Renault Twingo Electric: Der beste Twingo fährt mit Strom
Seit 2014 bietet Renault die dritte Generation des Twingo an, erst jetzt erhält der Kleinwagen aber einen Elektromotor. Der Stromer kommt spät, dürfte aber für viele Twingo-Nutzer gleich zur besten Antriebsoption aufsteigen – nicht nur für Privatkunden, sondern auch für gewerbliche Nutzer wie etwa Pflegedienste.
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Dass er spät kommt, ist unbestreitbar. Seit sechs Jahren verkauft Renault den Twingo in seiner aktuellen Form. In der Autoindustrie steht üblicherweise nach sieben Jahren ein Modellwechsel an, in einigen Fällen wird das aber um ein oder zwei Jahre hinausgezögert. Kommt der Twingo Electric aber auch zu spät?
Fakt ist, dass die dritte Generation des Twingo von Anfang an über die Möglichkeit dazu verfügte. Das Modell wurde gemeinsam mit Smart entwickelt, der Viersitzer Smart Forfour wird sogar zusammen mit dem Twingo im slowenischen Novo Mesto gebaut. Da die Daimler-Kleinwagenmarke früher ein Elektro-Modell anbieten wollte (der Smart Electric Drive kam 2017 auf den Markt), wurde nicht nur das sonst für Verbrenner ungewöhnliche Konzept mit einem vor der Hinterachse montierten Motor samt Heckantrieb gewählt, sondern auch im Unterboden Bauraum für ein Akku-Paket eingeplant, genauer gesagt unter dem Fahrer- und Beifahrersitz.
Ob Renault den Twingo Electric nun also schon 2014 hätte bringen sollen oder nun in einem anziehenden Markt für die Elektromobilität genau richtig kommt, ist am Ende eher ein theoretisches Problem: Jetzt ist er da, noch in diesem Jahr sollen die Auslieferungen starten.
Obwohl sie sich die Plattform teilen, im selben Werk gebaut werden und sich einige technische Daten ähneln, unterscheiden sich die Elektro-Komponenten laut Renault von jenen des Elektro-Smart. Der 60 kW starke E-Motor und die 21,3 kWh große Batterie sollen von der Technik der ersten Zoe-Generation abgeleitet und auf den Twingo angepasst worden sein, wie am Rande der Fahrvorstellung zu hören war.
Vom Zoe stammt auch das Ladesystem Chameleon Charger. Die Ladeleistung liegt bei bis zu 22 kW, was in 30 Minuten Ladezeit etwa 80 Kilometer Reichweite bedeuten soll. Die Ladung auf 80 Prozent soll mit 22 kW eine Stunde dauern, an einer 11-kW-Ladestation sind es 2:10 Stunden. Mit einphasigem 3,7-kW-Wechselstrom ist der Akku in acht Stunden komplett geladen.
Als Renault uns den Testwagen in Brühl in unmittelbarer Nähe zur eigenen Deutschland-Zentrale übergibt, fällt vor allem eines auf: Obwohl das Modell offiziell Twingo Electric heißt, ist auf den Aufklebern noch das altbekannte Kürzel Z.E. für Zero Emission zu sehen. „Es war eine sehr kurzfristige Entscheidung unseres neuen CEO, den Namen beim Twingo in Electric zu ändern“, sagt der zuständige Produktmanager. Das Eingreifen von Luca de Meo hat nicht nur Folgen fürs Marketing, sondern auch den Vertrieb: Bereits im Juli wurde das Modell namens „Twingo Z.E. Vibes“ beim BAFA in der Liste der förderfähigen Fahrzeuge aufgenommen. Wenn im Kaufvertrag plötzlich Twingo Electric steht, gibt es vom BAFA kein Geld. Inzwischen ist der E-Kleinwagen aber unter seinem aktuellen Namen gelistet.
Netter Nebeneffekt für das Marketing: Mit der zum Start verfügbaren Ausstattung „Vibes“ ergibt sich so der Name „Electric Vibes“. Wenn später das Basismodell kommt, das beim Verbrenner auf den Namen „Life“ hört, ergibt sich so der Modellname „Electric Life“. Eine Steilvorlage.
Schlicht-funktional ist die Ausrichtung des Twingo
Neben den blauen Zierelementen mit Z.E.-Kürzel fällt an unserem Testwagen nichts weiter auf – es könnte auch ein Verbrenner-Twingo mit seien 3,61 Metern Länge sein. Auch im Innenraum gibt es keine Hinweise darauf, dass es sich um ein Elektroauto handelt. Die Platzverhältnisse im Innenraum und Kofferraum (240 bis 980 Liter) sind exakt gleich. Das fest verbaute Navi gibt es auch in anderen Ausstattungen (ab „Intens“).
Erst wenn das Auto ganz klassisch per Zündschlüssel (der zugegeben nicht mehr zündet) gestartet wird, wird der Unterschied klar. Im Twingo Electric springt kein Dreizylinder an, lediglich ein Piepen verrät, dass das Auto fahrbereit ist. In dem kleinen Display unter dem analogen Tacho wird die gefahrene Geschwindigkeit nochmals digital angezeigt, aber auch der Ladestand in Form einer recht simplen Balken-Anzeige sowie der genauen Prozentzahl. Zudem zeigt ein kleiner Balken an, wie viel Leistung der Fahrer abruft (Ausschlag nach rechts), oder wie stark das Auto rekuperiert (nach links). Also alles, was auch aus deutlich teureren Elektroautos bekannt ist. Nur nicht schick und in Farbe hochauflösend animiert, sondern schlicht-funktional.
Mit dem Renault-typischen AVAS-Sound rollt der Twingo an. Die Elektro-Servolenkung ist sehr leichtgängig abgestimmt, was zwar das Rangieren und Fahren in der Stadt sehr angenehm macht, auf der Autobahn aber zum Beispiel etwas den Geradeauslauf verschlechtert. In der Stadt aber ist der Wendekreis von 8,6 Metern sehr angenehm. Dennoch passt das Fahrwerk gut zum Antrieb: Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 135 km/h und einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 12,9 Sekunden (und entsprechend zäherem Durchzug bei hohen Geschwindigkeiten) ist der Twingo Electric ohnehin nicht für die Autobahn-Langstrecke gemacht. Bei der Pendelei im Berufsverkehr sind die Eigenschaften vollkommen ausreichend und passend.
Wo der Twingo Electric besser als die Verbrenner ist
So ist es kein Wunder, dass Renault auch gerne die Beschleunigung auf 50 km/h in 4,2 Sekunden angibt – und damit auch nur unwesentlich langsamer als etwa der Zoe R110 mit 3,9 Sekunden. Das ist schon eher die Stärke des E-Kleinwagens, der in solchen Geschwindigkeitsbereichen nicht nur sehr angenehm und leise fährt, sondern auch besser als seine Verbrenner-Modelle abschneidet. Auf dem Papier sortiert sich der Electric bei den Fahrleistungen zwischen den Versionen mit dem 1,0 Liter großen Dreizylinder-Sauger und den stärkeren Versionen mit 0,9-Liter-Dreizylinder-Turbo ein. In der Stadt und teilweise auch hinter dem Ortsschild sind Geräuschkomfort und Antritt des Twingo Electric aber überlegen.
Bei unserer Testfahrt, die bei sonnigem Wetter und etwa zehn Grad Außentemperatur in und um Brühl durch die Stadt, über Landstraßen und über die Autobahn führte, waren wir größtenteils im Eco-Modus unterwegs. Dieser kappt die Spitzenleistung des 60-kW-Elektromotors, die Höchstgeschwindigkeit sinkt dann auf rund 105 km/h. Im WLTP-Test hat das aber zur Folge, dass die Reichweite von 190 auf 225 Kilometer steigt.
Und in der Praxis? Bei erwähnten Außentemperaturen und Fahrprofil haben wir den WLTP-Verbrauch von 16,3 kWh/100km sogar unterboten. Bis auf die Autobahn-Abschnitte waren wir im Eco-Modus unterwegs und haben dabei immer wieder zwischen den verschiedenen Rekuperationsstufen gewechselt: In „D“ ist die Verzögerung zurückhaltend, für viele Umsteiger sicher nicht überfordernd. Im B-Modus kann am Schalthebel analog zu Gangwechseln beim Verbrenner mit Automatik zwischen „B1“, „B2“ und „B3“ in zunehmender Stärke gewählt werden – wobei selbst „B3“ angesichts der Motor- und Rekuperationsleistung noch nicht ganz ein One-Pedal-Driving ermöglicht. Das Ergebnis: Nach 66 Kilometern lag der errechnete Verbrauch bei 13,3 kWh/100km. Das kann sich sehen lassen. Kollegen anderer Medien, die im Normal-Modus ohne Tests mit der Rekuperation unterwegs waren, haben von rund 17 kWh/100km auf der Anzeige des Bordcomputers berichtet.
22-kW-AC-Lader: Vorteil in der Stadt, schwieriger auf der Langstrecke
Übrigens: Die Reichweiten-Anzeige arbeitet recht genau. Auf unserer 66-Kilometer-Runde ist die errechnete Reichweite um 68 Kilometer gesunken. Den angezeigten Kilometern – bei Übernahme des vollgeladenen Testwagens waren es 181 Kilometer – kann also Vertrauen geschenkt werden. Für den Einsatz in Flotten von Pflegediensten oder Essens-Lieferdiensten oder auch im privaten Einsatz als Pendler-Wagen oder Stadtauto sollte die Reichweite genügen. Mit der 22-kW-Lademöglichkeit sind bei gesichertem Zugang zu entsprechender Infrastruktur problemlos die meisten Einsätze abdeckbar. Denn einigermaßen schnelles Zwischenladen erhöht die Flexibilität – ein Fahrzeug mit einphasigem AC-Lader muss zwingend über viele Stunden in der Nacht geladen werden. Beim Twingo ist es nur eine Möglichkeit, ihn langsam zu laden. Es geht auch schneller.
So passend Antrieb und Ladesystem im Stadt-, Überland- und Pendeleinsatz sind, so sehr muss man sich den Gegebenheiten auf der Langstrecke bewusst sein. Entlang der Autobahnen werden vor allem CCS-Ladepunkte neu aufgebaut, die Zahl der Typ-2-Ladepunkte wächst dort kaum noch und der Bestand selbst – meist in Form alternder Triple Charger – ist nicht immer zuverlässig oder gut gepflegt. Wer also trotz des Stadt-Einsatzes oder Pendel-Alltags mehrmals pro Jahr Strecken von 300 bis 400 Kilometern oder mehr fahren will, muss sich auf die Typ-2-Ladeinfrastruktur an den Autobahnen einlassen und dann immer noch Ladezeiten von einer Stunde auf 80 Prozent in Kauf nehmen – was bei einem erhöhten Autobahn-Verbrauch wohl nur 100 bis 120 Kilometern Reichweite entsprechen dürfte. Ja, Zoe-Fahrer der ersten Generation haben bewiesen, dass es geht – AC-Laden auf der Langstrecke ist möglich, aber nicht Jedermanns Sache. Wer das nicht in Kauf nehmen will, sollte sich eher nach einem Zoe mit CCS-Option oder einen VW-Drilling umschauen.
Förderung macht den Twingo Electric attraktiv
Bleibt der bei Kleinwagen wichtige Punkt: die Kosten. Aktuell steht das hochwertig ausgestattete „Vibes“-Modell mit 24.165 Euro vor Förderung in der Liste – sehr viel Geld für einen Kleinwagen, das ist klar. Für Privatkäufer oder die meisten gewerblichen Kunden macht das nach Abzug des Umweltbonus 14.685,04 Euro. Pflegedienste, die das Auto über „Sozial & Mobil“ fördern können, können gemäß der neuen Regelung 10.000 Euro vom BMU und den Hersteller-Anteil des Umweltbonus kombinieren – bei 13.480 Euro Förderung macht das einen Preis von 10.685 Euro. Da der Twingo ohne DC-Lademöglichkeit gar nicht in die Versuchung kommt, den teuren Strom an Schnellladesäulen zu zapfen, fallen auch die Energiekosten überschaubar aus – und die Wartung E-typisch auch. Das Wartungsintervall liegt bei 30.000 Kilometer oder einem Jahr.
Günstigere Ausstattungen des Twingo Electric hat Renault noch nicht angekündigt, sie werden aber wohl folgen. Wie zu hören war, könne der Preisabstand zwischen den Verbrenner-Ausstattungen auch ein „ganz guter Indikator“ für weitere Ausstattungsniveaus des Twingo Electric sein. Also etwas rechnen: In der „Intens“-Ausstattung könnte ein Twingo Electric somit rund 23.190 Euro vor Umweltbonus kosten, der Twingo Electric Limited noch 22.215 Euro, der Twingo Electric Life noch 20.753 Euro. Macht nach Abzug des Umweltbonus noch 13.710, 12.735 bzw. 11.273 Euro. Für einen rein elektrisch angetriebenen Neuwagen. Das sind wohlgemerkt geschätzte Preise, keine von Renault bestätigten.
Zudem könnte die Elektro-Version noch für ein weiteres Novum sorgen: Gerade weil das Modell mit dem Umweltbonus oder Förderprogrammen wie „Sozial & Mobil“ für Flotten attraktiv wird, gibt es in Renaults Deutschland-Zentrale Überlegungen, vom Twingo Electric auch eine gesonderte „Business Edition“ aufzulegen. Das hat es beim Twingo bisher auch noch nicht gegeben.
Ist der Twingo Electric ein innovatives Modell, das die Elektromobilität weiterentwickelt? Ein klares Nein, er bietet mehr oder weniger bekannte Technik in einer Misch-Plattform, deren Zukunft nach dem „Ausstieg“ von Smart hin zu dem China-Joint-Venture ungewiss ist. Ist der Twingo Electric dennoch ein gutes Modell im Renault-Angebot? Ein klares Ja, da er mehr oder weniger bekannte Technik zu günstigeren Preisen bietet – und so Kunden einen Elektroantrieb bietet, die den zusätzlichen Platz oder die zusätzlichen Features eines Renault Zoe nicht brauchen.
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