Plug&Charge: Was noch zum Durchbruch fehlt
Im kommenden Jahr werden mehr und mehr Ladestationen Plug&Charge-fähig sein. Dafür waren in den vergangenen Jahren hinter den Kulissen viele Schritte notwendig – eine Grundlagenarbeit, von der nun alle profitieren sollen. Doch damit die Technologie in der Breite genutzt werden kann, fehlt noch eines: eine Vielzahl an Plug&Charge-fähigen Autos.
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Ja, es ist wieder einmal Tesla, die es vormachen. Einfach das Kabel an einem Supercharger ins Auto stecken, schon beginnt der Ladevorgang automatisch und wird auch ohne weiteres Zutun des Nutzers abgerechnet. Tesla hat einen großen Vorteil: Die proprietäre Lösung muss nur zwischen Tesla-Fahrzeugen und Tesla-Ladestationen kommunizieren und abrechnen können. Dass grundsätzlich auch andere Fahrzeuge an den CCS-Superchargern laden können, hat sich in diesem Jahr bei einer zwischenzeitlichen Software-Panne gezeigt. Abgerechnet wurde da aber nichts.
Was vielen aber nicht bewusst ist: Plug&Charge gibt es bereits, beispielsweise bei Ionity-Säulen in Deutschland, Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland, Italien und Tschechien funktioniert das Laden ohne zusätzliche Authentifizierung bereits. Anfang 2021 will Ionity die Funktion in zwölf weiteren Ländern in Europa etablieren. Warum das nur die wenigsten mitbekommen haben? Mit dem Porsche Taycan unterstützt seit Oktober nur ein Fahrzeugmodell Plug&Charge, aber der Porsche ist trotz der hohen Nachfrage kein Volumenmodell.
Die Entwicklung von Plug&Charge war eine „gemeinsame Industrie-Anstrengung“, wie Susanne Koblitz, Head of Charging Technology bei Ionity, im Gespräch mit electrive.net betont. Es sei „kein Alleingang einiger weniger Unternehmen, die für sich eine proprietäre Lösung entwickelt haben“. Stattdessen wurde gemeinsam von Ladepunktbetreibern (CPO), Roamingnetzbetreibern, den Ladenetzbetreibern (EMP), den Ladesäulen-Herstellern und den Autobauern ein offenes System erarbeitet. „Wir haben im Rahmen von Plug&Charge ein Zertifikate-System aufgebaut, mit dessen Hilfe sich die Partner gegenseitig authentifizieren können“, sagt Koblitz. „Wichtig ist, dass diese Ketten und Kommunikationssysteme jetzt aufgebaut sind – kommt jemand neu an Bord, kann er ab sofort von diesem System profitieren.“ An dieses System sollen neue Teilnehmer einfach andocken können – egal ob OEM, CPO oder EMP.
Doch wozu der Aufwand des Zertifikate-Systems, wenn es bereits die viel zitierte ISO-Norm 15118 gibt? „Die ISO 15118 beschreibt ausschließlich die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladestation“, so die Ionity-Managerin. „Im Fall von Plug&Charge gibt sie zwar noch vor, dass eine Nachricht gesendet wird, wenn eine bestimmte Aufgabe erledigt wurde. Der ganze Rest – von der Ladesäule, bis zum CPO und EMP – musste erst erarbeitet werden.“
Der „ganze Rest“ ist nichts weniger als die Kommunikation rund um die Abrechnung. Hierfür wurde ein Zertifikate-Pool eingerichtet, der bei Hubject angesiedelt ist. Wichtig: Hierfür ist keine Anbindung an die Roaming-Plattform intercharge von Hubject notwendig, nur eine Anbindung an den Zertifikate-Pool und die „PKI Root“ bei Hubject. In diesen Pool müssen EMP wie etwa Digital Charging Solutions (DCS) oder Shell Recharge die Vertragszertifikate des Kunden ablegen. „In dem Moment, in dem das Fahrzeug mit der Ladestation verbunden ist, wird abgefragt, ob es ein gültiger Vertrag ist und von wem der Vertrag stammt – diese Informationen müssen verfügbar sein“, erklärt Koblitz. „Danach wird im Roaming-Prozess die Bestätigung des Vertrags – ähnlich wie beim RFID-Payment – direkt beim EMP abgefragt.“
Das klingt simpel, ist in der Praxis aber komplex. „Die reine Funktionalität ist sehr einfach zu definieren und zu implementieren“ erklärt Koblitz. „Die Herausforderung liegt im Fehler-Handling. Da steckt der Teufel im Detail.“ Die ersten Tests zur ISO-15118-Kommunikation zwischen Ladestation und Fahrzeug fanden bei Ionity Ende 2018 statt, seitdem wurde die Komplexität nach und nach erweitert – bis zum heutigen Ökosystem. „Beim Thema Plug&Charge wird immer wieder die Komplexität in Frage gestellt“, so Koblitz. „Wenn wir es jedoch Maschinen überlassen, sich gegenseitig zu authentifizieren und am Ende Kosten anfallen, ist ein anderes Level an Manipulationssicherheit einfach unabdingbar.“
Der E-Auto-Fahrer kann den Vertrag wählen
Auch bei Plug&Charge soll sich der Kunde nicht auf einen Ladevertrag festlegen müssen. „Den Autoherstellern ist die Wahlfreiheit der Kunden sehr wichtig“, sagt Ionity-Managerin Koblitz. „Der Kunde hat volle Vertragsfreiheit und kann seinen Anbieter-Vertrag – und damit das Vertragszertifikat – frei wählen.“ Markus Bartenschlager, Managing Director bei DCS und damit für einige Ladedienste der OEM wie etwa jene von Audi, BMW, Mercedes und Hyundai verantwortlich, pflichtet dem bei: „Die Plug&Charge-Implementierung nach ISO 15118 sieht prinzipiell vor, dass die Ladeverträge verschiedener EMP im Fahrzeug verknüpfbar sind.“
Aber: Wie genau der Kunde den jeweiligen Ladevertrag an der Station dann auswählt oder wie ihm das vom Fahrzeug kommuniziert wird, ist Sache des Autobauers. Das ist nicht trivial: Es gibt Kunden, die möglichst einfach und ohne Aufwand laden wollen – nach dem Motto, „soll doch die Software den günstigsten der hinterlegten Tarife auswählen“. Ist aber etwa bei Dienstwagen ein Ladetarif des Arbeitgebers hinterlegt und ein anderer Anbieter für die privaten Fahrten, ist eine Unterscheidung wichtiger. „Wir stehen in engem Austausch mit unseren OEM-Partnern, um die gemeinsamen Plug&Charge-Lösungen nicht nur nahtlos ins Fahrzeug zu integrieren, sondern auch in den dafür vorgesehenen Ladeservice“, drückt es Bartenschlager diplomatisch aus. Soll heißen: Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen.
Der Kunde selbst muss die Plug&Charge-Funktion seines Autos einmalig aktivieren lassen, ab Werk ist dieser Service deaktiviert – der Kunde hat schließlich die Wahlfreiheit, wie und mit welchem Anbieter er laden will. Selbst wenn Plug&Charge aktiviert ist, kann der Kunde die Funktion vor einem Ladevorgang deaktivieren – etwa wenn er den Ladevorgang mit einem anderen Anbieter durchführen will, der nicht im Fahrzeug hinterlegt ist. „Wichtig ist jedoch, dass er es vor dem Ladevorgang deaktiviert, denn sobald der Charger mit dem Auto verbunden ist, läuft automatisch der Autorisierungs-Vorgang an“, sagt Ionity-Expertin Koblitz. Entscheidet sich der Kunde dazu, Plug&Charge zu nutzen, kümmere sich laut Bartenschlager der EMP „gemeinsam mit dem Automobilhersteller darum, dass ein Zertifikat, das zur Plug&Charge-Authentifizierung benötigt wird, ins Fahrzeug gespielt wird“.
Bei einigen Autos sind Hardware-Änderungen nötig
Genau dort beginnen aber die Herausforderungen: Sowohl die Fahrzeuge als auch die Ladestationen benötigen einen entsprechenden Speicher. „Das Zertifikat muss so im Fahrzeug oder der Ladesäule integriert werden, dass es IT-technisch geschützt ist“, sagt Koblitz. „Ist ein sicherer Speicherplatz vorhanden, ist die Implementierung eine reine Software-Lösung.“ Hat etwa die Ladesäule einen solchen Speicher, muss der CPO nur noch die Plug&Charge-spezifischen Nachrichten implementieren – „sowohl von Backend zu Ladestation als auch von Backend zu Hubject“.
Heißt aber auch: Gibt es diesen sicheren Speicherplatz nicht, muss er erst noch eingebaut werden – oder Plug&Charge funktioniert nicht. Im Falle der Autos kommt es darauf an, wie die Hersteller ihre Fahrzeuge konzipiert haben. Während Porsche zum Beispiel angibt, dass auch bereits ausgelieferte Exemplare des Taycan Plug&Charge unterstützen können – weil die Hardware darauf vorbereitet ist –, sieht es etwa bei BMW anders aus. Wie ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage angab, seien bei den Fahrzeugen des Herstellers Hardware-Änderungen nötig, womit bereits ausgelieferte Fahrzeuge nicht Plug&Charge unterstützen werden – nicht nur ältere i3, sondern auch die ersten iX3.
Selbst wenn das Fahrzeug die Technologie unterstützt, wird es zumindest anfangs eine Art Flickenteppich geben. Nicht jede Ladestation wird Plug&Charge unterstützen, nicht jeder CPO wird sofort nachrüsten, selbst wenn es verfügbar ist. „Nachdem wir in anderen Bereichen der E-Mobilität das Henne-Ei-Problem überwunden haben, erleben wir bei Plug&Charge nun das gleiche Phänomen“, sagt DCS-Manager Bartenschlager. „Für alle Marktbeteiligten bedeutet Plug&Charge eine gewisse Investition – sowohl für die Infrastrukturbetreiber, die Fahrzeughersteller, aber auch die E-Mobility-Service-Provider.“
„Sehen ein exponentiell steigendes Interesse“
Bis zu einer flächendeckenden Verfügbarkeit gilt es also, die Plug&Charge-Fähigkeit als weitere Variable in die Datenbank aufzunehmen, wenn eine Route geplant werden soll. Laut Bartenschlager sollen seine Kunden aktiv danach filtern können, damit ihre Ladestopps möglichst an einer Plug&Charge-fähigen Station geplant werden. Im Zweifel wird es der Fahrer spätestens beim Einstecken des Kabels merken, ob der Ladevorgang gestartet wird oder nicht. Bartenschlager fordert daher „verlässliche Daten“ von den CPO, an welchen Ladestationen Kunden mit Plug&Charge laden können. „Diese Information ist für den Nutzer entscheidend.“
Erkundigt man sich bei den Herstellern nach den Rollout-Plänen, bleibt die Aussicht auf die kurzfristige Entwicklung ungewiss. „Zum aktuellen Zeitpunkt ist Plug&Charge noch nicht Teil des BMW Charging Angebotes. Die Weiterentwicklung des Angebotes ist in Arbeit, es ist aber zu früh, um einen konkreten Zeitplan dazu zu kommunizieren“, heißt es etwa von BMW, obwohl mit dem iX3, dem i4 und dem kürzlich vorgestellten iX bald wichtige Premieren anstehen. „Die größte Herausforderung liegt in der Durchgängigkeit aller notwendigen Elemente beginnend bei der Standardisierung über die Integration der Einzelprodukte Fahrzeug, Ladepunkt und Energieversorger, sowie gesetzlichen Normen, Regulatorik und Datenschutz.“ Man fokussiere sich daher auf Lösungen, „die unseren Kunden immer komfortableres Laden an allen verfügbaren Ladepunkten ermöglichen“.
VW kündigt auf Nachfrage an, dass man Plug&Charge als wichtige Komfortfunktion sehe und die Technologie im kommenden Jahr in die Fahrzeuge einbringen werde. „Die Vorreiterrolle innerhalb des Volkswagen-Konzerns übernehmen die Premiummarken Audi und Porsche, die Marke Volkswagen wird Plug&Charge dann in die Breite tragen“, so ein VW-Sprecher. Auf konkrete Fragen zu Hardware-Änderungen und der Plug&Charge-Fähigkeit der Bestandsfahrzeuge wollte man in Wolfsburg zum aktuellen Zeitpunkt aber noch nicht antworten.
Dennoch: Lade-Experte Bartenschlager sieht ein „exponentiell steigendes Interesse aller Beteiligten“. „Daher sind wir der festen Überzeugung, dass sich Plug&Charge in den nächsten ein bis zwei Jahren erfolgreich etablieren wird. Diese Entwicklung sehen wir übrigens nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in China.“
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