electrive.net LIVE: So wird der Lkw-Verkehr elektrifiziert
Wie entwickelt sich die Elektrifizierung des Lkw-Verkehrs? Diese Frage stand im Zentrum der fünften Ausgabe von „electrive.net Live“. In der Online-Konferenz mit sechs Expertenvorträgen wurde deutlich, wie vielfältig die technologischen Möglichkeiten sind. Die Batterie ist derzeit jedoch besonders populär.
Allein die sechs Expertenvorträge unserer fünften Konferenz machten deutlich, dass man im Lkw-Segment aktuell noch von Technologieoffenheit sprechen kann. Da brauchte es keine Diskussionen um optimierte Verbrenner oder synthetische Kraftstoffe. Ob eHighway mit Oberleitung, Wasserstoff oder auf Batterie-elektrische Antriebe umgerüstete Lkws – aktuell sind die Lösungen noch vielfältig. Selbst 48V-Systeme für konventionelle Trucks gehören zu den möglichen Ansätzen.
FUTURICUM
Zum Einstieg zeigte Vertriebsleiter Bernhard Kunz auf, wie man bei der Schweizer Designwerk Products AG einen Lkw umrüstet. Dies findet unter der Marke Futuricum statt. Kunz griff das Leuchtturmprojekt heraus, bei dem ein elektrisch angetriebenes Müllfahrzeug für den urbanen Raum entwickelt wurde. Neben den fast schon klassischen Vorteilen wie geringeren CO2-Emissionen und effizienterem Stop-and-Go-Betrieb zeigte sich im Ergebnis insbesondere auch eine Reduktion der Lärmbelastung – die nicht nur für die Anwohnerinnen und Anwohner Vorteile brachte, sondern auch der Fahrzeugmannschaft, die nun in normaler Lautstärke miteinander kommunizieren kann, weil die lauten Motorengeräusche des Diesels weggefallen sind. Das habe sich klar in einer besseren Arbeitssicherheit niedergeschlagen. Womöglich ein Pluspunkt für elektrifizierte Nutzfahrzeugflotten, der bisher kaum herausgearbeitet worden ist. Bernhard Kunz stellte auch die Kapazitäten für die Produktion im kommenden Jahr vor – und die verschiedenen Optionen. So arbeiten die Schweizer nun mit den Chassis von Daimler und Volvo. Manche Zahlen ließen die rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Online-Konferenz staunen: Batteriepakete von bis zu 900 kWh Kapazität könnten solche Elektro-Lkw in die Lage versetzen, bis zu 700 Kilometer weit zu fahren.
AKASOL
Für Akasol stieg erneut Sven Schulz in den digitalen Ring. Der Akasol-CEO machte klar, dass der Batteriesystemhersteller nicht die Strategie „one fits all“ verfolgt. Man baue stattdessen Batteriesysteme, die spezifisch zum Nutzfahrzeug und der angestrebten Aufgabe passen. Im Vortrag unterstrich Schulz mehrfach seinen klaren geschäftlichen Fokus auf die Modul- und Systemtechnologie. Ihm ging es in der Konferenz nicht allein um Hochvolt-Batterien für den elektrischen Antrieb von Trucks, sondern er brachte noch ein weiteres Produkt ins Spiel: 48V-Batteriesysteme für konventionelle Lkw. Er skizzierte die Notwendigkeit eines umweltgerechten Energiespeichers in Langstrecken-Lkws für die Ruhezeiten der Fahrer. Denn wo eine Batterie an Bord ist, müssen eben nicht 4,5 Liter Diesel pro Stunde für das Generieren von elektrischem Strom auf dem Autobahnrastplatz in die Luft geblasen werden. Der Komfort für die Fahrer in der Schlafkoje steigt. Eignen könnten sich solche Akkupacks auch für Kühlaufbauten. Die Nachfrage kommt aktuell aus den USA.
MEYER & MEYER
Als letzter Speaker im ersten Panel gab Dipl.-Ing. Bijan Abdolrahimi einen Überblick zum Projekt „RouteCharge – Batteriewechselsysteme für E-Lkw im Dual-Use“, das er als Projektleiter betreut. In dem Forschungsprojekt aus dem Technologieprogramm IKT für Elektromobilität sollen durch die Implementierung eines intelligenten Batteriewechselsystems Distanzen von bis zu 300 km für den Gütertransport mit E-Lkw erschlossen werden.
Gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik, mehreren Lehrstühlen der TU Berlin und dem Schweriner Energieversorger Wemag AG will man ein tragfähiges Konzept für Logistikunternehmen entwickeln, das auf mittleren Distanzen mit Elektro-Lkw eine Dispositionsfreiheit ermöglicht, die mit Diesel-Lkw möglichst vergleichbar ist. Dabei ist der Hauptansatz, entladene Lkw-Batterien gegen frisch geladene auf nahezu halber Strecke auszutauschen.
Abdolrahimi erklärte den Lösungsansatz damit, dass ein Batteriewechselkonzept nah an den Flexibilisierungsgrad von konventionellen Verbrennungsfahrzeugen heranreicht. So dauert ein Batteriewechsel im Projekt nur etwa 15 Minuten. Abdolrahimi zeigte auch auf, wie man die Kostenminderungspotenziale des Batteriewechsels durch ein Dual-Use-Prinzip heben will: Denn bei RouteCharge soll nicht nur die Traktionsenergie einem E-Lkw zur Verfgügung gestellt werden, sondern die gerade nicht genutzten Batterien für die Primärregelleistung (PRL) im Energienetz angeboten werden.
Aber Bijan Abdolrahimi verschwieg auch die Herausforderungen nicht: So musste man für das externe Aufladen der Batterien einen großen Teil der Infrastruktur aus dem Lkw nachbauen.
WEBASTO
Mit Manuel Kagelmann schickte Webasto den Leiter Produktmanagement Webasto CS auf unsere virtuelle Bühne. Er hatte seinen Vortrag auf die zukunftssicheren Batteriesysteme für E-Lkws ausgerichtet. Und machte deutlich, dass der Zulieferer sich ganz explizit für den Aufbau eines Batteriegeschäfts entschieden hat – um so am wachsenden Markt für Elektromobilität direkt zu partizipieren.
Auch Kagelmann machte klar, dass es für Fahrzeugbatterien bei Webasto kein „one fits all“-Konzept gibt. Allerdings macht der Zulieferer kleineren OEMs durchaus ein günstigeres Angebot: Nimmt man standardisierte Batteriesysteme von Webasto, so spart man bei den Entwicklungskosten, bekommt trotzdem Serienprodukte in Automotive-Qualität und diese auch entsprechend schnell. Gleichzeitig bietet Webasto auch individualisierte Batteriekonzepte. Die werden für den OEM und seine Serie speziell und flexibel entwickelt und – wenn notwendig – beim Kunden ortsnah produziert. Darüber hinaus signalisierte Kagelmann auch das Interesse seitens Webasto am Thema Wasserstoff. So ist die Brennstoffzelle im Automobilkontext natürlich noch in einem frühen Stadium, aber auch hier benötige man Batteriesysteme. Webasto wolle gern die Kunden aus beiden Lagern – also dem rein Batterie-elektrischen und dem Wasserstoff-Segment – bedienen.
SIEMENS MOBILITY
Nicht BEV, nicht FCEV: Markus Gyusok Schauen stellte im zweiten Panel ein weiteres Konzept für die Elektrifizierung des Lkw-Verkehrs vor: den eHighway. Dabei werden auf einer Autobahn Hybrid-Lastwagen mit Strom aus Oberleitungen versorgt. Schauen betonte, dass Oberleitungen und Pantographen bewährte Technologien aus dem Schienenbereich seien und man sich an den dort vorgefundenen Konzepten orientiert habe.
Im Vortrag wurde deutlich, dass sich die Fahrzeuge recht unspektakulär und sehr sicher auf den aktuell zwei deutschen Oberleitungsteststrecken mit ihrem Stromabnehmer andocken und auch bei Überholmanövern zügig und selbstständig wieder entkoppeln können. Darüber hinaus greift das System in den Lkws auch auf ein Fahrerassistenzsystem zurück. Mithilfe des Spurhalteassistenten wird das Fahrzeug direkt unter der Oberleitung gehalten. Markus Gyusok Schauen lieferte auch noch ein Rechenbeispiel: Immerhin steht die Frage im Raum, wie die Elektrifizierung von Autobahnen mit Oberleitungen und der dafür notwendigen Infrastruktur finanziert werden soll. Bei seinem Finanzierungsbeispiel kam Schauen auf ein jährliches Investment von 810 Mio. Euro, will man bis 2035 etwa 4.000 Autobahnkilometer elektrifizieren. Die dreistellige Millionensumme entspricht laut Schauen etwa 11 % der aktuell jährlich eingenommenen Maut in Deutschland.
P3
Zum Abschluss des zweiten Panels lieferte Robert Stanek, Global Adivsor eMobility bei der P3 automotive GmbH, das Big Picture zur Lkw-Elektrifizierung. So machte Stanek deutlich, dass wir im Bereich der elektrifizierten Nutzfahrzeuge und Lkws noch ganz am Anfang stehen. Für 2030 erwartet der Experte anhand verschiedener Marktvorschauen ein E-Volumen von 14% bei den Heavy Duty Trucks und etwa 22% bei den Medium Duty Trucks in Nordamerika und Europa. Letztlich sei der Markthochlauf direkt an die politischen Rahmenbedingungen geknüpft. Neben weiteren Teilaspekten machte Stanek auch die Notwendigkeit des Aufbaus kommerzieller Ladelösungen für elektrische Trucks deutlich. Eine Kombination verschiedener Ladevorgänge – also AC, DC, HPC, Pantograph – bietet demnach optimierte Gesamtbetriebskosten und Betriebsbedingungen für entsprechend elektrifizierte Flotten. Robert Stanek sieht einen großen Verbesserungsbedarf in Bezug auf integrierte Ladeangebote, flexibles Laden, Dienstleistungen rund um das Laden sowie einfache Tarife für Nutzfahrzeuge und Flottenmanagement-Lösungen für die zuverlässige Planung. Kurzum: An großen Ladeparks entlang der Autobahnen kommt man nicht vorbei. Alternativ machte auch Stanek in der Brennstoffzelle ein mögliches Anwendungsszenario für schwere Lkws auf der Langstrecke aus. Auch dafür müsste die notwendige Infrastruktur in Form von Wasserstoff-Tankstellen erst entstehen.
Zu guter Letzt kündigte Moderator und electrive.net-Chefredakteur Peter Schwierz direkt die nächste Ausgabe unserer Online-Konferenz an: Am 18. November 2020 geht es um die Elektrifizierung von Flotten – mit Fokus auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Alle Informationen zum Programm finden Sie hier.
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