Ladesäulen: Ist nach dem Eichrechts-Umbau vor dem Smart-Meter-Umbau?
Derzeit werden viele Ladesäulen in Deutschland noch auf die eichrechtskonforme Messung und Abrechnung des Ladestroms umgerüstet. Zum Jahreswechsel läuft nun die Frist für den Einbau von Smart Metern in Ladesäulen aus. Warum die große Umbau-Welle trotzdem ausbleiben wird.
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Für viele Menschen dürfte es zunächst nicht sonderlich wichtig gewesen sein, was das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) am 31. Januar 2020 beschlossen hat – schließlich werden die Folgen erst jetzt nach und nach sichtbar. Das BSI hatte damals die „technische Möglichkeit zum Einbau intelligenter Messsysteme nach § 30 Messstellenbetriebsgesetz (MsbG)“ festgestellt, auch Markterklärung genannt. Ein dritter Hersteller sogenannter Smart Meter wurde zertifiziert, ab dem dritten Anbieter gilt ein System als marktreif. Damit ergab sich mit Wirkung zum 24. Februar 2020 die gesetzliche Verpflichtung zum Rollout intelligenter Messsysteme.
Was hat das Laden von Elektroautos damit zu tun? Verbraucher, die zwischen 6.000 und 100.000 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr beziehen, benötigen nach der Markterklärung einen intelligenten Stromzähler (auch Smart Meter genannt) und eine zusätzliche Kommunikationseinheit (Smart-Meter-Gateway oder kurz SMGW) – beides zusammen bildet ein intelligentes Messsystem. Ausschlaggebend für diesen Verbrauch ist nicht der Ladepunkt selbst, sondern der sogenannte Netzübergabepunkt, wo der Strom vom öffentlichen Netz in die Kundenanlage übergeben wird. So heißen alle Bereiche hinter dem Netzübergabepunkt. Das kann der Anschluss für ein gesamtes Gebäude sein, oder eben der Anschluss einer Ladesäule bzw. eines Ladeparks an das öffentliche Stromnetz. Eine Ladesäule benötigt also nur ein intelligentes Messsystem am Netzzähler (hier gibt das MsbG den rechtlichen Rahmen vor), nicht aber am Ladepunktzähler.
Für das Laden von Elektroautos gibt es bisher eine wichtige Ausnahme, definiert in § 48 des MsbG. „Wenn der Strom ausschließlich für das Laden von Elektrofahrzeugen vorgesehen ist, gibt es eine Ausnahme bis Ende diesen Jahres“, sagt Checrallah Kachouh, Co-CEO der Compleo Charging Solutions. „Als das Gesetz mit dieser Frist geschrieben wurde, ist man noch davon ausgegangen, dass die Smart Meter Gateways viel schneller kommen werden.“
Heißt also im Umkehrschluss, dass alle Ladesäulen ab 1. Januar 2021 über ein intelligentes Messsystem verfügen müssen? Die Antwort ist „jein“. Die Ausstattungspflicht gilt für neue Ladeinfrastruktur, für den Bestand gibt es eine Übergangsregelung. Es gibt aber noch einen weiteren Haken: „Bisher ist für den Anwendungsbereich der Ladeinfrastruktur noch kein intelligentes Messsystem am Markt verfügbar“, teilt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) auf Nachfrage von electrive.net mit. „Die Markterklärung des BSI, die den Startpunkt für die Rolloutverpflichtung markiert hat, hat eine entsprechende Feststellung der Verfügbarkeit nicht treffen können. Unabhängig von dem in § 48 genannten Datum, besteht daher keine Ausstattungsverpflichtung für diese Anwendungsfälle.“
Laut dem BDEW fehlt also noch eine Markterklärung des BSI für den Spezialfall Ladeinfrastruktur. Bleibt diese bis zum in § 48 festgelegten 31. Dezember 2020 aus, sieht der BDW keine Ausstattungspflicht, „bis eine entsprechende Feststellung des BSI zur Verfügbarkeit vorliegt“.
Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben, sowohl die Betreiber der Ladesäulen als auch deren Hersteller müssen darauf vorbereitet sein. Compleo hat bereits seit Ende 2016 eine erste Ladesäule mit intelligentem Messsystem auf den Markt gebracht, das Produkt gebe den Kunden laut Kachouh Planungssicherheit. „Ein Teil unserer Kunden sind Stadtwerke, die wir auch über unsere Verbindung zu unserer Muttergesellschaft EBG electro gut kennen“, so der Co-CEO. „Über deren Feedback und die Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern haben wir erkannt, wie wichtig die Einhaltung dieser Anwendungsregel ist.“
Nach eigenen Angaben hat die Dortmunder Compleo bisher rund 1.500 Ladesäulen der IMS-Reihe (für intelligentes Messsystem) verkauft. Auch der sauerländische Ladesäulenhersteller Mennekes hat mit der „Smart T“ eine Säule im Angebot, die den nötigen Bauraum für ein Smart Meter und Smart Meter Gateway bietet. Nur: Wie viele der Säulen damit schon ausgerüstet sind, kann selbst Mennekes nicht sagen. „Übergabezähler werden nicht von uns ausgeliefert, weil diese vom Messstellenbetreiber zur Verfügung gestellt werden“, sagt Unternehmenssprecher Lars Baier. „Die Smart-T-Ladesäulen sind vorbereitet für die elektrische & kommunikative Anbindung und bieten den Bauraum für sein SMGW. Wir können insofern nicht eigenständig angeben, ob SMGWs bereits in eine Smart-T-Ladesäule verbaut worden sind.“
Laut dem BDEW ist die Antwort aber simpel: keine. Weil ein solches System für den Anwendungsbereich noch nicht vom BSI zertifiziert ist.
„Besonders herausfordernde Lage“ bei Ladesäulen
Dennoch will der BDEW die Situation nicht herunterspielen, der Verband warnt vielmehr vor einer „besonders herausfordernder Lage“ bei der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur. Selbst wenn das BSI eine Marktverfügbarkeit für die Elektromobilität feststellt, gibt es für die bereits verbaute Technik einen Bestandsschutz – laut § 19 Abs. 5 MsbG ganze acht Jahre. „Da die entsprechende Technik in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung steht und die öffentliche Ladeinfrastruktur derzeit aufwendig umgerüstet wird, um die Eichrechtskonformität zu gewährleisten und den Ausbau öffentlich zugänglicher Ladepunkte weiter voranzubringen, sieht der BDEW es als unerlässlich an, dass die Ausnahmefristen für öffentlich zugängliche Ladepunkte in § 48 und in der Folge für § 19 MsbG bis 2025 verlängert werden“, so der Verband.
Der achtjährige Bestandsschutz könnte sich als sehr wichtig erweisen, denn einfach nachrüsten lassen sich die intelligenten Messsysteme oft nicht – aus Platzgründen. „Der benötigte Bauraum für den Einbau von Smart Meter und Smart Meter Gateway ist relativ groß, was die nachträgliche Integration in eine Ladesäule kompliziert oder teilweise sogar unmöglich macht“, so Kachouh.
Etwas anders ist die Lage bei privaten Ladepunkten. Hier gilt die Wallbox als normaler Verbraucher in der Kundenanlage, § 48 mit der Ausnahme für Netzübergabepunkte, die ausschließlich zum Laden von Elektroautos dienen, greift hier nicht. Entscheidend für die Smart-Meter-Pflicht ist somit der Verbrauch am Netzübergabepunkt. Mit einem oder mehreren Elektroautos kann der Jahresverbrauch über 6.000 kWh steigen und sich somit die Pflicht ergeben.
Bis zu 100 Euro Mehrkosten pro Jahr – und unbekannte Einsparpotenziale
Da auch hier der Messstellenbetreiber das intelligente Messsystem stellt, rechnet er das auch ab. Das Gesetz sieht für die verschiedenen Verbrauchsklassen gestaffelte Preisobergrenzen vor: So sollen zum Beispiel Kunden mit einem Jahresstromverbrauch von 6.000 bis 10.000 Kilowattstunden (kWh) für das intelligente Messsystem maximal 100 Euro im Jahr bezahlen. Für höhere Verbrauchsklassen liegt die Preisobergrenze höher (z.B. für 10.000 bis 20.000 kWh bei 130 Euro), wobei auch ihr Kosteneinsparpotenzial höher ausfällt. Falls der Zählerkasten für den Einbau der neuen Technik umgebaut werden muss, trägt der Anschlussnehmer, also der Haus- oder Wohnungseigentümer, hierfür die Kosten.
Ein Sonderfall: Soll der heimische Ladestrom – etwa wegen eines Dienstwagens und der Abrechnung mit dem Arbeitgeber – separat erfasst werden, benötigt er natürlich einen eigenen Zähler. Aber keinen smarten. „Wenn wir in die Zukunft schauen, wird es in Gebäuden Energiemanagementsysteme geben, die mit allen Verbrauchern und Erzeugern im Haus kommunizieren – von der PV-Anlage, über dem Heimspeicher, bis zum Ladepunkt und dem Herd. Und natürlich mit dem Smart Meter Gateway auf der anderen Seite“, sagt Kachouh. „Da gibt es keinen Grund, dass ein Fahrzeug eine Sonderbehandlung mit einem eigenen Smart Meter Gateway erhalten muss, der Ladepunkt ist nur ein Verbraucher unter vielen.“
Heißt alles aber auch: Selbst wenn es die Bezeichnungen „Smart Meter“ oder „intelligentes Messsystem“ im Zusammenhang mit der Elektromobilität suggerieren, mit einem intelligenten Laden haben sie nichts zu tun. Intelligente Messsysteme können zwar für mehr Transparenz am Energiemarkt sorgen und etwa dazu führen, dass Verbraucher mit den Informationen ihres Netzübergabepunkts von speziellen Stromtarifen profitieren können. Ein intelligentes Lastmanagement mehrerer Ladepunkte (oder zwischen dem heimischen Ladepunkt, anderen Verbrauchern im Haus und der PV-Anlage) finden aber lokal hinter dem Netzübergabepunkt statt.
Hierfür hat die Arbeitsgruppe 6 der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität eine Roadmap erarbeitet, in der die Anforderungen an eine Schnittstelle für die Anbindung von Ladepunkten an ein „lokales intelligentes Lastmanagement“ (LIL) formuliert wurden. Inzwischen wurde auch ein Normungsantrag für das LIL gestellt. „Mit einer solchen Schnittstelle können wir alle Anwendungsfälle abdecken“, sagt Kachouh, der an der Roadmap mitgearbeitet hat. „Die Technologien, die man heute in Gebäuden vorfindet, sind sehr divers – und damit die Voraussetzungen für ein Lastmanagement.“
Wo sich die Autoindustrie quer stellt
Ein wahrhaft intelligentes Lastmanagement stellt aber auch neue Anforderungen an die E-Autos. Aktuell ist die Kommunikation beim AC-Laden nach Mode 3 in der Norm IEC 61851-1 definiert. „Das Auto selbst gibt bei diesem Standard keine Information über den Ladestand und die benötigte Energie an die Infrastruktur“, bemängelt Kachouh. „Die Infrastruktur bzw. das Lastmanagement kann also nur beobachten, wie sich das Auto verhält. So kann das Lastmanagement nur sehr schwer Vorhersagen treffen und entsprechend die Ladevorgänge vorausschauend steuern.“
Anders sieht es beim DC-Laden aus, über den dortigen Standard ISO 15118 teilen die Fahrzeuge der Ladesäule den State of Charge mit – auf dem Display der Gleichstrom-Säulen wird der Ladestand (und die vom Fahrzeug berechnete Rest-Ladezeit) meistens angezeigt, bei AC-Säulen gibt es diese Info wegen des Kommunikationsstandards nicht. Kachouh fordert daher, dass die Fahrzeuge auch beim AC-Laden ISO 15118 unterstützen, um ein intelligentes Lastmanagement mit Vorhersagen zu ermöglichen. „Das unterstützt die Autoindustrie leider noch nicht.“
Der potenzielle Hebel solcher intelligenter Lastmanagementsysteme ist groß – Stichwort notwendiger Netzausbau für die Elektromobilität. Das wiederum spannt den Bogen zum Smart-Meter-Rollout: Die Stromerzeugung wird mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien dezentraler und volatiler. Dadurch steigen die Anforderungen an den Netzbetrieb sowie die Koordinierung von Stromangebot und -nachfrage. Ähnlich ist es (im lokalen Verteilnetz) beim Laden vieler E-Autos. Lastmanagement und intelligente Messsysteme gehen Hand in Hand.
Kachouh sieht noch eine weitere Herausforderung: Bereits jetzt, also vor dem Rollout der aktuellen Generation an SMGW, hat im Hintergrund die Diskussion über die nächste Generation der Gateways begonnen. „Die neuen Anforderungen machen die Sache sogar deutlich komplexer“, sagt der Compleo-Manager.
Auch der BDEW sieht diese Diskussionen skeptisch. „Viele der aktuell diskutierten Anforderungen an das SMGW ergeben sich aus unseren Augen nicht aus dem MsbG und betreffen auch nicht den energiewirtschaftlichen Datenaustausch“, so der Verband. „Hier können intelligente Messsysteme genutzt werden, es sollte aber keine Verpflichtung bestehen, soweit es sich bei den Daten nicht um Daten zum Bezug aus dem Netz handelt, die abrechnungs- oder bilanzierungsrelevant sind. Diese Funktionen laufen heute längst über etablierte Standards im Markt, die die Marktteilnehmer in den letzten Jahren gemeinsam erarbeitet haben und stets weiterentwickeln.“ Nach Auffassung des BDEW wäre es wichtig sich bei der Weiterentwicklung des SMGW auf die Funktion der Steuerbarkeit zu konzentrieren. „Diese ist nicht nur für die Elektromobilität zentral, sondern auch weitere Anwendungsfälle rund um ein intelligentes Netz.“
Das letzte Wort scheint noch nicht gesprochen. Aber die große Umbauwelle bleibt – auch wegen der Übergangsfrist von acht Jahren – vorerst aus.
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