richtung Würzburg wechseln. Offenbar findet der Computer keine geeignete DC-Ladestation hinter Nürnberg. Wir orientieren uns kurz, ignorieren die Befehle des Wagens und ändern eigenständig das Routing auf den neuen Fastned-Ladepark am Autohof in Plech. Dabei umfahren wir noch einen Stau, was der e-tron immerhin gut erkannt hat. Doch wer sich im Hinblick auf das Laden auf den Audi verlassen hätte, wäre jetzt einen deutlichen Umweg gefahren.
Der Autobahn-Verbrauch zwischen Wunnenstein und Plech ist übrigens laut Kurzzeitspeicher auf 24 kWh gestiegen, die erste Hälfte der Gesamtroute fällt nach 430 gefahrenen Kilometern mit 22,5 kWh überraschend gut aus. Offenbar ist die Autobahn der bevorzugte Lastbereich des e-tron Sportback. In Plech bei Fastned wollen zwei HPC-Lader nicht, sind offenbar nagelneu und noch offline. An der dritten Säule geht’s aber munter los und nach 28 Minuten sind 58 Kilowattstunden in den Akku geflossen. Es ging von 28 Prozent SoC auf 92 Prozent, was gar nicht geplant war. Doch aufgrund des Reiseverkehrs waren die Restaurants am Autohof überfüllt. Das Elektroauto war also mal wieder schneller geladen als der Fahrer fertig für die Weiterfahrt. High Power Charging macht’s möglich.
Irritationen im Bordcomputer
Kurios: Nach der Schnellladung in Plech meldet der e-tron einen leeren Akku und warnt vor der Weiterfahrt. Nach zwei Neustarts ist das Problem weg und die volle Batterie erkannt. Vielleicht war es dem Bordcomputer nun doch etwas warm ums Herz geworden. Die nächsten 209 Kilometer zum Ionity-Ladepark in Nempitz bei Leipzig, dem letzten HPC-Ladepark vor Berlin, nehmen wir dafür mit voller Leistung in Angriff. Dank freier Strecke darf sich das Elektroauto austoben: Linke Spur, Tempo 200. Und tatsächlich fahren wir den Akku auf der 200-Kilometer-Etappe fast leer und rollen mit 45 Kilometern Restreichweite an den freien Ladepark, an dem wir den maximalen Ladehub mitnehmen wollen.
Doch jetzt steigt der Puls: Die Ionity-Ladestation will nicht starten, erkennt angeblich die Ladekarte des e-tron Charging Service nicht. Ein solches Problem hatten wir mit der Karte noch nie. Ein Anruf bei der Ionity-Hotline (wir landen bei einem Englisch sprechenden Kollegen in London) sorgt für eine Herausforderung: Wir sollen die Ladekarte vor die Station halten und gleichzeitig den Stecker fest eingedrückt halten, damit der schwere Kabelzug die Kommunikation nicht unterbrechen kann. Das Problem ist beim Audi durchaus bekannt, äußert sich aber hier zum ersten Mal. Mangels fünf Meter Armlänge hilft ein amüsierter Teslafahrer vom gegenüberliegenden Supercharger aus. Doch es nützt nichts: Der Hotline-Mitarbeiter startet den Ladevorgang letztlich manuell und wir müssen nur noch den Stecker festhalten. Nach 15 Minuten Zeitverlust geht’s dafür mit 142,4 kW Ladeleistung gut zur Sache und das Auto hält danach über weite Strecken 147 kW. Wir stoppen bei 94 Prozent SoC und haben nach knapp 36 Minuten 67,3 kWh geladen.
Die letzte Etappe westlich an Berlin vorbei nach Neuruppin schlägt nochmal mit 224 Kilometern zu Buche. Es ist dunkel, noch immer sehr warm. Doch die Pausen zuvor, die tolle Ambiente-Beleuchtung und die angenehme Kühlung lassen keine Müdigkeit aufkommen. Die Ruhe im e-tron sucht ihresgleichen, Fahrgeräusche sind kaum zu vernehmen, das Straßenbahn-Summen der E-Maschinen klingt wohlig in den Ohren. Nach insgesamt 9 Stunden und 10 Minuten Fahrzeit rollen wir schließlich ohne vierte Ladepause und mit 68 Kilometer Restreichweite (25 Prozent SoC) an die heimische Wallbox.
Fazit
In Summe haben wir 1 Stunde und 15 Minuten mit den drei Ladestopps verbracht. Unterm Strich ergibt sich also eine akzeptable Reisezeit von 10 Stunden und 25 Minuten für die 870 Kilometer vom Südschwarzwald in den Norden Brandenburgs. Dank beständiger Ladeleistung bis in hohe SoC-Bereiche macht der e-tron Sportback an den HPC-Ladestationen selbst bei sommerlicher Rekordhitze eine super Figur. Der Durchschnittsverbrauch lag mit 25,6 kWh auf 100 Kilometer sogar unter unseren Erwartungen und ist vergleichbar mit dem, was wir von einem Fahrer eines Tesla Model X am Supercharger in Nempitz gehört haben. Komfort und Verarbeitung des e-tron sind auf höchstem Niveau und lassen keine Wünsche übrig. Einzig die Reichweiten-basierte Routenführung arbeitet noch nicht perfekt, da offenbar nicht alle HPC-Lader und deren Statusdaten im System sind. Doch über dieses Manko kann man hinwegsehen und den e-tron – entsprechende Finanzmittel vorausgesetzt – als Geschäftsführer-Dienstwagen mit Langstreckenanspruch klar empfehlen.
13 Kommentare