Volkswagen warnt vor „drohender Ladelücke“
Volkswagen-E-Mobilitäts-Vorstand Thomas Ulbrich hat in einer Medienrunde davor gewarnt, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur hinter dem Wachstum der Zulassungszahlen zurückbleibt. Die Wolfsburger betonen, wie wichtig das Thema Laden für die Kunden sei – und sehen jetzt vor allem die Politik am Zug.
Mit der Entwicklung der Nachfrage zeigte sich Ulbrich in der digital abgehaltenen Medienrunde zum Thema Ladeinfrastruktur sehr zufrieden. Im Oktober sei in Europa jeder zehnte Volkswagen ein Batterie-elektrisches Auto gewesen. Mit dem jüngsten Ausbau des MEB-Werks in Zwickau werden dort derzeit 650 Autos pro Arbeitstag gefertigt, bis Jahresende sollen es 750 am Tag sein. Auch für den ID.4 haben man in den ersten vier Wochen Bestellungen im vierstelligen Bereich erhalten. „Wir haben den Einstieg in den Systemwechsel geebnet – von der Verbrenner-Welt in die Elektro-Welt“, so der E-Mobility-Vorstand der Marke Volkswagen Pkw.
Ein Punkt bereitet Ulbrich aber Sorgen: Der sich abzeichnende Missstand zwischen dem Ausbau der Ladeinfrastruktur und dem Wachstum der Neuzulassungen von Elektroautos. „Noch ist die Lage in Ordnung, aber sie ist schon heute ausgereizt“, sagt Ulbrich. „Leider haben wir keinerlei Polster mehr. Schon in diesem Jahr ist der E-Auto-Bestand doppelt so schnell gewachsen wie die öffentliche Ladeinfrastruktur.“ Er – und die Experten im Konzern – gehen davon aus, dass man für die in Deutschland im Jahr 2025 erwarteten 3,5 bis 4,0 Millionen Elektroautos und Plug-in-Hybride aller Marken über 300.000 öffentliche Ladepunkte brauchen werde.
Geht der Ausbau der Ladeinfrastruktur aber im aktuellen Tempo voran, kommt die VW-Hochrechnung nur auf 120.000 bis 150.000 Ladepunkte. „An dieser Stelle tut sich eine drohenden Ladelücke auf“, sagt Ulbrich und ergänzt: „Wenn die EU in die Klimavorgaben bis 2030 nochmals eine Verschärfung einbringt, werden wir als OEM reagieren. Wir bringen die Fahrzeuge, aber wir brauchen dann die Ladepunkte.“
Worauf Ulbrich hier anspielt, hat in dieser Woche bereits VW-Markenvorstand Ralf Brandstätter mit Zahlen unterlegt. „Sollte die EU im Rahmen des Green Deals die Klimaziele nochmals verschärfen, müssen wir den Anteil von vollelektrischen Fahrzeugen am Absatz bis 2030 von 35 auf 55 Prozent erhöhen“, sagte Brandstätter in einem Interview.
„An einem deutlich schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur führt kein Weg vorbei“, sagt Ulbrich nun. Sein Vorschlag: Förderungen im Rahmen des Green Deals sollten direkt an den Ausbau der Ladeinfrastruktur geknüpft werden. „Nach dem Laden Zuhause muss die Politik jetzt das öffentliche Laden ins Visier nehmen“, so der E-Mobility-Vorstand. „Beim Laden Zuhause hat die Politik aus meiner Sicht alles richtig gemacht.“
„Regulierung derzeit von wegweisend bis optimierungsbedürftig“
Weshalb Volkswagen der Meinung ist, dass die politische Diskussion beim öffentlichen Laden nicht überall in die richtige Richtung geht, trägt in der Medienrunde auch Martin Höfelmann, Leiter Politik und Kommunikation von der VW-Energie-Tochter Elli, vor. „Der regulatorische Rahmen hat erheblichen Einfluss auf das Ausbautempo der privaten und öffentlichen Ladeinfrastruktur“, sagt Höfelmann. „Im Ergebnis reicht die Regulierung derzeit von wegweisend bis optimierungsbedürftig.“
Dafür nennt der Manager einige Beispiele aus der aktuellen Lage in Berlin. Wie auch Ulbrich lobt er das Förderprogramm des Bundesverkehrsministerium für private Ladepunkte – ab dem 24.11. werden förderfähige Wallboxen mit pauschal 900 Euro bezuschusst. Höfelmann verweist aber auch auf die Novelle von Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes, die derzeit im Bundeswirtschaftsministerium vorberietet wird. Laut dem Elli-Manager sei dort angedacht, „dass Spitzen im Energiesystem auch durch eine Unterbrechung von Ladevorgängen geglättet werden können, was E-Auto-Fahrer massiv verunsichert“. Ein „simples Abschalten von Ladevorgängen“ könne aber nicht die Lösung sein, ergänzt Ulbrich.
Oder auch die Entscheidung für ein deutsches Schnellladenetz mit 1.000 Ladeparks sei „genau richtig“. „Noch haben wir aber nicht einmal die für Sommer angekündigte Ausschreibung gesehen, geschweige denn einen dieser Ladeparks“, sagt Höfelmann. „Hier laufen wir Gefahr, dass es massive Verzögerungen gibt, während die Zulassungen von Elektroautos steigen.“ Zudem würden bereitgestellte Fördermittel für Ladeinfrastruktur nicht fließen – hier müsse die Politik nachjustieren.
Zudem richtet Ulbrich eine direkte Forderung an die Politik: „Vor allem die Kommunen müssen aktiv werden und Flächen vor Ort ausweisen. Leider fühlt sich in vielen Rathäusern niemand so recht zuständig“, sagt der VW-Vorstand. „Im Prinzip brauchen wir in jeder Stadt einen E-Mobilitäts-Manager. Auch die Wirtschaft kann und muss mehr tun. Für den Handel und den Immobiliensektor bringt das Thema Laden große Chancen. Wer jetzt investiert, wird davon lange profitieren.“ Einen Vorschlag, wie die klammen Kommunen das finanzieren sollen, liefert Ulbrich aber nicht.
VW kritisiert GEIG-Entwurf
Ebenso lobend erwähnt Höfelmann das ab Dezember geltende Recht auf eine Wallbox. Als „absolut unzeitgemäß“ empfindet er allerdings den Stand beim Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz (GEIG), der zwar vom Kabinett verabschiedet, vom Bundesrat aber wieder von der Tagesordnung genommen wurde. Aktuell sieht der Entwurf eine Pflicht für Leerrohre bei Neubauten ab zehn Stellplätzen vor. „Wenn aber heute in der wichtigen Phase des Markthochlaufs bei einem Neubauprojekt mit acht Stellplätzen nicht die Ladeinfrastruktur mitgedacht wird, wird es später umso teurer“, so Höfelmann.
Wie wichtig die Planung an dieser Stelle ist, berichtet Ulbrich aus eigener Erfahrung. Bei seinem Neubau vor zehn Jahren hätte er gerne rückblickend „für ein paar Euro“ acht Meter Leerrohr verlegt. Die nachträglichen Arbeiten lagen offenbar im vierstelligen Bereich.
„Gerade bei Neubauten ist es technisch kein Problem, den entsprechenden Netzanschluss einzubauen – wenn der Energiebedarf des Ladepunkts von Anfang an mit einkalkuliert wird“, sagt auch Martin Roemheld, Leiter E-Mobility Services von Volkswagen Pkw. Allerdings warnt Roemheld davor, die Wirkung des Ladens zuhause zu überschätzen.
Kundenverhalten wird sich verändern
Derzeit fände die Hälfte aller Ladevorgänge an der eigenen Wallbox oder 20 bis 30 Prozent beim Arbeitgeber statt. „Elektroauto-Kunden kaufen heute, wenn sie im Vorfeld wissen, dass sie das Auto zuhause oder bei der Arbeit laden können“, sagt Roemheld. „Das ist gut, schränkt die Zielgruppe aber enorm ein.“ Volkswagen errichtet selbst an Standorten bis zu 11.000 Ladepunkte bis 2025 in Europa. Konzernweit sollen es sogar rund 35.000 Ladepunkte sein.
Aber auch der Bereich öffentliches Laden wird sich laut VW vergrößern – weil andere Zielgruppen das E-Auto für sich entdecken werden Künftig werden auch Laternenparker vermehrt zum Elektroauto greifen – und brauchen entsprechende Ladelösungen. VW geht davon aus, dass ab 2025 die Mehrheit der Ladevorgänge auswärts stattfinden werden.
Hier verweist der VW-Manager etwa auf den urbanen Schnellladepark von EnBW in Stuttgart, das Aral Mobility Hub in Berlin oder die Ankündigung, in Wolfsburg zwei weitere innerstädtische HPC-Standorte zu bauen, womit deren Zahl auf vier wächst. „Urbane Schnellladeinfrastruktur wird viel zum Durchbruch der Elektromobilität beitragen“, so Roemheld. „Dafür muss sich aber auch die Ladeleistung der Autos entwickeln – in Richtung kürzerer Ladepausen.“
Öffentliches AC-Laden werde es weiterhin geben, jedoch vermutlich mit einem anderen Geschäftsmodell. Während sich (innerstädtische) Schnellladestationen über den Verkauf des Ladestroms finanzieren könnten, werden laut der VW-Prognose AC-Lader künftig vermehrt eingesetzt, um die Kundenloyalität zu fördern. Sie müssen also nicht direkt Geld verdienen, sollen aber die Kunden auf den Parkplatz eines bestimmten Supermarkts, Einkaufszentrums oder Restaurants locken.
Um diese im Vergleich zur heutigen Zielgruppe breiteren Anforderungen zu erfüllen, stellt Roemheld neue Ladeprodukte in Aussicht. „Jemand, der zu 80-90 Prozent zuhause lädt, wird ganz andere Ladeprodukte benötigen und nachfragen als jemand, der ausschließlich öffentlich lädt“, so der Manager. Eine konkrete Ankündigung machte Roemheld aber nicht.
Quelle: Medienrunde via Skype
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